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Eigentor (1979)
ОглавлениеAn: Ministerium für Kultus und Erziehungswesen
Referat IX b —
Terra-City
Verbund Besiedelter Welten
Von: Kommission für die Reform des Erziehungswesens
Der Sekretär für historische Studien –
Betr.: Vorschlag zur Textgestaltung des programmierten »Lehrbuchs zur Historie der Menschheit«.
Terra-City,
12. Tag im 9. Monat d. J. 1075
(neue Datierung)
In Ergänzung unseres Projektentwurfs zur Textgestaltung des programmierten »Lehrbuchs zur Historie der Menschheit« schlagen wir vor, den in Anlage als Kopie beigefügten Textauszug aus dem Tagebuch des cygnianischen Geschichtsschreibers Bythamele Ty Mnomeno in das o. a. Lehrbuch aufzunehmen.
Begründung:
Der vor ca. 200 Jahren verstorbene Cygnianer Mnomeno war der bislang bedeutendste Historiker seines Planeten. Sein Tagebuch galt lange Zeit als verschollen. Ein glücklicher Umstand ließ das auf einer Autografenauktion angebotene Dokument in den Besitz der »Kommission für die Reform des Erziehungswesens, Abteilung Historische Studien« gelangen.
Mnomenos Tagebuchauszug, der hiermit zur Aufnahme in das o. a. Lehrbuch vorgeschlagen wird, ist ein Dokument aus erster Hand und für einen gewissen Zeitraum unserer Geschichte von nicht unerheblicher Bedeutung. Der Text belegt das Schicksal unserer Expedition, die im Jahre 851 (neue Datierung) Cygni II befrieden und für menschliche Besiedlung öffnen sollte. Da damals die Gefahr bestand, dass das Capella-Reich ebenfalls Interesse an einer Kolonisierung des durch von Echsen abstammenden Intelligenzen nur spärlich besiedelten Planeten haben könnte, erfolgte das Unternehmen ohne große vorherige Erkundungsaktion. Man hielt die (recht spärlichen) Daten einer automatischen, unbemannten Sonde, die Cygni II mehrmals umkreist hatte, für ausreichend.
Die Expedition kehrte nie zurück. Spätere Untersuchungen (erst vor 100 Jahren gelang es, eine weitere Sonde auf dem Planeten zu landen und Messungen durchzuführen) ergaben einen erhöhten radioaktiven Strahlenbefall des ganzen Planeten. Man führte dies auf den Beschuss durch unsere Expeditionsflotte zurück. Die Wirren, die in den Jahren 859 bis 866 (nD) den Verbund Besiedelter Welten erschütterten und schließlich zur Eroberung des Capella-Reiches führten, ließen das Geschehen um Cygni II in Vergessenheit geraten. Neuerdings scheint der Planet wegen der erhöhten Strahlung sowieso nicht mehr zur Besiedlung geeignet zu sein.
Mnomenos Tagebuch erhellt das Schicksal jener Expedition. Wir halten den vorgelegten Auszug für geradezu beispielhaft und überaus geeignet, das historische Denken unserer Kinder zu formen, und bitten daher um Aufnahme in das o. a. Lehrbuch.
Dieser Antrag wurde von den Kommissionsmitgliedern gemeinsam formuliert und einstimmig gebilligt.
Kommission für die Reform des Erziehungswesens
Der Sekretär für historische Studien –
gez. S. R. Hoggins
(o. ö. Professor der Historie)
Erste Terranische Zentraluniversität
Anlage: Auszug aus dem Tagebuch des cygnianischen Historikers B. Ty Mnomeno.
ÜBERTRAGUNG DER HANDSCHRIFTLICHEN TAGEBUCHEINTRAGUNGEN VON BYTHAMELE TY MNOMENO (KOPIE DES COMPUTERS):
»Ganz plötzlich waren sie da.
Wenn auch mein Erinnerungsvermögen im Verlauf vieler Jahre nachgelassen hat, dieser Tag wird mir immer gegenwärtig bleiben. Es war strahlend schönes Wetter; die Zeit der Ernte stand vor der Tür. Wie gewöhnlich um diese Tageszeit – das Licht der Zweiten Periode begann am Horizont zu glühen – ging ich am nahegelegenen See spazieren. Ich begegnete niemandem, denn auch damals – wie heute – waren wir ein dünn besiedelter Planet, der dem Einzelnen genügend Raum zur persönlichen Entfaltung gewährt. Durch ein ungewöhnlich durchdringendes Aufblitzen im Gegenlicht wurde ich auf das Geschehen aufmerksam. SIE kamen. Nach einem Augenblick des Wartens sah ich eine ganze Flotte silberner Schiffe am Himmel über mir. Über der nahen Hauptstadt, in der ich damals noch meine Pflichtarbeitsstunden pro Dekade ableisten musste, verhielten die Schiffe – unbeweglich, drohend. Dann ging es los.
Tausende glitzernder Punkte lösten sich aus den Schiffsleibern und taumelten herab. Unübersehbare Mengen atomarer Sprengkörper, dazu bestimmt, unseren schönen Planeten zu versengen. In immer neuen Trauben sank die Vernichtung vom Himmel. Schon zischten die ersten Bomben in den See und ließen heiße, helle Dampfschwaden aufsteigen. Ich stand wie gelähmt. Das Unheil um mich her hatte mich handlungsunfähig gemacht. Ich beobachtete. An meinen eigenen Schutz dachte ich nicht. Durch eine glückliche Fügung kam ich unbeschadet davon – so kann ich als Chronist meiner Pflicht genügen.
Dann schaltete sich unsere Abwehr ein.
Die weitreichenden Geschütze und Energiebatterien holten sogleich Dutzende der silbernen Schiffe herunter. Die Formation geriet in Unordnung. Im Bestreben, dem konzentrierten Beschuss auszuweichen, wurden die Manöver der feindlichen Armada immer unkontrollierter. Schiffe stießen zusammen und stürzten trudelnd in dichten Knäueln ab. Schließlich wandte sich der Rest zur Flucht. Doch kein Schiff entkam. Unsere Abwehr leistete ganze Arbeit.
Aus den Trümmern der abgestürzten Maschinen aber, die zum Teil in unwegsamem Gelände niedergegangen waren, krochen die Überlebenden und flüchteten sich in die Wälder. Und wurden ihre eigenen Opfer.
Denn uns macht radioaktive Strahlung nichts aus. Im Gegenteil: Im Verlauf unserer sieben Entwicklungsphasen sind wir dringend auf sie angewiesen. So dringend, dass unsere Wissenschaftler bereits vor langen Jahren einen Schutzschirm errichtet haben, der das Entweichen der Strahlung in den Weltraum verhindert. Dieser Schutzschirm liegt weit heruntergezogen in der Atmosphäre, um eine Mindestkonzentration der Strahlung zu gewährleisten. Schade eigentlich, dass die feindlichen Schiffe nur Sprengkörper mit extrem kurzer Zerfallszeit einsetzten. Nun müssen wir wieder Mangel leiden.
Für die Angreifer aber wurde die Strahlung zum Verhängnis. Ihre Körper deformierten sich. Ihre Nachkommen glichen kaum noch den Eltern. Sie wurden zu Tieren. Heute noch ist eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen unserer Jugend in der zweiten Entwicklungsphase die Jagd auf die wilden Bestien, die sich einst ›Menschen‹ nannten.«
Kommission für die Reform des Erziehungswesens