Читать книгу Der Löwe aus Mitternacht. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 5 - Jörg Olbrich - Страница 5

Pommern, 8. November 1630

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»Irgendetwas stimmt in dieser Stadt nicht!«

»Was meinst du, Willow?«, fragte Major Monro zurück und schaute in die Straßen von Schivelbein, durch deren Stadttor sie gerade geritten waren. »Außer unserer Vorhut ist doch niemand hier.«

»Genau das ist es, was mich stört«, antwortete der Bursche. »Wo sind die Bürger? Wo die feindlichen Landsknechte? Niemand hat uns gehindert, die Stadt zu betreten.«

»Vermutlich haben sie Angst«, sagte Monro und lachte leise auf. »Es wird sich in Pommern herumgesprochen haben, dass mit dem schottischen Regiment nicht zu spaßen ist.« Der Major wusste selbst, dass die Bürger Schivelbeins vermutlich noch nie einen Schotten gesehen hatten, fand aber die Vorstellung erheiternd, dass ihm und seinen Kompanien der Ruf vorausgeeilt sein sollte.

Für den Major war es nicht das erste Mal, dass er sich auf einem Feldzug im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation befand. Bereits vor vier Jahren war er als Leutnant im schottischen Regiment von Oberst Mackay in Holstein gelandet. Damals hatten die Schotten im Dienste von König Christian IV. von Dänemark gekämpft. Trotz kleinerer Siege war es ihnen nie gelungen, im Reich von Kaiser Ferdinand II. Fuß zu fassen.

Nachdem der dänische König mit dem Habsburger drei Jahre später Frieden geschlossen hatte, war auch das schottische Regiment aufgelöst worden. Jetzt würde Monro seine Männer wieder auf deutschem Boden in die Schlacht führen. Der Feind war derselbe geblieben.

Im Februar dieses Jahres war Monro mit Oberst Mackay nach Schweden gereist, um König Gustav Adolf seine Dienste anzubieten. Da der gerade einen Feldzug gegen Ferdinand II. geplant hatte, hatte er das Angebot gerne angenommen und die schottischen Soldaten in mehreren Regimentern zusammengefasst.

Während Oberst Mackay den schwedischen König mit seinem Regiment bereits vor vier Monaten nach Usedom begleitet hatte, war Major Monro nach Preußen in die Stadt Pillau geschickt worden. Dort hatte er sechs Kompanien übernommen und sich vor einer Woche mit seinen Soldaten eingeschifft, um nach Pommern zu segeln.

Am dritten Tag war die Flotte, zu der neben den beiden Hauptschiffen noch zwei kleinere gehörten, auf denen die Pferde und das Gepäck untergebracht worden waren, in einen Sturm geraten. Die »Lilly Nichol« war leckgeschlagen und hatte es eben noch geschafft, zur Insel Bornholm in Dänemark zu gelangen. Nach einer notdürftigen Reparatur hatten sie frische Lebensmittel aufgenommen und waren in Richtung Wolgast in See gestochen. In einem erneuten Sturm hatte es das Schiff nicht geschafft, sich im heftigen Gegenwind von der Küste zu entfernen.

Monro und seine Truppen waren in der Nähe von Rügenwalde gestrandet und hatten die Stadt mithilfe eines Adeligen und des Hauptmannes der Schlosswache eingenommen, der sie heimlich in den Ort gebracht hatte.

Nachdem der schottische Offizier mit seinen Kompanien Rügenwalde sechs Wochen lang gehalten hatte, war ihm vom schwedischen Reichskanzler Axel Oxenstierna Hilfe durch Sir John Hepburn geschickt worden. Der schottische Oberst im Dienste Seiner Majestät Gustav Adolf von Schweden war mit seinem Regiment aus Preußen gekommen, um seine Landsleute zu befreien.

Von Sir Hepburn hatte Monro zunächst den Befehl bekommen, mit seinen Truppen nach Kolberg zu ziehen, um sich dem Geheiß des Generalmajors Dodo Freiherr zu Innhausen und Knyphausen zu unterstellen, der die dortige Festung der Kaiserlichen belagerte. Von ihm war er dann mit dem Auftrag nach Schivelbein geschickt worden, die Stadt zu besetzen und zumindest das Schloss um jeden Preis gegen einmarschierende kaiserliche Truppen zu verteidigen und zu halten.

