Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 42
ОглавлениеPrag, 02. September 1619
»Was wird mit den Männern geschehen?«, fragte Magdalena und schaute entsetzt auf die beiden Gefangenen, die in einem Gitterwagen transportiert wurden.
»Wenn sie Glück haben, finden sie einen schnellen Tod ohne weitere Qualen«, antwortete Polyxena von Lobkowitz mit ärgerlicher Stimme. »Es ist furchtbar, wie derzeit im Namen Gottes mit Menschen umgegangen wird!«
»Was sind das für Männer?«
»Ich denke, dass es Jesuiten sind.«
Magdalena konnte den Blick nicht von den bedauernswerten Gefangenen abwenden. Beiden hatte man die Gewänder vom Leib gerissen und stellte sie nackt zur Schau. Blaue Flecken und blutverkrustete Wunden zeugten von der schrecklichen Behandlung, welche die Männer erfahren haben mussten. Als einer von ihnen mit einer Hand nach einem Gitterstab griff, schlug ihm ein Wächter die Unterseite seiner Hellebarde auf die Finger. Der Jesuit stieß einen jämmerlichen Laut aus und ließ den Stab los.
»Das ist so furchtbar«, sagte Magdalena und kämpfte gegen die Tränen.
»Ja. Das ist es, mein Kind«, stimmte Polyxena ihr leise zu.
Hinter dem Wagen mit den beiden Jesuiten liefen etwa dreißig kaiserliche Soldaten. Sie waren mit Seilen an den Händen gefesselt und wurden von böhmischen Landsknechten bewacht.
»Wird man die Soldaten auch töten?«, fragte Magdalena.
»Nein. Es sind Söldner. Sie kommen in den Kerker und werden ganz sicher in wenigen Tagen freigelassen, wenn sie versprechen für die Protestanten zu kämpfen.«
»Was, wenn sie später trotzdem fliehen?«
»Das werden sie nicht«, sagte Polyxena mit finsterer Miene. »Solange sie ihren Sold bekommen, werden sie kämpfen. Es ist ihnen egal, für welche Seite sie ins Feld ziehen. Den meisten zumindest.«
Magdalena fiel es schwer, den Worten der Gräfin zu glauben, auch wenn diese vermutlich Recht hatte. Sie selbst hatte am eigenen Leib erfahren, welches entsetzliche Leid der Krieg über das Volk brachte und wie grausam die Söldner auf beiden Seiten zu Werke gingen. Es war jetzt länger als ein Jahr her, dass sie gemeinsam mit Philipp nach Wien gereist war. Seit diesem Tag hatte sie einen Schicksalsschlag nach dem anderen ertragen müssen und wäre fast daran zerbrochen. In den letzten Wochen hatte sich Magdalena nur langsam vom Verlust ihres Kindes und Philipps Gefangennahme erholt. Dank dem Zuspruch von Polyxena, die ihren jungen Gast immer wieder aufgefordert hatte, an die Zukunft zu denken, ging es ihr mittlerweile tatsächlich besser. Natürlich waren ihre Gedanken immerzu bei ihrem Ehegatten. Jeden Morgen und jeden Abend betete sie für ihn und hoffte darauf, ihn bald wieder zu sehen.
Am heutigen Tag waren Magdalena und Polyxena unterwegs zum Markt, als plötzlich der Tross der Landsknechte mit ihren Gefangenen in der Stadt angekommen war. Nun waren die Straßen von Prag verstopft und es gab kein Durchkommen. Magdalena und Polyxena mussten warten, bis die Gruppe die Steinbrücke überquert hatte, bevor sie ihren Weg fortsetzen konnten.
»Was meint Ihr, wird dieser Friedrich aus der Pfalz die böhmische Krone annehmen?«, wechselte Magdalena das Thema. Auf ihrem bisherigen Weg durch die Stadt hatte sie aus den Gesprächen der Leute herausgehört, dass dies die Frage war, die sich ganz Prag stellte.
»Ja. Ich glaube, dass er das tun wird. Aber ich halte es für einen Fehler. Ferdinand wird sich das als neu gewählter Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation nicht gefallen lassen. Wenn der Kurfürst der Pfalz die Krone Böhmens annimmt, fordert er Ferdinand zum Krieg heraus.«
»Den haben wir doch jetzt schon.«
»Das mag sein, Magdalena. Dennoch wird es keine weiteren Friedensverhandlungen geben, wenn ein anderer als der Kaiser den Thron in Böhmen besteigt. Ferdinand hat mächtige Verbündete. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Kaiserlichen ihren Feldzug gegen Böhmen fortsetzen. Wenn das passiert, werden sie Graf von Thurn überrennen.«
»Ich hoffe, dass das passiert. Dann wird auch Philipp endlich frei gelassen!«
»So darfst du das nicht sehen, mein Kind. Der Krieg wird sehr viele Menschen ins Unglück stürzen.«
»Das weiß ich. Dennoch muss ich als erstes an meinen Ehemann denken. Dieser Friedrich wird ihn sicher nicht freilassen.«
»Das kannst du nicht wissen. Der Kurfürst ist kein Protestant.«
»Katholisch ist er aber auch nicht.«
»Er ist Anhänger des kalvinistischen Glaubens. Damit ist er den Protestanten zwar näher als dem Kaiser, es gibt aber dennoch Hoffnung.«
Magdalena war nicht überzeugt davon, dass Polyxena recht behalten würde. Sie vertraute auf den Kaiser. Den hatte sie in Wien kurz gesehen und war beeindruckt von seinem Auftreten gewesen. Der mächtige Habsburger war Philipps einzige Chance. Er musste die Rebellion niederschlagen, damit ihr geliebter Ehemann wieder freigelassen wurde. Danach würde schon alles wieder gut werden.
