Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 26

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Wien, 12. November 1618

Eintrag in die kaiserliche Chronik des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation:

Am frühen Morgen des heutigen Tages kam Graf von Collalto aus Böhmen zurück und berichtete über das dortige Kriegsgeschehen. So sei die kaiserliche Armee unter Karl Bonaventura, Graf von Buquoy, am 09. November von Graf von Thurn und seinem Heer von fast 14.000 Mann bei Lomnitz geschlagen worden. Zweihundert Kaiserliche wurden gefangen genommen. Die Armee zog sich nach Budweis zurück und sicherte die Stadt.

Graf von Buquoy lässt von seinem Boten ausrichten, dass er mehr Truppen benötigt und diese sich so schnell wie möglich auf den Weg nach Böhmen machen sollen. Es bestünde die Gefahr, dass die Stadt Pilsen ansonsten von den Protestanten überrannt werde, und der Kaiser so seine letzte Bastion in Böhmen verlöre, die ihm treu ergeben ist.

Anton atmete tief durch. Er wischte die Spitze der Schreibfeder mit einem Tuch sauber und legte sie neben das versilberte Fässchen mit Tusche. Obwohl es etwa so groß war wie Antons geschlossene Faust, musste er das Behältnis einmal in der Woche auffüllen. Immer wieder hatte ihn sein Meister darauf hingewiesen, wie wichtig es sei, sein Handwerkszeug in Ordnung zu halten. Anfangs hatte Anton den Alten noch belächelt, gab ihm mittlerweile aber recht.

Den Eintrag in die Chronik hatte Anton an diesem Tag zum ersten Mal vorgenommen, ohne dass Zeidler ihn korrigierte. Seit dem Anfall hatte sich der Gesundheitszustand seines Lehrmeisters kontinuierlich verschlechtert. Er schlief sehr viel und schaffte es kaum noch, sich aus eigenen Kräften aus seinem Bett zu erheben. Die Heiler sahen jeden Tag nach dem alten Schreiber und der Kaiser hatte befohlen, dass ihm jede erdenkliche Hilfe zu gewähren sei. Dennoch ging es ihm noch immer nicht besser.

Nach wie vor schloss Anton nicht aus, dass Vroni seinen Lehrmeister vergiftet hatte und er nur deshalb überhaupt noch am Leben war, weil er nur wenig von dem Wasser getrunken hatte. Beweisen konnte er dies dem Weib aber nicht. Mit dem Hofarzt hatte er über seinen Verdacht gesprochen. Weil aber keine Reste des Wassers mehr vorhanden waren, konnte nicht geprüft werden, ob es tatsächlich vergiftet gewesen war.

Durch Zeidlers Krankheit waren Antons Aufgaben im Kaiserhof sehr viel umfangreicher geworden. Jeden Morgen ging er mit König Ferdinand die Post durch und bekam verschiedene Briefe diktiert, die er bis zum Mittag schreiben musste. Den Kaiser sah er nicht oft. Von der Dienerschaft erfuhr er, dass auch der Gesundheitszustand von Matthias schlechter geworden war. Er überließ es daher im Wesentlichen Ferdinand, die Regierungsgeschäfte zu führen.

Heute jedoch waren der Kaiser und der König anwesend, als Graf von Collalto Bericht über die Geschehnisse in Böhmen erstattete. Der Obrist machte Anton Angst. Dies lag nicht nur an der Narbe, die sich von der Mitte der Stirn bis zum rechten Auge des Spaniers zog. Von Collaltos Blick war eisern. Sein Lächeln glich mehr einer Grimasse und reichte nicht bis zu den Augen. Im Dunkeln wollte Anton dem Grafen nicht begegnen und ihn schon gar nicht zum Feind haben.

Während Ferdinand sofort verlangte, man müsse ein weiteres Heer nach Böhmen entsenden, wies Matthias auf die hohen Kosten hin, die der Konflikt mit Böhmen bereits jetzt verursacht hatte. Die Krone konnte es sich nicht lange leisten, einen Krieg gegen die Stände in Prag zu führen. Ferdinand sah dies ein, merkte allerdings an, dass man ein schnelles Ende des Konfliktes nur mit mehr Soldaten erreichen konnte. Der Kaiser versprach, den spanischen König um Hilfe und weitere Soldaten zu bitten. Das entsprechende Schreiben diktierte er Anton nach Ende der Beratung.

