Читать книгу Der Löwe aus Mitternacht. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 5 - Jörg Olbrich - Страница 4

Preußen, 31. Oktober 1630

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… versichere ich Seiner Majestät, dass ich mein Möglichstes geben werde, meine Pflicht zu erfüllen und alles irgendwie Denkbare zu vollbringen.

Der schwedische Reichskanzler Axel Oxenstierna ließ den Brief an Gustav Adolf von Schweden sinken, den er gerade ein letztes Mal gelesen hatte, um sich von der Richtigkeit seiner Angaben zu überzeugen. Er war fest entschlossen, das Versprechen, das er seinem König am Ende seiner Zeilen gegeben hatte, auch in die Tat umzusetzen.

Bisher hatte sich Gustav Adolf immer auf seinen Reichskanzler verlassen können. Der hatte nicht die Absicht zuzulassen, dass sich das jetzt änderte. Leider hatte er im Augenblick keine Ideen, wie er dies bewerkstelligen sollte. Egal was er auch anpackte: Überall fehlten die nötigen Mittel.

Oxenstierna wischte sich den Schweiß von der Stirn. Obwohl draußen bereits die ersten Schneeflocken des Winters gefallen waren und er den Kamin in seinem Amtszimmer im Rathaus von Elbing nicht angefacht hatte, dachte er, innerlich zu glühen. Die stetig ansteigenden Sorgen schienen sich in seinem ganzen Körper einzubrennen.

Es verging kaum ein Tag, an dem der Reichskanzler nicht mindestens einen Brief an Gustav Adolf schrieb. Genauso oft brachten die Boten die Antworten des Königs. Oxenstierna grämte sich, dass er nicht persönlich bei Seiner Majestät verweilen konnte, sah aber ein, dass er Elbing nicht so einfach verlassen durfte.

Während des Kriegs mit dem polnischen König Sigismund hatten die Schweden vor etwa vier Jahren die Stadt in der Nähe der preußischen Ostseeküste eingenommen und besetzt. Der Reichskanzler war von Gustav Adolf zum Generalgouverneur der schwedischen Besitztümer in Preußen ernannt worden und seitdem bis auf wenige kürzere Reisen in Elbing geblieben. Von dort aus stand er im ständigen Briefwechsel mit seinem König und beriet ihn in allen politischen Fragen, so wie er es bereits seit Jahrzehnten getan hatte.

Die Probleme, die Oxenstierna aus dem Weg schaffen musste, waren seit der Landung des schwedischen Königs auf deutschem Boden immer größer geworden. Bereits vor einem Jahr hatte die schwedische Reichskammer ermittelt, dass ein Feldzug im Heiligen Römischen Reich fast zwei Millionen Reichstaler im Jahr verschlingen würde und ausdrücklich davor gewarnt.

Auch Oxenstierna selbst hatte damals einen ähnlich hohen Betrag ermittelt und vorausgesagt, dass für einen solchen Feldzug mindestens fünfundsiebzigtausend gut bewaffnete Söldner nötig wären. Weiterhin wurde noch mal ein Drittel dieser Männer zur Sicherung Schwedens und Finnlands benötigt. Oxenstierna hatte außerdem darauf bestanden, auch Preußen von einem Heer aus vierzehntausend Söldnern schützen zu lassen, damit die Polen davor abgeschreckt wurden, den sechsjährigen Waffenstillstand zu brechen.

Die jetzigen Berechnungen des Reichskanzlers bestätigten diese Zahl, und er wusste nicht, woher die nötigen Mittel kommen sollten. Ohne Bündnispartner waren die notwendigen Truppenstärken nicht zu erreichen. Dennoch war er nach wie vor der Ansicht, dass der Feldzug im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation sein musste, um Schwedens Machtposition in der Ostsee zu erhalten und zu stärken.

Nach dem Frieden mit Polen und Russland war der Kaiser nun der stärkste Widersacher der Schweden. Noch war der Habsburger damit beschäftigt, sein eigenes Reich unter Kontrolle zu bringen. Sobald ihm dies aber gelang, bestand die Gefahr, dass er sein Refugium der Macht ausdehnen würde. Um zu verhindern, dass Ferdinand II. den Krieg nach Schweden brachte, wollten König und Reichskanzler den Feind auf dessen eigenem Boden bekämpfen. Mit dieser Forderung konnten sie sich schließlich beim schwedischen Reichsrat durchsetzen.

Gustav Adolf und Oxenstierna hatten geplant, den Großteil der Kosten von den protestantischen Verbündeten im Reich decken zu lassen. Diese erwiesen sich aber als knauserig und stur. Die Fürsten verzögerten das Bündnis mit Schweden mit fadenscheinigen Ausreden und mussten zu ihrem Glück gezwungen werden. Gleichzeitig musste ihr Volk unter den kaiserlichen Armeen leiden, die marodierend durch ihre Gebiete zogen.

