Читать книгу Der letzte Tanz im Paradies - Jürgen Petschull - Страница 10

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Erschrocken über diese dramatische Eröffnung des Gespräches atmet Sebastian Kleine tief ein. Theobald Kolber schlürft lautstark an seiner heißen Kaffeetasse.

»So geheimniskrämerisch kenne ich dich gar nicht, Johan, nun sag schon, was ist denn los?«

Godeffroy zieht einen kleinen Tabaksbeutel hervor, öffnet zwei Knoten der Verschnürung und schüttet den Inhalt auf die grüne Lederplatte. Dann pickt er mit einem Zeigefinger drei nagelkopfgroße, mattgläserne Steinchen aus einem Häufchen feinem Sand heraus und schiebt sie in die Tischmitte.

»Was ist das?« Theobald Kolber reibt ein Steinchen prüfend zwischen den Kuppen von Daumen und Zeigefinger und schnuppert sogar daran.

»Das sind Diamanten, echte Diamanten, ich habe sie von einem befreundeten Juwelier untersuchen lassen.«

Theobald Kolber und Sebastian Kleine blicken hin und her, von Godeffroy zu den grauen Diamanten und wieder zurück. Kolber hält eines der Steinchen gegen das scharfe Licht, das durch ein Bullauge in die Kapitänskajüte fällt.

»Bei dem Projekt das ich besprechen will, geht es um Steine wie diese hier – möglicherweise um Kilo oder Zentner solcher Rohdiamanten, vielleicht sogar um eine der größeren Diamantenminen der Welt ...«

Godeffroy streicht ein gefaltetes, mit verschiedenen, farbigen Bleistiftstrichen bemaltes Blatt Papier glatt und fährt mit dem Fingernagel darauf herum. Dann rollt er eine Landkarte von Deutsch-Neuguinea auf dem Tisch aus und legt die Skizze daneben.

»Das hier ist die Blanchebai mit der Gazelle-Halbinsel auf Neupommern, der größten Insel des Bismarckarchipels. Und hier liegt Herbertshöhe mit unserer Kolonialverwaltung, daneben die katholische Missionsstation Vunapope, und dort ist auch Gunantambu eingezeichnet, das Anwesen von Queen Emma.«

Theobald Kolber kenne die Örtlichkeiten ja sehr genau, besonders Gunantambu, sagt Godeffroy mit einem kleinen Lächeln für Sebastian Kleine.

Er deutet auf ein rotes Oval ziemlich in der Mitte des Skizzenblattes, in das ein Vulkan eingezeichnet ist. Darunter steht der Name »Varzin«.

»Das hier ist ein Gebiet von zirka zehn Kilometern Durchmesser, das sich um den Vulkan herumzieht. Und diese drei kleinen Steinchen hier sollen irgendwo in dieser unwegsamen und urwaldreichen Gegend gefunden worden sein, in der noch immer einige Kannibalen leben.«

Theobald Kolber klopft geräuschvoll seine erkaltete Pfeife in einem an der Tischplatte angeschraubten Kristallaschenbecher aus. »Der Varzin ist ein erkalteter Vulkan, den unsere Leute nach dem Sommerdomizil von Reichskanzler Bismarck in Pommern benannt haben. In der Gegend siedeln einige wilde Stämme der Tolai, die widersetzen sich ziemlich hartnäckig den Bekehrungsversuchen unserer christlichen Missionare.«

Oben an Bord ertönen Kommandos und die Stimme des Kapitäns, der offenbar einen seiner Leute lautstark zusammenstaucht. Hinter einem der drei Bullaugen in der Kapitänssuite ist der Turm der Michaeliskirche zu sehen. Der Michel verschiebt sich Zentimeter für Zentimeter von links nach rechts und verschwindet allmählich aus dem Blickfeld der drei Männer. Die Emily Godeffroy hat abgelegt. Am Ufer spielt eine Kapelle »Muss i denn, muss i denn zum Städele hinaus ...« Die Signalhörner der umliegenden Dampfer, Barkassen und Großsegler veranstalten einen gewaltigen Lärm.

»Ja und? Was bedeutet das alles für uns?«, schreit Kolber gegen den Krach an.

Godeffroy wartet mit seiner Antwort, bis der Geräuschpegel wieder sinkt.