»Wenn sie Angst haben, dann nicht vor uns«, sagte Willow und deutete auf eines der Häuser. »Seht Ihr das schwarze X neben der Tür? Hinter diesen Mauern lauert der Tod.«

»Du sprichst von der Pest?«

»Ja. Die Zeichen sind eindeutig. Ich bin überzeugt, dass wir überall in der Stadt Tote finden werden. Wir sollten so schnell wie möglich wieder von hier verschwinden.«

»Das kommt nicht infrage.« Monro sah den Burschen, der ihm in den vergangenen Jahren zu einem treuen Freund geworden war, kopfschüttelnd an. Der junge Mann hatte ihn bereits bei seinem Feldzug unter Christian IV. von Dänemark begleitet. Nachdem der Bursche damals seinen Freund Bryan in einer Schlacht verloren hatte, hatte sich Monro seiner angenommen, dafür gesorgt, dass er Lesen und Schreiben lernte und ihn zu seinem persönlichen Gehilfen gemacht. Im vergangenen Winter hatte Willow die Zeit in Kopenhagen genutzt und viel gelesen. Wenn er sagte, dass das Zeichen auf die Pest hindeutete, gab es keinen Grund, daran zu zweifeln. Dennoch wollte sich der Major davon nicht aufhalten lassen. »Ein schottischer Soldat flieht vor keiner Gefahr«, sagte er deshalb.

»Auch nicht vor der Pest?«

»Nein«, antwortete Monro entschlossen. »Wir haben den Auftrag, die Stadt einzunehmen und zu halten. Und genau das werden wir auch tun.«

Mittlerweile hatten auch die untergeordneten Offiziere das Stadttor passiert und scharten sich um den Major. Monro las den Gesichtern der Männer ab, dass es auch ihnen seltsam vorkam, wie ruhig es in Schivelbein war.

»Schickt eure Männer in jeden Winkel der Stadt und lasst alle Häuser durchsuchen«, befahl Monro mit fester Stimme. »Den Bürgern darf kein Leid geschehen. Sorgt dafür, dass unsere Männer in der Stadt Quartier finden.«

Die Offiziere nickten dem Major zu und machten sich daran, seinen Befehl in die Tat umzusetzen. Monro selbst ritt gemeinsam mit Willow und einem Dutzend Söldner weiter zum Schloss.

»Die Stadt wirkt wie ausgestorben«, wiederholte der Bursche seine Bedenken. »Ich sehe auch keine Kaiserlichen. Irgendetwas ist hier geschehen.«

»Die Bürger könnten geflohen sein«, vermutete Monro, der nicht glauben wollte, dass ganz Schivelbein von der Pest ausgerottet worden war. Auch innerhalb seiner Kompanie war es durch die Seuche schon zu einzelnen Todesfällen gekommen. Auf die leichte Schulter nahm er den Schwarzen Tod daher nicht. Es hätten aber viel mehr Tote in den Straßen liegen müssen, wenn es nur auf die Pest zurückzuführen war, dass sie keine Menschen sahen.

»Vielleicht finden wir die Antworten im Schloss«, sagte Willow, als sie sich dem prächtigen Gemäuer näherten, das allerdings von ihrem Standpunkt aus ebenfalls einen verlassenen Eindruck erweckte.

Je näher sie dem Ziel kamen, umso bedrückender wirkten die hohen Mauern auf Willow, der angespannt neben seinem Herrn ritt und stur nach vorne schaute. Die Häuser der Stadt hatten sie inzwischen passiert und immer noch keinen Menschen gesehen. Die Schreie aus den schmalen Gassen bewiesen aber, dass nicht alle Bürger tot oder geflohen waren.

Willow hoffte, dass sich die Söldner an seinen Befehl hielten und es nicht zu einem Blutbad kommen würde. Die allgegenwärtige Gefahr, sich an der todbringenden Seuche anzustecken, würde die Männer den Einheimischen gegenüber extrem vorsichtig agieren lassen. Da konnte schon ein falscher Blick dafür sorgen, dass die Schwerter oder Musketen zum Einsatz kamen.

