Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 28

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Wien, 23. Februar 1619

Eintrag in die kaiserliche Chronik des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation:

In den Wintermonaten gelang es keiner der verfeindeten Parteien in Böhmen, einen entscheidenden Erfolg zu verzeichnen.

Das Kriegsvolk der Böhmen hält die Kaiserlichen in Budweis und Krummau belagert. Dennoch wagen sie immer wieder Ausfälle und führen Streifzüge in der Herrschaft Schwanberg durch. Etliche Dörfer wurden geplündert und zum Teil abgebrannt. Die Mansfelder halten erfolgreich dagegen und verhindern eine Ausbreitung der Kaiserlichen im Reich.

Graf von Buquoy hat vierzig Wagen mit Beutegut zum Kaiserhof nach Wien geschickt. Dazu gehörten 70.000 Reichstaler und 1.000 Stück Vieh. Ein Heer mit böhmischen und schlesischen Männern hat den Zug zwei Meilen vor Zwetel gestellt und die Begleitmannschaft niedergemetzelt. Lediglich zwei Kaiserliche konnten fliehen.

Graf von Buquoy ist zudem mit tausend Mannen ein Ausfall aus Budweis gelungen. Er griff ein böhmisches Quartier an und es kam zu einem Scharmützel.

Der pfälzische Kurfürst hat einen Boten entsandt und appelliert, die Friedensverhandlungen voran zu bringen.

Anton fiel es schwer, sich auf den Eintrag in die Chronik zu konzentrieren. Zeidler konnte nun schon lange nichts mehr sehen und erkannte seinen Schüler lediglich an der Stimme. Anton ging täglich zu seinem Lehrmeister und verbrachte so viel Zeit bei ihm, wie es seine Arbeit zuließ. Längst war er zum ersten kaiserlichen Schreiber aufgestiegen und musste bei allen Beratungen zugegen sein.

Mit Vroni hatte sich Anton seit dem Vorfall mit von Collalto nicht mehr getroffen. Er war froh, dass er das Weib losgeworden war, und kümmerte sich nur noch um Zeidler und seine Arbeit.

Auch Kaiser Matthias hatte mit seiner Gesundheit zu kämpfen. Die Regierung des Reiches wurde mehr und mehr auf Ferdinand übertragen, der mittlerweile zum Erzherzog von Österreich ernannt worden war. Er nutzte seine Macht, um das Kriegsgeschehen in Böhmen voranzutreiben und nutzte jede Gelegenheit, um deutlich zu machen, dass er es den Protestanten nicht zugestehen wollte, einen neuen König zu wählen. Unterstützung fand er dabei bei Maximilian von Bayern, der zwar noch nicht aktiv in den Krieg eingegriffen hatte, aber seinen Feldherrn, Graf von Tilly, das Heer aufrüsten ließ.

Anton entschloss sich, seinen Text später in die Chronik zu übertragen und zunächst nach seinem Lehrmeister zu sehen. Auf dem Weg zu Zeidler beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Je näher er sich der Kammer des Mannes näherte, umso mulmiger wurde es ihm.

Als Anton den Raum betrat, spürte er sofort, dass etwas nicht stimmte. Zeidler lag regungslos in seinem Bett und schien sein Eintreten nicht mitbekommen zu haben.

»Wie geht es Euch heute?«, fragte Anton leise, erhielt aber keine Antwort. Zögerlich näherte er sich dem Bett und traute sich kaum, dem Alten ins Gesicht zu schauen. Er hätte Zeidlers Atemzüge hören müssen, aber es war still. Totenstill.

Allmächtiger Herrgott, lass ihn noch am Leben sein. Anton fasste sich ein Herz und griff nach Zeidlers Hand, die verkrampft auf seiner Decke lag. Er spürte Kälte und wusste in diesem Moment, dass seine schlimmsten Befürchtungen eingetreten waren. Jetzt zwang er sich, in die Augen seines Lehrmeisters zu schauen. Sie waren geschlossen. Zeidler musste im Schlaf gestorben sein.

Anton wollte schreien, brachte aber keinen Ton hervor. Er hatte das Gefühl, von einer unsichtbaren Hand gewürgt zu werden und keine Luft mehr zu bekommen. Voller Panik sprang er auf, öffnete das Fenster und atmete die kalte Winterluft ein.

