Читать книгу Der Löwe aus Mitternacht. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 5 - Jörg Olbrich - Страница 8

Preußen, 18. März 1631

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Axel Oxenstierna fiel es schwer, sich an dem kalten Märzmorgen auf seine Arbeit zu konzentrieren. Dabei hatte der Reichskanzler alle Hände voll zu tun. Er musste dringend ein Schreiben seines Königs Gustav Adolf beantworten, und auch mit den Verwaltungsarbeiten der schwedischen Güter in Preußen hing er hinterher.

Schon beim Aufstehen hatte er Kopfschmerzen und einen leichten Schwindel bemerkt. Beides war in den letzten beiden Stunden eher schlechter geworden. Außerdem fror er, obwohl es in seinem Amtszimmer dank des Ofens angenehm warm sein musste. Es wurde Zeit, dass Agneta endlich zu ihm kam und ihm eine warme Brühe brachte. An diesem Tag hatte er seine Bedienstete allerdings noch nicht gesehen. In den vergangenen Wochen hatte sie sich immer wieder verspätet und ihrem Herrn gegenüber verschlossen und verstockt verhalten. Das kannte der Reichskanzler nicht von seiner Bediensteten. Allmählich begann er, sich Sorgen um sie zu machen.

Oxenstierna musste sich zwingen, den Blick von den Schneeflocken, die vor seinem Fenster zu Boden tanzten, wieder zurück auf seine Dokumente zu lenken. So schwer ihm die Arbeit an diesem Tag auch fiel, er konnte es sich nicht leisten, sie zu vernachlässigen.

Noch immer gestaltete sich der Feldzug des schwedischen Königs im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation schwieriger als erwartet. Die Kurfürsten aus Brandenburg und Sachsen fanden immer neue Ausflüchte, ein schnelles Bündnis mit den Schweden zu verzögern. Außerdem fehlte es nach wie vor an Geld, die Truppen im Winterquartier ausreichend zu versorgen.

Die von Oxenstierna vermittelten Verhandlungen mit Frankreich brachten dagegen endlich den erwünschten Erfolg. Ende Januar war in Bärwalde in der Neumark eine Vereinbarung unterzeichnet worden, in der Frankreich dem schwedischen König für die nächsten sechs Jahre eine jährliche Zuwendung in Höhe von vierhunderttausend Reichstalern zusprach. Im Gegenzug hatte Gustav Adolf versichern müssen, dass er diese Mittel rein im Kampf gegen den Kaiser einsetzen würde.

Johann Georg von Sachsen hatte am 26. Februar in Leipzig einen Konvent der protestantischen Reichsstände einberufen, in dem über die Möglichkeiten der Beendigung des Krieges und die weiteren Maßnahmen verhandelt werden sollte. Nur durch seine guten politischen Beziehungen hatte Oxenstierna von diesem Treffen erfahren. Er hoffte darauf, dass die Kurfürsten dort endlich zur Erkenntnis kamen, dass sie den Pakt mit Schweden genauso dringend brauchten wie Gustav Adolf selbst.

Der König hatte in der Zwischenzeit Pommern weitgehend besetzt. Nach fast fünfmonatiger Belagerung war es endlich gelungen, die Kaiserlichen aus Kolberg zu vertreiben und die Stadt einzunehmen. In Mecklenburg, wo die schwedischen Truppen ebenfalls weiter vorgerückt waren, gab es dagegen weiterhin heftigen Widerstand.

Im Februar war es Gustav Adolf gelungen, die kaiserlichen Truppen in Neu-Brandenburg zu vertreiben, die Albrecht von Wallenstein im Jahr 1628 dort eingesetzt hatte. Das konnte General Graf Johann von Tilly, der nach Wallensteins Absetzung als Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen eingesetzt worden war, nicht hinnehmen und schlug erbittert zurück.

Die zweitausend schwedischen Söldner in den Mauern der Stadt hatten alles getan, um Neu-Brandenburg vor Tillys Truppen zu beschützen und sich mit dem Feind gnadenlose Kämpfe geliefert. Nach drei Tagen waren sie dann aber gegen die fast zehnfache Übermacht unterlegen und mussten sich ergeben.

