Читать книгу Die Mensch-Erklärungsformel (Teil 5) - K. Ostler - Страница 8
Beurteilung und Bewertung von extremer Gewalt durch die Psychologie und Psychiatrie im Fokus der Lebenswirklichkeiten / kritische Analyse
ОглавлениеWie bereits erwähnt ist – verständlicherweise – das öffentliche Entsetzen in allen gesellschaftlichen Schichten groß, sobald wieder besonders grausame Gewalttaten, ob Amoklauf, Entführung mit anschließender Gefangenhaltung, langjähriger sexueller Missbrauch im familiären Rahmen, kannibalische Umtriebe oder Vergewaltigung mit folgender Ermordung des Opfers – nur Beispiele einer breiten Palette extremer und maßloser Taten – bekannt werden.
Die Fassungs-, Rat- und Hilflosigkeit hinsichtlich der (Hinter) Gründe für solche Delikte mündet in einem Erklärungsnotstand, der dann die Psychologie und Psychiatrie auf den Plan ruft, mittels ihrer Analysen die Ursachen für diese Vergehen zu benennen – also das scheinbar Unerklärliche erklärbar zu machen -, gleichzeitig Wege aufzuzeigen, wie diese Szenarien zukünftig zu verhindern sind und wie mit den Tätern bezüglich therapeutischer und resozialisierender Maßnahmen zu verfahren ist.
Vorweg muss gesagt werden, dass die nachfolgend getroffenen Aussagen über die diesbezügliche Haltung und Rolle der Psychologie und Psychiatrie pauschalen Charakter haben, der in seiner Quintessenz sicherlich nicht für alle Vertreter der Psychologie und Psychiatrie zutrifft respektive von ihnen geteilt wird.
Grundsätzlich lassen sich jene Aussagen jedoch aus dem gesellschaftlichen Umgang mit der Thematik und den jeweiligen Fakten in der tatsächlichen Lebenswirklichkeit ableiten, die wiederum viele prominente Vertreter der Psychologie und Psychiatrie entscheidend beeinflussen.
Dieser Umgang mit den Vorfällen und deren Bewertung sind verantwortlich dafür, dass die Häufigkeit dieser nicht ab-, sondern zunimmt und sich trotz laufend neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse nichts Wesentliches am gegenwärtigen Status quo ändert und verbessert.
Auch hier kann plakativ von der üblichen Symptombekämpfung und -behandlung – wie in vielen anderen Lebensbereichen ebenso (z. B. in der Wirtschaft in der aktuellen Finanz- und Schuldenkrise) – gesprochen werden, anstatt der sinnvollen, notwendigen und einzig zielführenden Erforschung der primären Auslöser und deren späteren Bewältigung.
Zentraler Punkt in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung und Aufarbeitung mit und der Beurteilung von Gewaltexzessen ist die Schuldfrage und daher indirekt die Frage nach den Motiven und Hintergründen des Verbrechens. Ist der Täter schuldfähig und demgemäß voll (eigen) verantwortlich für sein Tun oder kann ihm Schuldunfähigkeit attestiert werden?
> Was bedeutet indes Schuldfähigkeit bzw. -unfähigkeit genau bzw. wann ist ein Täter schuldfähig und wann eben nicht?
> Gibt es einen Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung oder ist dies im Endeffekt das Gleiche, nur anders formuliert?
> Existiert immer eine gesellschaftliche Mitverantwortung oder ist die Gesellschaft dies betreffend außen vor?
> Wann ist eine Therapierbarkeit gegeben, wann nicht?
> Ist die Bestrafung in klassischer Form des Freiheitentzugs zielführend und kann derart überhaupt eine sogenannte Resozialisierung gelingen?
> Oder ist es letztlich allein ein Ausdruck von gesellschaftlicher Hilflosigkeit und zudem starker Verdrängung, indem elementare Probleme mittels Wegsperren in ein Gefängnis und damit Eliminierung aus dem Alltag „gelöst“ werden (Motto: „aus den Augen, aus dem Sinn“)?
