Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 31
ОглавлениеBudweis, 17. April 1619
»Jetzt!«, schrie der Rittmeister den Wächtern am Tor zu und ritt als Erster aus der Stadt, nachdem die es eilig geöffnet hatten.
Hermann und weitere zehn Kaiserliche folgten dem Spanier in wildem Galopp. Der Schmied war froh, dass er der Rotte von Raoul Santos zugeteilt worden war. Zwar führte der Rittmeister ein strenges Regiment, er kümmerte sich aber auch darum, dass seine Landsknechte genug zu essen bekamen und bei der Verteilung der Beute angemessen berücksichtigt wurden.
Die protestantische Armee, die unter Graf von Mansfeld einen Belagerungsring um Budweis gezogen hatte, wurde von dem Ausfall überrascht und schaffte es nicht schnell genug, ihre Pferde zu besteigen, um den Reitern folgen zu können.
Die Rufe, die aus dem Feindeslager drangen, kamen zu spät. Angeführt von ihrem Rittmeister, hetzten die Kaiserlichen in hohem Tempo etwa eine Stunde weiter. Dann kam der Befehl zum Halt. Es war bereits der dritte Ausfall, an dem Hermann teilnahm. Er wusste, dass es sehr viel schwerer werden würde, wieder in die Stadt hineinzugelangen, vertraute aber dem Ideenreichtum seines Rittmeisters.
Nach dem Fall Pilsens hatte Hermann keine Schlacht mehr erlebt. Mit seinen Kameraden war es ihm gelungen nach Budweis zu gelangen, bevor die Stadt von den Mansfeldern belagert wurde. Es kam immer wieder zu kleineren Scharmützeln. Keiner der beiden Parteien gelang es aber, einen entscheidenden Vorteil zu erringen.
Die Gruppe hatte von von Buquoy den Auftrag bekommen, Proviant zu besorgen. Das Heer hatte einen harten Winter hinter sich und die Bürger von Budweis waren nicht mehr in der Lage, die Männer zu ernähren. Immer wieder waren sie ins Land gezogen, um sich zu besorgen, was sie zum Überleben brauchten. Hermann war entsetzt gewesen, als er das erste Mal mit ansehen musste, welches Leid dabei über die Bevölkerung gebracht wurde, die immerhin aus seinen eigenen Landsleuten bestand. Dieses Mal hatten sie den Befehl bekommen, die Menschen in den Dörfern zu verschonen. Hermann befürchtete allerdings, dass es dennoch Tote geben würde. Die Bauern würden ihr Hab und Gut verteidigen wollen und sich gegen die Angreifer wehren. Und selbst wenn sie das nicht taten, konnte Hermann nicht einschätzen, ob seine Kameraden sich tatsächlich zurückhalten würden.
Nachdem sie eine Stunde gerastet hatten, setzten die kaiserlichen Soldaten ihren Weg fort. Der Rittmeister schlug nun ein langsameres Tempo an, damit die Tiere nicht zu schnell ermüdeten. Sie mussten immer damit rechnen, dass sie auf feindliche Soldaten trafen und schnell sein mussten. Deshalb hielten sie sich bewusst abseits der normalen Wege. Die Dörfer in der Nähe von Budweis waren längst geplündert. Die Männer mussten das Gebiet, in das sie zur Proviantbeschaffung vorrückten, immer weiter ausdehnen.
Am Abend schlugen die Soldaten ihr Lager in einer schmalen Schlucht zwischen zwei Hügeln auf. Jeweils zwei Männer wurden zur Wache eingeteilt. Hermann hatte das Glück, dass er in dieser Nacht nicht an der Reihe war.
Ab dem dritten Tag sandte Santos zwei Späher aus, die nach Dörfern Ausschau halten sollten. Sie befanden sich jetzt in einem Gebiet, in dem auch Hermann noch nie gewesen war. Gegen Nachmittag meldete einer der Soldaten einen Erfolg. Er war auf ein Dorf mit etwa fünfzig Einwohnern getroffen. Die Menschen dort hatten Rinder und Schafe.
»Wir schlagen hier unser Lager auf«, befahl Santos. »Wir greifen eine Stunde nach Einbruch der Dämmerung an. Dann werden die Bauern müde von der Arbeit sein und sich kaum wehren können.«
Hermann war überzeugt, dass sich die Bauern trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit unmöglich gegen die Angreifer verteidigen konnten, die nicht nur die besseren Waffen hatten, sondern auch wesentlich kampferprobter waren. Er betete zu Gott, dass die Menschen dies schnell einsehen würden, und es nicht zu einem Blutbad unter seinen Landsleuten kam.
***
»Wir greifen an!«, befahl der Rittmeister und führte seine Männer in Richtung Dorf an. Hermann ritt als Vorletzter in der Reihe. Noch hatten die Soldaten ihre Waffen nicht gezogen, damit sie davon beim Reiten nicht behindert wurden. Dies würde erst kurz vor Erreichen des Zielortes geschehen.
