Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 36
ОглавлениеBudweis, 10. Juni 1619
»Sollten wir unseren Verbündeten nicht beistehen?«, fragte Hermann.
»Fünftausend Ungarn werden es wohl schaffen, eine kleine Gruppe von Mansfelds Musketieren zu besiegen«, entgegnete Santos trocken. »Wir warten auf Graf von Buquoy und nehmen das protestantische Heer in die Zange!«
»Und wenn er nicht kommt?«, gab Hermann zu bedenken.
»Das wird er!«
Gemeinsam mit seinem Rittmeister und sechs weiteren Soldaten stand Hermann auf einem Hügel und schaute auf den Marktflecken Rotelitz herunter. Dort stürmte das Heer mit ungarischen und wallonischen Soldaten von allen Seiten auf den Ort zu.
Hermann sah, wie sich die wenigen Mansfelder auf der Verteidigungsmauer versammelten, um den Angriff abzuwehren. Er teilte die Meinung seines Rittmeisters, dass ihnen dies nicht sehr lange gelingen würde. Dennoch fiel es ihm schwer, tatenlos mit ansehen zu müssen, wie ihre Verbündeten den Kampf führten.
Vor zwei Tagen war ein Späher aus Pilsen mit der Botschaft nach Budweis gekommen, dass sich von Mansfeld mit seinen Truppen mit den böhmischen Soldaten vor der Stadt vereinigen wollte, um die kaiserliche Armee bei ihrem Vorrücken auf Prag zu stoppen.
Dank der Verstärkung, welche die Kaiserlichen durch die Ungarn und tausend Kürassieren von Wallenstein bekommen hatten, konnten es die Protestanten nicht mehr schaffen, den Ausbruch der Armee aus Budweis zu verhindern. Graf von Buquoy hatte befohlen, die Vereinigung der beiden Heere zu unterbinden. Deshalb waren die Kaiserlichen ausgezogen, um den Mansfeldern den Weg abzuschneiden.
Von ihrem Standort aus hatten Hermann und seine Kameraden einen guten Überblick über das Geschehen. Ungarn und Wallonen fielen wie ein Bienenschwarm über den Ort her und überrannten die Verteidigungsmauer. Die Mansfelder kämpften erbittert, hatten aber nicht den Hauch einer Chance, sich gegen die Übermacht zu wehren. Längst war das Tor aus seinen Angeln gehoben, und die Angreifer stürmten in die Straßen des Ortes.
Hermann sah, wie sich jetzt auch die Bürger bewaffneten, um sich gegen die Eindringlinge zu wehren. Damit besiegelten sie ihr Todesurteil. Die ungarischen und wallonischen Soldaten kannten keine Gnade. Sie entzündeten Fackeln und warfen sie auf die Häuser. Binnen weniger Minuten stand der Ort in Flammen.
Hinter sich hörte Hermann, wie nun auch das kaiserliche Heer von Graf von Buquoy mit Wallensteins Reitern anrückte. Sie würden zunächst nicht ins Kampfgeschehen eingreifen.
In Rotelitz vergriffen sich die Soldaten jetzt auch an den Weibern, die aus den brennenden Häusern flohen. Hermann lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er konnte es nicht ertragen, mit anzusehen, wie die unschuldige Bevölkerung seiner Heimat litt. Die Mansfelder sah er als seine Feinde an. Nicht aber die armen Bauern mit ihren Familien, die lediglich um ihr Leben kämpften. Hermann schloss die Augen und öffnete sie erst wieder, als er links neben sich Schreie hörte.
Von Mansfeld war vor Rotelitz angekommen und stürmte mit seinem Heer aus dem Wald hinter dem Ort. Damit stand die Schlacht dicht bevor.
***
»Zum Angriff«, schrie von Buquoy seinen Mannen zu und führte sein Pferd den Hang hinunter.
Auch Hermann setzte sich in Bewegung. Seine Kameraden wurden von Wallensteins Reitern überholt, die sich bereits im vollen Galopp befanden und an ihnen vorbei auf den Feind zupreschten. Als erstes würde aber das ungarische Heer mit den Mansfeldern zusammentreffen. Die Protestanten mussten von der Vielzahl an Feinden um sich herum völlig überrascht sein. Vor sich sah Hermann, wie ihre Feinde versuchten, eine Wagenburg aufzubauen, um sich besser gegen die Angreifer schützen zu können. Mehrere der Wagenführer brachen schließlich aber aus und suchten ihr Heil in der Flucht.
