Читать книгу Der letzte Tanz im Paradies - Jürgen Petschull - Страница 11
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Оглавление»Nun denn«, sagt Theobald Kolber an Bord der Emily Godeffroy, »jetzt sind wir also auf uns allein gestellt, junger Mann.« Er klopft Sebastian Kleine so kräftig auf die Schulter, dass dessen Oberkörper gegen die Reling gedrückt wird. »Auf gute Zusammenarbeit, mein Freund!«
Missionsschwester Anna verabschiedet sich. Sie sagt, es habe sie gefreut. Sie werde die Herren ja bald wiedersehen, wolle sich nun aber um ihr Reisegepäck kümmern und sich in ihrer kleinen Kabine ein wenig einrichten.
Sebastian Kleine sieht ihr lange nach, als sie auf den im sanften Rhythmus des Elbstromes leicht schwankenden Deckplanken mit kleinen Hüftschwüngen und wippendem, wadenlangem Rock zum Vorderdeck geht, vorbei an Gruppen von Passagieren und an geschäftigen Seeleuten, die ihr ebenfalls länger nachblicken, als es ihre Arbeit eigentlich erlaubt.
»Da hat uns der liebe Herrgott aber eine ausgesprochen hübsche Prüfung auferlegt«, sagt Theobald Kolber.
»Warum hat sich so eine junge Frau wohl der Frömmigkeit und der Keuschheit verschrieben – was da wohl in ihrem Leben passiert sein mag?«, fragt Sebastian Kleine.
»Das mit der Keuschheit nimmt man in der evangelisch-lutherischen Kirche nicht so streng wie bei katholischen Betschwestern und Bettelmönchen«, sagt Kolber. Bekanntlich dürften die Pastoren und Missionare der Glaubensrichtung Martin Luthers sogar heiraten.
»Wir können sie ja bei Gelegenheit selber fragen, schließlich sollen wir uns doch um sie kümmern.«
Gemeinsam beobachten die beiden Männer den Steuermann, der das mannsgroße Ruder auf Kurs hält. An Backbord und Steuerbord breiten sich die flachen Ufer von Schleswig-Holstein und Niedersachen unter dem Horizont aus. In Höhe der Mündung des Flusses Oste und kurz vor dem Ort Otterndorf erreiche der Wind bereits eine Stärke von vier bis fünf, in Böen sechs, mit zunehmender Tendenz. In einer Stunde werde man Cuxhaven, die Elbmündung und die offene Nordsee erreichen, erklärt der Rudergänger, dann könne die Emily Godeffroy endlich auch die Großsegel setzen. An Helgoland vorbei gehe es zum englischen Kanal. In zwei, drei Tagen werde man im walisischen Hafen Cardiff noch tausend Tonnen Kohle für eine Bunkerstation in der indonesischen Hauptstadt Batavia in den Laderaum füllen, bevor es dann auf den Atlantik hinaus nach Süden gehe.
Die »Emily«, wie die Besatzung den Frachtsegler liebevoll nenne, sei vor vier Jahren in Bremerhaven vom Stapel gelaufen. Sie sei vermutlich einer der letzten Neubauten ihrer Art, denn die Zukunft gehöre den Dampfern. Doch immerhin habe man zwischen dem Kap der Guten Hoffnung und der australischen Küste im letzten Frühjahr bei günstigem Wind ein Etmal von 288 Seemeilen herausgefahren.
Ein Etmal?
Das sei die Strecke, die ein Schiff von 12 Uhr mittags an gerechnet in 24 Stunden zurücklege. Auf dieser Reise wolle man den eigenen Rekord brechen und mehr als 300 Seemeilen schaffen. Bei günstigen Winden könne man Batavia in sieben bis acht Wochen erreichen und zwei Wochen später voraussichtlich am Ziel der Reise Anker werfen: in der Blanchebai vor der Küste von Neupommern.