Der Sekretär hatte bis zum Abend zu tun und fand erst dann die Zeit, seinen Chronikeintrag zu verfassen. Jetzt war er müde, aber zufrieden. Sowohl Kaiser Matthias als auch König Ferdinand hatten Anton gelobt und ihm versichert, wie zufrieden sie mit seiner Arbeit waren. Wenn sich Zeidler nicht bald erholte, würde er tatsächlich schneller zum ersten Schreiber des Kaiserhofes aufsteigen, als er es erwartet hatte. So sehr er sich das aber auch wünschte, Anton hoffte darauf, dass sich sein Lehrmeister erholen und ihn noch einige Zeit unterrichten würde.

***

»Ich habe Euch eine Suppe mitgebracht«, begrüßte Anton eine Stunde später seinen Lehrmeister. Auch wenn Zeidler selbst nicht aufstehen durfte, verlangte er von seinem Schüler, dass er ihn jeden Tag über die Ereignisse am Hof informierte.

»Du kommst spät.«

»Es ging nicht eher. Graf von Collalto ist aus Böhmen zurückgekehrt und hat schlechte Nachrichten mitgebracht.«

»Was ist passiert?«

»Wollt Ihr nicht zunächst Eure Suppe essen? Sie wird sonst kalt.«

»Das kann ich tun, während du mir alles erzählst!«

Anton wartete, bis Zeidler sich den Löffel nahm und zu essen begann. Er hatte dem Koch versprechen müssen, dass er sich persönlich davon überzeugte, dass der Alte die Mahlzeit auch zu sich nahm. Während sein Lehrmeister aß, berichtete er von der Niederlage bei Lomnitz und dem Disput zwischen Matthias und Ferdinand.

»Der Kaiser hat recht«, sagte Zeidler, nachdem Anton ihm alles erzählt hatte. »Ein Krieg ist teuer. Das Reich kann sich keine lange Auseinandersetzung mit Böhmen leisten.«

»Dennoch darf man die Stände nicht zu mächtig werden lassen«, entgegnete Anton. »Graf von Thurn wird keine Ruhe geben. Er wird es nicht dabei belassen, Ferdinand als König von Böhmen abzusetzen.«

»Nein, mein Junge. Das wird er nicht.«

Anton freute sich, dass es dem Alten an diesem Tag offenbar etwas besser ging. Zeidler leerte die Schale bis auf den letzten Löffel und legte dann den Kopf auf sein Kissen.

»Du musst versuchen mit von Collalto zu sprechen«, sagte Zeidler schließlich.

»Soweit ich weiß, will der Graf schon morgen wieder nach Böhmen aufbrechen.« Anton verspürte nicht die geringste Lust auf ein weiteres Zusammentreffen mit dem unheimlichen, spanischen Offizier. Wer konnte schon sagen, wie rüpelhaft sich der Mann verhielt, wenn er es nicht mit den Regenten des Reiches, sondern einem schwächlichen Schreiber zu tun hatte.

»Versuch ihn vorher zu treffen. Es ist wichtig, dass du dir ein Bild darüber verschaffst, wie es in Böhmen aussieht. Du musst dir jede Einzelheit von der Schlacht berichten lassen und dann alles dokumentieren.«

»Ich werde ihn noch heute aufsuchen!«

Anton atmete tief durch. Er war müde und hatte vorgehabt, sich gleich nach dem Besuch bei Zeidler zur Ruhe zu legen. Daraus würde nun nichts werden. Er beschloss, in den Kasernen nach von Collalto zu suchen. Dort wäre er wenigstens nicht mit ihm alleine, sollte es ihm tatsächlich gelingen, den Spanier zu finden.

»Geh jetzt. Der Graf wird sich sicher früh zur Ruhe begeben. Er hat eine lange Reise vor sich.«

Wenn du nicht krank wärst, würde ich mich nicht so scheuchen lassen!