Anstelle eines Ringes formierten sich die Protestanten nun zu einem Dreieck. Vorne warteten die Reiter auf ihre Feinde. Dahinter nahm das Fußvolk die Wagen in ihre Mitte. Von Buquoys und Wallensteins Männer waren noch zu weit vom Geschehen entfernt und mussten das Feld zunächst den Ungarn überlassen.
Die gerieten allerdings schnell in große Bedrohung. Die Mansfelder Reiter stürzten sich mit ihren Hellebarden und Musketen in vollem Tempo auf die Angreifer, die zu Fuß nicht schnell genug reagieren konnten und daher innerhalb kürzester Zeit große Verluste hinnehmen mussten. Aus der Ferne sah Hermann, wie die ungarischen Söldner mit Schwertern erschlagen oder einfach niedergeritten wurden. Ihre Schreie mischten sich mit dem Klirren der Waffen.
Dann erreichten Wallensteins Männer den Kampfplatz und kamen den Ungarn zur Hilfe. Das Geschehen wendete sich schnell zu Gunsten der Kaiserlichen. Von Mansfelds Reiter hatten nun mehr als ebenbürtige Gegner und schafften es nicht, ihre Formation zu halten. Immer mehr Kaiserliche strömten in die Reihen der Protestanten und trieben sie auseinander.
Endlich erreichten auch Hermann und seine Kameraden die feindliche Armee. Sie stürzten sich von der anderen Seite des Kampfplatzes auf das Fußvolk. Hermann stieß einem der Mansfelder seine Hellebarde in die Brust. Für einen kurzen Moment spürte er einen Kloß im Hals, als er in das überraschte Gesicht des Mannes schaute, der schwer verwundet zu Boden ging. Der ehemalige Schmied wusste aber nur zu gut, dass er jetzt keine Schwäche zeigen durfte, wenn er nicht selbst zu den Opfern dieser Schlacht gehören wollte.
Plötzlich spürte Hermann, wie sein Pferd mit den Hinterläufen einknickte. Er sprang vom Rücken des Tieres und schaffte es, so weit seitlich zu landen, dass er nicht von dem schweren Leib des Pferdes begraben wurde. Jetzt hatte der Kämpfer den Vorteil gegenüber seinen Gegnern verloren. Gleich zwei der Soldaten stürzten sich auf ihn.
Hermann hob seine Muskete an und schoss einem der Angreifer in die Brust. Der war bereits so nahe an ihn herangekommen, dass der Treffer seinen Schwung nicht mehr aufhielt und er gegen Hermann fiel, als er zu Boden ging. Für einen Moment war Hermann durch den Körper des Feindes behindert. Urplötzlich spürte er einen stechenden Schmerz in der Hüfte. Er drehte sich blitzschnell um und schaffte es so, in letzter Sekunde dem zweiten Pikenstoß seines Gegners auszuweichen. Jetzt ging es für den jungen Soldaten um Leben und Tod.
Der Mansfelder stürmte vor und versuchte dabei, Hermann die Pike in den Leib zu stoßen. Der ließ seine eigene Waffe fallen, drehte sich zur Seite und trat seinem Gegner in die Kniekehlen, als der an ihm vorbeitaumelte. Der Mansfelder konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und fiel zu Boden. Hermann verzichtete darauf, die Hellebarde wieder an sich zu nehmen. Der Schaft der Waffe war zu lang und würde ihn im Nahkampf mit dem Mansfelder nur behindern. Der machte den Fehler, sich weiterhin auf die Pike zu verlassen und hieb damit nach dem Feind. Trotz seiner Verwundung konnte Hermann der Attacke mühelos ausweichen. Er war jetzt direkt über dem Mann, der nach seinem Sturz noch immer am Boden lag. Er stürzte sich auf ihn und schlug ihm mit aller Kraft die Faust gegen die Stirn.