Die Kaiserlichen hatten den Tag genutzt, um sich vor dem bevorstehenden Angriff auszuruhen. Damit man ihr Lager nicht entdeckte, verzichteten sie darauf, Feuer zu machen. Es regnete leicht und die Männer froren, trotz ihrer dicken Kleidung. Wie angekündigt hatte der Rittmeister den Sonnenuntergang abgewartet. In einer Stunde würden sie das Dorf erreichen und die Einwohner überraschen.
Als die ersten Häuser im Mondschein vor ihnen auftauchten, zogen die Kaiserlichen ihre Waffen. In schnellem Galopp jagten sie dann auf das Dorf zu. Hermann sah, wie einer der Bauern mit beiden Armen winkend auf die Angreifer zurannte. Santos hob seine Muskete und schoss ihm eine Kugel in die Brust. Der Mann fiel im Lauf zu Boden und blieb dort reglos liegen.
Wie so oft in den letzten Wochen musste Hermann gegen den plötzlich auftretenden Brechreiz ankämpfen. An den Anblick von Menschen, die direkt vor ihm den Tod fanden, würde er sich niemals gewöhnen können.
Der Lärm lockte jetzt auch die anderen Bewohner des Dorfes aus ihren Häusern. Zwei mutige Männer rannten mit Mistgabeln auf die Eindringlinge zu, wurden aber mit gezielten Schüssen niedergestreckt, bevor sie diese erreichen konnten.
Hermann wusste, dass den Menschen im Ort nun niemand mehr helfen konnte. Die meisten von ihnen würden den sicheren Tod finden. Er musste entsetzt zusehen, wie einer seiner Kameraden einer alten Frau seine Hellebarde in die Brust stach.
»Brennt alles nieder«, schrie der Rittmeister und sprang von seinem Pferd. Gemeinsam mit zwei seiner Männer stürmte er in eines der Häuser. Zwei weitere Soldaten liefen in eine Schmiede, in der noch das Feuer des Tages glühte. Sie entzündeten jeweils drei Fackeln und liefen damit die Dorfstraße entlang. Wenige Augenblicke später standen die Dächer von vier Häusern in Flammen.
Um dem Feuertod zu entgehen, liefen die Bewohner ins Freie und wurden dort von den Soldaten regelrecht abgeschlachtet. Hermann war starr vor Entsetzen. Hatte von Buquoy nicht ausdrücklich befohlen, dass die Bevölkerung zu verschonen sei? Es waren seine Landsleute, die hier sinnlosem Morden zum Opfer fielen. Er selbst stand unsicher auf der Hauptstraße und war nicht in der Lage, in das Rauben und Morden einzugreifen. Alles in ihm wehrte sich dagegen, auch nur einen Stich mit seiner Waffe gegen einen unschuldigen Bauern zu führen, doch seine Kameraden zurückzuhalten, kam genauso wenig in Frage. Blieb er aber weiter im Abseits stehen, würde der Rittmeister sicher erfahren, dass er sich nicht an dem Beutezug beteiligt hatte. Die Strafe dafür könnte auch Hermann den Tod bringen.
Er lenkte sein Pferd zum Rand des Dorfes zu einer der Stallungen. Als er gerade eintreten wollte, wurde er von einem Bauern mit einem Dreschflegel attackiert. Hermann blieb nichts anderes übrig, als sich zu wehren. Wie im Traum hob er die Muskete an und drückte ab. Die Kugel traf den Mann oberhalb des Nasenbeins in die Stirn. Hermann zwang sich, den Toten nicht anzusehen, stieg über ihn hinweg und betrat den Stall. Dort erbrach er sich in eine der Futterkrippen. Wieder bereute es der junge Schmied, dass er sich dem kaiserlichen Heer angeschlossen hatte. Er war aus Pilsen fortgegangen, um die Welt zu sehen. Jetzt war er einer von denjenigen, die entsetzliches Leid über seine Landsleute brachten. Er war zu einem der Scheusale geworden, die in allen Flugblättern des Reiches aufs Übelste beschimpft wurden.
Hermann versuchte die Schreie von draußen zu ignorieren und band die zwei Pferde los, die in dem Stall untergebracht waren. Er wollte sie ins Freie bringen, bevor auch dieses Gebäude in Flammen aufging.
Als Hermann mit den Tieren nach draußen trat, sah er durch eine geöffnete Tür, wie sich im Haus gegenüber einer seiner Kameraden an einer jungen Magd verging. Sie versuchte sich zu wehren und stieß einen verzweifelten Hilfeschrei aus. Der Soldat schlug ihr mit der Faust ins Gesicht und brachte sie so zum Schweigen. Dann riss er ihr das Gewand vom Oberkörper.
Hermann wandte seinen Blick ab. Er wollte die schrecklichen Bilder nicht sehen. Helfen konnte er der Magd nicht. Alleine für den Versuch würde ihn Santos auf der Stelle hinrichten lassen.