»Das Fundgebiet dieser Diamanten und das umliegende Land sind mir über einen englischen Bankier für eine Million Pfund Sterling zum Kauf angeboten worden. Nach einem Gutachten sollen dort ähnliche mineralogische Bedingungen herrschen wie in den Diamantenminen von de Beers in Südafrika. Mit anderen Worten: Wenn dieses Stück Land hier in Neuguinea auch nur zu einem Bruchteil so ertragreich sein sollte wie die südafrikanischen Diamantenfelder, so wäre das ein Geschäft, das meine wirtschaftliche Vorstellungskraft übersteigen würde – und das, obwohl ich in meinem Geschäftsleben schon eine Menge Fantasie entwickelt habe.«

Theobald Kolber klopft seine Pfeife aus.

»Verstehe ich dich richtig, Johan Cesar, das Haus Godeffroy will in großem Stil in das Diamantengeschäft einsteigen – und dein Generalbevollmächtigter und Freund Theobald Kolber hört mal eben so nebenbei etwas davon, beim Auslaufen unseres Schiffes?«

»Wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind, ja.«

»Warum erfahre ich davon erst jetzt, unter diesen ... diesen etwas merkwürdigen und gehetzten Umständen?« Kolber klopft noch heftiger gegen den Aschenbecher. Sebastian Kleine spürt, wie die Atmosphäre immer gereizter wird. Godeffroy vermeidet es, Theobald Kolber anzusehen.

»Weil ich selber erst seit gestern Abend von diesem Diamanten-Projekt weiß, seit gerade mal zwölf Stunden. Ich habe eine schlaflose Nacht lang darüber nachgedacht – und über die gesamte wirtschaftliche Situation unseres Hauses ...«

Kolber unterbricht ihn.

»Aber von Diamanten verstehen wir doch nichts, wir handeln mit Stahl und mit Kupfer, mit Schiffen von unserer Werft und mit Kokosnüssen aus dem Pazifik. Diamanten? Davon haben wir doch keine Ahnung! Schon gar nicht von Diamantenminen und deren Ausbeutung! So ein Geschäft ist für uns ein unkalkulierbares Risiko – haben wir das wirklich nötig? Geht es uns so schlecht? Musst du deinen Ruf und die Existenz der Firma tatsächlich auf so ein Vabanquespiel setzen?«

Kolber schiebt seine kalte Pfeife zwischen die Zähne und kaut mit verkniffenem Gesichtsausdruck auf dem Stiel herum. Dabei blickt er Godeffroy an, als zweifele er an dessen Verstand.

Godeffroy zögert, bevor er sich an Sebastian Kleine wendet. »Darf ich Sie bitten, uns für eine Weile allein zu lassen, Herr Kleine, ich muss offenbar mit meinem alten Freund und Partner ein paar persönliche Dinge besprechen, bevor wir wieder sachlich auf diese Angelegenheit hier zurückkommen können, für die wir Sie dann dringend brauchen werden.« Godeffroy deutet dabei auf die drei Diamanten im Tabakshaufen. »Warten Sie in der Nähe der Brücke. Ich lasse Sie wieder rufen!«

Sebastian Kleine geht an Deck. Nervös lehnt er sich an die Reling und beobachtet das geschäftige Treiben im Hafen und auf dem Elbstrom, während die Emily Godeffroy von der Strömung getrieben gerade in Höhe von St. Pauli am Elbufer entlanggleitet. Da oben liegt die Reeperbahn und dort ist die Außenstelle der Hamburger Criminalpolizei, in der er Tatverdächtige verhört, Ermittlungsakten bearbeitet und Berichte geschrieben hat. Wie oft hat er von da oben aus sehnsüchtig den auslaufenden großen Seglern hinterhergesehen? Unter seinen Füßen hört er hin und wieder gedämpft die Stimmen von Godeffroy und Kolber, aber er kann kaum ein Wort verstehen.

Die beiden Männer sitzen sich an der Tischplatte gegenüber, vorgebeugt und angriffslustig wie zwei Kampfhähne, die gleich aufeinander einhacken werden. Der kurzsichtige Godeffroy blickt über seine Brille hinweg und hält den Plan des Diamantenfundortes wie einen Schutzschild in der Hand. Kolber stopft seine Pfeife, zündet den Tabak ein wenig zittrig mit einem langen Streichholz an und stößt dicken Qualm aus, der wie eine Gewitterwolke unter der Holzdecke des niedrigen Raumes hängen bleibt.

»Wie lange kennen wir uns jetzt?«, fragt Godeffroy.

»Lange genug. Vielleicht schon ein paar Jahre zu lange«, sagt Kolber wütend.