Anton verabschiedete sich von Zeidler und ging in Richtung der Unterkünfte von von Collalto und seines Gefolges. Dort sagte ihm einer der Soldaten, dass er nicht wisse, wo der Graf abgeblieben sei und dass er es später noch einmal versuchen solle.

Das kann eine lange Nacht werden.

Es dämmerte bereits. Anton hatte keine Lust bis zum Morgen auf von Collalto zu warten. Er selbst wurde bereits früh von König Ferdinand erwartet und wollte vorher noch ein paar Stunden schlafen. Er entschloss sich zu einem kleinen Spaziergang. Sollte der Graf danach noch immer nicht aufgetaucht sein, konnte er Zeidler zumindest versichern, alles versucht zu haben.

Anton schlenderte durch den Park und kam, ohne es sich vorgenommen zu haben, zu den alten Stallungen. Mit Vroni hatte er sich dort nicht mehr getroffen, seit Zeidler seinen Anfall gehabt hatte.

Plötzlich hörte Anton Geräusche aus den alten Stallungen. Er entschloss sich, näher heranzugehen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Vor der Tür blieb er überrascht stehen. Aus dem Innern erklangen Stöhnlaute, die ihm mehr als bekannt vorkamen.

Was treibt diese verfluchte Hexe hier?

***

So leise wie möglich öffnete Anton die Tür und trat in die alten Stallungen ein. Die Geräusche verrieten ihm, dass sich hier tatsächlich ein Pärchen vergnügte. Er glaubte, zumindest bei dem Weib, genau zu wissen, um wen es sich handelte. Sollte sich sein Verdacht bestätigen, wäre er die Hexe ein für alle Mal los!

Anton schaffte es, sich, ohne ein Geräusch zu verursachen, an die beiden Liebenden heranzuschleichen, die offenbar nicht damit rechneten, dass sie jemand entdecken könnte. Warum auch? Normalerweise verirrte sich hier niemand her. Besonders nicht in der Nacht.

Durch ein Fenster im oberen Bereich des alten Baus schien so viel Mondlicht, dass Anton alles zumindest schemenhaft erkennen konnte. Von der Stelle aus, wo die beiden ihr Liebesnest gefunden hatte, drang außerdem der Schein einer Kerze hervor.

Jetzt habe ich dich. Anton ging um eine Ecke, hinter der er die beiden sehen würde. Er freute sich diebisch darauf, Vronis Gesicht zu sehen, wenn er sie mit einem anderen Mann überraschte. Der durfte das Weib dann gerne behalten. Als er die beiden sah und sich sein Verdacht bestätigte, musste sich Anton sehr zusammenreißen, keinen Jubelschrei auszustoßen. Er wartete noch einen Moment ab. Als ihn die beiden, die sich mit nackten Körpern auf der Decke wälzten, dann noch immer nicht bemerkten, klatschte er in die Hände.

»Anton«, rief Vroni erschrocken und starrte ihn entsetzt an. »Was machst du denn hier?«

»Findest du nicht auch, dass du mir diese Frage beantworten solltest?«, gab Anton zurück und versuchte dabei eine böse Miene aufzusetzen.

Sie darf nicht merken, wie sehr ich diesen Moment genieße.

»Es ist nicht so wie du denkst«, sagte sie schnell.

»Erspare mir deine Lügen. Es ist mehr als offensichtlich, was du hier treibst.«

»Was will der Kerl? Kennst du ihn etwa?«

Entsetzt stellte Anton fest, dass es sich bei Vronis Gespielen um keinen geringeren als Graf von Collalto handelte, der den Störenfried zornig anstarrte. Seine Narbe sah in dem schwachen Licht aus, als wäre sie mit Blut nachgezogen worden. Der Spanier konnte froh sein, dass ihn diese Verletzung nicht sein Augenlicht gekostet hatte.

Anton nahm seinen ganzen Mut zusammen und sprach von Collalto an. »Ihr kennt mich ebenfalls. Ich war als Schreiber dabei, als Ihr dem Kaiser von den Vorkommnissen in Lomnitz berichtetet. Ich wollte Euch noch ein paar Fragen dazu stellen, sehe aber, dass Ihr im Moment zu beschäftigt dafür seid.«

»Es hat Euch nicht zu interessieren, was ich tue«, sagte von Collalto und winkte herrisch ab.

