Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 37
ОглавлениеWien, 12. Juni 1619
Eintrag in die kaiserliche Chronik des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation:
Graf von Mansfeld zog am 8. Juni mit 8 Fahnen zu Fuß an 500 zu Ross aus Pilsen, um zu den Böhmen zu stoßen. Graf von Buquoy erfuhr davon und brach mit 1.000 wallensteinischen Kürassieren und mit fünftausend Mann, ungarischen und wallonischen Soldaten, auf, um die Vereinigung zu verhindern.
Im Marktflecken Rotelitz kam es zur Schlacht, in der die Mansfelder eine empfindliche Niederlage einstecken mussten. Der Graf floh mit seinen Reitern und überließ das Fußvolk dem feindlichen Heer. Über tausend Mann wurden gefangen genommen und traten in die kaiserliche Armee über.
Die Buquoischen haben bei diesem Treffen stattliche Beute gemacht, darunter sieben Cornett und sieben Fahnen, hundert Fass Wein, viele Maulesel, die des von Mansfelds Silberwerk trugen. Über zehntausend Gulden. Außerdem wurden zwei Geschütze erbeutet.
Die Nachricht aus Böhmen rettete Wien vor der Übernahme durch Graf von Thurn. Als dieser von von Mansfelds Niederlage erfuhr, hat er sich sofort auf den Rückweg nach Böhmen gemacht, um zu verhindern, dass Graf von Buquoy gegen Prag marschiert.
Erleichtert verschloss Anton sein Tintenfass und stand auf. Mit dem Abmarsch der böhmischen Armee war auch ihm ein großer Stein vom Herzen gefallen. Zwar hatten die kaiserlichen Regimenter die Angriffe der Rebellen immer wieder abwehren können, es war aber auf beiden Seiten zu großen Verlusten gekommen.
Antons Befürchtung, die protestantischen Stände in Österreich könnten sich auf die Seite von Graf von Thurn schlagen, hatte sich nicht bewahrheitet. Von Starhemberg hatte Ferdinand im Gegenteil sogar versichert, dass er und die anderen Adeligen weiter zum Erzherzog stehen würden. Dass diese Aussage erst getroffen wurde, als klar war, dass es den Böhmen nicht gelingen würde, die Stadt einzunehmen, sprach für sich.
Weil die Stadt letztlich doch noch verschont worden war, sollte heute im Stephansdom ein Dankgottesdienst stattfinden. Den wollte Anton auf keinen Fall verpassen. Ein Großteil der Bürger würde kommen und der Chronist hoffte darauf, seine Eltern zu treffen. Ins Innere der Stadt waren die Rebellen nicht eingedrungen, dennoch würde Anton erst beruhigt sein, wenn er Vater und Mutter gesund vor sich sah.
Ein Blick auf die Bibliotheksuhr zeigte Anton, dass er für den Chronikeintrag länger gebraucht hatte, als eingeplant. Er musste sich beeilen, wenn er rechtzeitig zum Gottesdienst im Dom sein wollte.
Anton durchquerte die Halle und trat ins Freie. Weil es leicht regnete, zog er den Kragen seiner Jacke hoch. Er war sich sicher, dass sich keiner der Menschen in Wien von dem schlechten Wetter aufhalten lassen würde. Fast hatte er sein Ziel erreicht, als er hinter sich eine Frauenstimme hörte.
»Da bist du ja. Endlich habe ich dich gefunden.«
Was ist nun schon wieder passiert?
»Ich suche dich schon den ganzen Tag.«
Anton drehte sich um und schaute in ein Gesicht, das er zwar kannte, aber nicht zuordnen konnte. Irgendwo habe ich das Weib schon einmal gesehen.
»Erinnerst du dich nicht an mich? Ich bin Vronis Schwester.«
Um Gottes Willen. Bloß das nicht.
»Ihre Schwester?«
»Wir haben uns in Pressburg getroffen. Nach der Krönung des Königs.«
Langsam kehrten Antons Erinnerungen zurück. Die junge Frau hatte ihm ausgerichtet, dass Vroni nach ihm suchte. Nie im Leben hätte er gedacht, dass die beiden Schwestern waren. Zumal es nicht die geringste Ähnlichkeit gab. Das Weib vor ihm war deutlich zierlicher. Sie hatte kurzes braunes Haar und von Weitem hätte man sie für einen jungen Mann halten können, wenn sie nicht in einem Kleid unterwegs gewesen wäre. Dennoch fand Anton ihre Gesichtszüge hübsch.
»Ich wusste nicht, dass Vroni eine Schwester hat.«
»Sie hat mir geschrieben, dass es hier Arbeit für mich gibt und ich nach Wien kommen soll.«
Ihr könnt schreiben! Beinahe hätte Anton seine Gedanken vor Überraschung ausgesprochen, konnte sich aber gerade noch beherrschen.