***

Das Schloss fanden Monro und seine Männer bis auf ein paar wenige Bedienstete, die sofort Reißaus nahmen, als sie die Söldner sahen, leer vor. Die Offiziere meldeten dem Major später, dass auch die Stadt fast vollständig verlassen war. Lediglich ein paar Alte und Kranke hielten sich in den Häusern auf. Diese berichteten, dass etwa fünfzig Bürger Schivelbeins an der Pest gestorben waren. Die Restlichen seien geflohen.

Monro befahl seinen Männern, die Kompanien in der Stadt zu verteilen und dort Quartier zu nehmen. Dann legte er die Wacheinteilung fest und ließ Schloss und Stadtmauer besetzen. Erst als er sicher war, dass alles den von ihm gewünschten Gang nahm, machte er sich mit Willow auf den Weg, Schivelbein weiter zu inspizieren. Er wollte sich später nicht vorwerfen lassen, nicht alles für die Verteidigung der Stadt getan zu haben.

Die Schäden an der Stadtmauer stellten sich als deutlich größer heraus, als es der Major zunächst vermutet hatte. Steine waren herausgebrochen, und es gab vier größere Löcher, durch die man mühelos nach Schivelbein gelangen konnte. Einige Balken an den Wehrgängen waren zerbrochen, sodass die Bohlen wahrscheinlich herunterkrachen würden, wenn man sie betrat.

Monro wies Willow an, alle Schäden, die es zu beseitigen galt, schriftlich festzuhalten. Bereits nach wenigen Minuten war ihm klar, dass er diese Arbeiten nicht von seinen Soldaten verrichten lassen konnte. Daher schickte er Boten zu den Bauern der Umgebung und befahl ihnen, am nächsten Tag mit Schaufeln und Spaten in die Stadt zu kommen, um die Befestigungsanlagen instand zu setzen.

Als der Major ins Schloss zurückkehrte, wurde ihm der Amtmann, der sich bei der Ankunft der Schotten versteckt gehalten hatte, vorgeführt. Von ihm erfuhr Monro, dass die Stadt bis vor wenigen Stunden noch von zwei schwedischen Reiterabteilungen besetzt gewesen war. Als diese aber gehört hatten, dass sich der Feind bereits auf dem Weg nach Schivelbein befand, waren sie geflohen, um sich mit ihrem Generalleutnant Wolf Heinrich von Baudissin zu vereinigen.

»Wir werden das Schloss halten«, versicherte Monro dem Amtmann. »Wir dienen demselben Herrn wie die Schweden, sind aber nicht so feige wie sie. Holt die Dienerschaft zurück an die Arbeit und kümmert Euch um alle anfallenden Tätigkeiten im Schloss.«

Als am Abend die ersten Späher zurückkehrten und berichteten, dass die feindlichen Truppen nur noch drei Tage entfernt waren, wusste er, dass ihn Sir John Hepburn vor eine fast unlösbare Aufgabe gestellt hatte. Wer aber sollte dem kaiserlichen Angriff trotzen, wenn nicht seine schottischen Söldner?

***

»Feuer!«, schrie Monro und hielt sich die Ohren zu, um dem bevorstehenden Lärm zu entgehen.

Keine Sekunde später krachten die beiden Geschütze los und schickten ihre tödliche Ladung den kaiserlichen Truppen entgegen, die mit einem ganzen Heer auf Schivelbein zuströmten. Monro schätzte die Zahl der Angreifer auf etwa achttausend, was bedeutete, dass ihnen der Feind sechzehn zu eins überlegen war. Ein Kampf gegen diese Übermacht schien aussichtslos. Dennoch würde der Major ihn bis zum letzten Mann führen.

Während seine Männer die Geschütze nachluden, schaute Monro durch die sich langsam lichtenden Rauchschwaden zu der feindlichen Reiterei. Die Geschütze hatten zwei der Kaiserlichen von ihren Pferden gerissen. Der Rest des Heeres brachte sich hastig außer Reichweite und stellte sich in Schlachtordnung auf. Der gegnerische Kommandant wusste nun, dass er die Stadt nicht kampflos würde einnehmen können.