Das Entsetzen des Reichskanzlers war endlos, als er hörte, wie grausam die Kaiserlichen dabei gegen Bürger und feindliche Soldaten vorgegangen waren: Die Gefallenen waren entblößt und mit Degen an die Erde gespießt worden. Danach hatten ihnen die Kaiserlichen mit Äxten und Beilen die Köpfe gespalten. Offizieren, auch solchen, die noch Lebenszeichen von sich gaben, war Pulver auf den Leib, unter die Arme und rings ihre Körper herum gestreut und angezündet worden.

Ein Teil der Bürger war in die Kirche geflohen. Die Soldaten des Grafen von Tilly waren ihnen gefolgt und hatten Soldaten wie Bürger niedergemetzelt. Frauen und Kinder waren misshandelt und anschließend getötet worden. Selbst vor dem Gotteshaus waren die Söldner nicht zurückgeschreckt und hatten es ausgeplündert.

Das Rauben und Morden hatte sich über die ganze Stadt erstreckt. Nichts und niemand war verschont worden. Erst als eine Feuersbrunst entstanden war, ließ von Tilly mit Trommelschlag für die Bürger und Soldaten Pardon ausrufen, wenn sie beim Löschen des Feuers behilflich wären.

Der schwedische Reichskanzler wusste, dass er den Grafen von Tilly auf keinen Fall unterschätzen durfte. Trotz seines hohen Alters war der »eiserne Mönch« Gustav Adolf ein ebenbürtiger Feind. Erschüttert war Oxenstierna aber darüber, dass der Feldherr seinen Mannen derartige Gräueltaten durchgehen ließ. Von den schwedischen Söldnern waren gerade einmal fünfzig gefangen genommen worden. Die anderen hatte man erschlagen.

Während Graf von Tilly selbst in Mecklenburg weilte, war dessen Feldherr von Arnim gegen Magdeburg gezogen. Die Lage in der Stadt wurde immer kritischer. Weil Gustav Adolf aber noch nicht über eine ausreichende Anzahl an Söldnern verfügte und er den Pakt mit den protestantischen Kurfürsten brauchte, fehlte ihm die Möglichkeit, seinen Bündnisgenossen schnelle Hilfe zu schicken.

Oxenstierna hatte seinem König geraten, über die Oder weiter nach Frankfurt zu ziehen, um Tillys Truppen dort zu binden. Viel mehr konnten sie augenblicklich nicht für die Verbündeten in Magdeburg tun. Der Reichskanzler hatte große Sorge, dass dies nicht ausreichen würde, um die Stadt zu retten.

Niedergeschlagen ließ Oxenstierna seine Schreibfeder sinken. Die Schmerzen in seinem Kopf waren weiter gewachsen und er entschloss sich, trotz des schlechten Wetters für einen Moment an die frische Luft zu gehen. Anschließend wollte er nach seiner Bediensteten suchen, die ihn selten so vernachlässigt hatte wie an diesem Tag.

Er öffnete die Tür und wäre beinah gegen Agneta gelaufen, die plötzlich mit tränenüberströmtem Gesicht vor ihm stand.

***

In einem ersten Impuls wollte Oxenstierna sie tröstend in den Arm nehmen, besann sich aber dann seines Standes und verzichtete darauf. »Was in Gottes Namen ist geschehen?«, fragte er besorgt und griff sie sanft an den Handgelenken.

Weil Agneta heftig zusammenzuckte und einen schmerzerfüllten Klagelaut ausstieß, ließ der Reichskanzler seine Bedienstete sofort wieder los. Er schaute in ihre Augen und erkannte, dass diese nicht nur voller Tränen sondern auch blutunterlaufen waren.

»Ich bin gekommen, um Euch zu bitten, mich aus Eurem Dienst zu entlassen«, sagte Agneta schluchzend.