»Vroni ist schon lange nicht mehr hier«, sagte er in möglichst unbekümmertem Tonfall.
»Das hat mir das Küchenpersonal auch schon gesagt. Weißt du denn, wo sie ist?«
»Nein. Am besten kehrst du in deine Heimat zurück …«
»Ich kann nicht zurück«, erwiderte Resi nur.
»Wie meinst du das?«
»Ich habe kein Geld. Alles, was ich hatte, habe ich für die Reise nach Wien gebraucht. Vroni sagte, dass sie mir helfen wolle, hier Arbeit zu finden.«
»Wann war das?«
»Der Brief kam vor etwa einem Monat.«
Da war deine Schwester bereits tot.
Anton sah ein, dass er das Weib nicht so schnell loswerden konnte, wenn er nicht riskieren wollte, dass sie weiter nach Vroni forschte. Er glaubte nicht, dass von Collalto ihr gemeinsames Geheimnis verraten hatte, aber man konnte ja nie wissen. Was sollte er nun mit der Besucherin aus Pressburg tun? Er konnte sie ja schlecht töten, damit sie keine unangenehmen Fragen mehr stellen konnte. Er brauchte Zeit zum Nachdenken.
»Komm mit in den Dom. Gleich beginnt ein Gottesdienst, den ich nicht verpassen will. Danach werden wir reden. Wie heißt du überhaupt?«
»Nenn mich Resi.«
***
Wie es Anton erwartet hatte, war der Stephansdom bis auf den letzten Platz gefüllt. Selbst Erzherzog Ferdinand hatte es sich nicht nehmen lassen, an dem Gottesdienst teilzunehmen. Die Bürger aus Wien hingen dem Bischof regelrecht an den Lippen, als der sein Dankgebet für die Rettung der Stadt sprach. Anton fiel es schwer, den Worten zu folgen.
Resi konnte zu einem ernsthaften Problem für ihn werden. Auch wenn niemand wusste, was wirklich mit Vroni geschehen war, würde ihre Schwester sicher nicht aufhören, Fragen zu stellen. Dennoch tat ihm die junge Ungarin leid. Mit ihrer Reise nach Wien hatte sie alles aufgegeben und stand jetzt vor dem Nichts. Anton entschloss sich, ihr zu helfen. Nur wie sollte er das anstellen?
Er ließ seinen Blick über die dicht besetzten Bänke im Dom schweifen. Endlich entdeckte er seine Eltern, die die Belagerung offensichtlich gut überstanden hatten. Zumindest brauchte er sich um sie keine Sorgen mehr zu machen. Bliebe das Problem Resi. Auch Vronis Schwester schien nervös zu sein. Sie rutschte unruhig auf der Bank hin und her und schaute sich ängstlich nach allen Seiten um.
Nach einer gefühlten Ewigkeit sprach der Bischof endlich das Abschlussgebet. Im Anschluss an das Orgelspiel gehörten Anton und Resi zu den Ersten, die den Dom verließen. Den Chronisten plagte ein schlechtes Gewissen, weil er nicht auf seine Eltern warten konnte. Er wollte ihnen aber nicht erklären müssen, warum er in Begleitung einer ihnen unbekannten jungen Frau war, über die er selbst nicht mehr wusste, als dass sie aus Pressburg stammte.
»Was soll ich denn jetzt tun?«, fragte Resi, als die beiden endlich alleine waren. Sie waren den Weg Richtung Stallungen gegangen, damit sie nicht gleich vom halben Hofstaat gesehen wurden.
Als Anton die Tränen in Resis Augen sah, tat ihm die junge Frau leid. Sie konnte nichts dafür, dass sich ihre Schwester jedem Mann an den Hals geworfen hatte, um sich dadurch einen Vorteil zu verschaffen. Sicher hätte er sie in der Küche des Kaiserhofs unterbringen können. Dort würde sie aber mehr über sein Verhältnis zu Vroni erfahren, als es ihm lieb war. Den Gedanken, Resi bei seinen Eltern unterzubringen, verwarf er im selben Moment, in dem er ihm kam. Die würden ihm ebenfalls Fragen stellen, die er nicht beantworten wollte.
»Nimm dir für heute Nacht ein Zimmer im Gasthaus ›Zum goldenen Fass‹. Morgen komme ich zu dir und wir sprechen darüber, wie es weiter geht«, Anton legte so viel Zuversicht wie möglich in seine Stimme.
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich kein Geld mehr habe.«
Anton drückte Resi drei Münzen in die Hand. »Das sollte reichen.«
»Wo ist das Gasthaus?«
»Ich bringe dich hin.«
***
Nach einer Nacht, in der er fast kein Auge zugetan hatte, stand Anton müde auf. Nach Vronis Tod hatte er gehofft, sein Leben würde wieder in ruhigeren Bahnen verlaufen. Durch den bevorstehenden Krieg hatte er mehr als genug Arbeit und konnte dabei keine Störungen gebrauchen. Resi könnte alles durcheinanderbringen.