»Egal, was passiert, wir werden dem Feind standhalten«, rief der Major und bekam bestätigende Schreie zur Antwort. Er wusste, dass er sich voll auf seine Männer verlassen konnte. Jeder von ihnen würde bis zum letzten Blutstropfen kämpfen.

Als sich die Kaiserlichen gesammelt hatten, schickten sie einen Trompeter auf die Mauern der Stadt zu.

»Nicht schießen«, befahl Monro.

»Wollt Ihr etwa verhandeln?«

»Nein, Willow. Ich will aber hören, was er zu sagen hat.« Innerlich war der Major keinesfalls so ruhig, wie er sich seinen Männern gegenüber gab. Der Angriff der Kaiserlichen hätte keine Stunde früher erfolgen dürfen. Die nötigsten Arbeiten waren getan. Dennoch war die Befestigung der Stadt nach wie vor in einem erbärmlichen Zustand.

Die Bauern aus der Umgebung waren seinem Aufruf gefolgt und nach Schivelbein gekommen. Als sie sahen, wie grausam die Pest dort gewütet hatte, wollten sie sofort umkehren. Erst als Monro ihnen gedroht hatte, jeden Flüchtenden auf der Stelle erschießen zu lassen, hatten sie mit der Arbeit begonnen.

In den vergangenen drei Tagen hatten sie Erdwälle ausgehoben, brusthohe Palisadenwälle errichtet und die Tore Schivelbeins mit Gerümpel blockiert. Eine längere Belagerung würde die Stadt kaum aushalten können. Sie war nun aber zumindest so weit gesichert, dass sie den Feind eine Zeit lang aufhalten konnten.

Monro dachte an den Befehl, den er vom Freiherr von Knyphausen erhalten hatte, und den er um jeden Preis befolgen wollte. Behauptet die Stadt, bis Ihr den Feind nicht mehr zurückdrängen könnt, aber gebt nicht das Schloss auf, solange auch nur ein einzelner Mann mit Euch ist.

»Der Graf von Montecuccoli bietet Euch ein Abkommen an«, rief der Trompeter dem Major auf der Brüstung zu. »Legt Eure Waffen nieder und übergebt uns die Stadt. Dann werden wir Euch in Frieden abziehen lassen.«

»Das Wort Abkommen kommt in meinen Befehlen nicht vor«, rief Monro zurück. »Richtet Eurem Grafen aus, dass wir genug Pulver und Blei haben, um ihm damit aufzuwarten.« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, nahm der Major von Willow eine Muskete entgegen und schoss dem Trompeter eine Kugel vor die Füße, sodass der erschrocken zurückwich.

»Ihr werdet diese Entscheidung noch bitter bereuen und den Grafen um Gnade anflehen wie ein winselnder Hund. Ich denke nicht, dass er sie Euch dann noch gewähren wird.«

»Noch ein Wort und Ihr werdet keine Gelegenheit mehr haben, mit ihm zu sprechen.« Wieder legte der Major die Muskete auf den Trompeter an. Dieses Mal wartete er allerdings noch mit dem Schuss.

Der Bote drehte sich hastig um und rannte zurück zu seinem Befehlshaber. Die Männer um Monro herum brachen in schallendes Gelächter aus, und auch der Major konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Damit war das Vorgeplänkel beendet. Schon bald würde es zu einem Angriff der Kaiserlichen kommen.

Etwa einhundertfünfzig Musketiere rückten nun auf das Tor zu. Während Monro den Feuerbefehl an die Geschütze gab, beobachtete er aus den Augenwinkeln, dass der Feind weitere Angriffe an verschiedenen Punkten der Stadtbefestigung vorbereitete. Er selbst musste sich auf wenige Verteidigungspunkte konzentrieren und konnte den Feind nicht an allen Stellen abwehren. Die Entscheidung dieses Gefechts würde am Schloss fallen.

»Schießt die Kerle über den Haufen«, rief Monro, als das Getöse der Geschütze abgeklungen war, und richtete seine eigene Muskete gegen die Angreifer.

Der ersten Salve der Verteidiger hatten die Kaiserlichen nichts entgegenzusetzen. Mehr als dreißig von ihnen gingen getroffen zu Boden. Während die Schotten nun aber nachladen mussten, richteten sie ihre eigenen Waffen gegen die Tore der Stadt.