Godeffroys Gesichtszüge versteinern. Empört sieht er Kolber an. Der versucht schnell eine versöhnliche Geste, seine entschuldigend vorgeschobene Hand bleibt auf halber Strecke auf der Tischplatte liegen. Minutenlang starren sich die beiden Männer wortlos an.

Ihr besonderes Verhältnis hat früher ihre Mitschüler, später die Mitarbeiter von Godeffroy & Sohn und die Hamburger Gesellschaft beschäftigt. Der reiche Erbe Johan Cesar Godeffroy und Theobald Kolber, der Sohn einer aufstrebenden kleinen Kaufmannsfamilie, hatten dieselbe Schule besucht, wenn auch verschiedene Klassen. In dem Lübecker Gymnasium, in das Hamburger Kaufleute und Bildungsbürger ihre Söhne zu schicken pflegten, war der ältere Johan Cesar Godeffroy immer der nachdenklichere, körperlich schwächere von beiden. Nicht selten wurde der Abkömmling einer französischen Hugenottenfamilie von hanseatischen Bürgersöhnen als »Flüchtlingsjunge« gehänselt und sogar verprügelt. Bis der jüngere, aber stärkere Theobald Kolber einmal so kräftig dazwischengehauen hat, dass gleich drei Jungen mit blutenden Nasen und geschwollenen Augen die Flucht ergriffen. Bei der anschließenden Strafverhandlung beim Rektor trat Godeffroy so eloquent für seinen neuen Freund ein, dass der Schüler Theobald Kolber mit einer Ermahnung davonkam.

Seither sind die Jugendfreunde gemeinsam durchs Leben gegangen. Sie saßen auch tatsächlich in einem Boot: im Vierer mit Steuermann des feinen Hanseatischen Ruderclubs an der Alster. Der junge Godeffroy gab als Steuermann die Fahrtrichtung an, und Theobald Kolber bestimmte als Schlagmann das Tempo. So sind sie mit ihrem Boot Hamburger Juniorenmeister geworden. Und so ist es im Prinzip geblieben, auch nachdem sie mit dem Rudern aufgehört hatten: Nachdem Johan Cesar Godeffroy von seinem Vater das Kommando des Familienunternehmens übernommen hatte, stellte er den gelernten Kaufmann Theobald Kolber als Prokuristen ein. Und wie früher gab Godeffroy die Ziele vor, und Theobald Kolber bestimmte die Geschwindigkeit, mit der sie erreicht wurden.

Er trieb vor allem das Südseegeschäft voran. Er lebte selber auf den Inseln des Pazifik, organisierte den gewinnträchtigen Handel mit Kopra, erst auf Samoa, dann auch auf den Inseln des Bismarckarchipels und in Neuguinea. Unter Kolbers Leitung wurde der Südseehandel zum ertragreichsten Geschäftszweig des Godeffroy-Konzerns. Mehr als dreißig Frachtsegler beförderten Jahr für Jahr viele tausend Tonnen von Waren zwischen der Elbe und dem Pazifik hin und her. Knapp fünfzig Handelsniederlassungen, für die Hunderte von einheimischen Arbeitern beschäftigt waren, hat Theobald Kolber für das Haus Godeffroy in der Südsee eingerichtet. Godeffroy ernannte seinen Freund zum Generalbevollmächtigten und machte ihn auch mit 15 Prozent Gewinnbeteiligung zum Partner einer neu gegründeten »Südseehandel AG«. So ist Theobald Kolber ein reicher Mann geworden, der sich von einem renommierten dänischen Architekten eine weiße Villa in bester Hamburger Stadtlage bauen lassen konnte: an der »Schönen Aussicht« an der Außenalster. Und er konnte sich auch eine zum Haus und zu seinem Lebensstil passende hanseatische Frau leisten, die verwöhnte Bankierstochter Helena.

Helena Kolber hatte sich geweigert, ihren Ehemann auf die »von Malariamücken verseuchten und von Menschenfressern bevölkerten Inseln des Pazifik« zu folgen. Damit war die Ehe eigentlich beendet, wurde jedoch zum Schein noch jahrelang aufrechterhalten. Godeffroy hatte es als einer der Ersten erfahren, als Helena Kolber die Scheidung einreichte. Umgekehrt wusste Theobald Kolber von den Problemen, die Godeffroy mit seinen erwachsenen Kindern hatte, die er als Nachfolger und Erben für ungeeignet hielt. Die Freundschaft der beiden Männer hatte im Laufe der Jahrzehnte alle Stürme und Flauten überstanden. Und wenn es wirklich ernst wurde, hat der eine immer die Nähe des anderen gesucht.

