Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 24

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Pilsen, 19. September 1618

»Gib gut auf dich acht, mein Junge«, sagte Agnes Scheidt mit schwacher Stimme. Sie versuchte sich aufzusetzen, hatte aber nicht die Kraft dazu und ließ ihren Kopf zurück auf das verschwitzte Kissen sinken.

»Bleib ruhig liegen, Mutter. Du musst dich nicht um mich sorgen. Ich werde schon auf mich aufpassen.«

»Das musst du mir versprechen, Hermann. Den Menschen in dieser Stadt stehen schwere Zeiten bevor. Halt dich aus allem Ärger heraus und tu nichts anderes als deine Arbeit.«

»Du weißt, dass ich immer für dich da sein werde.« Seine Mutter im Sterben liegen zu sehen, brach dem Zwanzigjährigen fast das Herz. In den letzten Tagen hatte er ihren körperlichen Verfall beobachten müssen. Nun wurde sie fast stündlich schwächer und schaffte es nicht einmal mehr, etwas zu essen. Seit dem letzten Morgen hatte er ihr Zimmer lediglich verlassen, um ihr etwas zu trinken zu holen, oder um sich zu erleichtern. Er wünschte sich nichts mehr, als seiner Mutter helfen zu können, war aber ratlos, was er noch tun sollte. Der einzige Arzt der Stadt hatte ihm eine Medizin angeboten, die sich die Familie aber nicht leisten konnte.

»Es geht nicht um mich. Ich sterbe und möchte in dem Wissen einschlafen, dass du nichts tun wirst, was dich in Gefahr bringt. Versprich mir das.« Agnes versuchte ihre Stimme kräftig klingen zu lassen, brachte aber nicht mehr als krächzende Töne zustande.

»Das werde ich nicht!« Hermann tat es in der Seele weh, seine Mutter am Totenbett anlügen zu müssen. Was sie aber von ihm verlangte, konnte er nicht tun. Er hatte das Gefühl, sein Leben zu verschwenden. Er wollte raus aus diesem Haus, raus aus der Stadt und am besten auch raus aus Böhmen. Auf keinen Fall würde er sein Leben damit verbringen, als Schmied in der Scheune seines Elternhauses zu arbeiten. Sein Vater hatte dies sein ganzes Leben lang getan und Pilsen nie verlassen. So würde es ihm nicht ergehen.

Agnes wünschte sich, dass ihr Sohn in die Fußstapfen seines Vaters trat, der vor einem Jahr bei einem Unfall in der Schmiede gestorben war. Hermann wusste das und hatte bisher sein Bestes gegeben. Seine Mutter war der einzige Grund, warum er noch in der Stadt war. Wenn sie von ihm ging, gäbe es keinen Menschen mehr, der ihn in Pilsen hielt. Er würde in das Heer eintreten und seine Heimat bei der nächsten Gelegenheit verlassen.

»Halt dich vor allem von dem Krieg fern«, sagte Agnes und begann zu husten.

Hermann reichte seiner Mutter einen Krug. Sie versuchte, einen kleinen Schluck zu trinken. Dabei lief ihr mehr Wasser am Kinn herunter, als sie schlucken konnte.

»Wir haben keinen Krieg«, sagte Hermann, obwohl er sehr genau wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Protestanten gegen das strengkatholische und dem Kaiser treuergebene Pilsen vorrückten. Er wollte nicht, dass sich seine Mutter Sorgen machte.

Agnes Scheidt hatte ihr ganzes Leben lang hart gearbeitet. Sie war fünfundvierzig Jahre alt. Ihr Körper war völlig ausgemergelt und ohne Kraft. Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie den Rest Lebensfreude verloren. Hermann war der Einzige, den sie noch hatte, weswegen er auch bei seiner Mutter geblieben war. Von seinen Plänen, die Stadt zu verlassen, hatte er ihr nie erzählt und wollte es jetzt nicht mehr nachholen.

Hermann würde das Haus seiner Eltern samt der Schmiede verkaufen müssen, um Geld für ein Pferd und Waffen zu bekommen. Dann würde er auf der Seite der kaiserlichen Armee in die Schlacht ziehen. Seine Familie hatte nie viel besessen. Das Wenige reichte gerade aus, um es Hermann zu ermöglichen, sein Soldatenleben zu beginnen, ohne die niedrigste Stellung im Heer einnehmen zu müssen.

