Читать книгу Der Löwe aus Mitternacht. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 5 - Jörg Olbrich - Страница 10

Wien, 16. April 1631

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Eintrag in die Kaiserliche Chronik des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation:

Kaiser Ferdinand II. hat endgültig auf seine Ansprüche im Erbfolgekrieg von Mantua verzichtet. Seine Bevollmächtigten haben in Cherasco mit den Vertretern des Königs Ludwig XIII. von Frankreich und des Herzogs Viktor Amadeus I. von Savoyen einen Friedensvertrag unterzeichnet. Alle kaiserlichen Truppen wurden daraufhin aus Norditalien abgezogen.

Unter der Leitung des Kurfürsten von Sachsen haben die protestantischen Reichsstände am 26. Februar in Leipzig einen Konvent abgehalten. Sie halten dem Kaiserhof weiterhin die Treue, fordern dafür aber die Aufhebung des Restitutionsediktes.

Die schwedischen Eroberer halten Pommern weitgehend besetzt. In Mecklenburg und Brandenburg finden dagegen heftige Gefechte zwischen den Truppen von Gustav Adolf von Schweden und dem kaiserlichen General Graf Johann von Tilly statt. Feldmarschall Gottfried Heinrich zu Pappenheim verharrt mit seinen Truppen vor Magdeburg und belagert die Stadt.

Während das Leid unter der Bevölkerung in vielen Gebieten immer unerträglicher wird, scheint der Friede im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation in immer weitere Ferne zu rücken.

»Ist es dem unwürdigen Gehilfen erlaubt, den Herrn Grafen Anton von Rezi für einen kurzen Moment zu stören?«, fragte Peter und tänzelte wie ein Gaukler vor Antons Schreibtisch herum.

Der kaiserliche Schreiber zerknäulte das Pergament, auf dem er sich gerade Notizen gemacht hatte, und warf es nach seinem Freund, der allerdings geschickt auswich.

»Wenn der Herr Graf unpässlich ist, kann ich gerne zu einem späteren Zeitpunkt wiederkommen.«

»Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich nicht so nennen sollst?«, fragte Anton und schaute seinen Helfer gespielt genervt an. Dann lachten die beiden Männer schallend.

Nachdem Anton der Titel des Grafen von Rezi vom ungarischen König Ferdinand II. verliehen worden war, hatte sich sein junger Helfer einen Spaß daraus gemacht, ihn bei jeder Gelegenheit damit aufzuziehen. Anton selbst wollte davon nichts hören. In Rezi gab es eine zerfallene Burg und ansonsten nur ein paar Wiesen und Wälder. Der kaiserliche Schreiber hatte nicht die Absicht, jemals dorthin zu reisen.

Weil es dem Erzherzog von Österreich nur darum gegangen war, dass die Hofdame seiner Gemahlin adelig werden konnte, hatte es für ihn keine Rolle gespielt, welchen Titel er Anton Serger verlieh. Nachdem er Anton zur Heirat mit Isabella genötigt hatte, war das Ziel, die Bürgerliche zur standesgemäßen Begleiterin von Anna Maria zu machen, erreicht.

Fast vierzehn Monate waren die beiden Frauen mit der spanischen Gefolgschaft unterwegs gewesen, bis die zukünftige Königin Ende Januar in einer feierlichen Zeremonie an Erzherzog Leopold V. von Tirol übergeben worden war, der sie an den Kaiserhof nach Wien geleitete. Dort gab es zunächst einen Zug durch die Stadt. Anna Maria war von den Bürgern jubelnd willkommen geheißen worden. Danach hatte der Kaiser im Palast einen großen Empfang abgehalten.

Antons Hochzeit mit Isabella hatte bereits zwei Tage später im kleinsten Kreis stattgefunden. Der Schreiber hatte schnell gemerkt, dass er und Isabella sich niemals näherkommen würden. Die Hofdame hatte sich Anton gegenüber so benommen, als habe er ihr den Adelstitel zu verdanken und nicht umgekehrt. In der Hochzeitsnacht hatte sie ihm sogar gedroht, ihn umzubringen, sollte er es wagen, sie auch nur mit dem kleinen Finger anzurühren.

