Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 30
ОглавлениеWien, 19. März 1619
Eintrag in die kaiserliche Chronik des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation:
Während sich der Gesundheitszustand von Kaiser Matthias I. täglich verschlechtert, hat Erzherzog Ferdinand endgültig die Regentschaft übernommen. Ein Krieg erscheint unvermeidlich.
Derweil sitzt Graf von Buquoy weiterhin im von Graf von Mansfeld belagerten Budweis fest. Die Berichte von Plünderungen und Übergriffen auf das Bauernvolk häufen sich.
Anfang März ist Graf von Dampierre in das böhmische Städtchen Graz eingezogen. Die Besatzung, die aus einer Kompanie Fußvolk bestand, hat sich in das Schloss zurückgezogen und den Dampierrischen mit heftigen Schüssen zugesetzt. Weil der Graf ohne das Schloss die Stadt nicht halten konnte, aber um das Schloss zu beschießen keine Geschütze hatte, hat er das Städtlein plündern und anzünden lassen. Anschließend ist er wieder abgezogen.
Auch im ungarischen Reich erheben sich Stimmen gegen König Ferdinand. Die Stände werden unruhig, verhalten sich allerdings noch friedlich.
Anton atmete tief durch und ließ die Schreibfeder sinken. Seit dem Tod seines Lehrmeisters fühlte er sich einsam in der Bibliothek. Es gab Tage, an denen er es dort kaum aushielt. Über fehlende Arbeit konnte sich der Schreiber nicht beklagen. Seitdem der Kaiser immer schwächer geworden war, ging Ferdinand mit aller Härte vor und forderte seine Feldherren auf, der Rebellion in Böhmen ein Ende zu setzen. Dies musste im Stillen geschehen, weil sich der Erzherzog nicht offen gegen die Protestanten in Böhmen stellen durfte, solange er nicht zum Nachfolger von Kaiser Matthias gewählt worden war.
Immer öfters stellte sich Anton die Frage, ob er sein Leben tatsächlich als kaiserlicher Chronist verbringen wollte. Bald war er ein Jahr am Kaiserhof. Nichts war mehr so wie in den ersten Tagen, in denen ihn Zeidler in seine Arbeit eingewiesen hatte. Er fand kaum Zeit für sich selbst und musste immer bereitstehen, falls der Erzherzog seine Dienste benötigte. Auch seine Eltern hatte er schon seit Wochen nicht mehr gesehen. Dank der Briefe seiner Mutter wusste er aber zumindest, dass es ihnen gut ging.
Vroni machte dem jungen Schreiber zusätzlich zu schaffen. Er konnte nicht sagen, wie es das Weib anstellte, aber sie schaffte es, Anton täglich mindestens einmal über den Weg zu laufen. Wenn sie sich sahen, warf ihm Vroni böse Blicke zu und strich sich vorwurfsvoll über den Bauch. Selbst wenn es Anton gewollt hätte, fand er aber einfach nicht die Zeit, sich mit ihr zu treffen und über alles zu sprechen. Wenn er am Abend in seine Kammer kam, war er so müde, dass er es gerade noch schaffte, sich seiner Kleidung zu entledigen, bevor er ins Bett fiel.
Es war Anton durchaus bewusst, dass ihm Vroni nach wie vor gefährlich werden konnte. Bisher hatte sie ihren Mund gehalten. Sollte sie ihn aber belasten, wäre es nicht leicht für ihn, seine Unschuld zu beweisen. Bei all den Sorgen, die er im Moment hatte, wäre es vielleicht wirklich am besten, ihrer Forderung nachzugeben und sie zu sich zu nehmen. Bald würde man ihren Zustand erkennen können. Dann wäre es zu spät, sich zu ihr zu bekennen.
Anton entschloss, dass es für diesen Tag genug war. Gähnend verließ er seinen Platz in der Bibliothek und ging in seine Kammer. Trotz seiner Müdigkeit konnte Anton an diesem Abend keine Ruhe finden. Immer wieder drehten sich seine Gedanken um Vroni, von Collalto, den Krieg und die Krankheit des Kaisers. Die Last dieser Sorgen kam ihm wie ein Gewölbe vor, das irgendwann über ihm zusammenbrechen konnte und ihn erdrücken würde.