Ich muss dem Heiler Bescheid geben. Anton wusste genau, was zu tun war. Dennoch gelang es ihm nicht, auch nur den kleinsten Schritt zu tun. Wie viel Zeit vergangen war, bis er wieder zu sich selbst gefunden hatte, konnte Anton später nicht sagen. Irgendwann stand er auf dem Flur. Nachdem er das Zimmer verlassen hatte, brach sein Bann. Schreiend rannte er zum Heiler, damit er schnell nach seinem Lehrmeister sah. Auch wenn er genau wusste, dass niemand Zeidler jetzt noch helfen konnte, wollte er, dass sich um den Mann gekümmert wurde.

***

Die Nachricht von Zeidlers Tod verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch den Kaiserhof und sorgte für große Betroffenheit. Auch wenn der Mann Zeit seines Lebens als Einzelgänger bezeichnet worden war, hatten ihn doch alle gemocht.

Selbst Kaiser Matthias ließ Anton rufen und sich von dem Schreiber persönlich berichten, was geschehen war. Er war entsetzt, als er sah, wie schlecht es Matthias mittlerweile ging. In den Wochen, in denen sich die beiden nicht gesehen hatten, schien der Regent um Jahre gealtert zu sein. Der Kaiser war sichtlich geschockt und versprach Anton, dass er alles in die Wege leiten würde, damit der Mann ein anständiges Begräbnis bekam.

Als Anton später mit Erzherzog Ferdinand zusammentraf und ihm von Zeidlers Tod berichtete, zeigte der keine Regung. Im Gegenteil wies er seinen Schreiber barsch zurecht, weil der nicht richtig bei der Sache war, als er ihm einen Brief diktierte.

»Es herrscht Krieg«, sagte Ferdinand. »In Böhmen sterben jeden Tag Menschen!«

Anton wollte den König anschreien und ihm klarmachen, dass Zeidler nicht irgendjemand gewesen war. Gerade noch rechtzeitig erinnerte er sich daran, dass er mit dem Erzherzog von Österreich sprach, der außerdem von vielen als nächster Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation gehandelt wurde. Also zwang sich Anton, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Um seinen Lehrmeister konnte er später noch trauern.

Den restlichen Tag über versuchte Anton, seine Aufgaben so gewissenhaft wie möglich zu erledigen. Als er endlich alle Wünsche von König Ferdinand befriedigt hatte, machte er sich mit müden Schritten auf den Weg zu Zeidlers Kammer. Er öffnete die Tür und fand den Raum leer vor. Lediglich das zerwühlte Bett erinnerte noch an den alten Chronisten.

Anton fehlte die Kraft, um sich zu erkundigen, was mit dem Leichnam geschehen war. Sicherlich hatte der Heiler längst den Pater gerufen.

Für heute ist es genug. Der erste Schreiber des Kaisers ging zu seiner eigenen Kammer. An diesem Tag wollte er niemanden mehr sehen und schon gar nicht mehr mit jemandem sprechen!

»Da bist du ja endlich!«, sagte eine Frauenstimme, nachdem Anton seine Kammer betreten und die Tür geschlossen hatte.

Warum ausgerechnet jetzt? Anton lief ein eisiger Schauer über den Rücken, als er sah, wer ihn erwartete. Besitzt dieses Weib nicht den kleinsten Funken Anstand?

»Was willst du hier?« Eigentlich wollte Anton wütend klingen, seine Stimme hörte sich allerdings eher müde an.

»Ich wollte wissen, wie es dir geht!«, beteuerte Vroni in ihrer typisch unschuldigen Art.

»Und dafür musst du in meinem Bett liegen?«

»Ich dachte mir, dass du vielleicht getröstet werden willst.«

Ganz sicher nicht von dir!»Verschwinde und lass mich alleine.«

»Bist du sicher, dass du dich nicht einen Moment zu mir legen willst?«

Vroni zog die Decke zurück und gewährte Anton einen Blick auf ihren Körper. Der war nicht sonderlich überrascht, als er sah, dass das Weib nackt war. Er wusste noch nicht genau, welchen Plan die Hexe nun wieder verfolgte, wollte es aber auch nicht herausfinden. Nicht an diesem Tag.