Inzwischen waren Monros Männern wieder schussbereit. Es gelang ihnen, aus der Deckung heraus weitere Feinde zur Strecke zu bringen. Dennoch konnten sie nicht verhindern, dass ein Großteil der Kaiserlichen das Tor stürmte und es regelrecht aus den Angeln riss.

»Zieht Euch in die Straßen zurück«, befahl Monro, dem bereits zu Beginn des Angriffs klar gewesen war, dass die Stadtmauer schnell fallen würde. Er hatte etwa die Hälfte seiner Männer in den Häusern verteilt, damit sie den Feind unter Beschuss nehmen konnten, wenn er das Tor passierte.

Die Schreie der Verwundeten mischten sich in das Getöse aus den Musketen. Überall roch es nach Rauch, Schwefel und Blut. Monro hatte den Männern in den Häusern befohlen, sich zum Schloss zurückzuziehen, sobald sie die erste Salve auf den Feind abgefeuert hatten. Der Rauch aus den Musketen sollte sie vor den Schüssen der Kaiserlichen schützen. Er selbst rannte mit den Söldnern, welche die Stadtmauer verteidigt hatten, nun ebenfalls in Richtung Schloss. Dort angekommen, bestieg er den Turm und musste mitansehen, wie die Kaiserlichen ihre Geschütze nach Schivelbein fuhren. Viele der Angreifer fielen unter den Schüssen der Verteidiger. Für jeden Soldaten, der von einer Kugel getroffen wurde, rückte aber ein neuer nach. Die Schotten konnten nicht verhindern, dass die Kanonen auf dem Markplatz in Stellung gebracht wurden.

Bevor Graf von Montecuccoli den Befehl gab, die Kanonen abzufeuern, schickte er erneut einen Trommler, um mit Monro zu verhandeln.

»Wir geben Euch noch einmal die Möglichkeit, das Schloss zu übergeben. Tut Ihr dies nicht, haben Eure Männer keine Gnade mehr zu erwarten.«

»Ich habe Euch bereits gesagt, dass es nicht meinem Befehl entspricht, mit dem Feind zu verhandeln«, antwortete Monro spöttisch. »Daran hat sich nichts geändert.«

»Dann ist Euer Schicksal hiermit besiegelt.«

»Das werden wir noch sehen«, sagte Monro zu seinen Männern, nachdem sich der Trompeter abgewandt hatte. »Setzt die Stadt in Flammen.«

Der Amtmann, der dem schottischen Offizier nachgeeilt war, als dieser den Turm hinaufgestürmt war, sah Monro entgeistert an, wagte es aber nicht zu widersprechen. Das Entsetzen in seinem Gesicht machte allerdings jedes Wort überflüssig.

Die Soldaten warfen gefüllte Töpfe mit brennendem Öl auf die Straße, schafften es aber nicht, diese bis zu den Häusern zu schleudern. Obwohl es seit Tagen nicht geregnet hatte, richteten sie damit keinen nennenswerten Schaden an. Ärgerlich musste Monro miterleben, wie die Flammen immer kleiner wurden und schließlich erloschen.

»Wenn uns nicht bald etwas einfällt, wird uns der Feind überrennen«, stellte Willow mit entsetztem Blick fest.

»Das wird nicht geschehen«, entgegnete Monro. Er rief einen der kräftigsten Söldner zu sich und gab ihm ein mit Stroh gefülltes Drahtgestell, das an einer Kette befestigt war, und entzündete es. Der Mann wartete, bis das Feuer die komplette Kugel umfasste, schleuderte sie ein paarmal durch die Luft und ließ sie auf eines der Dächer zufliegen.

Gebannt beobachteten die Schotten den Flug des Geschosses und schrien begeistert auf, als es auf dem Reetdach landete und sofort Feuer fing.

Durch den Herbstwind angefacht, breitete sich das Feuer schnell aus, und es dauerte nur wenige Augenblicke, bis auch das Nachbarhaus in Flammen stand.

Noch bevor die Kaiserlichen die erste Salve aus den Geschützen abgeben konnten, wurde ihnen die Lage im wahrsten Sinne des Wortes zu brenzlig. Zudem eröffneten die Schotten nun das Feuer aus ihren Musketen und töteten die Soldaten an den Kanonen.