Endlich wurde der Weg zur Steinbrücke vor Magdalena und Polyxena frei und sie konnten ihren Weg fortsetzen. Die Bürger der Stadt, die herbeigelaufen waren, um zu sehen, ob es etwas Neues gab, kehrten in ihre Häuser oder zu ihrer Arbeit zurück, als der Tross der Söldner aus ihren Augen verschwunden war.
***
Aus Stunden wurden Tage, aus Tagen Wochen und aus Wochen Monate. Die Hoffnung wurde immer geringer und verschwand schließlich ganz. Philipp hatte sich seinem Schicksal ergeben. Der ehemalige Sekretär der Statthalter in der Prager Burg war sich sicher, den Kerker niemals mehr lebend verlassen zu können. Die unendlichen Stunden des Wartens und Bangens hatten den Mann gebrochen. Das Ende schien nahe. Fast sehnte er sich nach dem Tod.
Die Gedanken in seinem Kopf drehten sich schon lange nicht mehr darum, ob und wie er aus dem Kerker herauskommen konnte. Alles versank in einem dunklen Nebel. Seine Kleidung bestand nur noch aus Fetzen, und die Kälte war Philipps ständiger Gefährte. Und der Hunger. Sein ausgemergelter Körper war kraftlos und geschunden. Philipp selbst störte das nicht mehr. Auch den Gestank um ihn herum nahm er nicht mehr wahr. Weder den, der von ihm selbst ausging, noch den, der aus dem provisorischen Abort kam.
Nach dem Oberst, der ihn für das Heer hatte anwerben wollen, waren keine Besucher mehr gekommen. Nicht einmal Diepold von Lobkowitz war zu dem Gefangenen vorgelassen worden. Die einzige Abwechslung des Tages bestand darin, dass Philipp von dem Wärter das Essen gebracht bekam, wovon er immer weniger anrührte.
Eines Tages, Philipp konnte schon lange nicht mehr sagen, welcher Monat, geschweige denn welches Datum gerade war, wurde er von lautem Geschrei geweckt. Er zog sich müde und auf allen Vieren zur Zellentür. Durch die Gitterstäbe, die lediglich einen Blick in einen kleinen Abschnitt des Gewölbes zuließen, konnte er aber nicht erkennen, was vor sich ging. Dem Lärm nach zu urteilen, musste es aber eine große Anzahl an Gefangenen sein, die gerade in die Verliese geführt wurde. Seit seiner eigenen Verhaftung hatte er nur sehr wenig von anderen Menschen mitbekommen, die hierhergebracht worden waren.
An der Sprache, in der sich die Gefangenen lautstark beschwerten, erkannte Philipp, dass die meisten aus Österreich oder Deutschland kommen mussten. Auch einige Spanier waren unter ihnen. Den Schreien nach zu urteilen, gingen die Wärter nicht eben zimperlich mit ihnen um. Die Flüche der Gefangenen und die Beschimpfungen der Wärter hielten noch lange an. Philipp kroch zurück zu seinem Lager und wartete darauf, dass sich die Männer beruhigten.
Plötzlich wurde die Tür zu Philipps Zelle geöffnet. Der ehemalige Sekretär schreckte hoch und starrte entsetzt auf die vier Wärter, die zwei nackte und offensichtlich leblose Gestalten in den Raum schleiften.
»Was soll das bedeuten?«, fragte Philipp mit schwacher Stimme, ohne sich dabei wirklich für eine Antwort zu interessieren. »Bleib auf deinem Platz und gib Ruhe!«, blaffte ihn einer der Wärter an.
»Wer sind diese Männer? Was ist mit ihnen geschehen?«
»Noch einmal warne ich dich nicht.«
Entsetzt sah Philipp, wie der Wärter sein Schwert zog und es gegen ihn richtete. Er beeilte sich, dem Befehl des Mannes nachzukommen und rutschte wieder in seine zusammengekauerte Haltung zurück. Er würde sich später um die beiden Gefangenen kümmern, wenn er mit ihnen alleine war.