Er freue sich schon auf das Empfangsfest bei Queen Emma, sagt der Seemann. Dabei zeichnet er mit beiden Händen eine schwungvolle Frauenfigur in die Seeluft: so wohlgeformte, anschmiegsame Weiber würden dort warten, bildhübsche Samoanerinnen, die Queen Emma von ihrer Heimatinsel nach Neuguinea geholt habe. Wie immer werde es üppiges Essen und reichlich zu trinken geben und Musik und Tanz bis zum Anbruch des nächsten Tages. Der Mann lacht breit.
Theobald Kolber klopft dem Erzähler zustimmend auf die Schulter und sagt zu Sebastian Kleine: »Das ist kein Seemannslatein, mein Junge, das kann ich als ehrbarer Hamburger Kaufmann bestätigen ...« Und dabei bläst er Tabakswolken, die nach Honig und Trockenpflaumen riechen, in den blanken norddeutschen Himmel.
Tagebuch Sebastian Kleine, Sonnabend, 12. März 1898
Manchmal ist mir, als würden wir unter der Meeresoberfläche in die Südsee reisen. Seit Tagen und Nächten rast und schäumt glasklares, blaues Wasser am Bullauge meiner Kabine vorüber, deren Boden sich gleichzeitig wie bei einem nicht enden wollenden Beben hebt und senkt und dann wieder oft stundenlang in einer zitternden, schrägen Seitenlage verharrt. Ein gleichförmiger Wind bläst in die voll gesetzten Segel und treibt unser Schiff mit einer Geschwindigkeit von zehn bis zwölf Knoten voran.
Kapitän Tietjen ist begeistert. Er meint, bei solcher Reisegeschwindigkeit können wir gut und gerne eine Woche früher als geplant unser Ziel erreichen.
Der britische Kanal und die Bucht von Biskaya liegen bereits hinter uns. Den gewaltigen Orkan dort habe ich gut ertragen. Erst als wir in wärmere Gefilde und in ruhigere Gewässer kamen, bin ich doch noch seekrank geworden. Die Ausläufer des nun Hunderte von Kilometern entfernten Sturmes mit ihren meterhohen, sanften Dünungen haben mir den Magen umgedreht. Zum Amüsement der alten Seeleute hing ich stundenlang über der Reling und würgte meinen Mageninhalt bis zum letzten bitteren Tropfen heraus.
Vorgestern Abend entdeckte ich nur ein paar Meter von mir entfernt an Bord unter dem Großmast stehend die Frau, nach der ich lange Zeit vergebens Ausschau gehalten hatte.
Gern hätte ich Missionsschwester Anna unter angenehmeren Umständen wiedergetroffen, denn ihr ging es ganz offensichtlich noch schlechter als mir: Ihr Gesicht war grünlich blass und ihre fröhlichen Augen hatten jeglichen Glanz verloren. Offenbar war es ihr unangenehm, dass ich sie in diesem Zustand sah. Wir lächelten uns aus einiger Entfernung wie Leidensgenossen zu. Sie winkte mit einer kleinen Handbewegung und ging wieder mit unsicheren Schritten die steile Treppe zu den Kajüten hinunter. Danach war mir, als hätte ich eine Erscheinung gehabt und mir die Begegnung nur eingebildet.
Schiffszwieback und Wasser hielten mich in dieser Phase der Reise mühsam am Leben. Tagelang lag ich in meiner Koje, sah zu, wie das Wasser draußen vor dem Bullauge vorbeirauschte, und sann über mein bisheriges Leben und meine Zukunft nach. Und über meine Gespräche mit Theobald Kolber.
Er ist mir in kurzer Zeit zu einem Vertrauten geworden. Ich weiß nicht, wie ich unser Verhältnis beschreiben soll: Manchmal ist er mir wie der Vater, den ich mir immer gewünscht habe, dann wieder ist unsere Beziehung trotz des Altersunterschiedes eher brüderlich zu nennen. Er hat mir das »Du« angeboten. Jedenfalls hat er mich bisher nicht spüren lassen, dass er mein Vorgesetzter ist, aber das mag sich ändern, wenn wir erst einmal am Ziel unserer Reise eingetroffen sind und an unsere große Aufgabe herangehen müssen: an die Suche nach den Hintermännern des Diamantenfundes und an die Verhandlungen über den Kauf der Diamantenmine. Merkwürdig, bisher haben wir vermieden, darüber zu reden. Jedenfalls reagiert Theobald Kolber abweisend, wenn ich auf dieses Thema zu sprechen komme.