»Also noch einmal: Wie lange kennen wir uns jetzt?«, fragt Godeffroy, um das Gespräch wieder in Gang zu bringen.

»Ich habe nachgerechnet: Seit 38 Jahren, sieben Monaten und ein paar Tagen – seit wir uns kurz nach meinem 15. Geburtstag zum ersten Mal auf dem Schulhof in Lübeck begegnet sind«, sagt Kolber in die Stille. Das Elbwasser gluckert hörbar gegen die äußere Bordwand.

»Habe ich dich in dieser Zeit jemals hintergangen? Hast du einen Grund gehabt, an meiner Loyalität, an meinem Vertrauen, an meiner Freundschaft zu zweifeln?«

Theobald Kolber schweigt die Tischplatte an.

»Und jetzt, Theobald, jetzt brauche ich nach langer Zeit wieder einmal deinen Rat und deine Hilfe in einer Angelegenheit, in der es für mich, für unser Unternehmen und vielleicht auch für dich um Sein oder Nichtsein geht.«

Kolber blickt auf.

»So pathetisch?«

Kolber kippt seinen inzwischen kalten Kaffee in einem Zug hinunter und stellt die Tasse hart auf den Tisch.

»Eigentlich könnte ich jetzt einen doppelten Schnaps gebrauchen – also Schluss mit der Präambel: Was hat das zu bedeuten, Johan Cesar? Warum weihst du mich erst jetzt in dieses dubiose Diamantengeschäft ein? Warum hast du bei unserer Geschäftsbesprechung vor zwei Tagen noch kein Wort darüber verloren? Warum dieses überfallartige Gespräch?«

»Aus zwei Gründen, um dir gegenüber wie immer ganz offen zu sein: Erstens, weil es um unser Haus heute dramatisch schlechter bestellt ist, als mir selber noch vor zwei Tagen bekannt war. Seither haben mir unsere Buchhalter und die Bankiers neue Bilanzen und Prognosen vorgelegt. Wir sind bis über die Wasserlinie verschuldet, und wenn wir nicht mit vereinten Kräften alle Lenzpumpen anwerfen, dann wird die ganze Firma Godeffroy & Sohn mitsamt ihrem Generalbevollmächtigen Theobald Kolber absaufen, wie unser leckgeschlagener Frachtsegler vor sieben Monaten auf den Klippen hinter dem Kap der guten Hoffnung.«

Kolbers Wut wandelt sich in Bestürzung.

»Ich hoffe, du machst keine Witze ... Ich dachte, die Barings Bank hat einen neuen Millionenkredit für die Modernisierung der Stahlwerke und Werften zugesagt und auch für die Übernahme der gesamten Kokosnussplantagen von Queen Emma auf der Gazelle-Halbinsel? Das hast du jedenfalls vorgestern noch gesagt!«

»Davon war ich auch bis gestern noch überzeugt. Aber die Barings-Leute machen plötzlich große Probleme, sie fordern immer mehr Sicherheiten. Ich musste ihnen sogar schon das Museum als Sicherheit abtreten. Und trotzdem haben die Engländer gestern unsere Kreditlinien dramatisch gekürzt, angeblich weil einer ihrer Londoner Großkunden Insolvenz angemeldet hat. Sie befürchten weitere Pleiten, und wir sind einer der Kandidaten, die ihnen Sorgen machen. Wie du ja weißt, Theobald: Wir haben seit einem Jahr kein eigenes Kapital mehr für notwendige Neuinvestitionen – die Konkurrenz im In- und Ausland kann billiger produzieren und liefern als wir. Offen gesagt habe ich schon seit ein, zwei Jahren unsere Lage falsch eingeschätzt, um es vorsichtig auszudrücken. Wir haben die technische Entwicklung in der Stahlproduktion und in der Werftindustrie verschlafen ... Und leider fallen die Werte unserer amerikanischen Aktienbeteiligungen dramatisch, und dass die Preise für Kopra auf lange Sicht sinken werden, weißt du ja selber am besten.«

In guten Zeiten, das weiß Kolber natürlich, hat eine Tonne Kopra 500 Mark gebracht, jetzt zahlen die Ölmühlen bereits ein Viertel weniger, weil inzwischen auch aus anderen Rohstoffen Öle und Fette vergleichbarer Qualität für die Produktion von Haushaltsfetten und Kosmetika gewonnen werden können.