Es kam Philipp vor, als wäre eine Ewigkeit vergangen, bis es im Kerker wieder ruhig wurde. Die ganze Zeit über saß er stocksteif auf seinem Lager und wagte es nicht, sich zu rühren. Ein leises Stöhnen eines der beiden Männer riss ihn aus seiner Lethargie. Er kroch zu seinen Mitgefangenen und stellte voller Entsetzen fest, dass ihm keiner der beiden würde sagen können, woher sie kamen und was passiert war. Einem der Männer hatte man den Mund zugenäht. Der andere war tot.
In Philipp wallte Panik auf und er sprang hoch, lief zur Zellentür und rüttelte an den Gitterstäben des kleinen Fensters. »Kommt zurück. Ihr könnt mich nicht zusammen mit einer Leiche einsperren!«
»Gib endlich Ruhe. Wenn wir noch einen Ton von dir hören, verprügeln wir dich so lange, bis du freiwillig den Mund hältst.«
Das könnt ihr nicht machen, dachte Philipp, wagte es aber nicht, dem Wärter zu widersprechen. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass der seine Drohung wahrmachen würde. Er ging zurück zu dem Verletzten und rüttelte ihn leicht an der Schulter. Die einzige Antwort, die er bekam, war ein leises Stöhnen.
***
Nach einer schlaflosen Nacht fielen endlich die ersten Lichtstrahlen in Philipps Zelle. Er hatte dem noch lebenden der beiden Männer seine Decke gegeben, damit er nicht erfror. Sein eigener Körper zitterte vor Kälte, als sich am Morgen die Kerkertür öffnete und ein Offizier begleitet von zwei Wächtern eintrat.
»Was ist passiert?«, wollte der Fremde wissen, nachdem er festgestellt hatte, dass einer der Gefangenen tot war.
»Er ist gestorben, nachdem er in diese Zelle geschafft wurde«, erklärte Philipp. »Auch der andere wird hier nicht lange überleben.«
»Das sind Jesuiten. Sie haben es nicht besser verdient«, sagte einer der Wärter. Offensichtlich interessierte ihn der Zustand seiner Gefangenen nicht sonderlich.
»Warum bringt ihr die Männer ausgerechnet zu mir?«, jammerte Philipp.
»Weil alle anderen Zellen voll sind. Wir dachten, dir würde ein bisschen Abwechslung guttun.« Der Fremde brach in ein meckerndes Gelächter aus, in das die beiden Wärter sofort einfielen.
»Ihr müsst etwas tun«, flehte Philipp den Mann an.
»Diese Männer haben ihr Volk verraten«, entgegnete der Offizier. »Genau wie du. Wenn du nicht willst, dass auch der Zweite von ihnen stirbt, kümmere dich um ihn.«
»Wie soll ich das machen? Der Mann hat den Mund zugenäht und kann weder Essen noch Trinken. Könnt ihr ihn nicht wenigstens von dieser Qual befreien?«
»Verdient hat er es nicht. Wir wollen aber nicht, dass später behauptet wird, das Direktorium sei grausam.«
»Ich danke Euch.« Philipp wusste, dass er sich unterwürfig zeigen musste und den Fremden nicht verärgern durfte, wenn er seinem Mitgefangenen helfen wollte. Sein eigenes Schicksal konnte er nicht verbessern. Vielleicht konnte er aber verhindern, dass auch der zweite Jesuit starb.
»Schafft den Toten hier heraus«, befahl der Offizier und ging auf den ohnmächtig auf dem Boden liegenden Jesuiten zu. Er nahm einen Dolch und schnitt den Faden zwischen seinen Lippen durch. Dass er den Mann dabei mit der Klinge verletzte, störte ihn nicht.
»Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«, fragte der Offizier spöttisch.
»Wenn der Mann auf dem kalten Boden liegen bleibt, wird er sterben. Könnt ihr ihm etwas Stroh und eine Decke bringen lassen?«
Der Offizier sah den Gefangenen einen Moment lang schweigend und mit finsterer Miene an. Philipp machte sich klein, als ihm klar wurde, dass er gerade eine Forderung gestellt hatte. Dann verließ der Fremde die Zelle.
Als die Wärter ihm später am Tag sein Essen und einen Krug Wasser brachten, bekam der Jesuit tatsächlich ein eigenes Lager. Die Wärter warfen das Stroh und die Decke in der Mitte des Verlieses auf den Boden.
»Um den Rest kannst du dich selbst kümmern«, sagte einer der Männer barsch.
»Zeit hast du ja genug«, fügte der Zweite lachend hinzu.
Philipp verzichtete auf eine Antwort, die ihm ohnehin nichts als weiteren Ärger eingebracht hätte. Als er wieder mit dem Jesuiten alleine war, errichtete er ein Lager für ihn und musste alle Kraft aufwenden, ihn daraufzulegen. Voller Mitleid schaute Philipp auf die eitrigen Lippen und die vielen blauen Flecken am Körper des Mannes.
Zwei Tage später öffnete sein Mitgefangener zum ersten Mal die Augen.