Über Schuld wurde und wird ausgiebig philosophiert mit höchst konträren Ergebnissen. Kern der Schuldfrage ist die Schuldfähigkeit, die im positiven Falle wiederum die Entscheidungsfreiheit, die Zurechnungs-, Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit des Menschen voraussetzt. Zusammengefasst als Selbstbestimmung zu bezeichnen, die dem Menschen ermöglicht, zwischen – vereinfacht ausgedrückt – Gut und Böse, Richtig und Falsch zu differenzieren, zu wählen und danach zu handeln.
Diese vom Willen geprägte Entscheidungsfreiheit, die jedem Menschen von der großen Mehrheit der Menschheit zugestanden wird, impliziert die klare Trennung von Bewusstsein bzw. Ratio auf der einen Seite und der Psyche auf der anderen Seite. Wenn der Mensch wählen will, dann kann er dies auch, außer er hat genetische/anlagebedingte Einschränkungen wie beispielsweise erheblich verminderte intellektuelle Fähigkeiten.
Wie die Ausführungen in puncto des menschlichen Bauplans, der Urangst, der Identitätsproblematiken, dem Entstehungshintergrund, der Funktion und der Funktionsweise des Bewusstseins, der Ratio und des psychischen Apparats mitsamt ihrer Korrelationen zeigen, ist der Mensch zum einen anhand vieler Anlagen und Grundstrukturen wie deren Notwendigkeit zur Bedürfniserfüllung determiniert, zum anderen gleichsam - die Genetik hier als ebenfalls maßgeblichen Faktor außen vor lassend - von den Umweltbedingungen abhängig, die sowohl für die Art und Weise wie für die Qualität der Grundbedürfniserfüllungen zuständig bzw. verantwortlich sind.
Aus dieser äußerst individuellen Gemengelage ergeben sich schließlich das Persönlichkeits- und Charakterbild eines Menschen und dessen Spielraum an faktischer Entscheidungs- und Steuerungsfreiheit.
Mit anderen Worten: Die Instrumentalisierung des Geistes – auch eines hoch entwickelten, sehr intelligenten – kraft des psychischen Apparats ist dann signifikant, wenn das identitätsgemäße Pseudogleichgewicht außerordentlich fragil und instabil ist, weil essenzielle Grundbedürfnisse in elementarer Manier frustriert wurden.
Erschwerend bei der Beurteilung der subjektiven Entscheidungsfreiheit eines Menschen sind die aufgrund des metaphysischen Prinzips des Ausgleichs erwachsenen Kompensationen und Ersatzhandlungen, die es dem Betroffenen in Verbindung mit diversen psychischen Reaktionsformen (u. a., aber hauptsächlich Verdrängung, Abspaltung, Rationalisierung) gestatten, eine – sowie nach außen (der Umwelt gegenüber) als nach innen (gegenüber der eigenen Person) gerichtete – Fassade bzw. Scheinwelt aufzubauen und einzunehmen.
Der Mensch muss demnach dank ausreichender Grundbedürfniserfüllungen in der Kindheit in die Lage versetzt werden, ein großes Maß an Selbstbestimmung zu realisieren und so überdies eine größtmögliche Unabhängigkeit des Geistes von der Psyche. Dieser Chance darf der Mensch nicht von vornherein beraubt werden, da sie eigentlich sowohl sein Recht wie gesellschaftliche Verpflichtung sein sollte.
Die vorstehend genannten Kontexte bilden die Grundlage für die Bewertung einer Schuldfähigkeit und einer Zuweisung von Schuld und bewusster Verantwortung.
Sobald Gutachter (Psychologen, Psychiater, Soziologen) in Gerichtsverfahren den Täter und dessen Schuldfähigkeit beurteilen sollen, werden, je nach Fall, in der Regel die unterschiedlichen Persönlichkeitsstörungen, ob u. a. dissoziale, schizoide, paranoide, narzisstische, histrionische (gekennzeichnet durch egozentrisches und theatralisches Verhalten), zwanghafte, emotional instabile oder passiv-aggressive, als Ursachen angegeben. Auch schwere Abartigkeiten, wie immer diese sich gestalten mögen, gehören zu der Bandbreite der Befunde.