Graf von Montecuccoli erkannte schnell, dass er den Verteidigern so nicht beikommen konnte und befahl seinen Männern den Rückzug.

Monro beobachtete zufrieden, wie die Kaiserlichen vom Schloss abrückten und sich in sicherer Entfernung zwischen den Häusern verschanzten. Ihm und seinen Männern war das unmöglich Erscheinende gelungen.

***

»Ihr wollt tatsächlich einen Ausfall wagen?« Willow sah seinen Major an, als hätte der ihm gerade gesagt, er wolle zur Küste laufen und nach Schottland zurückschwimmen.

»Damit wird dieser Graf am wenigsten rechnen«, antwortete Monro lächelnd. »Die Überraschung liegt auf unserer Seite. Wir müssen die Kaiserlichen aus Schivelbein vertreiben. Nur so können wir einen erneuten Angriff auf das Schloss verhindern.«

»Muss es aber unbedingt sein, dass Ihr den Ausfall selbst anführt?«

»Ja, Willow, wie könnte ich dies von meinen Männern verlangen, während ich mich feige in der Sicherheit des Schlosses versteckt halte. Ich verstehe deine Zweifel, junger Freund. Sei aber unbesorgt. Noch bevor die Sonne aufgeht, werde ich zurück sein.«

»Und wenn nicht?«

»Dann bleibt euch nur noch das Gebet.«

Major Monro baute darauf, dass zu dieser frühen Morgenstunde die meisten der Kaiserlichen noch schliefen. Immerhin hatten sie nicht nur die Gefechte des Vortages in den Knochen, sondern auch den langen Marsch, der sie nach Schivelbein geführt hatte. Der Feind würde immer stärker werden, je länger die Belagerung andauerte.

Für seine Mission hatte der Major achtzig Musketiere ausgewählt und ihnen eingebläut, dass sie sich so lange wie möglich ruhig verhalten mussten. Erst wenn die Kaiserlichen auf sie aufmerksam wurden, wollte er das Feuer eröffnen.

Monro führte seine Truppe zwischen den noch immer schwelenden Trümmern der Häuser in der Nähe des Schlosses vorbei. Von der Ruhe, die sich wie eine Glocke über die Stadt gelegt hatte, ließ er sich nicht täuschen. Auch wenn der Feind müde war, hatten die Soldaten sicher Wachen aufgestellt, die das Schloss beobachteten.

Im Schatten der noch stehenden Häuser gelangten die Schotten schließlich in die Nähe der Stadtmauer. Plötzlich kam ein Kaiserlicher um die Ecke und starrte die Söldner überrascht an. Monro reagierte augenblicklich und stieß dem Mann seinen Dolch in den Hals. Der Warnschrei des Feindes ging in einem Gurgeln unter. Der Major fing den Toten auf und legte ihn langsam auf dem Boden ab.

»Leise«, wies Monro seine Männer an und lauschte auf Geräusche aus dem gegnerischen Lager. Als es nach fünfzehn Minuten noch immer ruhig blieb, erlaubte er es sich, kurz durchzuatmen. Dann führte er seine Einheit weiter.

Sie erreichten den Platz vor dem Stadttor und sahen die feindlichen Soldaten, die um mehrere Feuer herum auf dem Boden lagen. Plötzlich blies ein Trompeter ein Warnsignal.

»Schießt auf alles, was sich bewegt«, befahl Monro, ohne zu zögern. »Sobald die Musketen leer sind, ziehen wir uns zurück.«

Sekunden später krachten die Waffen und spien ihre tödliche Ladung gegen den Feind. Schreie erklangen, und diejenigen, die nicht von den Kugeln getroffen worden waren, liefen aufgeregt durcheinander.

»Zurück«, schrie Monro, nachdem die Söldner einen zweiten Schuss abgefeuert hatten.