Der Schreiber hatte seine kleine Kammer aufgegeben und war mit seiner Gemahlin in einen kleinen Bereich des Palastes gezogen, der aus drei Zimmern bestand. Platz genug zum Leben, aber zu wenig, um sich wirklich aus dem Weg gehen zu können. Seit seiner Vermählung hatte Anton deshalb noch mehr Zeit in der Bibliothek verbracht als vorher. Bisher hatte Isabella nie danach gefragt, wo sich ihr Gemahl herumtrieb. Dem war das nur recht.

Völlig uneinsichtig hatte sich Isabella gezeigt, als es um Prinz ging und ihn als stinkendes Scheusal bezeichnet. Anton erkannte schnell, dass sie niemals billigen würde, dass der Hund die gemeinsamen Gemächer betrat. So schlief das Tier entweder vor der Tür zu den Räumen oder in der Bibliothek.

Am 26. Februar hatte Ferdinand III. dann schließlich seine Anna Maria von Spanien geehelicht. Über einen Monat dauerten die Hochzeitsfeierlichkeiten, die den gesamten Kaiserhof in Atem hielten. In dieser Zeit hatte Anton Isabella kaum gesehen. Seitdem war sie nun gemeinsam mit dem jungen Paar auf Reisen. Somit hatte der Schreiber seine Ruhe und hoffte, dass dieser Zustand noch lange anhalten möge.

»Hast du den Kaiser heute schon gesehen?«, fragte Peter, nachdem sich beide wieder beruhigt hatten.

»Bei der Sitzung des Kriegsrates, ja.«

»Ging es um die Forderungen des Leipziger Konvents?«

»Ja. Ferdinand II. hat nicht die Absicht, darauf zu reagieren, und die anderen Mitglieder des Rates gaben ihm recht.«

»Das halte ich für gefährlich«, sagte Peter nachdenklich. »Wenn Wien den protestantischen Fürsten nicht entgegenkommt, kann es passieren, dass der Kaiser sie direkt in die Arme des Schwedenkönigs treibt.«

»Ich gebe zu, dass diese Gefahr besteht«, gestand Anton. »Dennoch kann der Kaiser das Restitutionsedikt nicht schmälern und schon gar nicht zurücknehmen.«

»Es wäre ein wichtiger Schritt, um einen Frieden im Reich zu schaffen. Wenn es gelingt, alle Kurfürsten gegen die Schweden zu vereinen, werden wir Gustav Adolf schnell aus dem Reich vertreiben.«

»Dieser Gedanke ist nicht neu«, erklärte Anton und schüttelte den Kopf. »Dennoch kann der Kaiser diesen Schritt nicht gehen. Wenn er jetzt nachgibt, wird er seine Machtstellung weiter einbüßen. Der Kurfürstentag in Regensburg hat gezeigt, wie kurz das Reich vor einer Spaltung steht. Er muss jetzt die eingeschlagene Richtung beibehalten und das Restitutionsedikt durchsetzen. Notfalls mit Gewalt.«

»Ich halte den Grafen von Tilly für zu schwach, um den kaiserlichen Willen durchzusetzen.«

»Bisher hat er alle Schlachten erfolgreich geschlagen.«

»So wird es nach außen hin propagiert«, sagte Peter. »In Wahrheit weicht er dem Kampf aber aus. Das Problem mit den Schweden könnte längst gelöst sein, wenn der General entschiedener gegen den Wasserkönig vorgegangen wäre.«

»Auf was willst du hinaus?« Anton sah seinen Helfer lauernd an. Die Worte des jungen Mannes grenzten an Verrat. Andererseits wusste der kaiserliche Schreiber auch, dass es weitere Stimmen gab, die so sprachen. Auch Feldmarschall zu Pappenheim hatte die abwartende Haltung des Johann von Tilly bereits bemängelt.