Von der Art der Straftat und der Ausführung abhängig, kommen obendrein hinsichtlich des sogenannten Motivs noch Attribute und Merkmale, wie zum Beispiel Kaltblütigkeit, Hass, besondere Grausamkeit, Habgier, Heimtücke, Mordlust, Lustmord (Befriedigung des Geschlechtstriebes), Bereicherung oder Ausländer- bzw. Rassenhass ins Spiel, meist außerdem (strafrechtlich) verschärfend als niedere Beweggründe betitelt.
Jeder der angeführten Persönlichkeitsstörungen und Verhaltensweisen, der Habgier und der Bereicherung inbegriffen, und allen Weiteren ebenfalls, liegt im Kern die in diesem Buch beschriebene Identitätsproblematik zugrunde, natürlich in abweichenden Ausprägungen und daher Schweregraden.
Ausnahmslos alle psychische Störungen haben je nach Belastungsgrad stets eine mehr oder minder tief greifende Bewusstseinsstörung und somit zudem eine mehr oder minder große Einschränkung der Verantwortung und zwangsläufig der Schuldfähigkeit zur Folge.
Bei den an dieser Stelle thematisierten extremen Gewalttaten kann prinzipiell eine elementare Persönlichkeits- und mithin auch Bewusstseinsstörung mit einer starken Instrumentalisierung des Geistes vorausgesetzt werden.
Die Forensik wird zum Handlanger und Stabilisator der bestehenden, in vielen Bereichen krankmachenden Zustände (die in der Endkonsequenz erst zu den psychisch kranken Menschen führen, die mit ihrer Krankheit nicht alternativ umgehen können, als sich auf maßlose, exzessive Weise abzureagieren), wenn, wie zum Beispiel im Fall J. Fritzl, Österreich (Inzest, Mord durch Unterlassung) geschehen, die Psychiaterin zur Schuldfähigkeit aussagt, dass Herrn Fritzl zwar eine schwere Persönlichkeitsschädigung zu attestieren sei, ihm indes gleichzeitig volle Zurechnungsfähigkeit bestätigte und ihn abnorm, allerdings psychisch nicht als krank charakterisierte, so als wäre Abnormität eine neben dem Menschen grundsätzlich vorhandene, unabhängige Existenzform.
Oder ein Sachverständiger, der bei einem betont brutalen Vergewaltiger einen krankhaften Persönlichkeitsdefekt verneinte und dem Angeklagten volle Schuldfähigkeit bescheinigt, jedoch zugleich von Normabweichung spricht, weil der sexuelle Sadist Macht und Kontrolle ausüben wollte.
Oder ein als Psychiatrie-Papst etikettierter Gutachter, der den Mörder von Mirco S. als eine psychisch gesunde Normalperson mit überdurchschnittlicher Intelligenz typisiert, dessen Steuerungsfähigkeit nicht beeinträchtigt gewesen ist, der folglich gänzlich zurechnungsfähig und deshalb strafrechtlich vollkommen für sein Handeln verantwortlich gemacht werden kann bzw. muss.
Der Antrieb sei zwar weiter unklar und befindet sich im Dunkeln, auch zumal sich der Täter als nicht kooperativ in der Vernehmung und im gutachterlichen Gespräch gezeigt hat, aber vermutlich liegt eine sadistisch-perverse Motivation vor, bei der er Macht anwenden und einen anderen Menschen demütigen wollte. Im Übrigen wurde ausgeführt, dass Olaf H. (der Täter) womöglich selbst ein nicht bewusstes frühkindliches Trauma erlebt hat, welches er abgespalten und dergestalt zwei parallele Existenzen praktiziert hat, eine als sozial angepasst agierende und eine als pervers-fantasierende Person.
Die Onlineausgabe eines großen deutschen Nachrichtenmagazins überschrieb ihren Bericht mit der Schlagzeile „Mord ohne Grund“ …
Da es offensichtlich keine spontane Tat war, der Gutachter zwar ein hohes Maß an Verdrängungs- und Verleugnungstendenzen registriert hat, freilich der Täter laut Intelligenzquotienten sogar hochbegabt ist, wird der Schluss gezogen, dass sowohl eine Selbstanalysefähigkeit (Hinweise zum Anlass trotz der scheinbar präsenten Abspaltung) wie überdies eine persönliche, handlungsgemäße Entscheidungshoheit gegenwärtig sind.
