Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 40
ОглавлениеFrankfurt, 28. Juli 1619
Der Einmarsch des angehenden Kaisers in Frankfurt war überwältigend. Anton wusste nicht, wohin er schauen sollte. Überall gab es etwas zu sehen und er wollte nichts Wichtiges verpassen, damit er später einen ausführlichen Bericht schreiben konnte.
Sie ritten zwischen den Häuserzeilen durch eine Menschenmenge. Einfache Bauern standen neben wohlhabenden Kaufleuten. Verschmutzte Mägde neben den Frankfurter Adeligen. Die Gesellschaftsschichten schienen aufgehoben. Jeder wollte den Erzherzog aus Wien sehen, der sicher bald zum Kaiser gekrönt werden würde. Die Stadt schien aus allen Nähten zu platzen. Aus der Umgebung waren Tausende erschienen, um diesem Spektakel beizuwohnen. Ferdinand wurde mit frenetischem Jubel gefeiert. Dabei war der Wahltermin noch nicht einmal angesetzt.
Doch nicht alle Menschen freuten sich über die Ankunft Ferdinands in der Stadt. Auch wenn ihm die meisten Leute zujubelten, gab es auch Besucher, die einfach nur still dastanden und den Tross des angehenden Kaisers mit finsterer Miene anstarrten. Eines hatten aber alle gemeinsam: Sie wollten dabei sein, wenn der Erzherzog von Österreich in die Stadt ritt.
Anton sah eine Gruppe leichter Frauen, die sich nach vorne drängten, um die Männer in Ferdinands Gefolge mit ihren Reizen zu locken. Die Landsknechte versuchten, die Weiber zurückzuhalten, aber sie schafften es immer wieder, sich an ihnen vorbeizuschieben. Wieder schwor sich Anton, in seiner Zeit in Frankfurt den Reizen dieser Frauen nicht zu erliegen. Die würden auch ohne ihn genügend Kunden finden. Sicher waren selten so viele Menschen in der Stadt gewesen wie in diesen Tagen.
An den verschiedenen Fahnen an den Hauswänden, Masten und Wagen erkannte Anton, dass bereits einige Kurfürsten mit ihrem Gefolge in der Stadt sein mussten. Sicher war es nicht einfach, so viele Menschen in Frankfurt unterzubringen. Alleine der Tross von Erzherzog Ferdinand zählte 370 Personen und über 150 Pferde.
Anton genoss auch hier das Bad in der Menge, auch wenn er natürlich wusste, dass keiner der Menschen wegen ihm hier war. Weil es durch die vielen Leute sehr eng in den Gassen geworden war, kamen Ferdinand und sein Gefolge nur sehr langsam voran.
Endlich zogen sie mit ihrem Tross den Römerberg hinauf in Richtung Rathaus. Schon von Weitem konnte Anton die drei Hauptgebäude erkennen. Die prächtige Treppengiebelfassade wirkte wie ein übergroßes »W«. Hier sollte im Kaisersaal Ferdinands Krönung stattfinden. Anton zweifelte nicht daran, dass sein Erzherzog in dieses mächtige Amt gewählt würde. Die protestantischen Kurfürsten hätten zwar lieber einen anderen Kandidaten gesehen, den gab es allerdings nicht.
Auf dem Vorplatz des Römers wurde Ferdinand von tausenden von Menschen erwartet. Gerne hätte sich Anton den Justitiabrunnen angesehen, konnte aber nur die Spitze der Figur erkennen, die bereits in der römischen Mythologie als die Personifikation der Gerechtigkeit angesehen wurde.
Endlich gelangten sie in den Bereich des Römers, in dem Ferdinand mit seiner engsten Gefolgschaft untergebracht werden sollte. Nach der langen Reise war Anton froh, die nächsten Tage nicht auf dem Rücken eines Pferdes zubringen zu müssen. Ihm wurde eine Kammer zugewiesen, die so klein war, dass neben dem Bett nur eine schmale Truhe hineinpasste und die noch nicht einmal ein Fenster hatte. Er würde eine Kerze entzünden müssen, wenn er überhaupt etwas erkennen wollte.
Hier soll ich jetzt in den nächsten Wochen schlafen! Hohe Erwartungen hatte Anton an seine Unterkunft nicht gestellt, war aber dennoch enttäuscht, wenn er daran dachte, wie die hohen Gesandten residierten. Es waren einfach zu viele Menschen nach Frankfurt gekommen.