»Der Krieg naht«, widersprach Agnes ihrem Sohn. »Glaube nicht, dass ich nicht mitbekommen habe, was im Reich vor sich geht. Es wird nicht mehr lange dauern, bis Pilsen belagert wird. Du darfst keine Partei ergreifen! Egal, welches Heer als Sieger aus der Schlacht hervorgeht, sie werden einen Schmied brauchen!« Agnes musste ihre Rede unterbrechen und hustete kraftlos. »Setze die Arbeit deines Vaters fort und suche dir eine Frau!«

Das Sprechen hatte Agnes weiter geschwächt und sie bekam keinen weiteren Ton hervor. Als Hermann ihr erneut zu trinken geben wollte, wehrte sie den Krug ab.

»Hör auf meine Worte und renne nicht ins Verderben«, sagte sie schließlich so leise, das Hermann sie kaum verstehen konnte.

»Soll ich den Pater holen?«, fragte Hermann nach einer Weile, weil er nicht wusste, was er seiner Mutter sonst sagen sollte.

»Es ist zu spät«, ächzte Agnes leise. »Meine letzte Stunde ist gekommen. Hör auf das, was ich dir gesagt habe. Öffne die Kiste deines Vaters. Dort wirst du ein paar Dinge finden, die dir helfen werden.«

Hermann wollte seiner Mutter widersprechen und ihr sagen, dass sie noch nicht sterben würde, brachte aber keinen Ton heraus. Agnes Scheidt sah ihren Sohn aus müden Augen an und lächelte ein letztes Mal. Dann brach ihr Blick und ihr Körper erschlaffte.

***

Hermann hockte auf dem Stuhl und hielt das Gesicht in seinen kräftigen Händen vergraben. Er konnte später nicht mehr sagen, wie lange er neben dem Bett seiner toten Mutter gesessen hatte. Die Welt um ihn herum schien still zu stehen, und er interessierte sich auch nicht für sie.

In den letzten Tagen war es seiner Mutter immer schlechter gegangen und ihm war klargeworden, dass der Zeitpunkt ihres Todes dicht bevorstand. Dennoch traf es ihn schwer, dass es jetzt so mit ihr zu Ende gegangen war. In den letzten Stunden hatte er bittere Tränen vergossen und die Hand seiner Mutter gehalten, als könnte er sie so auf ihrem letzten Weg beschützen.

Irgendwann rieb er sich entschlossen über die kurzen Stoppeln auf seinem Kopf und stand auf. Als kleiner Junge hatte er sich die Haare im Schmiedefeuer seines Vaters versenkt und dabei großes Glück gehabt, sich nicht das Gesicht zu verbrennen. Seit diesem Tag hatte er sie sich immer von seiner Mutter schneiden lassen, sobald sie länger als ein Zeigefinger geworden waren. Hermann liefen Tränen aus den Augen, als er daran dachte, dass Agnes Scheidt nie wieder die Haare ihres Sohnes abschneiden würde. Wieder kostete es ihn große Mühe, sich zusammenzureißen. Er wusste, dass er dem Pater Bescheid sagen und sich um die Beerdigung kümmern musste. Das war der letzte Dienst, den er seiner Mutter noch erweisen konnte. Zunächst wollte er aber sehen, was Agnes ihrem Sohn unbedingt hatte zeigen wollen.

Es fiel Hermann schwer, die Kiste seines Vaters zu öffnen, um den er noch immer sehr trauerte. Sein alter Herr hatte ihm nicht nur sein Handwerk beigebracht, sondern ihm auch gezeigt, wie er mit den Auftraggebern verhandeln musste, um einen guten Preis für die Arbeit zu bekommen. Auch wenn er alles getan und immer hart gearbeitet hatte, war die Familie nie wohlhabend gewesen und hatte immer um ihr Überleben kämpfen müssen.

Endlich fasste sich Hermann ein Herz und öffnete die Truhe. Wie er erwartet hatte, fand er darin die Arbeitskleidung seines Vaters und ein paar Werkzeuge. Beides würde er nicht mehr brauchen, wenn er die Schmiede verkauft hatte.