Dabei hatte Gustav Adolf den Fürsten auf Anraten Oxenstiernas unmissverständlich mitgeteilt, dass er das Land nicht erobern wolle, sondern einen Pakt mit ihnen anstrebe. Aus diesem Grund war den Söldnern im Dienste der Schweden das Plündern und Ausbeuten des Landes auch ausdrücklich und unter Androhung von Strafe verboten worden.

Besonders beeindruckt zeigten sich die Fürsten bisher nicht. Der schwedische Feldzug im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation war ins Stocken geraten, bevor er richtig begonnen hatte. Aus eigener Kraft konnte Gustav Adolf die benötigten Truppen weder beschaffen noch bezahlen.

Ein Klopfen an der Tür riss Oxenstierna aus seinen sorgenvollen Gedanken.

Der Reichskanzler murrte ein abwesendes »Herein« und schaute überrascht auf, als Agneta den Raum betrat. »Ich habe dich nicht gerufen«, sagte er zu der etwa dreißigjährigen blonden Frau, die für sein persönliches Wohlergehen verantwortlich war. In der Zeit in Elbing war ihm Agneta ans Herz gewachsen. Nichts schien die leicht stämmige Person aus der Ruhe bringen zu können. Sie hatte stets ein Lächeln im Gesicht, und wenn sie sprach, konnte man die Güte in ihrer Stimme nicht überhören. Dennoch mochte es Oxenstierna nicht, wenn er grundlos gestört wurde. Agneta wusste das.

»Ihr habt den ganzen Tag noch nichts gegessen. Es ist bald Abend.«

Oxenstierna wollte seine Bedienstete gerade anschreien, dass dies ja wohl seine Entscheidung war, wann er etwas zu sich nahm, als ein Blick auf die Standuhr ihm zeigte, dass der Nachmittag bereits weit fortgeschritten war. In einer Stunde würde es dunkel werden. Der Reichskanzler war so auf seine Arbeit konzentriert gewesen, dass er die Zeit vergessen hatte. Ein Ziehen im Magen bestätigte ihm, dass er tatsächlich etwas essen sollte.

»Du hast recht«, sagte Oxenstierna nun deutlich freundlicher. »Bring mir eine Suppe.«

Agneta nickte erleichtert, verschwand kurz aus dem Raum und kehrte dann mit einem dampfenden Teller und einem Viertel Laib Brot zurück.

Oxenstierna nickte seiner Bediensteten dankbar zu, als sie alles auf dem Tisch vor ihm abstellte und dabei darauf achtete, keines der Papiere zu berühren oder gar mit der Suppe zu beschmutzen.

Agneta verließ den Raum und Oxenstierna dachte daran, wie wenig er über sie wusste. Und das, obwohl sie bereits seit vier Jahren in seinem Dienst stand. In dieser Zeit hatte sie dem Reichskanzler jeden Wunsch erfüllt. Oft, ohne dass er ihn aussprechen musste.

Agneta war eine unscheinbare Person, die kaum auffiel, wenn sie durch Elbing schritt. Sie hatte ihre Haare stets unter einer Haube bedeckt, sodass kaum eine Strähne hervorschaute. Ihre Gewänder waren weit geschnitten und zeigten keinen Zentimeter Haut an Armen und Beinen. Die Falten in ihrem Gesicht zeigten, dass sie es in ihrem Leben nicht immer leicht gehabt hatte. Dennoch war sie eine der fürsorglichsten und gutmütigsten Frauen, die Oxenstierna je getroffen hatte.

Der Reichskanzler konnte nicht sagen, was genau ihn an dem Weib anzog. Als Dirne in einem Heerlager wäre sie sicher verhungert. Dennoch strömte sie eine unerklärliche Anziehungskraft auf Oxenstierna aus. Dieser würde er aber niemals nachgeben. So sehr er es auch tief in seinem Innern vielleicht wollte.

Während er die Suppe aß und hin und wieder ein Stück Brot abbiss, dachte der inzwischen fast Fünfzigjährige an seine Familie, die in Schweden auf ihn wartete. Sein Weib Anna hatte ihm zwei Söhne und zwei Töchter geschenkt. Erik, das Jüngste seiner Kinder, war gerade einmal sechs Jahre alt. Oxenstierna hatte ihn seit Jahren nicht mehr gesehen.

Immer öfter sehnte sich der schwedische Adelige nach Frau und Kindern. Besonders im Winter. Er durfte und wollte aber nicht zulassen, dass diese Gedanken seinen Geist zu sehr betrübten. Schon in jungen Jahren hatte Oxenstierna sein Leben dem Wohlergehen seines Landes verschrieben. Daran würde sich niemals etwas ändern.

Wieder war es Agneta, die den Reichskanzler aus den Gedanken riss. Dieses Mal kam sie zu ihm, um den leeren Teller abzuholen und ihrem Herrn eine Karaffe Wein zu bringen. Sie zündete zwei Kerzen an, damit er die Zahlen auf seinen Blättern besser erkennen konnte, und verließ lächelnd den Raum.