***
Ein heftiges Pochen an der Tür seiner Kammer riss Anton aus dem Schlaf. Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihm, dass die Sonne erst aufging. Es war noch früh.
Was soll das denn?
Anton stand auf, schlurfte verschlafen zur Tür und öffnete sie.
»Du musst sofort mitkommen!«, sagte Vroni außer Atem.
»Um Gottes willen. Was ist passiert, dass du mich zu dieser unchristlichen Zeit aus dem Bett wirfst?«
»Es geht um den Kaiser. Er liegt im Sterben.«
»Was sagst du da?« Innerhalb von Sekunden war Anton hellwach. Jeder im Kaiserhof wusste, dass es mit Matthias zu Ende ging. Dennoch war der Sekretär geschockt, dass er jetzt tatsächlich kurz vor dem Tod stehen sollte. Als Vroni vor seiner Tür stand, hatte er zunächst damit gerechnet, dass sie ihn wegen ihres Kindes sprechen wollte. Auch die Küchenmagd schien aber sehr geschockt und aufgeregt zu sein.
»König Ferdinand hat mich zu dir geschickt. Du sollst sofort zu den Gemächern des Kaisers kommen.«
»Das werde ich!« Anton sah Vroni nicht nach, als die den Flur entlanglief, und beeilte sich damit, seine Gewänder anzuziehen. Dann macht er sich, so schnell er konnte, auf den Weg zu Ferdinand.
Der erwartete ihn im Vorzimmer zu den Schlafgemächern des Kaisers.
»Es steht schlecht um Matthias«, sagte der Erzherzog von Österreich, ohne eine Gefühlsregung zu zeigen und ohne den jungen Chronisten zu begrüßen.
Anton konnte nicht sagen, ob Ferdinand wirklich besorgt um seinen Herrn war, oder ob er sich nun dicht vor seinem Ziel sah, die Regentschaft im Reich zu übernehmen.
»Darf ich zum Kaiser?«
»Der Heiler sagt, dass niemand außer dem Bischof mehr mit Matthias sprechen darf. Der ist in den kaiserlichen Gemächern.«
»Was kann ich tun?«
»Wir können für Matthias beten. Alles andere liegt in der Hand unseres allmächtigen Herrgotts.«
Dann hättet ihr mich auch nicht rufen lassen müssen. Anton verstand nicht, warum er so eilig zum Erzherzog hatte kommen sollte, wenn der nichts Anderes tat, als ungeduldig im Raum auf und abzulaufen. Fast kam es ihm so vor, als würde Ferdinand auf den Tod des Kaisers warten.
Anton war traurig, dass er nach Zeidlers Tod nun auch noch das Ableben des Kaisers erleben musste. Auch wenn er schon seit vielen Wochen mehr mit Ferdinand gearbeitet hatte, war ihm der Umgang mit dem Erzherzog schwerer gefallen als der mit Matthias. Ferdinands Launen waren unberechenbar. Besonders dann, wenn man ihm schlechte Nachrichten überbrachte.
Während der stoisch am Fenster stand und nach außen schaute, setzte sich Anton auf eine Bank und schlug die Hände vor sein Gesicht. Dann begann das Warten.
Nach fast zwei Stunden verließen der Pater und der Heiler das kaiserliche Schlafgemach. Ihren Blicken entnahm Anton, dass es mit Matthias zu Ende gegangen war. Als der Pater dies durch ein leichtes Schütteln des Kopfes bestätigte, trat Ferdinand in den Raum ein und betrachtete stumm den Leichnam. Anton wartete im Vorraum, bis der König zu ihm zurückkehrte.
»Ich erwarte dich in 10 Minuten im kaiserlichen Audienzsaal«, sagte Ferdinand, dem immer noch keine Regung anzumerken war.
»Sehr wohl, Eure Majestät.«
Im Verlauf des Tages kamen unzählige Besucher zum Erzherzog, um sich nach dem Ableben des Kaisers zu erkundigen. Ferdinand empfing die zahlreichen Besucher und ließ keinen Zweifel daran aufkommen, wer künftig die Amtsaufgaben des Regenten übernehmen würde. Als er am späten Abend aus seinem Dienst entlassen wurde, war Anton so müde, dass er im Stehen hätte einschlafen können.