Trotzdem ist er verärgert. Seine Halsschlagader pocht, sein Gesicht läuft rot an, während er redet.

»Als dein leitender Angestellter, dein Geschäftspartner und dein Freund erfahre ich also ganz beiläufig, dass wir möglicherweise kurz vor der Pleite stehen – und du willst für hunderttausend Pfund Sterling, also für immerhin zwei Millionen Goldmark, ein ominöses Stück Dschungel in Neuguinea kaufen, in dem angeblich solche Steinchen hier gefunden werden ... Mit welchem Geld denn bitte schön, Johan Cesar?«

Kolber ballt seine Hand um die englische Kaffeetasse, als wolle er sie gegen die mahagonigetäfelte Wand der Kapitänssuite schleudern.

»Nun halt aber mal die Luft an, Theobald.«

»... und warum wollen die englischen Banker dieses angeblich so vielversprechende Diamantengeschäft nicht selber machen oder mit ihren britischen Landsleuten, sondern ausgerechnet mit Godeffroy & Sohn? Lässt du dich etwa unter Druck setzen – oder sogar erpressen?«

»Ich verbitte mir solche Unterstellungen, Theobald!«

»Würdest du meine Frage beantworten!«

»Weil diese britischen Banker etwas von Geld verstehen, aber keine Erfahrung mit anderen Geschäften haben. Deshalb vermitteln sie uns dieses Diamanten-Geschäft. Barings ist bereit, sich als Geldgeber und stiller Minderheitsgesellschafter an einer von uns gegründete Diamanten-Gesellschaft zu beteiligen, das hat mir mein Gewährsmann glaubhaft versichert. Vorausgesetzt, die professionelle und industrielle Ausbeutung des Diamantenvorkommens an diesem Vulkanberg verspricht tatsächlich, ein großes Geschäft von internationaler Bedeutung zu werden – und genau das sollst du eben herausfinden, Theobald, zusammen mit dem jungen Herrn Kleine.«

Vom Deck ist die barsche Stimme des Kapitäns zu hören, der offenbar einem seiner Männer die Anweisung gibt, das Tau am Bug der Emily Godeffroy richtig festzumachen.

Theobald Kolber deutet auf die Zeichnung des Diamanten-Fundgebietes, die Godeffroy über den Tisch geschoben hat: »Vorausgesetzt, dass hier tatsächlich ein riesiges Vermögen in der Erde liegt. Und – woher kommt eigentlich der Kaufpreis für das Land hier, wenn es uns so schlecht geht, die hunderttausend Pfund Sterling ...«

»Die Barings Bank will uns sechzig Prozent der Investitionssumme zinslos leihen und sich selber mit den übrigen vierzig Prozent als stiller Gesellschafter an der neuen Diamantenfirma beteiligen.«

»Und was wird unter diesen neuen Umständen aus meinem Projekt, Johan Cesar?«

»Du meinst die Übernahme von Queen Emmas gesamtem Plantagenbesitz in Neuguinea?«

»Gut, dass du das bei deinem Diamantenfieber noch nicht vergessen hast!«

»Ganz im Gegenteil, Theobald, ich habe das bei den Verhandlungen mit den Engländern zur Sprache gebracht. Die sind sehr angetan von der Idee, auf diese Weise eine Art Handelsmonopol für den europäischen Kopra-Markt zu schaffen. Damit könnten wir die Preise diktieren.«

Überrascht sieht Kolber Godeffroy an. Seit Beginn ihrer Auseinandersetzung lächelt er zum ersten Mal – jahrelang hat er vergeblich versucht, dem Freund sein Lieblingsprojekt schmackhaft zu machen: den größten Plantagenbesitz der Südsee für Godeffroy & Sohn zusammenzukaufen.

Godeffroy unterbricht seine Gedanken. »Leider wird deine Verhandlungsposition bei Queen Emma durch unsere gegenwärtige Situation nicht leichter werden – wir können ihre Besitzungen nicht mit Bargeld bezahlen.«

»Und was soll ich ihr dann bieten, schließlich hat sie schon einmal eine Kaufsumme von mehr als zwei Millionen Goldmark erwähnt?«

»Biete ihr eine Million als Barzahlung und eine Beteiligung von 25 Prozent des Aktienanteils einer neuen Blanchebai AG, die wir dann gründen würden. Oder keine Barzahlung und 49 Prozent der neuen Aktien. Und wenn das Geschäft mit der Diamantenmine richtig anläuft, können wir sie ganz auszahlen.«

»Ja wenn ... Mein Gott, Johan Cesar, Queen Emma ist eine clevere Geschäftsfrau. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie sich mit Aktien und zukünftigen spekulativen Gewinnaussichten abspeisen lässt!«

Theobald Kolber reinigt seine Pfeife. »Also gut, ich habe ziemliche Bauchschmerzen bei der ganzen Sache – aber es ist nicht das erste geschäftliche Abenteuer, auf das ich mich mit dir zusammen eingelassen habe.«

Godeffroy lächelt erleichtert.