»Das kommt nicht infrage«, antwortete Oxenstierna sofort. Er zwang sich, die Schmerzen in seinem Kopf zu unterdrücken. Hier stimmte so einiges nicht. Der Reichskanzler war fest entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. »Komm rein und schließe die Tür«, sagte er deshalb.

Agneta zögerte, und Oxenstierna sah ihr an, dass sie am liebsten davongerannt wäre. Warum hatte sie plötzlich so eine Angst vor ihm? Erst als er seine Aufforderung etwas schärfer wiederholte, folgte sie seiner Weisung und trat ein.

»Zeig mir deine Arme«, befahl der Reichskanzler, nachdem er die Tür geschlossen hatte. Ein schrecklicher Verdacht keimte in ihm auf, und er hoffte, dass sich dieser nicht bestätigen würde.

Agneta schüttelte zaghaft den Kopf. »Ich flehe Euch an, lasst mich gehen.«

»Nein. Ich will zuerst wissen, was mit dir geschehen ist. Krempelst du die Ärmel jetzt freiwillig hoch oder muss ich dich dazu zwingen?« Natürlich kam es dem Reichskanzler nicht in den Sinn, der Frau Gewalt anzutun. Er wollte sie aber auch nicht einfach so gehen lassen.

Während sie den Stoff ihres Kleides hochzog, blickte Agneta unterwürfig zu Boden. Voller Entsetzen starrte Oxenstierna auf die münzgroßen Brandwunden, die sich auf den vernarbten Armen verteilten. Seine Befürchtung war nicht nur bestätigt, sondern bei Weitem übertroffen worden.

»Zieh das Kleid aus«, befahl der Reichskanzler leise, weil er vermutete, dass die Verstümmelungen am Körper seiner Bediensteten noch weit umfangreicher sein würden.

»Bitte, Herr. Ich …«

»Sofort!«

Agneta schaute Oxenstierna traurig an, folgte seinem Befehl aber und ließ das Kleid zu Boden sinken, sodass sie mit freiem Oberkörper und nur noch im Unterrock vor ihm stand.

Der Reichskanzler schluckte und schwor sich in diesem Moment, den Kerl zu bestrafen, der seine Bedienstete derart misshandelt hatte. Ihm kamen die Berichte in den Sinn, die er über die Gräueltaten von Tillys Soldaten gelesen hatte. In seiner Stadt würde er Derartiges nicht ungestraft geschehen lassen.

Agnetas Brüste und ihr Bauch waren völlig vernarbt. An ihrem gesamten Oberkörper gab es keine Stelle, die von der Misshandlung verschont geblieben war. Auch die Beine sahen nicht besser aus. Frisch war aber lediglich der dicke Bluterguss, der fast die Hälfte der Innenseite ihres rechten Oberschenkels bedeckte.

»Wer hat dir das angetan?«, fragte Oxenstierna und musste sich beherrschen, seiner Stimme einen ruhigen Klang zu verleihen. Er wollte die Frau nicht weiter ängstigen. Sie hatte genug durchlitten.

»Ich bin selbst schuld«, begann Agneta weinerlich, wurde aber sofort vom Reichskanzler unterbrochen, der sich jetzt nicht mehr beherrschen konnte und mit scharfer Stimme sprach.

»Nein, das bist du nicht. War es dein Gemahl, der dich so zugerichtet hat?«

»Ja.« Agneta antwortete so leise, dass ihre Stimme kaum zu verstehen war.

»Das wird jetzt ein Ende haben«, sagte Oxenstierna entschlossen und deutete zum Sofa, auf dem er sich gerne niederließ, um seine Gedanken treiben zu lassen. »Zieh dich an, leg dich dorthin und warte, bis ich zurück bin. Ich werde mich um alles kümmern.«

Dieses Mal befolgte die Frau die Anweisung des Reichskanzlers ohne Widerrede. Ihrem Blick war anzusehen, dass sie dazu nicht mehr die Kraft besaß. Oxenstierna verspürte einen dicken Kloß im Hals. Er wollte nicht an das schreckliche Leid denken, das Agneta in den letzten Jahren durchlitten haben musste. Es grenzte an ein Wunder, dass sie dabei ihre Lebensfreude und Gutmütigkeit nicht verloren hatte. Kein Mensch hatte eine solche Behandlung verdient. Agneta aber ganz besonders nicht.