»Da irrt Ihr Euch gewaltig. Dieses Weib hat mir ewige Liebe versprochen. Sehr weit scheint es damit allerdings nicht her zu sein.«

»Ich wollte nicht mit dem Kerl hierherkommen. Er hat mich dazu gezwungen. Das musst du mir glauben!«, rief Vroni flehentlich aus.

»Die Hure lügt!«

»Ich sage die Wahrheit!«

»Nein, Vroni. Wenn das tatsächlich so gewesen wäre, hätte ich euch nicht ausgerechnet hier vorgefunden. Es ist vorbei!«, Anton bemühte sich um einen herrischen und entschlossenen Tonfall.

»Wie meinst du das?«

»Denkst du wirklich, dass ich dich jetzt noch zur Frau nehmen werde? Meinetwegen kannst du mit dem Grafen zurück nach Böhmen gehen!«

»Was erlaubt Ihr Euch?«, fuhr von Collalto dazwischen. »So redet man nicht mit einer Dame!«

»Ich sehe keine.«

Der Graf erhob sich und dachte endlich daran, sich wenigstens seine Hose anzuziehen. Plötzlich hielt er jedoch seine Pistole in der Hand und richtete sie auf Anton.

»Was soll das jetzt werden?«, fragte dieser fassungslos.

»Ich muss sicher sein, dass niemand sonst erfährt, was heute Nacht hier vorgefallen ist.«

»Tu das nicht«, rief Vroni entsetzt.

»Ich habe keine andere Wahl.«

»Doch, die habt Ihr«, entgegnete Anton. »Von mir wird keiner etwas erfahren. Im Grunde bin ich Euch sogar dankbar dafür, dass ihr mir die Augen geöffnet und gezeigt habt, an was für ein verlogenes Weibsbild ich geraten bin.«

»Ihr gebt mir Euer Wort?« Der Soldat zog die Augenbrauen hoch.

»Ja. Ich bin mir aber nicht sicher, dass das Weib ebenfalls ihren Mund hält.«

»Anton, wie kannst du so etwas sagen?«

Spiele du nur den Unschuldsengel, aus dieser Lage helfe ich dir nicht heraus. Meinetwegen kann der Graf dich an Ort und Stelle erschießen!

»Ich werde jetzt gehen. Ein Schuss würde weitere Leute aufschrecken. Dann könntet Ihr nicht mehr verheimlichen, was hier geschehen ist, was für Euren Ruf sicher nicht von Vorteil wäre …« Anton wartete nicht, ob ihm von Collalto eine Antwort gab. Er vertraute darauf, dass der Graf weise genug war, die Wahrheit in seinen Worten zu erkennen. An einem Gespräch mit dem Kerl war er jetzt nicht mehr interessiert. Zeidler würde er sagen, dass er keine Gelegenheit gefunden hatte, mit ihm vor dessen Abreise zu reden.

Als er ins Freie trat, spürte Anton, wie seine Knie zitterten. Das Zusammentreffen mit dem Spanier hatte ihm mehr Angst bereitet, als er zugeben wollte. Dennoch konnte er sich ein Grinsen nicht mehr verkneifen, als er ein Stück von den alten Stallungen entfernt war und sicher sein konnte, nicht doch noch von dem Spanier verfolgt zu werden.

Vroni hatte sich mit ihrer Freizügigkeit selbst ins Abseits gestellt. Egal was sie jetzt unternahm. Sie würde Anton nichts mehr anhaben können. Die Reise von Pressburg war mittlerweile so lange her, dass dem Weib niemand mehr glauben würde, wenn sie Anton jetzt bezichtigte, etwas mit dem Tod der beiden Küchenmägde zu tun zu haben. Damit hätte sie früher kommen müssen. Für von Collalto stand dagegen sehr viel mehr auf dem Spiel.

Ich bin sie los! Anton konnte es nicht fassen, dass er nun endlich Ruhe vor dem sündigen Weibsbild hatte. Ich bin sie tatsächlich endlich losgeworden!

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