Anton wollte gerade die Türe schließen, als er hinter sich Schritte hörte.
»Seid Ihr Anton Serger?«
»Der bin ich.«
»Ich habe einen Brief für Euch. Er wurde gestern von einem Boten abgegeben.«
Das muss ein Irrtum sein. Überrascht nahm Anton das Schreiben entgegen. Er war noch nicht einmal einen Tag in Frankfurt. Nur wenige Menschen wussten, dass er überhaupt schon in der Stadt angekommen war.
Als der Bote wieder ohne weitere Worte verschwunden war, drehte Anton den Umschlag um und sah, dass der Brief von Resi stammte. War ihr etwa etwas geschehen? Hatten von Collaltos Männer seine Abwesenheit genutzt und sich an die junge Ungarin herangemacht?
Beruhige dich. Wenn Resi einen Brief schreiben kann, ist ihr nichts geschehen. Anton atmete tief durch. Von Collalto konnte nichts damit zu tun haben, dass sich die Ungarin so schnell bei ihm meldete. Es musste einen anderen Grund geben! Aufgeregt riss er das Siegel auf und faltete das Blatt auseinander. Im gleichen Moment fiel ein weiterer Umschlag zu Boden. Anton hob ihn auf und setzte sich auf das Bett. Im Schein der Kerzen begann er damit, zunächst den Brief von Resi zu lesen. Die berichtete dem Chronisten, dass es ihr gut ging, sie sich aber alleine in der Bibliothek des Kaiserhofs schrecklich einsam fühlte. Sie versprach, bis zu Antons Rückkehr so viele Schriften in die Regale einzusortieren wie möglich.
Anton war erleichtert, dass Resi nichts geschehen war und ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Nun war er gespannt, was es mit dem zweiten Schreiben auf sich hatte. In Resis Brief stand, dass es in Wien für ihn abgegeben worden war und sie es sofort nach Frankfurt weitergeleitet hatte.
Der Brief war von Magdalena Fabricius. Warum schreibt Philipp mir nicht selbst? Anton öffnete das Schreiben, das bereits vor drei Monaten aus Prag an ihn abgesendet worden war. Fassungslos las er die Zeilen und erfuhr so, dass man seinen Freund in den Kerker geworfen hatte, weil man Briefe aus Wien bei ihm gefunden hatte. Die böhmischen Offiziere bezeichneten ihn als Verräter und hielten ihn daher in der Prager Burg gefangen.
Geschockt ließ Anton das Schreiben sinken. Sein Freund befand sich in einer furchtbaren Lage und er selbst trug einen Anteil daran. Er dachte darüber nach, was er Philipp in seinen letzten Briefen geschrieben hatte, konnte sich aber nicht erinnern, etwas Verdächtiges geäußert zu haben. Zumindest nichts, was vermuten ließe, sein Freund sei ein Verräter. Helfen konnte Anton Philipp nicht. Er wurde in Frankfurt gebraucht und selbst wenn es nicht so wäre, hätte er Philipp alleine niemals befreien können. Er beschloss, mit den böhmischen Gesandten zu sprechen. Vielleicht konnte er sie von der Unschuld des Prager Kollegen überzeugen. Halte durch, mein Freund!
Niedergeschlagen stand Anton auf. Er musste in das Sitzungszimmer, wo sich Ferdinand mit den Kurfürsten zu einer ersten Besprechung treffen wollte.
***
»Wir beantragen, den Fortgang der Wahl so lange ruhen zu lassen, bis die böhmischen Unruhen beseitigt sind und wieder Friede im Reich eingekehrt ist«, sagte der Gesandte von Kurfürst Friedrich von der Pfalz und zog sich damit die missbilligenden Blicke der Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln zu.
Die drei geistlichen Kurfürsten standen voll auf der Seite der Habsburger und damit zu Erzherzog Ferdinand.
Jetzt wird es spannend. Anton beobachtete seinen Herrn genau. Er verzog keine Miene. Dennoch war die Anspannung an seinem leicht erröteten Gesicht abzulesen. Gleich in der ersten Sitzung der Kurfürsten wurde klar, dass sich die Wahl des nächsten Kaisers des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation länger hinziehen würde. Die protestantischen Kurfürsten, die lieber einen anderen Kandidaten gesehen hätten, hatten lediglich ihre Gesandten geschickt.