»Der General steht in einem Zwiespalt«, redete sich Peter weiter in Rage. »Auf der einen Seite will er dem Kaiser dienen und dessen Befehle befolgen, andererseits ist er Herzog Maximilian von Bayern treu ergeben. Es ist kein Geheimnis, dass der einem geeinten Deutschen Reich außerhalb des Kaiserreichs gegenüber nicht abgeneigt wäre. Mit ihm an der Spitze natürlich.«

Anton stand auf, ging zum Fenster und schloss es. Dann kehrte er zu seinem Platz zurück und sah Peter warnend an. »Du solltest wirklich vorsichtiger mit solchen Äußerungen sein.«

»Ich dachte, wir könnten offen über alles sprechen.«

»Wir beide können das auch. Ein Dritter würde aber vielleicht hellhörig, wenn er dich so reden hört.«

»Du willst also ernsthaft behaupten, dass ich Unrecht habe?«

»Nein, Peter. Deine Argumente kommen der Wahrheit sehr nahe. Leider.«

»Dann stimmst du mir zu, dass der Kaiser etwas unternehmen muss.«

»Die spannende Frage ist nur, was«, sagte Anton, der überrascht war, wie gut sein Helfer die politische Lage im Reich einordnen konnte. »Einen Frieden mit den protestantischen Fürsten wird es so schnell nicht geben. Es sei denn, sie akzeptieren das Edikt in allen Punkten.«

»Das werden sie niemals tun.«

»Nein. Das werden sie nicht. Es gibt aber eine Größe, die wir in dieser Betrachtung noch nicht berücksichtigt haben.«

»Und die wäre?«

»Wallenstein.«

»Das ist nicht dein Ernst.« Peter sah Anton mit offenem Mund an und schüttelte entschieden den Kopf.

»Der Kaiser hat ihn bereits um Rat gefragt.«

»Wie kann er das tun?«, fragte Peter erschrocken. »Albrecht von Wallenstein ist wahnsinnig. Man sollte ihn in Friedland lassen. Dort kann er weiter über seine Absetzung lamentieren und sich um seine Pferde kümmern. Der Mann ist ein Schatten seiner selbst. Er wird dem Reich nicht mehr helfen können.«

»Da irrst du dich gewaltig«, sagte Anton und lachte auf. »Muss ich gerade dir erklären, wie gut die Kontakte sind, die er zu den Königshäusern Europas pflegt? Du warst lange mit ihm unterwegs und hast ihn kennengelernt. Glaubst du wirklich, dass sich dieser Mann einfach so abservieren lässt und sich dann nur noch um die Verwaltung seiner Güter kümmert?«

»Er ist keine Gefahr mehr«, beharrte Peter auf seinem Standpunkt. »Falls er vorhatte, sich am Kaiser oder Herzog Maximilian zu rächen, hätte er es längst getan.«

»Darum geht es nicht«, erklärte Anton. »Gustav Adolf weitet das eroberte Gebiet immer weiter aus. Irgendwann wird er auch für von Wallenstein gefährlich.«

»Soll der Schwede Friedland dem Erdboden gleichmachen. Was kümmert uns das?«

»Du denkst sehr kurzsichtig, Peter. Was glaubst du, wird passieren, wenn sich Albrecht von Wallenstein auf die Seite Schwedens stellt oder mit dem Kurfürsten von Sachsen gemeinsame Sache macht?«

»Was soll er schon groß ausrichten?«

»Unterschätze nicht den Einfluss, den er nach wie vor hat. Ich bin überzeugt, dass ein Großteil seiner ehemaligen Söldner sofort in seinen Dienst zurückkehren würde. Wallenstein hat sie immer gut behandelt und ordentlich bezahlt. Wir wissen beide, dass das unter den Truppen des Kaisers nicht immer der Fall ist.«

»Willst du damit sagen, dass Ferdinand II. ernsthaft darüber nachdenkt, diesen Wahnsinnigen wieder als Feldherr einzusetzen?«

»Genau das. Und nicht nur der Kaiser ist dieser Meinung. Der Rat steht voll hinter dieser Entscheidung. Wir müssen Albrecht von Wallenstein wieder fest an Wien binden. Und wenn es nur dazu dient, dass wir ihn unter Kontrolle behalten können.«

***

Als Anton die Gemächer betrat, die er mit seiner Gemahlin teilte, und die leisen spanischen Flüche hörte, hätte er sich am liebsten sofort wieder davongeschlichen. Dafür war es aber zu spät. Isabella hatte ihn bereits gesehen.