Hier offenbart sich ein sehr weitverbreitetes, vollkommen falsches Verständnis vom primären Wesen des Menschen und dem auf der heutigen Lebenswirklichkeit basierenden Weltbild, das wiederum viel über das Selbstbild der Menschen aussagt (Stichwort: der Mensch als reiner Willensmensch), und nicht bzw. nicht im gebotenen Ausmaß anerkennt, dass die Psyche immensen dirigierenden, limitierenden und freiheitsraubenden Einfluss auf das Bewusstsein verrichtet.
Auch wenn die Wirkung in ihrer Natur unterschwellig ist, so schlägt sich dieser in der Folge allzeit auf das Handeln und Verhalten nachhaltig nieder, unter anderem dadurch, dass wegen nicht erfolgter, hingegen absolut notwendiger Bedürfniserfüllungen in der Frühkindheit, physiologische Prozesse sich nicht oder nur ungenügend ausbilden konnten (dank Unter- oder Nichtversorgung; betroffen sind Synapsen, Botenstoffe, biochemisch fußende Verschaltungen und Strukturierungen, etc.) und derweise eine Zwanghaftigkeit für angemessen umfangreiche Kompensationen entstehen musste und sich etablieren konnte. Die Eigensteuerung und Selbstbestimmtheit ist dann anhaltend erheblich eingeschränkt, obwohl die Tat dies in ihrer Durchführung nicht deutlich macht, weil der Täter einem Manager gleich, seinen Plan, besser seine Fixierung (psychische Determiniertheit aufgrund der Kindheitserlebnisse), abarbeitet.
Vor allem ist es ein Irrglaube vom Intelligenz- und Bildungsgrad eines Menschen auf dessen tiefgründige und ursächliche Steuerungs- und damit Zurechnungsfähigkeit zu schließen, da diese bei entsprechenden psychischen Defiziten durchweg mehr oder minder stark begrenzt und höchstens auf der vordergründigen Ebene der Symptome gegeben ist und sich dann in einem planvollen, kalkulierten und kühlen Vorgehen dokumentiert.
Elementare Handlungen und Entwicklungen geschehen generell nicht ohne psychisch motivierten Hintergrund, aber die diesbezügliche Nachvollziehbarkeit, in welchem Verbindungs-, Bedingungs- und Abhängigkeitsgeflecht der Körper (u. a. neurologische und physiologische Steuerung), der Geist und die Psyche stehen, ist äußerst schwierig zu entschlüsseln. Hier ist übrigens die Ursache zu sehen, weshalb jeder Täter zuerst selbst Opfer war, da der Bedarf an Ersatzbefriedung erst durch die Negierung der Grundbedürfnisse respektive erfahrener Traumata erwachsen konnte.
Auch mittels Drogen- oder Alkoholkonsum verursachte Bewusstseinsstörungen, die Hemmschwellen beträchtlich herabsetzen und so zu Katalysatoren für Exzesse werden können, haben in der Regel angesichts der zugrunde liegenden Süchte ein Identitätsproblematik gemäßes Motiv, werden strafrechtlich allerdings meist als mildernde, entlastende Umstände akzeptiert, weil in diesen Fällen die Zurechnungs- und Steuerungsfähigkeit als nicht mehr oder nur sehr reduziert angesehen wird.
Je berechnender, geplanter, kaltblütiger und perfider eine Tat begangen wird, desto lauter ist einerseits der Schrei der Öffentlichkeit nach drastischer Bestrafung und andererseits die Haltung, dass der Täter kraft seiner rational gesteuerten Vorgehensweise voll oder zumindest weitgehend für sein Handeln verantwortlich und daher schuldfähig ist.
Ist der Täter verwirrt (hier ist nicht ein angeborenes intellektuelles Defizit gemeint) oder von Drogen benebelt, dann ist die Zurechnungsfähigkeit offenkundig verringert oder gänzlich nicht vorhanden. Beide Zustände haben jedenfalls immer ihre Vorgeschichte, die sich wiederum mit den persönlichen psychischen Deformationen im Kontext befindet. Normalerweise muss jedoch der für die Gesellschaft wahrnehmbare bzw. zu erkennende Zwischenschritt der scheinbar bewussten Außerkraftsetzung des klaren Verstandes existieren, um dem Täter eine Minderung seiner Eigenkontrolle zuzubilligen.