Hermann wollte seinen Gegner selbst jetzt nicht töten und stellte erleichtert fest, dass der Mann vorläufig außer Gefecht gesetzt war. Jetzt spürte er die Schmerzen an seiner Hüfte erst richtig. Er fühlte, wie das Blut warm an seinen Beinen herunterlief. Hermann musste so schnell wie möglich aus dem Schlachtgetümmel heraus und sich um die Wunde kümmern. Um ihn herum kämpften Soldaten beider Parteien. Es herrschte ein Durcheinander von Leibern um ihn herum, und in der staubigen Luft wurde es schwerer, Freund und Feind auseinanderzuhalten. Einige Mansfelder hatten sich hinter den Wagen verschanzt und gaben vereinzelte Schüsse auf die Angreifer ab. Weil sie aber aufpassen mussten, nicht ihre eigenen Kameraden zu verletzen, gingen die meisten Geschosse ins Leere.
Auf einmal explodierte direkt neben Hermann einer der Wagen. Die Druckwelle riss ihn von den Beinen und nahm ihm kurzzeitig sein Hörvermögen. Er landete im Dreck und sah sich entsetzt zu dem brennenden Wagen um. Direkt vor ihm lagen zwei seiner Kameraden, die weniger Glück gehabt hatten und sich nun nicht mehr bewegten. Hermann nahm schützend die Hände vor sein Gesicht, als ein weiterer Wagen Feuer fing und explodierte. Zu seinem Glück lag er noch auf dem Boden und wurde nicht von den umherfliegenden Teilen getroffen. Die Wagen mussten bis unter das Dach voll mit Munition gewesen sein.
Mühsam quälte sich Hermann auf die Beine, was seine Hüfte ihm sehr erschwerte, und schaute über das Schlachtfeld hinweg. Von Mansfeld sah nun offensichtlich seine Felle davonschwimmen. Er versammelte seine Reiter und führte sie weg vom Kampfplatz. Dabei ritten die Söldner einfach durch eine Gruppe ungarischer Soldaten hindurch und metzelten die sich verzweifelt wehrenden Männer nieder.
Durch die Flucht ihres Anführers würde von Mansfelds Fußvolk nun kaum noch eine Chance haben, sich gegen die Übermacht zu wehren. Dennoch verkauften die Männer ihre Haut so teuer wie möglich und kämpften mit vollem Einsatz gegen ihre Feinde.
Die wütenden Schreie der Soldaten hörte Hermann wie durch ein Rauschen. Es kam ihm vor, als würde der Nebel in seinem Kopf jeden Laut dämpfen. Er hinkte zu dem Kadaver eines toten Pferdes, um sich dort vor Beschuss zu schützen. Er wusste, dass es purer Selbstmord war, sich in seinem Zustand noch einmal in den Kampf zu stürzen. Er streifte sein Hemd über den Kopf, band es fest um seine Hüfte, um die Blutung zu stillen und wollte sich gerade hinter dem Tier verschanzen, als ihn etwas kleines Rundes in den Bauch traf.
Der Soldat setzte sich auf den Boden und fand dort den Knopf einer Uniform. Sollten ihn die Mansfelder etwa damit beschossen haben? Hermann würde es nicht wundern, wenn den Männern die Munition ausgegangen war. Immerhin hatte er selbst erlebt, wie zwei Wagen explodiert waren. Konnten sie aber wirklich so verzweifelt sein, mit den Knöpfen ihrer eigenen Uniform zu schießen? Mitten in dieser Überlegung wurde Hermann am Kopf getroffen und er ging bewusstlos zu Boden.
***
Hermann erwachte mit Schmerzen im Kopf und in der Hüfte. Er öffnete die Augen und blickte auf die Decke eines größeren Raums. Irgendjemand hatte ihn also auf dem Schlachtfeld gefunden und gerettet. Als er den Kopf drehte, sah er, dass weitere Verwundete neben ihm lagen. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihm, dass er sich in Budweis befand. Er war also in Sicherheit.
Trotz der Schmerzen in seinem Körper wollte Hermann nicht einfach auf seinem Lager liegen bleiben. Er setzte sich auf und stieß einen gequälten Schrei aus. Der Stich in seiner Hüfte zwang ihn, sich wieder zurück auf den Rücken zu legen. Mit seinem Versuch aufzustehen, hatte er aber eine der Schwestern auf sich aufmerksam gemacht. Die junge Frau eilte herbei und gab dem Verwundeten etwas zu trinken.
