Читать книгу Der Löwe aus Mitternacht. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 5 - Jörg Olbrich - Страница 6

Friedland, 12. Januar 1631

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»Da bist du ja.«

Albrecht von Wallenstein fuhr hoch, rammte mit dem Knie die Unterseite seiner Schreibtischplatte und stieß einen schmerzerfüllten Fluch aus. Er drehte sich um und sah seine Gemahlin direkt neben dem Stuhl stehen. Er hatte nicht bemerkt, wie sie in den Raum gekommen war.

»Was soll das?«, schrie er auf, schaffte es aber im letzten Moment, sich einen zornigen Fluch zu verkneifen. »Warum erschreckst du mich so?«

»Ich habe dich überall gesucht. Hast du mich nicht gehört?«

»Das habe ich tatsächlich nicht«, gab von Wallenstein zu. Er stand auf und umarmte Isabella liebevoll. »Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht anschreien. Ich habe mich nur erschreckt.«

»Was hast du denn hier drin gemacht?« Isabella schaute sich neugierig im Raum um. Es kam nicht oft vor, dass sie ihren Gemahl hier aufsuchte.

»Im Grunde genommen gar nichts.« Von Wallenstein wollte nicht zugeben, dass er tatsächlich nicht sagen konnte, womit er gerade beschäftigt gewesen war. In den vergangenen Tagen hatte er sich immer wieder dabei ertappt, dass er einfach nur dasaß und ins Leere starrte. Isabella sollte sich nicht unnötig um ihn sorgen. Deshalb wich er dem Thema aus, indem er seine Gemahlin fragte, warum sie überhaupt zu ihm gekommen war.

»Wir wollten den sonnigen Wintertag nutzen und gemeinsam einen Spaziergang machen. Das hast du hoffentlich nicht vergessen.«

»Natürlich habe ich das nicht«, sagte von Wallenstein schnell, als er den vorwurfsvollen Unterton in Isabellas Stimme erkannte. Er wollte sie nicht verärgern und griff nach seinem Mantel. »Du kommst gerade zur rechten Zeit. Etwas frische Luft kann jetzt nicht schaden.«

Isabella schaute ihren Gemahl verwundert an, sagte aber nichts. Die beiden verließen das Arbeitszimmer, gingen durch den breiten Flur und die Treppe nach unten und verließen das Schloss.

»Es ist wirklich ein sehr schöner Tag«, sagte Isabella glücklich und schirmte mit der Hand die Augen gegen die Sonnenstrahlen ab. »Es wäre eine Schande, hättest du ihn komplett an deinem Schreibtisch verbracht.«

»Da hast du recht, meine Liebe.«

Tatsächlich merkte von Wallenstein, wie gut ihm die kalte Luft tat. Der Anblick, der sich ihm bot, war überwältigend. Vor ihnen lagen die schneebedeckten Felder, und in der Ferne konnte er die Wälder sehen. Auch die Pferde auf der Weide schienen die Sonne zu genießen. Er nahm sich vor, ab jetzt täglich Spaziergänge mit Isabella zu unternehmen, wusste aber im selben Moment, dass er dies nicht tun würde. Auch heute hatte ihn seine Gemahlin lange dazu überreden müssen.

»Du solltest dir wirklich mehr Ruhe gönnen«, sagte Isabella vorwurfsvoll und hakte sich mit dem Arm am Ellenbogen ihres Gemahls ein. »Was treibst du denn den ganzen Tag in deiner Kammer?«

»Ich habe viel mit der Verwaltung der Güter zu tun«, sagte von Wallenstein ausweichend. Isabella hatte sich bisher nie um seine Geschäfte gekümmert, und dem Herzog von Friedland war es mehr als recht, wenn das auch so blieb. Sie sollte sich um das Personal kümmern und die wichtigen Dinge ihm überlassen.

In Wahrheit hatte der ehemalige Oberbefehlshaber der kaiserlichen Armee im Augenblick mehr Zeit, als er es sich gewünscht hätte. Er war es gewohnt, immer alle Hände voll zu tun zu haben, und der Müßiggang machte ihm zu schaffen. Es fiel ihm schwer, sich mit der für ihn neuen Situation abzufinden, die seine Entlassung aus der kaiserlichen Armee ihm gebracht hatte.

Als der Krieg vor einer gefühlten Ewigkeit damit begonnen hatte, dass die Protestanten in Prag zwei kaiserliche Statthalter und ihren Sekretär aus dem Fenster geworfen hatten, war von Wallenstein bereits in Diensten des Kaisers tätig gewesen.

Im Laufe der Jahre hatte er seinen Einfluss stetig erhöht und sich für Ferdinand II. zu einem unverzichtbaren Partner gemacht. Nachdem die Revolte mit der Schlacht am Weißen Berg niedergeschlagen worden war, hatte von Wallenstein weiter gegen die Feinde des Habsburgers gekämpft und sie besiegt. Weder Graf von Mansfeld noch dem tollen Halberstädter war es gelungen, sich gegen die übermächtige kaiserliche Armee unter von Wallenstein durchzusetzen. Auch der dänische König Christian IV. hatte klein beigeben müssen.

