Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 38
ОглавлениеPrag, 21. Juni 1619
Sie hatten ihm alles genommen. Seine Freiheit, seine geliebte Ehefrau und sein ungeborenes Kind. Einen Monat war es jetzt her, dass man Philipp im Kerker der Prager Burg eingesperrt hatte. Seit diesem Tag beherrschte ein Gefühl seine Gedanken. Hass.
An jedem Tag malte Philipp sich aus, wie er es seinen Peinigern heimzahlen konnte. Sie würden sich dafür verantworten müssen, was sie ihm und seiner Familie angetan hatten. Dabei hegte er gegen die Wärter, die ihm jeden Tag Wasser und eine erbärmliche Mahlzeit brachten, keinen Groll. Er wusste genau, wem er es zu verdanken hatte, dass sein Leben in Trümmern lag. Graf Matthias von Thurn. Philipp schwor sich, nicht eher zu ruhen, bis sein Widersacher die gerechte Strafe bekommen hatte, sollte er selbst irgendwann aus diesem Kerker herauskommen.
Was in der Stadt vor sich ging, bekam Philipp nicht mit. Auch wusste er nicht, wie es um den Krieg zwischen den böhmischen Ständen und König Ferdinand stand. Er vertraute darauf, dass das Direktorium, und damit von Thurn, irgendwann scheitern würde. Die Habsburger hatten Macht. Sie würden sich die Rebellion der Protestanten nicht bieten lassen und mit ganzer Härte zurückschlagen. Spätestens, wenn wieder katholische Statthalter die Macht über die Stadt innehatten, würde er aus dem Kerker entkommen. Das konnte allerdings noch lange Zeit dauern.
Philipp konnte noch nicht einmal genau sagen, welche Vorwürfe man gegen ihn nun eigentlich erhob. Die Briefe aus Wien waren harmlos. Auch er selbst hatte Anton nichts geschrieben, was der König gegen die Rebellen hätte nutzen können. Philipp war sich sicher, dass die angeblichen Beweise nur ein Vorwand waren, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Von Thurn hasste ihn. An Slavata und Martinitz kam der Graf nicht heran. Jetzt musste ihr Sekretär den Kopf für die Taten der ehemaligen Statthalter hinhalten.
In den Tagen seit seiner Verhaftung war er nicht ein einziges Mal befragt worden. Nachdem Diepold von Lobkowitz bei ihm gewesen war, hatte man keine weiteren Besucher zu ihm gelassen. Er war in einer Welt gefangen, in der es nichts gab als Steine und die Gitter am Fenster seiner Tür.
Es blieb Philipp nichts anderes übrig, als abzuwarten, was weiterhin geschah. Seine Zelle hatte kein Fenster und so gab es keine Möglichkeit für ihn, nach draußen zu schauen. Die einzigen Menschen, die er sah, waren die Wärter. Und die sprachen nicht mit ihm. Bisher hatten sie ihm nicht eine einzige Frage beantwortet, obwohl er ihnen unzählige gestellt hatte. Er war allein. Selbst mit den Mitgefangenen hatte er keinen Kontakt.
Obwohl es draußen inzwischen sommerlich warm sein musste, blieben die Temperaturen im Kerker immer gleich. Die jämmerliche Decke, die er in seiner Zelle vorgefunden hatte, wärmte ihn kaum. Seine Kleidung war inzwischen völlig verdreckt und hatte einige Löcher. Philipp fühlte sich schmutzig und es gab Momente, in denen er seinen eigenen Geruch nicht ertragen konnte.
Die Einsamkeit machte Philipp noch mehr zu schaffen, als der Hunger und die Kälte. Er sehnte sich nach seiner Frau und konnte es nicht ertragen, nicht zu wissen, wie es ihr ging. Hatte sie sich vom Verlust des Kindes erholt? Nach dem Tod ihrer Eltern musste es furchtbar für sie gewesen sein, von Gott diese weitere Prüfung auferlegt zu bekommen!
Natürlich hatte Philipp nach einer Fluchtmöglichkeit aus dem Kerker gesucht. Die Mauern zeigten aber nicht die kleinste Schwäche. Auch die dicke Holztür, die seine Zelle verschloss, konnte er nicht überwinden. Die Wärter kamen niemals allein zu ihm und einer von ihnen war stets bewaffnet, wenn sie ihm sein Essen brachten. Geld, um sie zu bestechen, hatte er nicht. Wie auch immer er es drehte, seine Situation war ausweglos.
Plötzlich öffnete sich die Tür und ein Philipp unbekannter Hauptmann trat in die Zelle. Was hatte das zu bedeuten? Holte man ihn nun aus dem Kerker, um ihn vor ein Gericht zu stellen? Würde er nun endlich erfahren, warum genau man ihn hierher gebracht hatte?
»Ich bin gekommen, um dir ein Angebot zu machen«, sagte der Hauptmann zu Philipps Überraschung und ohne sich vorzustellen.
»Was soll das bedeuten?«
»Ich kann dafür sorgen, dass du noch heute freigelassen wirst.« Eigentlich hätte Philipp sich darüber freuen müssen, endlich wieder eine Stimme zu hören, die mit ihm sprach. Der Fremde sprach jedoch so emotionslos, dass er ihn lieber schnell wieder losgeworden wäre.
»Und was muss ich dafür tun?« Philipp war misstrauisch. So verlockend der Gedanke, endlich aus diesem Loch herauszukommen auch war, er wusste, dass er dem Mann nicht trauen durfte. Ganz sicher war er nicht als Freund zu ihm in die Zelle gekommen.