»Du musst liegen bleiben«, sagte sie dann. »Die Wunde an deiner Hüfte ist tief. Sie wird heilen, aber du wirst dich bis dahin ruhig verhalten müssen, wenn du nicht willst, dass sie wieder aufreißt.«
»Wie bin ich hierhergekommen?« Hermann fasste mit seiner Hand nach der Hüfte und spürte sofort einen stechenden Schmerz. Er konnte nicht sehen, wie schlimm die Verletzung unter dem Verband war.
»Zusammen mit dem restlichen Heer. Man berichtete uns, dass viele Soldaten gestorben sind. Vor allem die Ungarn hat es arg getroffen. Euch Verletzte hat man auf Wagen geladen und hierher gebracht. Du hast Glück, dass du noch am Leben bist.«
»Das habe ich wohl …«
»Kann ich noch etwas für dich tun?«
»Ich muss mit meinem Rittmeister sprechen. Hat er die Schlacht überlebt?«
»Das weiß ich nicht. Ich werde dir aber jemanden schicken, der dir genauer berichten kann, was passiert ist.«
»Danke.«
Als er wieder alleine war, schloss Hermann die Augen und dachte nach. Er konnte sich noch daran erinnern, dass er von einem Knopf in den Bauch getroffen worden war. Danach war alles schwarz. Er wusste noch nicht einmal, wie lange er nun ohne Bewusstsein gewesen war. Er hatte vergessen, die Schwester danach zu fragen.
Nach einer Weile spürte Hermann eine Berührung an seinem Arm. Er öffnete die Augen und schaute in das Gesicht von Hans Langdorn. Er war erleichtert, als er seinen Kameraden, mit dem er gemeinsam als Botschafter geritten war, gesund wieder sah.
»Was ist passiert?«
»Wir haben den Feind besiegt!«, antwortete Hans sichtlich müde, aber mit Stolz in der Stimme. »Mansfeld ist mit seinen Reitern feige geflohen. Die Fußtruppen haben sich erbittert gezeigt, aber eingesehen, dass sie alle sterben würden und sich daher ergeben. Wir haben mehr als tausend von ihnen gefangen genommen.«
»Was soll mit ihnen geschehen? «, fragte Hermann, der Mitleid mit den Männern hatte. Schließlich kämpften sie genauso ums Überleben wie er selbst. »Werden sie verurteilt?«
»Das glaube ich nicht«, antwortete Hans. »Buquoy hat ihnen versprochen, ihnen ein gutes Quartier zu geben und sie gegen einen Monatslohn freizulassen.«
»Ich glaube nicht, dass sich der Graf daran halten wird«, sagte Hermann skeptisch. »Wenn doch, stehen die Männer bei der nächsten Schlacht wieder gegen uns.«
»Das hat Buquoy auch nicht vor. Er hat sie in Gruppen in so engen Kammern zusammengepfercht, dass sie noch nicht einmal richtig liegen oder sitzen können. Sie kommen erst frei, wenn sie in die kaiserliche Armee übertreten.«
»Das werden sie sicher sehr ungern tun. Die Gefahr ist groß, dass sie dennoch wieder zum Feind überlaufen, wenn es zur nächsten Schlacht kommt.«
»Wenn die Männer aus Böhmen wären, würde ich dir Recht geben«, sagte Hans. »Es handelt sich aber um Söldner. Denen ist es egal, für welche Sache sie kämpfen, wenn man sie nur ausreichend dafür entlohnt.«
»Wir werden sehen«, sagte Hermann, der nicht so sehr von den Worten seines Kameraden überzeugt war. »Was ist mit dem Rittmeister?«
»Santos ist tot. Von unserem Spähtrupp sind nur noch wir beide übrig. In der Schlacht sind sehr viele Menschen gestorben. Nicht nur auf der Seite der Mansfelder …«
»Dennoch haben wir die Schlacht gewonnen!« Hermann schaute zuversichtlich auf das, was kommen mochte. Trotz der hohen Verluste hatten sie einen Sieg davon getragen. Diese Tatsache half ihm über die Schmerzen im Kopf und der Hüfte hinweg.
»Das mag sein. Ich bin aber davon überzeugt, dass es noch viele weitere geben wird. Wenn von Buquoy weiter nach Prag zieht, werden die Böhmen ihre gesamten Heere versammeln, um ihn aufzuhalten.«
»Wie lange ist die Schlacht jetzt her?«
»Zwei Tage. Ich habe schon befürchtet, du wachst gar nicht mehr auf.«