Warum er eigentlich diesen Sebastian Kleine dazugeholt habe, will Kolber noch wissen. Der sei doch nur als Naturforscher und Sammler für das Museum engagiert worden?

»Weil ich sicher bin, dass du seine besonderen Fähigkeiten in dieser Diamantensache sehr gut gebrauchen kannst. Da muss recherchiert und ermittelt werden wie bei einem Kriminalfall: Wir wissen immer noch nicht, wer diese ersten Rohdiamanten hier gefunden hat. Wir kennen den genauen Fundort nicht. Welche Leute stecken hinter dem Verkaufsangebot für das Minengebiet? Wie sind die an den Landbesitz gekommen? Haben sie ihn weißen Farmern abgekauft, oder sind irgendwelche Stammeshäuptlinge übers Ohr gehauen worden? Gibt es überhaupt Schürfrechte? Es sind eine Menge Fragen zu klären, bei denen dir ein Fachmann für detektivische Ermittlungen sehr behilflich sein kann.«

»Und das soll dieser junge Herr Kleine sein?«

»Falls du es noch nicht weißt: Kleine ist ein ausgebildeter Rechercheur, ein polizeilicher Ermittler. Bevor er in meine Dienste kam, war er der jüngste Detektiv der neuen Hamburger Criminalpolizei. Und zwar der beste, wie mir mein Freund, der Polizeipräsident, persönlich versichert hat. Auch aufgrund dieser Empfehlung habe ich Kleine eingestellt – abgesehen von seinem ungewöhnlichen Engagement, das ihn als naturwissenschaftlichen Autodidakten durchaus als Mitarbeiter für unser Museum qualifiziert. Dr. Schmalz mit seinen hohen Ansprüchen ist jedenfalls nach den ersten Probemonaten äußerst angetan von diesem jungen Mann.«

»Und was soll dieses Genie jetzt bei dieser Diamanten-Geschichte machen?«

»Wie schon gesagt: Ihr sollt zusammen die Hintergründe erkunden und die Hintermänner ausfindig machen. Sebastian Kleine wird dir natürlich unterstellt.«

»Na, dann wäre das wenigstens geklärt.«

»Wenn du einverstanden bist, dann bitten wir deinen neuen Mitarbeiter jetzt zu dem Gespräch hinzu, denn wie ich sehe, sind wir bereits auf der Höhe von Övelgönne und kurz vor Teufelsbrück. Wir haben gerade noch eine halbe Stunde Zeit, bis ich in Blankenese von Bord muss.«

»Gut, dann ruf den jungen Mann jetzt zu uns.«

Sebastian Kleine setzt sich an den Mahagonitisch hinter seine inzwischen kalte Tasse Kaffee. Fasziniert hört er zu, als ihn der große Johan Cesar Godeffroy knapp über sein Gespräch mit Theobald Kolber informiert, ohne dabei auf die prekäre wirtschaftliche Lage des Hauses Godeffroy einzugehen.

»Unter Anleitung unseres Generalbevollmächtigten, meines Freundes Theobald Kolber, sollen Sie also in geheimer Mission herausfinden, was und wer hinter diesen Diamantenfunden steckt. Dabei hoffen wir auf ihre detektivischen Fähigkeiten, über die ich Beeindruckendes vernommen habe.«

Sebastian Kleine versucht vergeblich, nicht zu erröten. Er stottert etwas von großem Vertrauen und ehrenvollem Auftrag, um seine Verwirrung zu überspielen.

»Wenn ich es richtig verstanden habe, dann sollen wir herausfinden, ob die Voraussetzungen für ein seriöses Geschäft gegeben sind?«

Godeffroy nickt. »Sehr treffend zusammengefasst.«

»Und dieser skizzierte Plan von dem Fundgebiet und diese drei Rohdiamanten – ist das alles, was wir sozusagen als Ausgangsmaterial für die Ermittlungen haben?«

»Viel mehr haben wir tatsächlich nicht.«

Godeffroy zieht ein dünnes rotes Notizbuch aus der Brusttasche seines Jacketts und klappt eine Seite auf.