Die Männer eilten in Richtung Schloss und liefen in eine Gruppe Kroaten hinein, die sich hinter ihrem Rücken in den Häusern verschanzt hatte. Weil die Männer ihre Musketen nicht hatten nachladen können, mussten sie den Kampf mit Messern und Schwertern führen. Ihre Übermacht war aber groß genug, um den Feind schnell zu überwinden und gefangen zu nehmen. Monro sprach im Geist ein kurzes Dankgebet, als er seine Einheit zurück hinter die Mauern des Schlosses führte, wo sie in Sicherheit waren. Der Ausfall hatte nicht länger als eine halbe Stunde gedauert und keinem schottischen Söldner das Leben gekostet.

Monros Hoffnung, Graf von Montecuccoli würde Schivelbein nun verlassen, erfüllte sich etwa zwei Stunden später. Der Offizier im Dienst des Kaisers schien eingesehen zu haben, dass ihn die Einnahme der Stadt zu hohe Verluste einbringen würde und zog sich mit seinen Truppen zurück. Monro bestimmte achtzehn seiner besten Dragoner und befahl ihnen, den Feind zu verfolgen und ihm Kunde darüber zu bringen, welchen Weg sie verfolgten.

***

»Bleibt dicht zusammen und schützt Euch gegenseitig«, zischte Sir John Hepburn seinen Männern zu. Er richtete seine Muskete in die neblige Nacht, konnte aber keinen der Feinde ausmachen. Dennoch war sich der Oberst sicher, dass sie in der Nähe lauerten und nur darauf warteten, seine Einheit zusammenzuschießen.

Kundschafter hatten dem Freiherr zu Knyphausen berichtet, dass ein Heer von etwa siebentausend Kaiserlichen in das noch immer belagerte Kolberg unterwegs war, um die dort Eingeschlossenen zu unterstützen. Die Zusammenkunft der beiden feindlichen Einheiten wollte der Heerführer unbedingt verhindern. Aus diesem Grund hatte er Sir Hepburn von Rügenwalde abkommandiert und ihm befohlen, den Feind aufzuhalten.

Neben den schottischen Kompanien hatte sich auch Graf von Thurn mit rund viertausend schwedischen Söldnern den Kaiserlichen entgegengestellt. Zum Ärger des schottischen Obersts hatte der Böhme aber die Flucht ergriffen, noch bevor der erste Schuss gefallen war. In einer kleinen Ortschaft, deren Namen Sir Hepburn nicht kannte, war es nun zum Gefecht mit den Kaiserlichen gekommen.

Die fünfte Stunde des Tages war gerade angebrochen, als die ersten Feinde aufeinandertrafen. Wegen der schlechten Sicht bestand die Gefahr, dass die schottischen Musketiere ihre eigenen Kameraden trafen, die ähnliche Waffen und Rüstungen trugen wie die Kaiserlichen. Viele erhoben ihre Musketen deshalb als Keulen und prügelten damit auf die Feinde ein, die sich mit waagerecht gehaltenen Piken verteidigten.

Plötzlich tauchte einer der Kaiserlichen direkt vor Sir Hepburn auf. Zum Glück des Obersts war sein Feind genauso überrascht wie er selbst und schaffte es nicht mehr, mit seiner Waffe nach dem Schotten zu schlagen. Der feuerte blitzschnell seine Pistole ab. Die Kugel traf den Kaiserlichen oberhalb der Nase und schleuderte ihn nach hinten. Während der Körper langsam zu Boden ging, zog sich Sir Hepburn ein paar Schritte zurück. Wo einer dieser Kerle auftauchte, konnten genauso gut mehrere von ihnen lauern.

Der Oberst suchte nach einem seiner Männer, der bis vor wenigen Augenblicken noch neben ihm gestanden hatte, konnte aber im immer stärker werdenden Dunst nichts erkennen. In diesem Moment krachte es hinter ihm auf. Sekunden später hörte Sir Hepburn den Einschlag des Geschosses in eine Mauer. Er schaffte es gerade noch rechtzeitig, sich abzuducken, bevor die Trümmerteile über ihn hinwegflogen.

»Rückzug!«, schrie Sir Hepburn in die Dunkelheit und richtete alle seine Sinne darauf, seinen genauen Standort festzustellen. Es würde seinen sicheren Tod bedeuten, wenn er sich jetzt in die falsche Richtung bewegte. Endlich sah der Oberst vor sich drei seiner Männer, die ihn mit vorgestreckten Musketen erwarteten und erleichtert ihre Waffen senkten, als sie ihn erkannten.

