Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 29
ОглавлениеPrag, 02. März 1619
»Was fällt Euch ein?«, fuhr Philipp erbost auf. »Ihr habt kein Recht, in mein Haus einzufallen!«
»Doch, das haben wir«, entgegnete der Hauptmann grimmig und reichte Philipp ein Schreiben, welches von Wenzel Wilhelm von Ruppau persönlich unterzeichnet worden war.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Wir werden dieses Haus beziehen. Wir brauchen mehr Platz für die Truppen!«
»Das werde ich nicht dulden!« Philipp konnte nicht verhindern, dass seine Stimme immer schriller wurde.
»Wenn Ihr wünscht, könnt Ihr Euch beim Direktorium beschweren. Zunächst werdet Ihr dieses Haus allerdings freigeben.«
»Was tut Ihr, wenn ich mich weigere?«
»Dann landet Ihr im Kerker. Ihr habt die Wahl.«
Philipp kochte innerlich, wusste aber, dass er zunächst dem Hauptmann, der mit vier Landsknechten vor seiner Tür stand, Folge zu leisten hatte. Später würde sich Polyxena um alles kümmern. In den vergangenen Monaten war es vermehrt zur Beschlagnahmung von Gebäuden durch das protestantische Heer gekommen. Es kamen immer mehr Soldaten in die Stadt, die eine Unterkunft benötigten. Betroffen war bisher nur der katholische Teil der Bürgerschaft. Die Enteigneten hatten die Stadt verlassen oder hatten bei anderen Familien Zuflucht gefunden.
Ein paar Widerspenstige waren im Kerker gelandet oder gleich in ihren Häusern erschlagen worden. Die Prager lebten in der ständigen Angst, die nächsten zu sein, die einen Besuch von den Soldaten abgestattet bekamen.
»Ihr habt zehn Minuten Zeit«, erklärte der Hauptmann. »Danach werde ich das Gebäude räumen lassen.«
Philipp verzichtete auf eine Antwort, die nichts an den Tatsachen geändert, ihn aber wertvolle Zeit gekostet hätte. Er lief in die Küche, wo ihn Magdalena mit ängstlichem Blick erwartete. Er hatte seine Ehefrau weggeschickt, als der Hauptmann mit seinen Männern vor ihrer Tür aufgetaucht war. Vor weniger als einem Jahr hatten die Soldaten noch auf seiner Seite gestanden und hatten die Befehle ihrer Statthalter ausgeführt. Philipp wusste, dass ein Teil der Männer unzufrieden darüber war, welche Entwicklung das Geschehen in der Stadt genommen hatte. Andere hatten dagegen offensichtlich Spaß daran, der Bevölkerung der Stadt ihre Macht zu demonstrieren. Die Männer vor seiner Tür schienen zu dieser Gruppe zu gehören.
»Wir müssen das Haus verlassen.«
»Das habe ich befürchtet«, antwortete Magdalena und ließ mutlos die Schultern sinken. »Wohin sollen wir gehen?«
»Erst einmal zu Polyxena und Diepold. Sie werden uns helfen.«
»Immer wohnen können wir dort aber auch nicht! Was, wenn sie ebenfalls enteignet werden? Die beiden haben schon so viel für uns getan.«
»Ich weiß es nicht, Magdalena. Im Moment haben wir einfach keine andere Wahl. Lass uns schnell das Nötigste zusammenpacken. Reden können wir später.«
»Warum können wir nicht einfach nur in Frieden leben?«
»Ich wünschte, ich wüsste es«, antwortete Philipp. Er ahnte schon lange, dass die Bürger der Stadt irgendwann den Preis für die Rebellion bezahlen mussten. Dabei waren die letzten Wochen trotz des drohenden Krieges die glücklichsten in seinem bisherigen Leben gewesen. Er dankte Gott jeden Tag dafür, dass er ihm Magdalena geschickt hatte. Sie war das größte Geschenk, welches man Philipp hätte machen können. Auch sein Weib war seit der Hochzeit aufgeblüht und hatte ihre Lebensfreude zurückgefunden. Das Einzige, was den beiden zu ihrem Glück noch fehlte, war ein Kind. Jetzt war das junge Paar aber von der Realität eingeholt worden. Die Soldaten hatten alles zerstört.
Philipp und Magdalena beeilten sich damit, ihren Besitz in zwei Beuteln zu verstauen. Es waren hauptsächlich Kleidungsstücke und ein paar Schriften. Ihre Geldbörse trug Philipp immer bei sich.