Die Zusammenkunft fand in einem Raum im Haus Frauenrode statt, in dem sonst der Rat der Stadt Frankfurt tagte. Neben den Kurfürsten und den Gesandten der Abwesenden waren noch mehrere Chronisten und Schreiber dabei, sodass etwa 20 Personen an der Sitzung beteiligt waren.
»Es ist uns wohlbekannt, was derzeit in Böhmen vor sich geht«, entgegnete Erzherzog Maximilian von Bayern.
»Was wollt Ihr damit andeuten?«
»Tut nicht so scheinheilig«, wies der Erzbischof von Köln den Gesandten der Kurpfalz zurecht. »Wenn es der Wahrheit entspricht, dass die Böhmen im Begriff sind, Ferdinand abzusetzen und einen Gegenkönig zu wählen, möge man sich gleich auf einen 20-, 30- oder gar 40-jährigen Krieg gefasst machen! Spanien und das Haus Österreich werden Böhmen nicht aufgeben. Im Gegenteil wird Spanien eher bereit sein, auf die Niederlande zu verzichten, als sich die Herrschaft über Böhmen so schändlich entwinden zu lassen.«
Nach dieser Ansprache des Kölners herrschte für einen Moment Ruhe im Raum. Der Erzbischof hatte auf den Punkt gebracht, was alle Anwesenden insgeheim wussten. Anton glaubte nicht daran, dass sich der Konflikt in Böhmen schnell aus der Welt schaffen ließe. Die Protestanten waren zu weit gegangen und konnten sich jetzt keinen Rückzieher mehr erlauben. Auf den Majestätsbrief würden sie sich nach einer Niederlegung der Revolte nicht mehr berufen können.
»Der Streit um Böhmen wird der Kaiserwahl nicht im Wege stehen«, sagte der Reichskanzler, der gleichzeitig der Kurfürst von Mainz war, entschlossen.
Die Einigkeit der katholischen Fürsten verwunderte Anton nicht. Sie konnten sich keine weiteren protestantischen Kurfürsten oder Könige mehr leisten, wenn sie verhindern wollten, dass diese irgendwann einen ketzerischen Kaiser auf den Thron setzten.
In den folgenden Stunden berieten die beiden Lager in heftigen Auseinandersetzungen die Festlegung der Kandidaten zur bevorstehenden Wahl. Auch wenn Ferdinand keinen Gegenkandidaten hatte, konnten sich die Abgesandten der protestantischen Kurfürsten nicht auf den Erzherzog von Österreich einigen. Schließlich redeten sie sich damit heraus, dass sie keine ausreichenden Instruktionen hatten, um eine Entscheidung zu treffen, und zunächst bei ihren Kurfürsten eine Vollmacht einholen mussten. Damit wurde die Sitzung vertagt. Allen war klar, dass die Protestanten durch dieses Verhalten lediglich einen Aufschub der Wahl erreichen wollten.
***
»Ich hoffe, Ihr habt einen guten Grund, mich zu dieser frühen Zeit treffen zu wollen«, sagte der Gesandte der Kurpfalz und sah Anton mit grimmiger Miene an. »Wenn es darum geht, mich von Erzherzog Ferdinand als Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation überzeugen zu wollen, können wir dieses Gespräch sofort beenden.«
»Nein, es gibt einen anderen Grund, weswegen ich Euch treffen wollte …« Anton stellte sich vor und erfuhr, dass er es mit Richard Schwarzenbeck zu tun hatte. Er wusste, dass er sich in eine heikle Situation begeben hatte. Wenn jemand beobachtete, dass er mit dem Vertreter der Kurpfalz sprach, konnte er selbst schnell mit dem Vorwurf des Verrats konfrontiert werden. Dennoch wollte er nichts unversucht lassen, seinem Freund in Prag zu helfen. Wenn es eine Möglichkeit gab, Philipp aus dem Kerker zu befreien, dann wollte er diese nicht verstreichen lassen!
Bereits am Abend zuvor hatte er einen Bediensteten des pfälzischen Gesandten gebeten, seinem Herrn auszurichten, dass er ihn kurz vor dem Morgengrauen am Justitiabrunnen treffen wollte. Um diese Zeit waren Erzherzog Ferdinand und die anderen katholischen Fürsten bei der Frühmesse.