Ferdinand II. hatte schließlich tief in der Schuld von Albrecht von Wallenstein gestanden und ihn zum Ausgleich zum Herzog von Friedland ernannt. Später war er vom Kaiser sogar mit Mecklenburg belehnt worden. Seine Ansprüche auf dieses Gebiet konnte er jetzt aber nicht mehr durchsetzen.

In den Tagen und Wochen nach seiner Entlassung hatte er sich mit der Frage das Hirn zermartert, woran er gescheitert sein könnte. Schließlich war er zu der Erkenntnis gelangt, dass nicht er einen Fehler begangen hatte. Er war seinen Neidern zu mächtig geworden, und ihre Missgunst war in Hass umgeschlagen. Daraufhin forderten sie vom Kaiser seine Entlassung. Ferdinand II. hatte nicht die Macht besessen, sich gegen dieses Begehren aufzulehnen und letztlich nachgegeben.

»Du siehst krank aus«, bohrte Isabella weiter. »Du solltest die Zeit nutzen, um dich zu erholen. Seit du nach Gitschin zurückgekehrt bist, sehe ich dich kaum. Du bist bei mir und doch wieder nicht. Selbst als du noch im Dienst des Kaisers warst, hast du mir mehr Aufmerksamkeit geschenkt, wenn wir uns am gleichen Ort befanden.«

»Jetzt übertreibst du, meine Liebe.« Von Wallenstein merkte, dass es ihm nicht gelingen würde, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Wenn Isabella etwas loswerden wollte, konnte sie nichts und niemand davon abbringen. Wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, hatte sie noch nicht einmal Unrecht. Zugeben wollte er das aber nicht.

»Nein. Das tue ich nicht.«

»Was quält dich so sehr? Ist es der Zorn auf den Kaiser?«

»Warum sollte ich zornig auf Ferdinand II. sein?«, fragte von Wallenstein ehrlich verblüfft.

»Vielleicht, weil er dich entlassen hat.«

»Nein, Isabella. Natürlich hat der Kaiser das Schreiben unterzeichnet. Ich weiß aber sehr wohl, wem ich die Absetzung zu verdanken habe. Es waren die katholischen Kurfürsten, die Ferdinand II. zu diesem Schritt zwangen. Sie haben schon immer ihr eigenes Süppchen gekocht und versuchen, ihre Stellung im Reich zu festigen. Herzog Maximilian von Bayern ist der Schlimmste von Ihnen. Er versucht insgeheim, die deutschen Fürsten zu einen und sich von den Habsburgern abzuspalten. Die katholische Liga will die alleinige Befehlsgewalt über die Truppen. Nachdem Ferdinand II. Johann von Tilly jetzt zum General über sein Heer erklärt hat, ist es Maximilian von Bayern gelungen, dieses Ziel zu erreichen.«

»Das verstehe ich nicht«, warf Isabella ein. »Es sind doch immer noch die Truppen des Kaisers.«

»Das mag sein«, gab von Wallenstein zu. »General von Tilly wird aber nichts unternehmen, was seinem eigentlichen Herrn, dem Herzog von Bayern, schaden könnte. Schon gar nicht, ohne ihn vorher zu informieren.«

»Haben die Fürsten denn solch eine Macht?«

»Glaub mir, meine Liebe. Ferdinand II. trifft keine Schuld. Er wurde zu dieser Entscheidung gedrängt. Und genau wie alle anderen wird er sie noch bereuen.«

Für einen Moment war von Wallenstein erstaunt über seine eigenen Worte. Er war es nicht gewohnt, seine Gedanken so frei aussprechen zu können. Jetzt war er mit Isabella alleine. Seine Gemahlin verstand zwar nicht viel von Politik, sie würde ihn aber niemals verraten. Ganz egal, was er auch zu tun gedachte. Plötzlich fand es von Wallenstein mehr als befreiend, so ungezwungen mit Isabella reden zu können und er dachte wieder daran, in Zukunft möglichst oft Spaziergänge mit ihr zu unternehmen.

»Also denkst du doch an Rache?« Isabella blieb stehen und schaute ihren Gemahl herausfordernd an. Der begann schallend zu lachen.

»Ich habe nicht die Absicht, mich am Kaiser für irgendetwas zu rächen. Ich werfe ihm nichts vor. Und selbst wenn, müsste ich nichts weiter tun, als abzuwarten. Glaube mir, meine Liebe, Gustav Adolf von Schweden wird Ferdinand II. und den katholischen Fürsten mehr zusetzen, als ich es je könnte.«

»Hat er denn eine so große Armee?«

»Noch nicht, er wird sie aber bekommen. Wenn Ferdinand II. sich nicht bald zu einem Frieden mit den protestantischen Fürsten entschließt – und das kann er nicht – werden sie sich früher oder später mit dem schwedischen König verbünden. Es wird ein Heer entstehen, gegen das selbst der große Graf Johann von Tilly machtlos ist. Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Kaiser bei mir angekrochen kommt und mich um meine Hilfe anfleht.«

»Glaubst du wirklich, dass dies alles geschehen wird?« Isabella sah ihn unsicher an.

»Ich bin felsenfest davon überzeugt.«

Der Löwe aus Mitternacht. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 5

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