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Das Maa-Dokument, Zweiter Teil
Оглавление»… haben sie Ta-u entseelt gebracht. Er ist in eine Felsspalte eingebrochen und tief gestürzt.
Ich weiß nicht, wie lange wir uns schon wieder gegen Süden schleppen. Es gibt Stimmen unter uns, die meinen, es wäre besser gewesen, im Norden umzukommen. Doch Bo-o treibt uns vorwärts. Es ist erstaunlich: Freimütig gibt unser Anführer zu, dass er sich geirrt hat, was die Überlebensmöglichkeiten hier im Norden angeht. Doch Ta-us Triumph hat nicht lange gedauert, nun ist er tot. Bo-o dagegen ergeht sich in Andeutungen; immer wieder betont er, im Süden warte die eigentliche Entscheidung auf uns, wichtiger als alles, was der Stamm bisher durchgemacht hat. Bo-o hat wieder einmal eine Idee, doch noch will er nichts davon verraten.
Wir sind nur noch insgesamt sechsundzwanzig Männer, Frauen und Kinder. Allmählich nähern wir uns wieder fruchtbaren Gefilden. Gestern gelang es unseren Jägern zum ersten Mal seit vielen Wochen, einen Wa-bo zu erlegen. Groß war die Freude, wir haben haltgemacht, um neue Kräfte zu sammeln. Das gibt Gelegenheit, diese Aufzeichnungen zu vervollständigen.
Es scheint, wir haben den kalten Norden überlebt, nur um hier auf den fruchtbaren Äckern unseres Heimatdorfes zu sterben. Es ist Bo-os Idee.
Kaum näherten wir uns wieder bekannten Tälern und Hügeln, da wuchs die Angst in uns vor der Roten Seuche. Je mehr Tage wir wieder zu Hause waren, umso größer wurde diese Angst. Apathisch saßen wir alle herum und warteten, dass die Krankheit uns packte. Es war Erntezeit, doch keiner dachte daran, die Früchte einzubringen oder für Mi-ra das Dankfest zu feiern.
Da trat Bo-o mit jenem Vorschlag unter uns, der uns entsetzte, der aber gleichzeitig uns allen in der Tat der einzige Ausweg zu sein scheint. Bo-o schlug vor, wir sollten uns freiwillig mit der Roten Seuche infizieren, denn ein solches Leben in Angst sei in Wahrheit kein Leben mehr. Und nur der könne in Zukunft ohne Furcht weiterleben, der die Krankheit überwunden habe. Was schade es, wenn ein großer Teil des Stammes an der Seuche sterbe, wenn nur einige wenige als Immune die Krankheit überlebten. Bo-o hat uns klar gemacht, dass auf diese Weise das Volk der Maa wieder eine Zukunft haben werde.
Und Bo-o hat recht. Denn schon mehren sich bei den restlichen Angehörigen des Stammes die Anzeichen des Wahnsinns, eines Wahnsinns, der seine Wurzeln in der erdrückenden Angst hat, die auf allen lastet. Natürlich gab es zuerst gegen Bo-os Idee Widerspruch, doch die meisten haben die Berechtigung seines Vorschlags rasch eingesehen. Die wenigen noch Entschlusskräftigen haben die Initiative ergriffen, morgen schicken wir drei unserer kräftigsten Jäger in die Nachbardörfer, um die Krankheit in unser Dorf zu schaffen …«
(Hier beginnt das letzte Blatt, in einer anderen Handschrift abgefasst. Hier wie auch auf den Blättern zuvor ist nicht vermerkt, wer diese chronikartigen Aufzeichnungen verfasst hat. H. P.)
»Bo-o ist tot. Heute Morgen erlag er der Roten Seuche. Zuletzt war sein Antlitz ganz mit jenen grässlichen Beulen übersät, die das Fleisch aushöhlen und zum Zusammenbruch führen. Bo-o starb, ein Lächeln auf den Lippen. Denn kurz zuvor haben wir ihn mit dem Ehrennamen ›Vater der Zukunft‹ geschmückt.
Es ist nicht nur so, dass er uns eine neue Verheißung geschenkt hat, Bo-os Voraussage ist eingetroffen: Zwei unter uns, Nu-o der Starke und De-a die Üppige, sind offensichtlich unempfindlich gegenüber der schrecklichen Krankheit. Beide machen sich zum Aufbruch fertig. Lange kann es nicht mehr dauern, bis auch der Letzte von uns Kranken tot ist. Auch ich spüre bereits die Kälte in meinem Blut, kaum vermögen meine Finger den Stift zu halten.
Nu-o und De-a mögen lange leben und ihre Nachkommenschaft ohne Furcht vor der Roten Seuche aufwachsen.
Gesegnet sei Bo-o, der ›Vater der Zukunft‹.«