Stattdessen haben wir ganz persönliche Gedanken ausgetauscht. Wir haben uns näher kennengelernt, indem wir uns unsere Lebensgeschichten erzählt haben, mal bei Bier, Rotwein oder Rum in der Offiziersmesse, wo wir oft alleine sitzen, mal in seiner oder in meiner Kabine oder bei unseren gemeinsamen Wanderungen über das Schiffsdeck, das für mich genau 114 Schritte in der Länge und 15 Schritte in der Breite misst.
Kolber hat mir von seiner Kindheit an der Elbe erzählt und von seinem Leben auf Samoa und in Neuguinea. Als Junge war er Anführer einer Bande, die vor Blankenese auf den Elbinseln Schweinesand und Kalbsand Piraten und Schatzsucher gespielt hat. Die Bücher von Robert Louis Stevenson haben seiner Fantasie damals Flügel verliehen, sagt er. Seither habe ihn die Sehnsucht nach der Südsee nicht mehr losgelassen.
Mit seiner gutdotierten Arbeit als Generalbevollmächtigter für Godeffroy & Sohn und durch einen vereinbarten Gewinnanteil ist Theobald über die Jahre zu einem beträchtlichen Vermögen gekommen. Sein Vater sei doch stolz auf ihn gewesen, obwohl der ihn lieber als Mitglied der Vereinigung Ehrbarer Hamburger Kaufleute in Frack und Zylinder an der Börse gesehen hätte. Sogar über seine bevorstehende Scheidung hat Theobald mit mir gesprochen. Er schien geradezu erleichtert darüber zu sein. Die Abfindung für seine Frau werde ihn zwar ein Vermögen kosten, aber als freier Mann werde er endlich wieder ein Leben nach seinem Gusto führen können.
Gegen Ende der ersten Reisewoche berichtete Theobald zum ersten Mal ausführlicher von jener Frau, von der ich schon in Hamburg und an Bord unseres Schiffes des Öfteren gehört hatte. Das heißt, Theobald schwärmte wie ein Jüngling von »Queen Emma«, sobald ihr Name auch nur fiel.
Seine Erzählungen lassen sich in etwa so zusammenfassen: Queen Emma ist die Tochter einer samoanischen Häuptlingsfrau und eines amerikanischen Abenteurers. In ihrer Jugend war sie selbst auf ihrer mit hübschen Frauen gesegneten Heimatinsel eine besonders auffallende Schönheit. Und heute, mit etwa vierzig Jahren, muss sie noch immer eine überaus attraktive Frau sein, der Männer jeglichen Alters und aller gesellschaftlichen Klassen zu Füßen liegen.
Emma Eliza Coe, so hieß diese legendäre Frau bei ihrer Geburt, hat in Australien und Kalifornien studiert und dann das internationale Kaufmannsgeschäft erlernt. Schon mit zwanzig, erzählt Theobald, setzte sie den Grundstein für ihren Aufstieg zur großen Unternehmerin: Weitsichtiger als die meisten europäischen und amerikanischen Geschäftsleute, die im Pazifik kurzfristig viel Geld machen wollten, hat sie damals Kokosnuss-Plantagen anlegen lassen, nicht nur auf ihrer Heimatinsel Samoa, sondern vor allem in Neuguinea, wo Land und Arbeitskräfte noch billiger zu haben sind. Jetzt gehörten ihr mehr als zehntausend Hektar ertragreiches Plantagenland. Queen Emma ist längst zur reichsten Frau des Pazifik geworden. Sie errichtete in der Nähe der Kolonialverwaltung eine prächtige Residenz, die sie nach einem nahe gelegenen Eingeborenendorf Gunantambu getauft hat. Hier, so berichtet Theobald, pflegt die schöne Samoanerin ausschweifende Feste für Europäer und Amerikaner, für ihre Landsleute aus Samoa und für die großen Häuptlinge des Bismarckarchipels zu geben.
