Читать книгу Die Mensch-Erklärungsformel (Teil 5) - K. Ostler - Страница 13
Individuelle Lebenswirklichkeit
ОглавлениеDie dritte Lebenswirklichkeit ist die individuelle Verhaltens- und Handlungsweise, die sich als Produkt aus der Diskrepanz und Disparität zwischen ursächlicher und tatsächlicher Lebenswirklichkeit ergibt.
Abhängig von der Größe der Unterschiede, Ungleichartigkeiten und Unvereinbarkeiten, die sich dann in psychischen Reaktionsformen (u. a. Verdrängung, Neurose, Psychose), Ersatzhandlungen und Kompensationen ausdrücken und sich im Umfang der persönlichen Identitätsproblematik manifestieren, entwickelt der Mensch eine individuelle, mehr oder minder stark fassadäre, künstliche, auf Illusion etablierte Realität. Im Laufe dieses Entstehungsprozesses wird das vor sich hergetragene Trugbild seiner selbst laufend weiter verinnerlicht (zudem verstärkt ob der Erwiderungen der Außenwelt) und mithin letztendlich zum eigenen Selbstbild.
Kurz: Das ursprüngliche Klischee wird zur ge- und erlebten Praxis.
Der Mensch kreiert auf diese Weise – unbewusst von seiner identitätsgemäßen Verfassung gesteuert - seine Lebenswirklichkeit. Diese ist auf seine psychischen Bedürfnisse angepasst und definiert dergestalt seine Wert- und Bewertungsmaßstäbe und seinen individuellen Filter, der entscheidet, welche Inhalte in welcher Intensität an sein Bewusstsein herangelassen werden (auch im Sinne von psychischer Zumutbarkeit, die abhängig von den energetischen Ressourcen ist), welche nicht und wie diese dann verarbeitet und gedeutet werden.
Ergebnis der persönlichen Lebenswirklichkeit ist die höchst divergierende Anschauung, Einstellung, Umgang und Bewertung, sprich die subjektive Färbung, von Ereignissen, Haltungen, Gesetzen und Normen (und die sich hieraus ableitenden Verhaltens- und Handlungsweisen) im Vergleich zu anderen Menschen und Gruppen. Gesellschaftspolitisch und im sozialen Alltag birgt dieses Faktum erhebliches Konfliktpotenzial, weil ein eigentlich eindeutiger Um- oder Zustand von mehreren Personen abweichend oder sogar vollkommen anders interpretiert, empfunden und bewertet wird.
Diese differente, oftmals ebenso konträre Auslegung hat – tagtäglich und weltweit – umfassende und fundamentale Konsequenzen, von der mildesten Form wie Meinungsunterschieden, Missverständnissen über Opposition, Protest, Widerspruch, Widerstand, Ablehnung, Weigerung bis hin zur Fundamentalopposition, Streit und Feindschaft und allerletzt Auflehnung, Gewalt und Krieg.
Der Mensch schustert sich buchstäblich die individuelle Lebenswirklichkeit derart zurecht, wie es seine psychische Befindlichkeit zulässt und diese fähig ist, Belastungen zu ertragen. Je schwächer ein identitätsgemäßes Pseudogleichgewicht ist, desto unsachlicher, befangener, einseitiger, tendenziöser, subjektiver, parteilicher, ichbezogener und kritikresistenter ist ein Mensch in seinen Einstellungen, Meinungen und Verhaltensweisen, desto weniger Objektivität und Wahrheit verträgt er.
In ihrer extremeren Ausprägung mögen die daraus resultierenden, meist sehr übertriebenen, affektierten und völlig unauthentischen Verhaltensformen und die korrespondierenden Scheinwelten auf außenstehende Menschen als ein schauspielerischer Akt wirken - mit häufig skurrilen, nicht ernst zu nehmenden und ins Lächerliche neigenden Zügen (hier sind besonders gewisse Extravaganzen von sogenannten Prominenten zu nennen) -, doch obwohl es sich de facto um ein Schauspiel bzw. besser um Schauspielerei, ergo um die Darbietung falscher (künstlicher) „Tatsachen“ handelt, nimmt sich der Betroffene nicht als Schauspieler wahr. Er hat seine Scheinwelt als seine reale Welt adaptiert, zumal sie ihn in seinem Pseudogleichgewicht stützt und stabilisiert, gleichwohl es am Ende eine Selbsttäuschung ist.
Die selbst aufgebaute, auf Verdrängung fußende Scheinwelt stellt zwar einen vordergründigen Selbstschutz dar, der freilich den Betroffenen nicht tiefgreifend vor seiner identitätsgemäßen Problematik verschont, auch wenn gegenteilige Signale gesendet werden und dank der Scheinwelt nach außen hin eine vermeintliche heile Welt (Stichwort: Stärke, Souveränität, Selbstbestimmtheit) vermittelt wird.