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d) Die Berichte des Ausschusses

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Bis zu den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts gab sich der Grundgesetzausschuss mit der Mitteilung des Verfahrens, in dem der Gesetzesvorschlag, der zur Debatte stand, angenommen werden sollte, zufrieden: Falls der Ausschuss eine Verletzung der Verfassung feststellte, musste das qualifizierte Verfahren, das man für Verfassungsänderungen benötigte, eingehalten werden; falls nicht, konnte der Vorschlag mit einfacher Mehrheit angenommen werden. In den achtziger Jahren entwickelte man ein Prinzip zur Vermeidung von Ausnahmegesetzen, das eine Veränderung in den Stellungnahmen des Ausschusses mit sich brachte. Für den Fall, dass ein Widerspruch mit der Verfassung entdeckt wird, gibt sich der Ausschuss nicht mehr damit zufrieden, die verfahrensrechtliche Schlussfolgerung daraus zu ziehen. Er deutet vielmehr selbst an, wie der Vorschlag abgeändert werden sollte, um den Widerspruch aufzulösen. Jedoch formuliert er gewöhnlich die Abänderung nicht, sondern überlässt dies dem Empfänger des Berichtes, grundsätzlich also dem Ausschuss, der für die vorbereitenden Erwägungen des auf dem Spiel stehenden Gesetzesentwurfs zuständig ist. Es mag vorkommen, dass der letztere Ausschuss ein neues Gutachten des Grundgesetzausschusses bezüglich der Entwurfsabänderung verlangt. Dies ist jedoch eher selten und es gibt keine Verpflichtung hierzu.

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Art. 42 Abs. 1 der Verfassung erlegt dem Parlamentspräsidenten die Pflicht auf, zu überwachen, dass die Verfassung während der Beratungen in der Vollversammlung eingehalten wird. Die travaux préparatoires zur Verfassung betonen, dass diese Pflicht sich auch auf die Überwachung erstreckt, dass die Stellungnahmen des Grundgesetzausschusses in angemessener Weise beachtet werden.[30] Allerdings hat man den Mangel eines institutionalisierten nachfolgenden Verfahrens manchmal als Problem angesehen.

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Die Position, die der Grundgesetzausschuss hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzesvorschlags einnimmt, ist für das Parlament verpflichtend, auch wenn dies nicht ausdrücklich in der Verfassung steht. Diese Interpretation beruht auf der Verfassungsbestimmung über die Pflichten des Parlamentspräsidenten und die Rolle des Ausschusses in der Lösung einer verfahrensrechtlichen Meinungsverschiedenheit zwischen dem Parlamentspräsidenten und der Vollversammlung. Art. 42 Abs. 2 der Verfassung bestimmt:“Der Parlamentspräsident darf sich nicht weigern, eine Angelegenheit zur Beratung oder einen Vorschlag zur Abstimmung vorzulegen, wenn er nicht befindet, dass dadurch gegen das Grundgesetz, ein anderes Gesetz oder einen bereits vom Parlament gefassten Beschluss verstoßen wird. Der Präsident hat in diesem Falle die Gründe für seine Verweigerung anzugeben. Billigt das Parlament das Verfahren des Parlamentspräsidenten nicht, wird die Angelegenheit an den Grundgesetzausschuss verwiesen, der unverzüglich entscheiden soll, ob der Präsident richtig gehandelt hat.

Verglichen mit den Urteilen des deutschen Bundesverfassungsgerichts beispielsweise sind die Berichte des Grundgesetzausschusses recht kurz, besonders in dem Fall, dass der Ausschuss keinen Widerspruch zur Verfassung findet. Der quasi-gerichtliche Charakter des Ausschusses wird gleichwohl in seinem Argumentationsmuster deutlich, das merklich von dem der anderen Parlamentsausschüsse abweicht. Es ist seiner Natur nach eher juristisch denn politisch. Beispielsweise beziehen sich Berichte routinemäßig auf verfassungsrechtliche Präzedenzfälle, um eine aktuelle Frage zu entscheiden, obwohl sich der Ausschuss keineswegs an eine starre Lehre des stare decisis bindet. Demzufolge kann der Ausschuss auch Gründe finden, um die vorherrschende verfassungsrechtliche Ansicht abzuändern. Wenn er dies tut, hat er – zumindest in den neueren Jahrzehnten – versucht, sich an das Prinzip zu halten, Revisionen seiner Ansicht offen auszusprechen. Von Zeit zu Zeit – jedoch nicht besonders häufig – bezieht sich der Ausschuss auf Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes oder des Obersten Verwaltungsgerichtshofes und seit kurzem sind auch Bezüge zur Literatur in die Berichte eingeflossen.

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Gemäß Art. 74 der Verfassung soll der Grundgesetzausschuss nicht nur die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzvorschlägen, sondern auch ihr Verhältnis zu internationalen Menschenrechtsverträgen behandeln. Dementsprechend betrifft das Recht, welches der Ausschuss in seiner Kontrolle anwendet, nicht nur die Verfassung, sondern sogar Menschenrechtsinstrumente, die für Finnland verbindlich sind. In seinen Berichten wendet sich der Ausschuss insbesondere der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu. Doch seit der Reform der Grundrechtsbestimmungen im Jahr 1995 lässt sich keine strenge Grenze mehr zwischen der Verfassungskontrolle und der Überwachung der Menschenrechte ziehen. Man entwickelte die neuen Grundrechtsbestimmungen, um den relevanten Menschenrechtsverträgen, insbesondere der Europäischen Menschenrechtskonvention, zu entsprechen. Gemäß den travaux préparatoires sollen die Verfassungsbestimmungen im Lichte der entsprechenden Bestimmungen der Menschenrechtsverträge ausgelegt werden; die letzteren bestimmen das Mindestmaß des Schutzes, der durch die verfassungsmäßigen Grundrechte gewährleistet wird.[31] Dementsprechend sind Menschenrechtsverträge und gerichtliche Entscheidungen auch wichtige Argumentationsquellen in der Verfassungsinterpretation, trotz der Tatsache, dass sie nicht durch ein Gesetz im Verfassungsrange in die finnische Rechtsordnung inkorporiert worden sind.

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Der Grundgesetzausschuss behandelt auch Gesetzesvorschläge, die in Beziehung zum Autonomiegesetz der Ålandinseln stehen, obwohl dieses Gesetz nicht ausdrücklich in Art. 74 genannt wird. Art. 75 Abs. 1 der Verfassung bestimmt: „Für das Verfahren zur Verabschiedung des Selbstverwaltungsgesetzes und des Bodenerwerbsgesetzes von Åland gilt, was hierzu durch die erwähnten Gesetze besonders vorgeschrieben wird.“

Art. 69 Abs. 1 des ersteren Gesetzes legt fest, dass es nur durch gleichzeitige Entscheidungen des Parlaments und der Gesetzgebenden Versammlung der Ålandinseln ergänzt oder abgeändert werden kann. Im Parlament muss das Verfahren für Verfassungsänderungen eingehalten werden.

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Die Berichte des Ausschusses werden als Teil der Akten des Parlaments veröffentlicht und sind auch auf der Webseite des Parlaments verfügbar. Im Gegensatz dazu sammelt man die Berichte weder, wie etwa die Präzedenzfälle des Obersten Gerichtshofes und des Obersten Verwaltungsgerichtshofes, in einem Jahrbuch, noch gibt es im Internet eine separate Datenbank zu den Stellungnahmen des Ausschusses. Die Gutachten der Experten, die vom Ausschuss hinzugezogen wurden, werden nicht veröffentlicht, sind aber auf Anfrage erhältlich.

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