Auch wenn die nicht üppig gefüllt war, würden sie damit einige Zeit zurechtkommen, sollten sie auch das Anwesen der von Lobkowitzes verlassen müssen.
»Ich hoffe, von Thurn und Graf von Mansfeld bekommen irgendwann die gerechte Strafe für ihr Tun!«
»Sprich nicht so laut«, wies Philipp sein Weib nachdrücklich zurecht. »Wenn der Hauptmann das hört, können wir direkt in den Kerker marschieren! So verlieren wir nur unser Haus, behalten aber unser Leben.«
***
Als Philipp und Magdalena zum Anwesen der von Lobkowitzes kamen, mussten sie mit ansehen, wie Polyxena ebenfalls von einem Hauptmann aufgefordert wurde, eine Gruppe von Soldaten in ihr Haus zu lassen. Die Gräfin schrie, dass man so nicht mit ihr umspringen könne, musste sich aber schließlich auch geschlagen geben und die Forderung erfüllen. Obwohl Philipp Polyxena schon seit Jahren kannte, sah er sie zum ersten Mal mit offenem Haar. Sie musste von den Landsknechten genauso überrascht worden sein wie er und Magdalena eine Stunde zuvor.
»Du musst gleich morgen mit Graf von Thurn sprechen«, forderte Polyxena ihren Ehemann auf. »Wir sind ehrbare Bürger der Stadt. Er kann uns nicht so ohne Weiteres enteignen.«
»Das tut er ja auch nicht«, entgegnete Diepold.
»Hältst du etwa zu dem Graf?«, regte sich Polyxena auf. »Wie würdest du es bezeichnen, wenn unser Haus besetzt wird? Das kommt einer Enteignung gleich!«
»Es ist nur vorübergehend …«
»Dennoch hat niemand das Recht, über unseren Besitz zu verfügen!«
»Du musst dich beruhigen, Polyxena.«
»Nein! Du musst dafür sorgen, dass die Männer wieder verschwinden! Und zwar sofort!« Die Gräfin war jetzt so in Rage, dass ihr die Zornesröte ins Gesicht stieg.
Philipp, der mit dem Ehepaar und Magdalena in der Küche saß, weil die Wohnbereiche besetzt waren, konnte Polyxena durchaus verstehen. Er bezweifelte allerdings auch, dass Diepolds Beschwerde einen Erfolg bringen würde. Die Enteignungen in Prag betrafen ausschließlich katholische Bürger. Einige von ihnen waren bereits verhaftet worden, weil sie sich gegen die Soldaten aufgelehnt hatten. Diepold hatte einmal einen hohen Rang in der Stadt bekleidet und seine Familie war angesehen. Das würde in den jetzigen Zeiten aber nichts an der Tatsache ändern, dass die Söldner nun auch bei ihm Quartier bezogen.
Graf von Thurn war zwar nicht Vorsitzender des Direktoriums, hatte aber die uneingeschränkte Herrschaft über Böhmen. Wenzel Wilhelm von Ruppau tat genau das, was der Feldherr ihm vorschrieb.
»Wenn wir uns alles gefallen lassen, wird uns bald gar nichts mehr bleiben!«, fuhr Polyxena wütend fort. »Wir haben mächtige Freunde. Auch im protestantischen Adel. Wenn von Thurn keine Einsicht zeigt, werden wir mit anderen Mitgliedern des Direktoriums sprechen müssen!«
»Das Heer wird die Stadt bald verlassen«, versuchte Diepold seine Gattin weiter zu beruhigen. »Dann bekommen wir unseren Besitz zurück.«
»Du meinst das, was davon übrigbleibt. Die Männer hausen wie die Wilden.«
»Wir müssen geduldig sein«, sagte Diepold fast flehend. »Graf von Thurn wird in den Krieg ziehen. Spätestens, wenn der Winter vorbei ist, werden wir die Soldaten sicher los sein.«
»Falls nicht, erwarte ich von dir, dass du etwas unternimmst!« Polyxena war anzusehen, dass sie mit dem Verlauf des Gespräches nicht einverstanden war. Sie würde sich aber zunächst mit den Gegebenheiten abfinden müssen.
Philipp erwartete nicht, dass sich Diepold von Lobkowitz gegen das Direktorium durchsetzen konnte. Bereits als Statthalter war er eher ein Mitläufer gewesen und hatte die Entscheidungen vor allem Martinitz und Slavata überlassen. Vermutlich hatte ihn das am Ende davor bewahrt, aus dem Fenster geworfen zu werden.