Bevor er sich aber zur Ruhe begab, ergänzte der Sekretär seinen Chronikeintrag vom Vortag:
Am 20. März 1619 hat Kaiser Matthias morgens zwischen sieben und acht Uhr in Wien zu Österreich im Alter von 62 Jahren das Zeitliche gesegnet. Sein Tod ist für Viele sehr betrüblich, weil das Heilige Römische Reich sich in einem gefährlichen Zustand befindet.
Bei der Öffnung des kaiserlichen Leichnams sind Herz, Lunge, Milz, Leber und Nieren gesund vorgefunden worden. Der Magen war schleimig, das Gehirn aber wässrig und brüchig.
Indessen hat König Ferdinand die Regierung des verlassenen Königreichs und über Länder, welche ihm von Erzherzog Albert übergeben worden waren, auf sich genommen.
***
Zehn Tage später rief König Ferdinand Anton erneut zu sich, als dieser gerade aufgestanden war. Ein Bote richtete ihm aus, dass es dringende Schreiben an die Heerführer zu verfassen galt. Anton beeilte sich, dem Ruf seines Herrn zu folgen. Er wusste, wie ungehalten der Erzherzog werden konnte, wenn man ihn warten ließ.
»Da bist du ja endlich!«, empfing König Ferdinand Anton und winkte ungehalten ab, als der sich für sein spätes Erscheinen entschuldigen wollte. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Es gilt, ein eiliges Schreiben an Graf von Buquoy zu verfassen. Der Bote wartet bereits!«
»Ich bin bereit, Eure Majestät.« Anton wusste nur zu gut, wie ärgerlich der König werden konnte, wenn nicht alles so verlief, wie er es wünschte. Daher war der Schreiber immer bemüht, nicht den kleinsten Fehler zu machen.
»An den Feldmarschall Charles Bonaventure de Longueval, Comte de Buqouy«, begann Ferdinand sein Diktat.
»Sicher habt ihr bereits vom traurigen Ableben unseres geliebten Kaisers erfahren. Wien ist gewillt, einen letzten Versuch zur friedlichen Einigung mit den Ständen in Böhmen zu versuchen. Demzufolge habt Ihr das kaiserliche Kriegsvolk unter Eurer Obhut zu bedingungslosem Gehorsam anzuhalten. Die Soldaten sollen sich aller Gewalttätigkeiten enthalten.
Die Proviantbeschaffung soll weiterhin gewährt sein, ohne dabei allerdings mit übertriebener Härte gegen die Bevölkerung vorzugehen. Geld für den Monatssold ist unterwegs. Bis es eintrifft, ist die Truppe bei guter Stimmung zu halten.«
Bevor er Anton aus seinem Dienst entließ, diktierte Ferdinand ihm noch ein Schreiben an Wenzel Wilhelm von Ruppau als Vorsitzendenr des Direktoriums in Prag:
»Nach dem bedauerlichen Tod von Kaiser Matthias beabsichtige ich die Übernahme der Regierung, bestätige Ihnen aber alle bisherigen Privilegien und Freiheiten.
Des Weiteren habe ich mich verpflichtet, anzuerkennen, was den Ständen oder Personen von unseren Vorfahren, Kaiser und Königen zu Böhmen gegeben wurde. Die getroffenen Vereinbarungen und unterzeichneten Dokumente behalten Gültigkeit und werden von mir und dem Heiligen Römischen Reich geachtet.«
Das glaubst du doch selbst nicht. Anton war überrascht, dass König Ferdinand vorgab, eine friedliche Lösung für den Konflikt in Böhmen finden zu wollen. Vor dem Tod von Kaiser Matthias hatte er immer wieder gefordert, mehr Truppen nach Böhmen zu entsenden, um die Rebellion zu beenden. Jetzt hatte er die Möglichkeit dazu. Anton konnte sich nicht vorstellen, dass er nun den protestantischen Ständen tatsächlich nachgeben würde.