Theobald scheint diese Frau zu verehren. Und als er mir von seinem Vorhaben erzählte, den gesamten Plantagenbesitz von Queen Emma für das Haus Godeffroy zu erwerben, da leuchteten seine Augen, als berichte er von einer geplanten Liebesheirat.
Schließlich weihte mich Theobald bei einem unserer abendlichen Spaziergänge über das Schiffsdeck auch in die bedrohliche wirtschaftliche Lage des Hauses Godeffroy & Sohn ein. Zunächst glaubte ich, er übertreibe mit seiner vom Alkohol gelösten Zunge, denn wir hatten zuvor auf Einladung des Kapitäns schweren Portwein getrunken, aber ihn bedrückte diese Situation offenbar so sehr, dass er unbedingt darüber reden wollte. Nachdem er mir eine Art Schweigegelübde abgenommen hatte, erfuhr ich von der Bedeutung unseres Auftrages für das Bestehen der Firma Godeffroy & Sohn. Es könnte von dem Geschäft mit dem Diamantenvorkommen auf Neuguinea abhängen, ob das in aller Welt angesehene Unternehmen überleben oder zusammenbrechen wird. Theobald machte keinen Hehl daraus, dass ihm diese Geschichte um den Diamantenfund von Neuguinea nicht geheuer vorkommt. Es sei wie bei einem Roulettespiel, bei dem sein alter Freund Johan Cesar in seiner Verzweiflung alles auf eine einzelne Zahl setzen müsse. Das berge Risiken, auch für uns beide.
Möglicherweise stecken irgendwelche skrupellosen Geschäftemacher hinter der Diamantensache. Andererseits, so meinte er, bevor wir an diesem Abend in unsere Kojen gingen, andererseits seien wir nun ja vom Schicksal auserkoren – vielleicht könnten wir das bedrohte Haus Godeffroy mit einem gelungenen Coup vor dem Ruin retten.
In dieser und in den folgenden Nächten fand ich trotz der ruhigen See keinen ausreichenden Schlaf.
Erst seit wir vor einer Woche Madeira passiert haben, geht es mir von Tag zu Tag besser. Die See ist ruhiger geworden. Wir haben am Horizont die Kapverdischen Inseln gesichtet und dann die Westküste Afrikas. Der Ausguck rief uns von seinem Aussichtskorb am Mast zu, dort am Horizont liege unser neues deutsches Vaterland. Er meinte die Kolonie Togo. Tage später kamen wir an Deutsch-Kamerun vorüber. Der Kapitän ließ über die Toppen flaggen. Aber wir konnten bei glasiger Sicht nicht ausmachen, ob unser Gruß irgendwo an Land erwidert wurde.
Als wir den Äquator erreichten, wurde mit großem Trara das traditionelle Bordfest der Seeleute gefeiert – die Äquatortaufe. Drei junge Leichtmatrosen der Emily Godeffroy haben erstmals diese imaginäre Linie überquert, die unseren Erdball in eine Nord- und eine Südhälfte teilt. Diesen drei Burschen wurde nach altem Brauch ziemlich übel mitgespielt. Ein als Neptun verkleideter älterer Seebär tunkte sie mit Hilfe von einigen Spießgesellen in ein Fass voll stinkenden Wassers, in dem Küchenabfälle und Fischreste schwammen. Eine schwarz bemalte »Menschenfresserbande« tanzte um den Bottich herum, als würde darin aus den Täuflingen eine schmackhafte Suppe zubereitet. Nachher wurden die drei Opfer über die Reling in die Tiefe geworfen, was nach den durchlittenen Torturen bei glasklarem Wasser durchaus eine Wohltat gewesen sein muss. Nun wurde es ein richtiges, lustiges Fest mit Musik und Tanz und Shantygesängen. Bier und Schnaps flossen, bis beinahe alle Besatzungsmitglieder im Vollrausch waren, abgesehen von den Wachhabenden natürlich. Zur Erheiterung aller musste unser Kapitän mit schwerer Schlagseite von seiner tatkräftigen Gattin in sein Schlafgemach bugsiert werden.