»Wie mir die Engländer gesagt haben, sollen die Diamantenfunde ein Zufallsprodukt gewesen sein. Ein oder zwei australische Goldsucher hätten an einem versteckt liegenden Fluss den Ufersand ausgewaschen – sie haben kein Gold in ihren Sieben gehabt, aber ein paar Diamanten.«

»Merkwürdig. Kommen Gold und Diamanten unter denselben mineralogischen Gegebenheiten vor?«

»Das weiß ich nicht. Jedenfalls liegen die großen Fundorte von de Beers in Südafrika wohl auch in der Nähe von Vulkanen.« Godeffroy blättert sein Notizbuch um.

»Es gibt noch etwas. Einen Namen. Ein gewisser Mijnheer Klaas van Oranje wird sich euch nach eurer Ankunft in Herbertshöhe zu erkennen geben. Offenbar ist das ein Deckname. Wahrscheinlich ist der Mann Holländer oder Bure, jedenfalls soll er ein Diamantenexperte aus Südafrika sein, wie mir die Engländer gesagt haben, mehr wissen sie angeblich auch nicht. Dieser Klaas van Oranje soll euch weitere Informationen und schriftliche Untersuchungsergebnisse, Boden- und Gesteinsproben und solche Dinge geben. Vor allem aber soll er euch zum Fundort der Diamanten führen, damit ihr euch selber einen Eindruck verschafft. Wie ich gehört habe, soll es von der Küste aus ein tagelanger, nicht ganz ungefährlicher Fußmarsch durch den Urwald bis zu diesem Vulkan hier sein.«

»Wahrscheinlich brauchen wir dafür eine Woche«, sagt Theobald Kolber.

»Und wenn sich der Herr nicht meldet?«, fragt Kleine.

»Dann müsst ihr ihn finden!« Godeffroy steht auf, umarmt seinen alten Freund und schüttelt seinem jungen Mitarbeiter lange die Hand.

»Ich wünsche euch Glück und Erfolg – und dass ihr mir wohlbehalten und gesund zurückkommt!«

Die drei Männer gehen nacheinander die Treppe von der Kapitänssuite zur Kommandobrücke hinauf. Kapitän Tietjen salutiert, als sie an Deck erscheinen.

Im Hintergrund wartet eine junge Dame, ihr weiter, dunkelblauer Mantel weht im Wind. Sie nimmt ihr unter dem Kinn festgebundenes Käppi ab und fährt sich mit beiden Händen durch ihre flatternden dunkelblonden Haare, die ihr Gesicht im Gegenlicht wie ein Heiligenschein einrahmen.

Sebastian Kleine ist einen Moment lang vom Sonnenschein geblendet. Er hält sich die Hand vor Augen. Durch seine Finger hindurch sieht er zwei große bernsteinfarbene Augen und einen weichen Mund, der lächelt. Auf der dunklen Bluse der jungen Frau blitzen zwei Goldkettchen, eines mit einem roten Herzchen, das andere mit einem Jesuskreuz.

Godeffroy macht eine Handbewegung und sagt: »Meine Güte, fast hätte ich vergessen, euch eine charmante Reisebegleiterin vorzustellen: Schwester Anna Scharnhorst von der Rheinischen Missionsgesellschaft. Sie ist in einer ganz besonderen Mission in die Südsee unterwegs, wie mir mein alter Freund, der verehrte Präses der evangelischen Kirche des Rheinlandes, anvertraut hat – aber es ist wohl besser, wenn sie euch im Laufe eurer gemeinsamen Reise selber davon erzählt. Jedenfalls bin ich dem Wunsch der kirchlichen Würdenträger sehr gerne nachgekommen und habe Missionsschwester Scharnhorst zu dieser Überfahrt in die Südsee eingeladen, gegen Gottes Lohn sozusagen.«

Die junge Frau deutet einen mädchenhaften Knicks an und lächelte Theobald Kolber und Sebastian Kleine dabei selbstbewusst an.

»Ich möchte mich im Namen meiner Missionsgesellschaft und natürlich auch persönlich recht herzlich für Ihre Großmütigkeit bedanken. Ich hoffe, Gott wird Sie und Ihre Werke auch weiterhin beschützen.«

»Danke, das hoffe ich ebenfalls, Gottes Schutz können die Herren und ich gut gebrauchen«, sagte Godeffroy und verabschiedet sich noch einmal.