Die alleinige Haftung für das Handeln wird am Täter festgemacht, die Schuld kann konkret auf eine Person einge- und derart begrenzt wie eindeutig zugewiesen werden, vielleicht werden noch die von diesem Menschen selbst erlittenen Kindheits- und Jugenderlebnisse erwähnt, indes werden die generelle Verknüpfung von Symptomen und Ursachen, die schließlich zum Exzess geführt haben, entweder nicht erfasst oder in der Bewertung in absolut unzureichendem Umfang berücksichtigt.
Die Zuordnung der Verantwortung fällt natürlich leicht, es muss nicht tiefgründig und umfassend analysiert werden, nach kurzer Zeit kann man als selbst nicht direkt Betroffener das Geschehene schnell abhaken, wieder zum Alltag über- und der gesellschaftlichen Mitverantwortung – und somit der Eigenverantwortung aller Gesellschaftsmitglieder – aus dem Weg gehen. Die Gesellschaft und jedes einzelne, die Gesellschaft bildende Mitglied, wird von jeder indirekten, Vorgänge auslösenden, Mitverantwortung freigesprochen.
Die Wut und Aggression soll sich ausschließlich gegen den Täter richten, alles andere erhält die Absolution oder wird in endlos langen Prozessen und Haarspaltereien dermaßen weich gekocht und zerfleddert, dass keine substanziellen und folglich nachhaltigen Erkenntnisse übrig bleiben. Die ursprünglich krankmachenden gesellschaftlichen Parameter bleiben unangetastet und demgemäß bewahrt.
Sobald die Gewalttat ausnehmend brutal und abscheulich ist, ergo das symptomgemäße Produkt dergestalt überwältigend ist, dann rückt die Ursache automatisch in den Hintergrund. Das entstandene Leid – beim Opfer (wenn es überlebt hat) und bei den Angehörigen – ist präsent, nachvollziehbar, verständlich und greifbar, die wirklichen Triebfedern für das Verbrechen nicht.
Aber diese Art der Schuldzuweisung und -begrenzung wird der ganzen Problematik in keiner Weise gerecht – ebenso den Opfern nicht, vor allem den zukünftigen -, da die Abkopplung, hier Täter, hier die Tat und dort die Schuld und Verantwortung, nicht den Realitäten entspricht und die wahren Gründe vernebelt. Die nicht gegebene bzw. durch die eigenen Eltern/Familie und das soziale Umfeld verhinderte Entwicklungschance hat solch fundamentale, zu den eigentlichen Grundbedürfnissen diametral stehenden und wirkenden, Schädigungen provoziert und gezeitigt und so das Feld für die Tat bereitet.
Der Mensch wird ausnahmslos nicht als Gewalttäter, Vergewaltiger, Pädophiler, Mörder, Monster, etc. respektive mit inneren Dämonen geboren, sondern entwickelt sich in diese Richtung, wenn familieninterne und umweltexterne Konstellationen derart zusammenspielen, dass tief greifende psychische Anomalien entstehen.
Der Täter wurde auf einen Weg gelenkt, den er – aus der Retrospektive betrachtet - gehen musste, weil er dazu von seiner Andersartigkeit (psychische Veränderung zum wesenhaften Zustand laut der menschlichen Grundveranlagung) gedrängt wurde (Stichwort: existierender Impetus anhand erlebter Frustrationen und Traumata) und nicht einfach – durchdacht, geplant, kühl abwägend und in seiner Entscheidungsfindung frei und unabhängig – immer schon gehen wollte.
De facto ist ein Täter nicht Herr seiner selbst, hingegen aufgrund seiner psychischen Deformation fremdgesteuert (fremd, weil die Deformation nicht der originären menschlichen Natur gerecht wird).
Das psychische, biochemisch strukturierte Defizit arbeitet unermüdlich gegen den Betroffenen, ohne dass dies willentlich fundamental von ihm beeinflusst werden kann. Sinnbildlich befindet er sich im Kampf mit seinen inneren Dämonen.