Das ist die Lösung!
In aller Hast zog sich Anton an und wäre dabei fast gestolpert. Dann rannte er zu Albert, der für das Personal im Kaiserhof verantwortlich war.
»Ich brauche jemanden, der mich in der Bibliothek unterstützt«, sagte Anton gehetzt.
»Darum kann ich mich nicht kümmern. Zeidler hat seine Gehilfen selbst eingestellt, wenn er welche gebraucht hat.«
»Ich habe schon jemanden.«
»Warum kommst du dann zu mir?«
»Ich brauche eine Kammer, in der die junge Frau wohnen kann.«
»Ein Weib? Das kann unmöglich dein Ernst sein.«
»Die alten Dokumente sind voller Staub und müssen gründlich gereinigt werden. Ich selbst habe zu viel andere Arbeit und kann das nicht tun. Resi kann lesen und schreiben und wird mir eine große Hilfe sein.«
So betrachtet, leuchtet das sogar mir selbst ein. Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen?
»Du wirst wissen, was du tust. Im Stockwerk über dir ist noch eine kleine Kammer frei. Sie liegt links am Ende des Ganges. Ein Bett und eine Kommode stehen schon da drin. Für viel mehr ist kein Platz.«
»Das wird ausreichen. Ich danke dir!«
»Ich schicke jemanden hoch, der dort sauber macht.«
Anton hatte darauf gehofft, dass Albert ihm helfen würde, und war nicht enttäuscht worden. Wenn sein Lehrmeister sich Hilfen in die Bibliothek geholt hatte, gab es keinen Grund, warum er dies nicht ebenfalls tun sollte. Wenn sie für ihn arbeitete, hatte er Resi im Blick. Jetzt musste sie das nur noch wollen.
Bevor Anton sich aber weiter um Resi kümmern konnte, musste er seine Eltern besuchen, wenn er nicht endgültig bei seiner Mutter in Ungnade fallen wollte. Auf dem Weg dorthin machte er sich auf die schlimmsten Vorwürfe gefasst und war mehr als überrascht, dass er nicht einmal einen davon zu hören bekam. Genau wie er selbst, waren seine Eltern einfach nur froh, dass alle die Belagerung der Stadt überlebt hatten. Sie begrüßten ihn so herzlich, dass Anton wegen seiner langen Abwesenheit ein schlechtes Gewissen bekam. Er blieb mehr als zwei Stunden in seinem Geburtshaus. Seine Mutter ließ es sich nicht nehmen, ihrem Sohn einen deftigen Eintopf vorzusetzen und behauptete, dass er mager und blass geworden sei.
Es war bereits Nachmittag, als Anton im Gasthaus ankam. Er fragte die Wirtin nach der jungen Frau aus Pressburg. Weil sich die beiden bereits gekannt hatten, als Anton noch ein Kind gewesen war, sagte sie ihm, in welchem Zimmer sie ihren Gast untergebracht hatte. Anton ging leise nach oben und klopfte leicht an die Tür. Als er keine Antwort bekam, trat er einfach ein. Resi lag auf dem Bett und zitterte am ganzen Körper.
»Um Gottes Willen, was ist denn mit dir los?«
»Anton?« Resi, die auf dem Bauch lag und den Kopf zwischen den Armen vergraben hatte, drehte sich langsam um und schaute ihren Besucher an.
»Wen hast du denn sonst erwartet?«
Die junge Frau aus Pressburg sprang auf und sprang Anton um den Hals. Er konnte spüren, dass sie noch immer am ganzen Körper zitterte. Ihr Gesicht war nass. »Ich dachte, du würdest nicht mehr kommen.«
»Das habe ich dir doch aber versprochen.« Er fasste sie an den Schultern und hielt sie auf Armlänge von sich, um sie ansehen zu können.
»Ich bin schon sehr oft enttäuscht worden. In meiner Heimat hatte ich wenig. Hier habe ich nichts mehr.« Resi wandte den Blick beschämt ab.
Anton führte die noch immer schluchzende Pressburgerin zurück zu ihrem Bett und drückte sie sanft nach unten. Dann setzte er sich neben sie.
»Ich habe vielleicht eine Lösung für dein Problem.«
»Wirklich?«
»Wenn du willst, kannst du ab heute im Kaiserhof übernachten. Du bekommst sogar eine Anstellung.«
»Ich darf in der Küche des Königs arbeiten?«
»Besser. Du kommst zu mir in die Bibliothek.«
Resi sah Anton einen Moment zweifelnd an. Als er sie ermunternd anlächelte, fiel sie ihm erneut um den Hals. Dieses Mal vor Freude.