Kolber und Kleine lächeln die junge Frau an und verbeugen sich ein wenig geziert.

»Wir hatten ja bereits das Vergnügen«, sagt Theobald Kolber, »wir sind ja sozusagen übereinander gestolpert.«

Die Missionsschwester errötet, bevor sie in ein mitreißendes Lachen ausbricht, das sie hinter vorgehaltener Hand nur mühsam wieder einfängt. Die kleine Geste erinnert Sebastian Kleine an die abenteuerlustige Lehrertochter, die er vor Jahren beim Tanzball in der Schützenhalle seines Heimatortes beinahe geküsst hätte – wenn deren Mutter nicht dazwischengekommen wäre.

Godeffroy blickt auf seine Taschenuhr. Über dem Elbufer kommt jetzt das beliebte Hotel Jacobs mit seiner von prächtigen Linden gesäumten Terrasse in Sichtweite.

»Meine Herren«, sagt Godeffroy betont förmlich, »darf ich Sie bitten, diese junge Dame während der langen Überfahrt und auch noch in Neuguinea ein wenig in Ihre Obhut zu nehmen.« Als das erfreute Lächeln der beiden Männer in ein breites Grinsen mündet, fügt er hinzu: »Fräulein Anna Scharnhorst steht übrigens auch unter besonderem Schutz der Gattin unseres Kapitäns Tietjen, und die ist, wenn ich das offen sagen darf, sogar bei raubeinigen Seebären wegen ihrer Resolutheit gefürchtet.«

Der Kapitän nickt verlegen: »Wir erreichen bald Blankenese, Herr Godeffroy.«

Godeffroy zieht Theobald Kolber zu sich heran. »Wenn du mir aus Neuguinea dringende Nachrichten zukommen lassen willst, kannst du sie verschlüsselt über eine neue, geheime Telegrafenfunkstation unserer kaiserlichen Kriegsmarine übermitteln, die in Neuguinea in der Nähe von Rabaul erprobt werden soll. Auf dem Zettel hier ist der genaue Standort verzeichnet und der Name des verantwortlichen Mannes dort. Richte ihm Grüße von meinem Freund Admiral von Plankwitz aus und gib ihm diesen Brief hier.«

Godeffroy drückt Kolber an sich und schiebt ihm dabei verschwörerisch einen kleinen Umschlag zu.

Eine Stunde und zwanzig Minuten nach dem Ablegen der Emily Godeffroy von den Landungsbrücken im Hamburger Hafen klettert Johan Cesar Godeffroy rückwärts, mit dem Gesicht zur Bordwand, Sprosse für Sprosse, ein Fallreep hinunter, ohne in die Tiefe zu sehen, denn seit seiner Kindheit leidet er an Höhenangst. Unter ihm dümpelt ein kleines Beiboot an der Backbordseite des großen Frachtseglers.

Das Signalhorn der Emily Godeffroy ertönt zum Abschied des Schiffseigners dreimal hintereinander so kräftig, dass die Fensterscheiben in den Häusern am Blankeneser Süllberg vibrieren. Zwei muskulöse Matrosen legen sich mächtig in die Riemen und rudern Godeffroy zügig an Land. Die Reedereifahne mit dem goldenen Falken flattert im Fahrtwind.

Mit den Schuhen in der Hand und hochgekrempelter Anzughose watet Johan Cesar Godeffroy die letzten Meter durch flaches Wasser an Land. Er bleibt noch eine Weile am sandigen Elbufer stehen und winkt seinem Viermaster nach, ein stetiger kleiner Wind bläht die wenigen gesetzten Segel und treibt mit dem ablaufenden Wasser der Elbe die Emily Godeffroy zügig in Richtung Nordsee voran. Godeffroy weiß, dass er das Schicksal seines bald zweihundert Jahre alten Familienunternehmens in die Hände der beiden Männer gelegt hat, deren Silhouetten er schon bald nicht mehr erkennen kann.

An der Uferstraße wartet ein Zweispänner. Die Kutsche bringt Godeffroy zum Süllberg hinauf und weiter zur Familienvilla, deren großer Park zur Elbe hinausgeht. Vor der weißen Fassade weht eine große Fahne mit dem Falkenwappen an einem haushohen Mast, wie immer, wenn ein Schiff der Handelsflotte von Godeffroy & Sohn vorüberfährt.

Der letzte Tanz im Paradies

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