»Was machst du hier?«, fragte Anton überrascht und bereute im selben Moment, überhaupt etwas gesagt zu haben. Jetzt richtete sich Isabellas Zorn gegen ihn.

»Ich lebe hier«, fauchte die Spanierin und sah ihren Gemahl zornig an. Wie immer hatte sie ihre braunen Haare hinter dem Kopf zu einem Knoten zusammengesteckt. Dadurch wirkte ihr kantiges Gesicht mit der spitzen, leicht nach oben gebeugten Nase noch strenger. Sie trug ein eng anliegendes graues Kleid, das keinerlei Muster zeigte. Das alleine hätte Anton Warnung genug sein müssen. Die Wahl ihrer Kleidung wurde in der Regel stark von Isabellas Stimmung beeinflusst. Das hatte er inzwischen gelernt.

»Ich meinte, warum bist du schon zurück? Sollte die Reise nicht noch länger dauern?«

»Das junge Paar will ein paar Tage alleine verbringen«, sagte Isabella. Noch immer funkelte der Zorn in ihren Augen.

»Ohne Soldaten? Ist das in Kriegszeiten nicht sehr gefährlich?«

»Nicht ohne Soldaten. Die bewachen die beiden weiter. Sie haben lediglich ihre Bediensteten zurück nach Wien geschickt.«

»Und das missfällt dir?«

»Ob es mir missfällt?« Isabelle starrte Anton an, als wolle sie ihm an die Kehle springen. »In den letzten Jahren war ich nie länger als einen Tag von Anna Maria getrennt. Es ist unerträglich, einfach wie ein streunender Köder weggeschickt zu werden.«

»Findest du nicht, dass du ein bisschen übertreibst?«, fragte Anton und schaffte es gerade noch, sich ein Lachen zu verkneifen. Dieses hätte das Fass sicherlich zum Überlaufen gebracht. Er hatte nicht das geringste Mitleid mit seinem Weib und konnte es sehr gut verstehen, dass Ferdinand III. und Anna Maria die letzten Tage ihrer Reise in Ruhe genießen wollten. »Sei doch froh, dass du ein paar Tage für dich hast. Du könntest die Zeit nutzen und dir die Stadt ansehen.«

»Ich soll was?« Isabella war so überrascht, dass sie sogar vergaß, die Vase nach ihrem Gemahl zu werfen, die sie in die Hand genommen hatte, als Anton ihr gesagt hatte, dass sie übertrieb.

»Ist es wirklich so schlimm, wenn du ein paar Tage alleine bist?« Anton verzichtete auf den Hinweis, dass er ja auch noch da war. Er verspürte nicht das Bedürfnis, mehr Zeit mit Isabella zu verbringen als unbedingt notwendig.

»Ich bin die Hofdame der Erzherzogin«, sagte Isabella kühl. »Mein Platz ist bei Anna Maria von Spanien. Und jetzt lass mich alleine.«

»Auch ich lebe hier.« Auch wenn es sich eher um einen Streit handelte, war das Gespräch, das Anton gerade mit Isabella geführt hatte, das bisher längste in ihrer Ehe. Er hatte akzeptiert, dass es keinerlei Gemeinsamkeiten zwischen ihnen gab und lebte sein Leben so gut es ging weiter. Bisher hatte er darauf verzichtet, sein Weib darauf hinzuweisen, dass ihr die Heirat deutlich mehr nutzte als ihm. Jetzt war er kurz davor, diese Tatsache auszusprechen. Dies würde aber sicher dazu führen, dass Isabella erneut nach der Vase griff, die sie gerade zurück auf die Kommode gestellt hatte.

»Geh einfach in deine Bibliothek und sortiere ein paar von deinen verstaubten Schriftrollen. Ich kann deine Anwesenheit im Moment nicht ertragen.«

Anton antwortete nicht. Was hätte er auch sagen sollen? Zum wiederholten Male ärgerte er sich darüber, dass er seine Kammer abgegeben hatte. Das war ein Fehler gewesen. Jetzt musste er sich mit dem spanischen Weibsbild herumärgern oder in der Bibliothek übernachten. An diesen Tag zog er die zweite Variante vor.

Der Löwe aus Mitternacht. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 5

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