»Was sollen wir denn jetzt tun?«, fragte Magdalena nach einer Weile.
»Ihr bleibt selbstverständlich hier!«, antwortete Polyxena bestimmt. »Wir werden schon noch einen Platz für euch finden.
»Und wenn wir einfach gehen?«
»Das kommt nicht in Frage, mein Kind. Wir müssen Stärke zeigen und dürfen nicht alles hinnehmen. Graf von Thurn weiß sehr gut, dass er ohne die katholische Bevölkerung des Reiches nicht lange an der Macht bleiben wird. Glaube ja nicht, dass alle Soldaten im Heer protestantisch sind.«
»Warum kämpfen die Männer für den Grafen, wenn sie seinen Glauben nicht teilen?«
»Weil er sie dafür bezahlt«, beantwortete Polyxena Magdalenas Frage trocken.
***
»Versprich mir, dass du dich nicht in Gefahr begibst«, forderte Magdalena ihren Gatten auf, als sie später zusammen in einer kleinen Kammer auf einem Bett lagen.
»Ich werde dich niemals alleine lassen und immer beschützen«, antwortete Philipp und küsste sein Weib auf die Stirn. »Egal, was passiert. So lange wir uns haben, wird es uns gut gehen!«
»Ich bete zu Gott, dass du recht hast.«
Gerne hätte Philipp Magdalena ein sichereres Leben geboten. Leider musste er sich eingestehen, dass er das weder in Prag, noch an einem anderen Ort in Böhmen konnte. Wenn sein Weib es ausdrücklich verlangte, würde er mit ihr fortgehen. Im Heiligen Römischen Reich gab es genug Orte, an denen die Katholiken noch sicher waren und in Frieden leben konnten.
Vielleicht sollten sie doch noch einmal drüber nachdenken, nach Wien zu gehen. Die Stadt war weit von allen Kriegshandlungen entfernt und sicher. Anton würde ihm sicher helfen, eine Anstellung außerhalb des Heeres zu finden. Als er an seinen Kollegen dachte, beschloss Philipp, ihm einen Brief zu schreiben. Er wusste, dass der Lehrmeister seines Freundes aus Wien sehr krank war, und wollte ihn fragen, wie es Zeidler ging.
»Ich habe Angst«, sagte Magdalena leise.
»Es wird uns nichts geschehen«, sagte Philipp schnell, doch wenig überzeugend.
»Wie kannst du das wissen? Die Zustände in der Stadt werden immer schlimmer. Was passiert, wenn der Kaiser tatsächlich bald mit einem Heer nach Prag vorrückt? Viele Menschen werden sterben! Unschuldige Menschen!«
»Von den Kaiserlichen haben wir nichts zu befürchten.«
»Glaubst du wirklich, dass die Soldaten Unterschiede machen werden, wenn die Stadt in Flammen steht?«
»So weit wird es nicht kommen«, sagte Philipp jetzt entschieden. »Wenn abzusehen ist, dass Prag in eine Schlacht verwickelt wird, verlassen wir die Stadt und suchen uns einen sicheren Ort.«
»Und wo soll der sein?«
»Das kann ich dir jetzt auch nicht sagen.«
Philipp streichelte Magdalena über das Haar und ließ seine Hand auf ihrer Wange liegen. Dann gab er ihr einen langen Kuss. »Mach dir nicht zu viele Sorgen. Es wird alles wieder gut werden.«
»Ich habe einfach Angst. Noch haben wir keine Kinder. Wie werden wir die aber in Zukunft schützen können?«
»Ich verstehe dich sehr gut. Auch ich mache mir Sorgen. Wir werden einfach beobachten müssen, wie sich die Dinge im Reich entwickeln. Wenn es wirklich so schlimm wird, wie du befürchtest, werden wir die Stadt rechtzeitig verlassen!«
Philipp wusste, dass er Magdalena mit seinen Worten nicht völlig überzeugen konnte. Er war sich auch längst nicht so sicher, dass sich die Dinge wieder richten lassen würden, wie er es vorgab. Auch er hatte Angst. Dies würde er seinem Weib gegenüber allerdings nie zugeben. Auch er sorgte sich darum, welche Zukunft sie ihren Kindern bieten konnten, wenn denn mal welche kamen. Bisher gab es keine Anzeichen dafür …