Die Feststellung und das Eingeständnis, dass es keinen Täter gibt, der nicht selbst Opfer war, ist eine Tatsache, die dem Opfer und deren Angehörigen zweifellos nichts von ihrem erlittenen Leid nimmt, die allerdings unabdingbar sind, sofern die vorhandenen Gegebenheiten verändert werden sollen, um Fortschritte bei der zukünftigen Vermeidung von Gewalttaten zu erreichen und damit auch die Sicherheit der Gesellschaft zu gewährleisten (Stichwort: Präventivschutz).
Ohne Frage ist es extrem schwer, hier einen Anfang zu setzen und sich heranzumachen, die jeweiligen Prozesse zu durchbrechen. Die gesellschaftliche Uhr kann nicht mit einer Reset-Taste auf null gestellt werden wie eine Stoppuhr, die mit einem Knopfdruck die aufgelaufene Zeit (gleichbedeutend mit den Identitätsproblematiken 2, 3 und 4; Stichwort: generationenübergreifende Weitergabe der Erfahrungen, Erkenntnisse, Strukturierungen und vor allem der Probleme) löscht und mit einem erneuten Knopfdruck wieder – unbelastet von der Vergangenheit - von Neuem zum Laufen anfängt und auf diese Weise einen echten Neubeginn starten kann.
Bildlich: Die gesellschaftlichen und sozialen Prozesse sind in einem ständigen Fluss, der freilich, und dies ist die übermenschlich anmutende und gleichsam alternativlose Herausforderung, gebremst und angehalten, dem sich dadurch aufbauenden Druck standgehalten und die Fließrichtung (und –geschwindigkeit) dann in eine andere, den menschlichen und ebenfalls den natürlichen bzw. umweltgemäßen Grundbedürfnissen und Notwendigkeiten angemessene Bahn gelenkt werden muss.
Die vorgenannten Kausalitäten mögen wie eine Rechtfertigung und ein Täterplädoyer anmuten, tatsächlich sind sie ein Appell an die gesamtgesellschaftliche Verantwortung, sich trotz einer grausamen Tat – nach einer gewissen Zeit der Betroffenheit und Anteilnahme – eine Distanz zur sachlichen, der Problematik gebührenden Analyse und Beurteilung unter Berücksichtigung des relevanten Ursachenspektrums seitens des Täters zu bewahren (für eine persönlich involvierte Person als Angehöriger eines Opfers ist dies normalerweise nicht möglich und überdies nicht zumutbar). Die Aufgabe und sogar Pflicht einer aufgeklärten Gesellschaft ist die Schaffung von Rahmenbedingungen, u. a. in Form der diesbezüglich unerlässlichen ideologischen Bewusstseinsausrichtung (vorrangig sozialer und wirtschaftlicher Natur), der Installierung angepasster, qualifizierter pädagogischer Institutionen und obendrein wirkungsvoller Kontrollinstanzen, die Lebenswege und –schicksale, welche unweigerlich schwerwiegende Verhaltensabnormitäten hervorbringen und infolgedessen die Existenz weiterer Menschen bedrohen oder vernichten, zu verhindern.
Nur kraft dieser aktiven Prävention können das Menschenrecht nach (körperlicher und psychischer) Unversehrtheit und zugleich die Sicherheit der Gesellschaft gewährleistet werden und nicht mit abstrusen wissenschaftlich, technokratisch motivierten Theorien, die in der Forschung nach einem wie auch immer gearteten Verbrecher-Gen gipfeln. Jene Suche ist die Bemühung mittels Rationalisierung einer gesellschaftlichen Verantwortung zu entgehen.
Gerade besonders grausames, brutales oder kriminelles Verhalten möchten der Mensch und die Gesellschaft gerne als unerklärliche Abnormität abtun, nur, um sich nicht mit den tief liegenden Ursachen auseinandersetzen zu müssen und zudem zu verhindern, Parallelen zur eigenen Existenz zu erkennen.