»Zieh dich an und lass mich in Ruhe. Zwischen uns gibt es nichts mehr zu bereden. Das weißt du genau. Und selbst wenn es nicht so wäre, mein Lehrmeister ist heute gestorben. Mir steht nicht der Sinn nach Gesellschaft!«

»Ich weiß, dass Zeidler tot ist.«

»Dann solltest du mich jetzt in Ruhe lassen!«

»Du bist nicht der Einzige, der Sorgen hat«, sagte Vroni und begann plötzlich zu weinen.

Anton sah das Weib überrascht an. Sie hatte tatsächlich Tränen in den Augen. Konnten die aber echt sein? Der Schreiber wusste nicht so recht, wie er mit dem Gefühlsausbruch der Ungarin umgehen sollte. Zum ersten Mal, seitdem sie ihm nach Wien gefolgt war, tat sie ihm leid.

»Zieh dich an, dann werden wir reden.«

Vroni schien endlich einzusehen, dass sie Anton an diesem Tag mit ihren Reizen nicht beeindrucken konnte. Während er stumm am Fenster stand und hinausschaute, legte sie ihre Kleidung an und setzte sich dann wieder auf das Bett. »Ich bin fertig.«

»Warum bist du hergekommen?«, fragte Anton, ohne sich zu ihr umzudrehen.

»Ich muss mit dir reden.«

»Einen schlechteren Tag hättest du dir dafür nicht aussuchen können.« Anton blieb am Fenster stehen, drehte sich nun aber um und schaute Vroni an. »Sprich endlich!«

»Ich erwarte ein Kind.«

Nicht auch das noch! Zum zweiten Mal an diesem Tag lief Anton ein eisiger Schauer über den Rücken. Hatte sich heute alles gegen ihn verschworen? Er hatte vieles erwartet. Aber nicht dies.

»Warum kommst du damit zu mir?«

»Zu wem soll ich denn sonst gehen?« Jetzt klang Vroni ehrlich verzweifelt.

»Zu von Collalto!«

»Der ist in Böhmen!«

»Dann mach dich auf den Weg dorthin!«

»Warum sollte ich das tun? Es ist genauso gut möglich, dass du der Vater bist.«

Du verlogenes Miststück wirst mir kein Kind anhängen. »Das glaube ich dir nicht!«

»Du musst mir helfen, Anton. Du weißt, dass von Collalto das Kind nicht als seins anerkennen wird!«

»Und warum sollte ich das tun?«

»Ich dachte, dass du mich liebst. Jetzt, wo du dein Ziel erreicht hast und erster Schreiber bist, können wir zusammen sein.«

Daher weht also der Wind. Anton sah Vroni voller Abscheu an. »Du wagst es tatsächlich, ausgerechnet heute zu mir zu kommen und Forderungen zu stellen?«

»Noch weiß keiner, dass ich guter Hoffnung bin. Bald schon wird man das aber sehen können. Wir haben einen guten Ruf zu verlieren!«

»Oh nein, Vroni. Es gibt kein »Wir« mehr. Nicht, nachdem du es in den alten Stallungen mit von Collalto getrieben hast!« … Genau genommen hat es nie ein Wir gegeben.

»Ist das dein letztes Wort?«, fragte Vroni flehend.

»Hör zu Vroni: Heute ist wirklich nicht der richtige Tag, um darüber zu sprechen. Ich habe jetzt andere Sorgen. Gib mir Zeit über alles nachzudenken.« Ich werde schon eine Möglichkeit finden, dich ein für alle Mal loszuwerden. Anton war klar, dass die Hexe die Sache nicht auf sich beruhen lassen würde. Wenn er sie jetzt abwies, würde sie sich sicher etwas einfallen lassen, wie sie ihm schaden konnte. Er musste Zeit gewinnen.

»Gut. Ich werde jetzt gehen. Aber ich komme wieder!«

Anton schaute Vroni nicht nach, als sie seine Kammer endlich verließ. Er war einfach nur glücklich darüber, nun alleine zu sein, legte sich auf sein Bett und dachte an seinen Lehrmeister.

Zwei Tage später wurde Wilhelm Zeidler feierlich bestattet. Kaiser Matthias ließ es sich nicht nehmen, persönlich an der Zeremonie teilzunehmen, auch wenn er sich von der Dienerschaft in einer Sänfte dorthin tragen lassen musste. Selbst König Ferdinand war anwesend. Vroni sah Anton an diesem Tag nicht.

Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner

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