Als er wieder alleine war, lenkte Oxenstierna seine Gedanken zurück zu Gustav Adolf, dem Feldzug und den protestantischen Fürsten, die einfach nicht einsehen wollten, dass der schwedische König die einzige Hoffnung auf eine friedliche Zukunft war.

***

Auf den Befehl Oxenstiernas hin waren im Reich Flugblätter verteilt worden, durch die beim Volk dafür geworben wurde, bei den gemeinsamen Zielen mit den schwedischen Befreiern mitzuwirken. Gerade die Landbevölkerung hatte freudig und erleichtert auf die Landung Gustav Adolfs auf Usedom reagiert und jubelte dem König zu. Lediglich der Adel, und auf den kam es an, zeigte sich oft störrisch.

Nachdem Gustav Adolf bereits Mitte August einen entscheidenden Sieg über Wolgast errungen hatte und die Stadt besetzen konnte, hatte er seinem Reichskanzler in einem Schreiben versichert, nunmehr ein sicheres Fundament der pommerschen Expedition zu haben. Was brachte dies aber ein, wenn sie ihre Position im Reich nicht ausdehnen konnten?

Erste Verhandlungserfolge gab es dennoch zu vermelden: Magdeburg hatte sich bereits Anfang August dem schwedischen König angeschlossen und auch Hessen-Kassel stand kurz vor einem Bündnis mit Gustav Adolf.

Herzog Bogislaw XIV. hatte Anfang September ebenfalls einen Vertrag mit dem Befreier unterschrieben, nachdem er ihn unter sanfter Androhung von Gewalt dazu getrieben hatte. Dieser wurde als Defensivbündnis bezeichnet. Der Herzog behielt die zivile Verwaltung, das Land wurde aber von den Schweden besetzt.

Oxenstierna hatte darauf bestanden, dass ein Passus aufgenommen wurde, in dem die bereits vor einhundert Jahren in Grimnitz vertraglich festgelegte Erbfolgeregelung für das Herzogtum Pommern ausgesetzt worden war. Somit war den Schweden die Regierungsgewalt auch im Falle des Todes von Bogislaw XIV. sicher.

Schwierig gestalteten sich die Verhandlungen mit dem Rat der Stadt Stralsund. Und das, obwohl die Stadt bereits seit zwei Jahren unter schwedischer Besatzung stand. Der Reichskanzler erinnerte sich noch sehr gut an ellenlange Diskussionen, die er damals hatte führen müssen, als er persönlich in die Stadt gereist war. Stralsund hatte die hohen Geldforderungen des schwedischen Königs zurückgewiesen und nur einen geringen Anteil gezahlt. In seiner Not war Gustav Adolf selbst nach Stralsund gefahren und hatte dem Rat Güter in Pommern im Wert von einhunderttausend Reichstalern verkauft. Güter, die dem König von Schweden nicht gehörten.

Aus der Finanznot heraus hatte Gustav Adolf befohlen, nach Mecklenburg vorzurücken, wo man sich in feindlichem Gebiet die dortigen Besitztümer aneignen konnte. Dies brachte Erleichterung, reichte aber bei Weitem nicht aus.

Man konnte es drehen, wie man wollte: Ohne die Unterstützung der Kurfürsten aus Brandenburg und Sachsen würde Gustav Adolf seinen Feldzug nicht ausdehnen können. Die zeigten sich jedoch weiterhin zögerlich. Da half es auch nicht, dass Gustav Adolf seinem Schwager Georg Wilhelm in einem persönlichen Brief versichert hatte, nicht als Feind gelandet zu sein sondern als Freund, der die Räuber und Verderber des Reiches vertreiben wollte. Dem Kurfürsten von Brandenburg hatte dies aber nicht ausgereicht, um sich zu einem Bündnis zu bekennen.

Seine Verbindung nach Wien und zum Kaiser war trotz der gegensätzlichen Glaubensrichtung so stark, dass es Georg Wilhelm nicht wagte, sich auf die Seite des Schwagers zu schlagen. Aus ähnlichen Gründen zögerte auch Johann Georg von Sachsen. Der beschäftigte sich lieber mit der Jagd und dem Genuss von Bier, anstatt zu beobachten, wie dicht ihm der Habsburger bereits auf die Pelle gerückt war.

Ein Blick zum Mond, den er durch das Fenster sehen konnte, zeigte Oxenstierna, dass es inzwischen nach Mitternacht sein musste. Er verspürte leichten Hunger und das dringende Bedürfnis, sich zu erleichtern. Weil Agneta längst nach Hause zu ihrem Gemahl gegangen war, würde er sich wohl oder übel selbst etwas zu Essen besorgen müssen.

Der Löwe aus Mitternacht. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 5

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