»Wo ist der Trommler?« Die Söldner schüttelten nur den Kopf, und Sir Hepburn befahl ihnen, ihm zu folgen. Sie erreichten die Trümmer eines zerschossenen Hauses, dessen Ruine fest in schottischer Hand war. Der Oberst erlaubte sich aber keine Sekunde der Unsicherheit, bis er mit seiner Einheit die Straße nach Kolberg erreichte. Mittlerweile hatte sich der Großteil seines Regimentes dort versammelt. Er befahl ihnen, Stellung zu beziehen, und keinen einzigen ihrer Feinde durchzulassen.

Auch die kaiserlichen Offiziere schienen nun eingesehen zu haben, dass ein weiterer Versuch, Kolberg zu erreichen, bei diesen Sichtverhältnissen nicht gelingen konnte. Es wurde ruhiger und als am Morgen die Sonne aufging und der Nebel die Sicht auf die Leichen freigab, hatte sich der Feind aus dem Staub gemacht.

Sir Hepburn war geschockt, als er sah, wie viele seiner Männer gefallen waren. Der Rückzug des Grafen von Thurn hatte das Kräfteverhältnis zugunsten der Kaiserlichen verändert. Er nahm sich vor, zu einem späteren Zeitpunkt ein ernstes Wort mit dem Offizier zu wechseln.

***

Als die Dragoner zu Monro nach Schivelbein zurückkehrten, führten sie zwei Gefangene mit sich, denen die Hände auf dem Rücken gefesselt waren. Im Schloss wurden die Späher vom Major bereits sehnsüchtig erwartet. Die Schotten hatten in der Nacht die Schüsse aus Musketen und Kanonen gehört und dafür gebetet, dass es ihre eigenen Kameraden sein würden, die siegreich aus der Schlacht hervorgingen.

»Was ist mit den beiden?«, fragte Monro und deutete auf die Gefangenen.

»Sie stammen aus dem Regiment von Graf von Baudissin und wurden vom Grafen von Thurn befehligt«, erklärte der führende Offizier der Dragoner. »Wir haben sie unterwegs aufgegriffen. Sie behaupten, dass das schwedische Heer geschlagen und aufgerieben worden sei.«

»Könnt Ihr das bestätigen?«, fragte Monro.

»Nein«, entgegnete der Offizier. »Die Schlacht fand kurz vor Kolberg statt. Als der Feind plötzlich auf uns zukam, sind wir im Galopp hierher zurückgekehrt, um Euch zu warnen.«

»Ich verstehe«, sagte Monro und runzelte nachdenklich die Stirn. »Sperrt die beiden ein. Wir kümmern uns später um sie.« Der Major vermutete, dass die Männer fahnenflüchtig waren und sich nun mit einer Lüge vor dem Galgen bewahren wollten. Jetzt war aber nicht der richtige Zeitpunkt, um über das weitere Schicksal der beiden Söldner zu befinden.

Wenn Graf von Montecuccoli und seine Truppen tatsächlich nach einem Sieg gegen die Schweden auf dem Rückweg nach Schivelbein waren, um den Feind endgültig zu vertreiben, würde er dieses Mal nicht eher aufgeben, bis er die Stadt dem Erdboden gleichgemacht hatte.

Zu Monros Überraschung berichteten die Späher aber kurze Zeit später, dass die Kaiserlichen mehr als einen Kilometer von ihnen entfernt an der Stadt vorbeigezogen und keinerlei Anzeichen für einen Angriff zu erkennen waren.

Am nächsten Tag kam ein Bote von Feldmarschall Horn, der Monro mitteilte, dass König Gustav Adolf seine Truppen in Stettin sammelte.

Als der Major den schottischen Söldnern berichtete, dass sie sich nun mit den anderen Einheiten sammeln und ins Winterquartier ziehen würden, war die Erleichterung groß. Monro ließ die beiden Fahnenflüchtigen in Ketten legen und führte seine Truppen in Richtung Greifenhagen, wo er sich mit Feldmarschall Horn treffen sollte.

Der Löwe aus Mitternacht. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 5

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