Hermann wollte den Deckel schon wieder schließen, als er plötzlich einen verschlissenen Lederbeutel in der Größe einer Faust entdeckte, der mindestens so alt sein musste wie er selbst. Erstaunt nahm er ihn heraus und wunderte sich darüber, wie schwer er war. Als er die Schnüre öffnete, hörte er, wie Metall gegeneinanderschlug. Dann sah er die Taler und ihm stockte der Atem.

Woher kamen die Münzen? Warum hatte sein Vater seine Familie nahe an der Grenze zur Armut leben lassen, wenn er so viel Geld hatte? Wofür hatte er es gespart?

Hermann sah traurig zu seiner toten Mutter. Hatte sie von dem Beutel gewusst? Er hätte von den Münzen die Medizin kaufen können, die ihr Leben verlängert hätte.

»Warum hast du mir nichts von dem Geld gesagt?« Mit einem tiefen Seufzer stand Hermann auf. Er war entschlossen, seinen Plan, die Stadt zu verlassen, nicht aufzugeben. Er wusste, dass seine Eltern sich gewünscht hätten, dass er die Schmiede weiter betrieb. Dennoch wollte er sich in seinem Entschluss nicht mehr beeinflussen lassen. Im Land herrschte Krieg. Es war nur eine Frage der Zeit, dass ein protestantisches Heer vor der katholischen Stadt stehen würde. Egal, welche Truppen danach die Stadt besetzen mochten, er wollte nicht ewig darin gefangen sein!

Hermann verließ das Haus und ging in Richtung der Kirche, um den Pater zu holen. Der hatte die Kranke am Abend vorher besucht, wusste also, dass es mit der Frau zu Ende gehen würde. Auf der Straße traf Hermann auf Aneta Slowa. Die hat mir gerade noch gefehlt, dachte er, konnte dem Weib aber nicht mehr ausweichen.

»Was ist los mit dir? Du siehst furchtbar aus.«

»Mutter ist vor ein paar Stunden verstorben.«

»Mein Beileid. Brauchst du Hilfe?« Anetas Stimme klang besorgt, in ihren Augen dagegen war nicht das geringste Gefühl zu erkennen.

»Nein. Ich bin auf dem Weg zum Pater.« Hermann wollte nicht, dass sich Aneta in seine Angelegenheiten einmischte. Es hatte Zeiten gegeben, in denen sich die beiden sehr nahegestanden hatten. Dann aber hatte er das Weib mit einem anderen erwischt. Seitdem mied er ihre Nähe und wollte nichts mehr von ihr wissen. Auch die anderen Frauen in der Stadt interessierten ihn nicht mehr. Ans Heiraten hatte er nach der Zeit mit Aneta nie wieder gedacht. Sie war auch einer der Gründe, warum er Pilsen verlassen wollte. Er würde sein Glück bei den kaiserlichen Truppen suchen. Sie waren sein Weg aus Böhmen hinaus.

»Was ist mit der Schmiede?«, fragte Aneta neugierig.

»Mutter ist gerade erst gestorben«, gab Hermann ärgerlich zurück. Er hatte nicht vor, dem geschwätzigen Weibsbild von seinen Plänen zu erzählen, damit die sie innerhalb der nächsten Stunden in der ganzen Stadt breittreten konnte. Sie würde ihm sicher keine Träne nachweinen, wenn er die Stadt verlassen hatte. »Ich werde mich darum kümmern, wenn sie bestattet worden ist!«

Endlich merkte Aneta, dass Hermann seine Ruhe haben wollte und ließ ihn weitergehen. Er ging zum Pater und sprach mit ihm über die Bestattung, die am nächsten Tag stattfand. Es kamen viele Bürger der Stadt zu ihm, um Hermann ihr Beileid auszudrücken.

Als die spanischen Truppen einige Tage später nach Pilsen kamen und die Stadt besetzten, sprach er bei deren Hauptmann vor und trat in die Dienste des Kaisers ein. Zuvor hatte er den Händlern und Handwerkern im Ort seinen Besitz angeboten. Einen Käufer für Haus und Schmiede fand er jedoch nicht.

Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner

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