»Es geht um Philipp Fabricius.«
»Der Name sagt mir nichts.«
»Er war Sekretär in der Prager Burg und wird nun wegen angeblichen Verrats im Kerker festgehalten. Ich verbürge mich dafür, dass der Mann unschuldig ist und bitte Euch nun darum, Euch bei den böhmischen Ständen für seine Freilassung einzusetzen.«
»Wieso kommt Ihr damit zu mir? Ich habe keinen Einfluss auf das Direktorium in Prag.«
»Aber Euer Kurfürst …«
»Auch Friedrich von der Pfalz wird sich nicht in die böhmischen Belange einmischen können.«
»Steht er nicht kurz davor, von den Protestanten zum böhmischen König gewählt zu werden?« Anton wusste, dass er sich auf sehr dünnes Eis begab. Schwarzenbeck könnte sich in die Enge getrieben fühlen, wenn er so direkt auf die Verbindung zwischen Friedrich und den böhmischen Ständen angesprochen wurde. Wenn er seinem Freund aber helfen wollte, durfte er jetzt kein Blatt vor den Mund nehmen.
»Ihr seid ein mutiger Mann«, sagte der pfälzische Gesandte beinahe anerkennend. »Es könnte Euch Euren Kopf kosten, wenn jemand etwas von diesem Gespräch mitbekommt …«
»Ich baue darauf, es mit einem Edelmann zu tun zu haben, der Stillschweigen über die Angelegenheit bewahrt.«
»Das habt Ihr.«
»Werdet Ihr mein Anliegen unterstützen?«, fragte Anton hoffnungsvoll.
»Ich werde versuchen, etwas für diesen Fabricius zu tun. Versprechen kann ich Euch aber nichts.« Schwarzenbeck sah sich unruhig nach allen Seiten um. Offensichtlich hatte er Angst, mit Ferdinands Schreiber gesehen zu werden und wollte das Gespräch so schnell wie möglich beenden. Großes Interesse an Philipp schien er dabei nicht zu haben.
»Ich danke Euch.«
Anton reichte dem Pfälzer zum Abschied die Hand und wartete, bis der Mann verschwunden war. Es war fraglich, ob Schwarzenbeck etwas für Philipp tun konnte und auch wollte. Im Gegenteil schien der Adelige, genau wie alle anderen, nur seine eigenen Interessen im Sinne zu haben. Dennoch hatte Anton einfach mit ihm sprechen müssen, um keine Chance ungenutzt zu lassen.
Er setzte sich auf den steinernen Rand des Brunnentroges und atmete tief durch. Mittlerweile hatten die ersten Sonnenstrahlen die Nacht fast vollständig vertrieben. Auch heute würde ein heißer Tag werden. Anton entschloss sich, die angenehme Kühle des frühen Morgens zu nutzen, und sich den Römer genauer anzusehen.
Er stand auf und blickte auf die über ihm aufragende Statue der Justitia. Die Figur thronte auf einer Steinsäule mit Sirenenstatuen und steinernen Reliefs darunter. Aus vier Holzrohren, die mit einem Zinnkopf versehen waren, lief das Wasser in den Trog, dessen Durchmesser etwa so groß war, wie die Höhe der Justitia. Die Bildhauer hatten ein wahres Meisterwerk vollbracht, das nicht umsonst zum Stolz der Frankfurter Bürger geworden war.
Anton ging an der linken Seite des Rathauses vorbei und umrundete den aus mehreren miteinander verbundenen Gebäuden bestehenden Römer. Dabei genoss er die morgendliche Ruhe und hing seinen Gedanken nach. Die gestrigen Verhandlungen hatten gezeigt, dass es noch mehrere Wochen dauern konnte, bis der neue Kaiser gewählt war. Der Erzherzog würde so lange in Frankfurt bleiben und damit konnte auch Anton die Stadt nicht verlassen. Für Philipp konnte er in dieser Zeit nichts mehr tun. Auch Resi war auf sich alleine gestellt. Auch wenn sie in der Bibliothek des Kaiserhofs sicher war, traute Anton von Collalto nach wie vor alles zu. Man konnte nie sagen, welche Teufelei der Spanier als Nächstes ausheckte.