Inzwischen stand die Hälfte der Häuser des Dorfes in Flammen. Unzählige Tote lagen bereits auf der Straße. Kinder flohen vor den Eindringlingen und rannten aus dem Ort hinaus auf ein kleines Wäldchen zu.
Das Gemetzel und Schänden dauerte über eine Stunde. Danach trafen sich die Landsknechte in der Mitte des Dorfes und betrachteten ihre Beute. Sie hatten vier Rinder und an die zwanzig Schafe zusammengetrieben. Außerdem drei Pferde. In unzähligen Säcken waren die Lebensmittel der toten Dorfbewohner gesammelt worden.
»Wir ziehen uns zurück«, schrie Santos über den Platz. »Hier ist niemand mehr, der uns gefährlich werden kann.«
***
Für den Rückweg nach Budweis brauchten die Soldaten zwei Tage länger, weil sie durch das Vieh aufgehalten wurden. Die Proviantsäcke waren auf zwei Wagen geladen worden, die von den erbeuteten Pferden gezogen wurden. Als sie noch etwa einen Kilometer von der Stadt entfernt waren, befahl der Rittmeister zu halten. Sie warten den Einbruch der Dunkelheit ab. Dann wurde ein Melder nach Budweis geschickt, der ihr Kommen ankündigen sollte.
Die Gruppe wartete, bis die Kaiserlichen, die in der Stadt geblieben waren, sich vor den Toren bereitgemacht hatten. So konnten sie ihnen zur Hilfe kommen, falls sie von den Mansfeldern angegriffen wurden. Hermann glaubte aber nicht daran, dass dies geschehen würde. Bei einem ihrer ersten Beutezüge hatten die Protestanten versucht, ihre Feinde am Rückzug in die Stadt zu hindern. Weil die Kaiserlichen aber darauf vorbereitet gewesen waren und die Belagerer sich nicht so schnell hatten sammeln können, hatten die Mansfelder hohe Verluste hinnehmen müssen.
Als der Bote zurückkehrte, gab Santos den Befehl zum Rückzug in die Stadt. Obwohl sie versuchten, keine Geräusche zu verursachen, wurden sie schnell von den Belagerern bemerkt. Sie hatten gerade einmal die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sie von einer Gruppe Reiter angegriffen wurden, die ihre eigene Anzahl um das Doppelte übertraf. Im gleichen Moment rückten die kaiserlichen Soldaten aus Budweis aus, um ihren Kameraden zu Hilfe zu eilen.
Die Pferde, welche die Wagen zogen, wurden angetrieben und auch die dahinter gebundenen Rinder und Schafe wurden mitgezogen. Hermann und seine Kameraden rückten nicht gegen die Mansfelder vor und versuchten stattdessen, ihre Beute zu schützen. Die Musketen krachten los. Auf beiden Seiten fielen getroffene Soldaten von ihren Pferden. Hermann sah, wie einer der Angreifer sich dem ersten Wagen näherte. Er hob seine Hellebarde an und spurtete mit seinem Pferd los, um dem Mansfelder den Weg abzuschneiden. Der hatte nicht auf Hermann geachtet und bemerkte ihn erst in letzter Sekunde. Die Waffen der beiden Männer krachten ineinander. Hermann wollte seine Hellebarde zurückziehen, spürte aber einen Widerstand. Die Spitzen der Piken hatten sich ineinander verhakt. Für einen kurzen Moment war der ehemalige Schmied verunsichert. Dies nutzte sein Gegner aus und zog mit einem kräftigen Ruck an seiner Waffe. Hermann wurde von dieser Attacke völlig überrascht. Er konnte sein Gleichgewicht nicht mehr halten und fiel von seinem Pferd in den Dreck.
Das ist das Ende, dachte Hermann, als er sah, wie sein Gegner über ihm immer größer wurde. Der Mansfelder wollte die Hellebarde gerade nach unten rammen, als er von einem Schuss in den Rücken getroffen wurde.
»Pass das nächste Mal besser auf, Scheidt«, sagte Santos, der ihm gerade das Leben gerettet hatte. Hermann wollte sich bedanken, aber sein Rittmeister hatte sich bereits wieder ins Kampfgetümmel gestürzt.
Die Wagen hatten die Tore der Stadt nun fast erreicht. Die Mansfelder schienen zu merken, dass sie den Kaiserlichen ihre Beute nicht mehr abjagen konnten, und zogen sich zurück. Hermann lief zu seinem Pferd und beeilte sich, seinen Kameraden zu folgen, die sich sammelten und zurück nach Budweis ritten. Die Tore waren gerade lange genug offen, dass die Wagen und alle Soldaten sicher in die Stadt hineingelangen konnten. Die Kaiserlichen stießen jubelnde Schreie aus. Wieder war es ihnen gelungen, ihren Belagerern ein Schnippchen zu schlagen.