Читать книгу Der Löwe aus Mitternacht. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 5 - Jörg Olbrich - Страница 11

Halberstadt, 27. Mai 1631

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»Du musst etwas essen«, sagte Anna Hagendorf und sah ihren Mann verzweifelt an.

»Ich kann nicht.« Der Söldner starrte auf das Stück Lammfleisch, das sein Weib auf ein Messer gespießt hatte und ihm vor das Gesicht hielt. Der Bratengeruch zog ihm in die Nase und er hatte das Gefühl, als würde sich jeden Moment sein Magen umdrehen. Hinzu kamen die Schmerzen, die seinen Körper bei jeder kleinsten Bewegung durchzogen und einfach nicht weniger werden wollten. »Nimm es weg«, sagte er schwach, doch Anna blieb stur.

»Nein. Du musst wieder zu Kräften kommen. Ich brauche dich.«

»Das tust du nicht. Ohne mich würde es dir viel besser ergehen.«

»Wage es nie wieder, mir so etwas zu sagen«, zischte Anna zornig und drückte ihrem Gemahl das Fleischstück gegen die Lippen. Der musste den Mund öffnen, wenn er von der Spitze des Messers nicht verletzt werden wollte. »Wir haben miteinander schon sehr schlimme Zeiten durchgestanden. Auch wenn du jetzt noch nicht weißt, wie es weitergehen soll, werden wir es auch dieses Mal schaffen. Das haben wir bisher immer.«

Peter Hagendorf bewunderte die Stärke seines Weibes. Trotz allem, was sie in den letzten Tagen durchmachen musste, schien sie fest entschlossen zu sein, weiter für eine bessere Zeit zu kämpfen. Er selbst hatte inzwischen alle Hoffnung verloren, dass diese jemals kommen würden.

Es war jetzt etwa eine Woche her, dass die Kaiserlichen Magdeburg mit Feuer und Schwert eingenommen hatten. Dabei waren große Teile der Stadt völlig zerstört worden. Die Söldner waren über die Bürger hergefallen und hatten geplündert, was nicht niet- und nagelfest war. Jeder wollte einen Teil der Beute abhaben und sich für die lange Zeit der Entbehrungen während der Belagerung entschädigen.

Auch Peter Hagendorf war fest entschlossen, für sich und seine kleine Familie einen Teil der Reichtümer zu bekommen, den es in Magdeburg zu rauben gab. Kaum einer der Soldaten im kaiserlichen Heer konnte mit dem geringen Sold, der noch dazu unregelmäßig ausgezahlt wurde, überleben. Daher waren sie darauf angewiesen, alle Möglichkeiten zum Plündern zu nutzen, wenn dies von ihrem Feldherrn gestattet wurde. In Magdeburg sollte das der Fall sein. Doch es war alles ganz anders gekommen.

Der Gefreite war mit seinen Männern in die Stadt eingedrungen und von den Bürgern, die sich verzweifelt gegen die Plünderer wehrten, mit Tongefäßen beworfen worden. Darin befanden sich ein weißes Pulver, das ihnen beim Einatmen die Kehle verätzte, und Eisenkrallen. Sie waren weitergelaufen und am Ende einer Straße auf einen Trupp Magdeburger Soldaten gestoßen, die sofort das Feuer eröffnet hatten. Peter war von einer Kugel in die rechte Achsel und von einer zweiten in den Bauch getroffen worden. In diesem Augenblick war er sich sicher gewesen, dass er Magdeburg nicht mehr lebend verlassen würde.

Seine Kameraden hatten ihn zurück ins Lager der Kaiserlichen gebracht, wo ihm ein Feldscher die Kugeln entfernte. Die Verwundungen waren so schwer, dass er sich nicht mehr an den Plünderungen beteiligen konnte. Anna war für ihn nach Magdeburg gegangen und hatte dort ein paar wenige Dinge erbeuten können, mit denen sie eine Weile zurechtkommen würden.

Gemeinsam mit etwa dreihundert anderen Verwundeten war Peter in ein Dorf nahe Halberstadt gebracht worden. Auf dem Weg dorthin starb ihre Tochter Elisabeth, die bereits vorher unter starkem Fieber gelitten hatte. Anna hatte ihrem Gemahl keine Vorwürfe gemacht, aber in den darauffolgenden Tagen nicht mehr gesprochen. In den Monaten zuvor hatte sie ihrem Mann mehrfach vorgeschlagen, die Armee zu verlassen, was der aber immer rigoros abgelehnt hatte. Jetzt schien sie ihren Lebenswillen zurückgewonnen zu haben. Im Gegensatz zu ihrem Mann.

Peter hatte überlebt, war aber noch immer so schwach, dass er sich nicht alleine auf den Beinen halten konnte. Zudem drohte ihn die Trauer um seine Tochter aufzufressen. Bisher hatte er mit Anna drei Kinder bekommen. Keines davon hatte überlebt.

»Du weißt genauso gut wie ich, dass wir nirgendwo anders hinkönnen«, sagte Anna, während Peter kaute und sich zwingen musste, das Stück Fleisch herunterzuschlucken. »Das hast du selbst mir immer wieder gesagt. Wir müssen bei der Armee bleiben. Dort musst du deinen Mann stehen. Das kannst du aber nur, wenn du wieder zu Kräften kommst. Ich werde nicht zulassen, dass du dich deinem Selbstmitleid ergibst.«

Anna zwang ihren Mann, noch drei weitere Stücke zu essen und setzte ihm danach einen Becher Wasser an den Mund. Als er getrunken hatte, ließ Peter seinen Kopf auf das Kissen sinken. Wenige Augenblicke später war er eingeschlafen.

Müde und verzweifelt betrachtete Anna Hagendorf ihren Gemahl. Auch sie selbst wäre am liebsten auf der Stelle gestorben, um damit diesem furchtbaren Leben ein Ende zu setzen. Peter gegenüber tat sie so, als wäre sie voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Innerlich fürchtete sie aber, dass es die für sie beide nicht geben konnte.

Obwohl der Feldscher ihr versichert hatte, dass Peter Glück gehabt hatte und die Verwundungen überleben würde, besserte sich sein Zustand nicht. Immer mehr gewann sie den Eindruck, dass er sich aufgegeben hatte und nicht mehr um sein Leben kämpfen wollte.

Anna wusste, wie viel Glück ihr Gemahl hatte, dass er überhaupt noch am Leben war. Bisher war Peter immer von schweren Verwundungen verschont geblieben. Beiden war aber bewusst gewesen, dass es jederzeit dazu kommen konnte. Jetzt brauchte der Söldner sein Weib. Sie musste für ihn stark sein und ihm helfen, wieder auf die Beine kommen. Die Zeit, in der sie um Elisabeth trauern konnte, würde kommen.

Der Löwe aus Mitternacht. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 5

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