***

»Agneta, bist du das? Wo bleibst du so lange? Bring mir meinen Wein!«

»Das werde ich nicht tun«, schrie Axel Oxenstierna hinauf ins obere Stockwerk, von wo die Rufe gekommen waren.

»Was zum Teufel?«

Der Reichskanzler und die vier Wachen, die ihn zum Haus seiner Bediensteten und ihres Mannes begleitet hatten, hörten ein Poltern, und dann tauchte der Mann taumelnd auf der Treppe auf. Er trug lediglich eine verschmutzte Hose, seine Haare waren schweißverklebt, und Oxenstierna bildete sich ein, die Alkoholfahne, die aus dem Mund des Kerls drang, selbst auf die Entfernung riechen zu können. Du wirst nie wieder die Hand gegen dein Weib erheben.

»Was hat das zu bedeuten? Wo ist Agneta?«

»In Sicherheit«, antwortete der Reichskanzler zornig.

Der Mann torkelte zu einem Regal an der Wand, griff nach einem Messer und richtete es auf die ungebetenen Besucher. Er war völlig betrunken und schien den Ernst seiner Lage nicht zu erkennen.

»So ist’s recht«, sagte Oxenstierna mit scharfer Stimme. »Gib mir einen Grund, dich auf der Stelle erschießen zu lassen.«

»Was habt ihr in meinem Haus zu suchen?«, gab der Kerl zurück. Trotz seines Zustandes war er aber schlau genug, das Messer fallen zu lassen.

»Du wirst nie wieder die Hand gegen dein Weib erheben«, antwortete Oxenstierna und wandte sich dann an die Wachen. »Ergreift ihn und werft ihn in das dreckigste Loch, das Ihr in ganz Elbing finden könnt.«

Die Wachen gingen auf den Mann zu und packten ihn an den Armen, bevor er zu einer Gegenwehr fähig war. Sie banden ihm die Hände auf dem Rücken zusammen und legten ihm einen Strick um den Hals. Daran führten sie ihn ab wie einen räudigen Hund, was der Mann in Oxenstiernas Augen auch war.

Der Reichskanzler wartete ab, bis die Wachen mit dem Kerl verschwunden waren, und ging dann in das obere Stockwerk, um für Agneta ein paar Sachen zu packen. Er würde ihr ein Zimmer in seinem Amtssitz einrichten lassen, damit er sie unter ständiger Kontrolle halten und sie schützen konnte. Keine Sekunde länger sollte sie mit diesem Scheusal zusammenleben müssen.

Der widerliche Gestank hinderte ihn daran, das Schlafzimmer zu betreten. Lieber stattete er Agneta auf eigene Kosten neu aus, als auch nur einen Schritt in diesen Raum zu tun.

Als er das Haus verließ, freute er sich zum ersten Mal an diesem Tag über die Kälte und die frische Luft. Auf dem Weg zum Rathaus dachte er darüber nach, Agnetas Mann noch heute zum Tode verurteilen zu lassen, entschied dann aber, dass es eine größere Strafe für ihn war, ihn elendig in einer Zelle verrotten zu lassen.

Als das Rathaus in Sichtweite kam, stockte dem Reichskanzler erneut der Atem. Agneta stand auf dem Dach und hielt ihre Arme in die Luft gestreckt. Oxenstierna wollte ihr gerade den Befehl zuschreien, sofort zurück in sein Amtszimmer zu gehen, als sie sich einfach nach vorne fallen ließ und Sekunden später mit dem Kopf vor ihm auf dem Boden aufschlug.

Oxenstierna spürte den Druck in seinem Magen und schaffte es gerade noch rechtzeitig, den Kopf zur Seite zu drehen, bevor er sich krampfhaft übergab und erst aufhörte, als er bittere Gallenflüssigkeit auf der Zunge schmeckte.

Der Löwe aus Mitternacht. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 5

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