Auch Theobald Kolber und ich gaben uns an diesem Abend dem Alkohol nicht unbeschadet hin. Gegen Ende des Äquatorfestes hielt ich meinen schweren und schmerzenden Kopf über die Reling, in der Hoffnung, der frische Seewind und die salzige Meerwassergischt würden mein Leiden lindern. Was dann geschah, werde ich mein Leben lang nicht vergessen ...
In dieser Nacht geht der betrunkene Sebastian Kleine auf der Suche nach seiner Kabine über das schwankende Deck. Ein warmer Regen setzt ein und verdunkelt den tropischen Sternenhimmel. Kleine hangelt sich an der Reling entlang. In der Schiffsmitte, in Höhe der Werkstatt des Segelmachers, wird eine Tür auf- und zugeschlagen. Er hört kehlige Stimmen. Und einen Schrei – eine Frauenstimme, die gurgelnd erstickt.
War das ein Hilferuf?
Kleine wird sogleich nüchterner und läuft oder schlittert vielmehr auf die Werkstatt zu. Warum, kann er sich später nicht erklären, aber unterwegs ergreift er einen der armdicken langen Stöcke, mit denen das Ankerspill gedreht wird, aus der Halterung und quetscht sich in die halboffen stehende Tür. Durch einen Salzwasserschleier in seinen Augen erkennt er einen Mann, der ihm breitbeinig den Rücken zukehrt. In dessen linker Hand flackert eine Sturmlaterne. Mit der Rechten stützt er sich an der Wand ab. Der flackernde Lichtschein fällt auf einen zweiten Mann, der über einer am Boden liegenden Frau kniet. Ihr Körper windet sich.
Im ersten Moment glaubt Kleine, die Männer würden einer verletzten Passagierin erste Hilfe leisten. Er wischt sich mit dem Handrücken über die Augen und erkennt dann im Zwielicht, was tatsächlich geschieht: Die beiden Kerle wollen die Frau vergewaltigen!
Der Mann am Boden hat seine Hose bis in die Kniekehlen heruntergezogen. Sein knochiger weißer Hintern ist mit Schriftzeichen und einem Totenkopf tätowiert. Er hat die Bluse und den Rock der Frau aufgerissen und ihre Beine auseinandergespreizt. Er presst ihre Hände auf den Boden. Sie wehrt sich mit nachlassender Kraft.
»Mach endlich, du Schlappschwanz. Lass mich endlich ran!«, brüllt der Kerl mit der Laterne und lacht.
Ohne nachzudenken, schlägt Sebastian Kleine mit aller Kraft zu. Krachend knallt das Holzstücke auf den Hinterkopf des stehenden Mannes. Der fällt wie ein vom Blitz getroffener Baum. Die Sturmlaterne flackert am Boden weiter und beleuchtet das fassungslose Gesicht des anderen Mannes, als der sich umdreht, um zu sehen, was hinter ihm geschieht. Kleines zweiter Hieb zertrümmert ihm Zähne und Kiefer. Sein massiger Körper kippt seitlich von der Frau herunter. Die rafft ihren Rock zusammen und versucht aufzustehen. Kleine ergreift ihre Hand und hilft ihr auf die Beine.
»Schnell, kommen Sie!«
Sie lässt sich auf den Gang hinausziehen. Hinter ihnen sind Schmerzenschreie und lautes Fluchen zu hören.
Nach wenigen Schritten erreicht Sebastian Kleine seine Kajüte. Er schiebt die Frau vor sich her und verriegelt die Tür von innen. Schwer atmend stehen sie eng nebeneinander im Dunkel. Er spürt ihre Herzschläge. Polternde Schritte kommen näher. Er drückt die Finger seiner rechten Hand auf ihren Mund. Die beiden Männer torkeln vorüber, kommen noch einmal zurück, flüstern miteinander und entfernen sich schließlich endgültig.
Die Frau klammert sich angstvoll an Sebastian Kleine. In der Dunkelheit ist minutenlang nur ihr Atmen zu hören.
»Danke«, flüstert sie. Erst jetzt kommt ihm die Stimme bekannt vor.
»Schwester Anna?«, fragt er.
»Der Herrgott hat Sie zu meiner Rettung geschickt.«
Missionsschwester Anna Scharnhorst beginnt zu weinen.