Diesen Transformationsprozess zu einer effektiven, die Wurzel für die Fehlentwicklungen mitberücksichtigenden Vorbeugung muss von einer sich nicht wie bisher vom krankmachenden gesellschaftlichen System vereinnahmen lassender Psychologie angeführt werden, die nur einzelne, sich bereits ereignete Fälle analysiert und dergestalt eine Singularität und Begrenztheit erzeugt (demnach erst nachträglich reagiert und dank der Begrenzung Schuld zurechenbar macht). Anstatt dessen obliegt es der Psychologie aufklärend zu wirken, indem die korrelierenden Gesamtzusammenhänge aufgezeigt und Änderungserfordernisse (Stichwort: neue gesellschaftliche Parameter, die den psychischen Grundbedürfnissen im ausreichenden Maße Rechnung tragen) konkret benannt werden.
Aktuell setzen die Psychologie, Psychotherapie und Psychiatrie an den üblichen Hebeln, Koordinaten und Grenzen der vorgegebenen Lebenswirklichkeit an, gliedern sich in das Gesamtgeschehen ein und werden so zum Teil des Systems. Die Psychologie degradiert sich zum Werkzeug der tatsächlichen Lebenswirklichkeit wie zum Handlager des Systems und versucht lediglich innerhalb dieser Gegebenheiten den Menschen funktionstüchtig (ähnlich dem Arzt für den physischen Bereich) zu machen bzw. die Funktionsfähigkeit wiederherzustellen, als mit Vehemenz, Nachdruck und Ausdauer darauf hinzuweisen, dass die Lebensumstände seinen Ur-Bedürfnissen nicht entsprechen und ihn deshalb zwangsläufig krank machen.
Die Psychologie muss sich wegen ihrer Erkenntnisse über die elementare Veranlagung des Menschen, dessen psychischer Struktur und deren sich bedingenden Kausalitäten nach vorwärts gerichtet positionieren und gesellschaftliche Rahmenbedingungen verlangen, die den genannten Präventivcharakter berücksichtigen.
Psychologie muss so eine vollkommen andere gesellschaftspolitische und soziale Relevanz und Wertigkeit erhalten, als sie gegenwärtig einnimmt und diese gleichfalls beanspruchen.
Drastisch und auf den ersten Blick (vielleicht) übertrieben formuliert, prostituiert sich heute die Psychologie in einigen Gebieten und ist sowohl Komplize wie Profiteur der existierenden Zustände. Der Nachschub an psychisch erheblich gestörten Menschen reißt nicht nur nicht ab, sondern wird mitunter selbst generiert.
Beispielhaft sei hier das Wirken von Wirtschaftspsychologen erwähnt, die ihr Wissen gezielt dafür einsetzen, Produkte und Dienstleistungen zu konzipieren und zu kreieren (und anschließend passende Werbekampagnen und Vermarktungsstrategien zu arrangieren), deren Eigenschaften punktgenau an den psychischen Schwachpunkten des Menschen, hauptsächlich an seinem Bedarf an Ersatzbefriedigung anhand von Ersatz- und Kompensationshandlungen, ansetzen. Dadurch werden entweder neue Abhängigkeiten geschaffen oder bestehende weiter ausgebaut wie gleichzeitig manifestiert und dies zu guter Letzt darüber hinaus noch zur Profitmaximierung ausgenutzt.
Wenn beim Verbraucher massive Kaufwünsche ausgelöst werden und per übermäßigen Konsum bzw. starker Konsumorientierung folglich – um bloß ein kleines Spektrum potenzieller Auswirkungen zu nennen - Kaufsucht, Frustrationen (angesichts dem geringen und nicht nachhaltigen Befriedigungswert; sobald Kauflust nicht realisiert werden kann und daher am Konsum nicht teilgenommen werden kann), Burn-out-Syndrom (ausgesprochene Leistungsausrichtung, um den Konsum bezahlen und mit anderen Menschen im Vergleich mithalten zu können) oder finanzielle Probleme entstehen, dann ist der Psycho-/Verhaltenstherapeut zur Stelle, der die mithilfe der Psychologie zumindest geförderten Probleme wieder beseitigen soll.