»Tritt in die Armee ein und du bist ein freier Mann!«
»Wäre ich das wirklich?« Philipp sah den Hauptmann skeptisch an.
»Du bekommst die Gelegenheit für dein Land zu kämpfen.«
»Und zu sterben.«
»Soweit muss es nicht kommen.«
Und ob es das muss, dachte Philipp. Er war kein Soldat und hatte keinerlei Kampferfahrung. Wenn er jetzt in den Krieg zog, würde er das nicht überleben. Er dachte kurz darüber nach, ob er eine Möglichkeit zur Flucht bekommen konnte, wenn er das Angebot des Hauptmannes annahm, sah aber ein, dass er bei einem solchen Versuch noch schneller den Tod finden würde als in einer Schlacht.
»Also, was sagst du? Willst du raus aus diesem Loch und für dein Land kämpfen?«
»Ihr meint, ob ich in einem Krieg sterben will, der damit begann, dass man mich aus einem Fenster warf?«
»Willst du lieber den Rest deines Lebens in dieser Zelle verbringen?«
»Besser, als auf dem Schlachtfeld zu sterben.« Weil der Hauptmann nicht auf seine Bemerkung mit dem Fenstersturz einging, vermutete Philipp, dass er nicht wusste, mit wem er es zu tun hatte. Demnach handelte er auch ohne eine Absprache mit Graf von Thurn. Zumindest was ihn selbst betraf. Die protestantischen Stände mussten sehr verzweifelt sein, wenn sie jetzt schon ihre Gefangenen in den Krieg schicken wollten. Das konnte nur bedeuteten, dass die Habsburger an Boden gewannen. Wenn Prag von den Kaiserlichen eingenommen wurde, würde man ihn aus dem Kerker entlassen. Es war besser auf diesen Tag zu warten, als einen schnellen Tod in der Schlacht zu finden.
»Wenn du lieber in diesem Loch verrotten willst, soll es mir recht sein!«, sagte der Hauptmann ärgerlich. Ohne ein weiteres Wort verließ er die Zelle und ließ die Tür laut ins Schloss krachen.
Philipp konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er wieder alleine war. Der Besuch des Hauptmanns hatte ihm gezeigt, dass noch lange nicht alle Hoffnung verloren war.
***
»Kind, du musst etwas essen.«
»Ich kann nicht.«
»Du musst!« Polyxena von Lobkowitz sah Magdalena vorwurfsvoll an. »Willst du deinen Ehemann wirklich in einem völlig verwahrlosten und abgemagerten Zustand empfangen, wenn er aus dem Kerker freigelassen wird?«
»Wird das denn jemals passieren?«, gab Magdalena mit leiser, gebrochener Stimme zurück. Vom vielen Weinen waren ihre Augen rot. Die Haare klebten ungepflegt und durcheinander an ihrem Kopf. Ihre Gesichtsfarbe war so blass, dass man fast meinen könnte, man habe es mit einer Toten zu tun. Seit Philipps Verhaftung und dem Verlust ihres Kindes hatte sie die kleine Kammer im Anwesen der von Lobkowitzes nicht mehr verlassen.
»Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben.«
»Die habe ich schon lange nicht mehr. Unser Kind ist tot und mein Mann sitzt im Kerker und weiß nicht einmal, was man ihm genau vorwirft!«
»Diepold hat bereits mehrfach beim Direktorium beantragt, dass Philipp freigelassen wird.«
»Graf von Thurn wird das niemals zulassen.«
»Die böhmischen Stände haben eine empfindliche Niederlage hinnehmen müssen. Der Feldzug nach Wien endete ohne Erfolg, hat die Regimenter aber deutlich dezimiert. Unsere Verbündeten sind schon lange in Böhmen und nähern sich der Stadt. Wenn Prag fällt, wirst du Philipp wiedersehen!«
»Und wenn nicht? Was, wenn Ferdinand sein Heer aus Böhmen abzieht? Immerhin steht die Kaiserwahl kurz bevor.«
»Ich weiß, dass es schwer ist, mit einem guten Gefühl in die Zukunft zu schauen. Noch haben wir aber einen gewissen Einfluss in der Stadt.«
»Ich weiß ja, dass Ihr alles für meinen armen Philipp tut.«
»Dann hör damit auf, dich in Selbstmitleid zu ertränken und zeige, welche Kraft in dir steckt!«
Polyxenas energische Stimme erschreckte Magdalena und sie sah die Herrin ängstlich an. Dennoch wusste sie genau, dass die Gräfin Recht hatte. Sie durfte sich nicht unterkriegen lassen. Auch Philipp würde nicht wollen, dass sie sich ihrem Kummer ergab.
»Zuerst habe ich meine Eltern verloren, dann meinen Mann und zuletzt mein Kind.«
»Das weiß ich alles. Trotzdem. Noch lebt Philipp und du musst für ihn da sein, wenn er freigelassen wird. Ihr seid beide noch jung. So hart das klingen mag, ihr könnt noch viele Kinder bekommen. Du bist nicht die erste Frau, die eine Totgeburt verkraften musste. Und fang jetzt bitte nicht wieder an zu heulen.«
Magdalena war es nicht gewohnt, dass Polyxena so mit ihr sprach. Sie musste aber zugeben, dass die Gräfin genau die richtigen Worte gefunden hatte. »Ihr habt recht«, sagte sie schließlich. »Ich habe lange genug in diesem Bett gelegen!«
»Genau das wollte ich von dir hören. Und jetzt wirst du etwas essen!«