Fazit: Psychologie ist keine (austauschbare) Dienstleistung wie viele weitere, sondern muss Ausgangspunkt und zugleich Triebfeder für die Umkehr und Rückbesinnung auf die ursächlichen, essenziellen und (gleichwertig) nicht ersetzbaren Bedürfnisse des Menschen sein, anstatt wie bislang bestenfalls schon präsente oder bereits abgeschlossene Entwicklungen zu analysieren und zu kritisieren. Unabdingbar hierfür ist ein geweiteter Blick über den eigenen Fachbereich hinaus, der die gesellschaftlichen Zusammenhänge, Kausalitäten und Abhängigkeiten in Bezug zu den menschlichen Problemfeldern in angemessener Form und im nötigen Umfang berücksichtigt und diese schließlich mit Entschiedenheit im gesellschaftlichen Diskurs vertritt.
Das psychologische Wissen über den Menschen darf nicht zu seinen Lasten benutzt (Bereich Wirtschaft) oder als „Waffe“ gegen ihn verwendet bzw. missbraucht werden – hier ist vor allem die Politik mit ihren Wahlstrategen gemeint, die mit ihren psychologischen Kenntnissen bewusst Ängste schüren und diese bedienen –, um sich damit an seiner identitätsgemäßen Grundproblematik bereichern zu können, ob in Form von wirtschaftlichem Profit oder/und mittels Machtgewinn/-erhalt.
Die gegenwärtigen Klassifikationen der Psychiatrie müssen überdacht und modifiziert werden, da beim vorhandenen Status quo die Definition, wann eine psychische Krankheit beginnt bzw. diagnostizierbar ist, bei Weitem zu beschränkt ist, mit der Konsequenz, dass viele Problem erzeugende Verhältnisse und Einstellungen (Verhältnisse und Einstellungen, die zu psychischen Defiziten und Störungen führen), als normal angesehen werden.
Zur Verdeutlichung ein aktuelles Beispiel: Ein bekannter und renommierter, auch als Gutachter tätiger Psychiater hat auf die Frage, was die brutal mordenden und sich dabei filmenden IS-Terroristen antreibt und ob sie als psychisch krank zu bezeichnen sind, geantwortet, dass nach den gängigen Klassifikationssystemen der Medizin bei diesen Terroristen keine psychische Krankheit vorliegt. Unter anderem wurde diese Auffassung mit dem Verweis auf Studien und Gutachten über die Attentäter vom 11. 9. 2001 in Amerika begründet, bei denen festgestellt wurde, dass von mehr als zwanzig Angeklagten nur einer tatsächlich an einer Psychose erkrankt gewesen sei, und bei zwei weiteren konnte lediglich eine psychische Krankheit vermutet werden.
Weiter wurde ausgeführt, dass in der Psychiatrie zwischen Wahn und Fanatismus unterschieden wird, mit dem Ergebnis, dass Wahn eine psychische Krankheit ist, Fanatismus jedoch nicht.
Dass hier ein großer, durchaus gefährlicher Irrglaube besteht, wurde schon an vielen Stellen dezidiert beschrieben, denn welche psychische Verfassung sollte sich hinter einer derart fanatischen Haltung befinden …, eine gesunde jedenfalls mit Sicherheit nicht. Die in der Psychiatrie präsenten respektive geltenden Einordnungen und Befunde, die zahlreiche, sowohl den Betroffenen wie die Gesellschaft belastende, Verhaltensformen als normal oder zumindest nicht als psychisch krank bewertet, dürfen nicht als sakrosankt erachtet und wie eine „heilige Kuh“ verteidigt werden (Stichwort: Elfenbeinturm-Attitüde). Hingegen müssen diese Einteilungen in ihren Auslegungen – und dies bezieht sich selbstverständlich nicht nur auf das aufgeführte Beispiel „Wahn und Fanatismus“ - wesentlich geweitet werden, um dadurch die zugrunde liegenden, Problem verursachenden Faktoren (hauptsächlich mangelhafte Grundbedürfniserfüllungen in der Kindheit, die eine instabile, von äußeren Einflüssen abhängige Psyche ergeben) zu erkennen und so überhaupt den Ansatz zur Veränderung an der Ursache, und nicht allein am Symptom, zu ermöglichen.