Читать книгу Ius Publicum Europaeum - Kaarlo Tuori - Страница 164

4. Zusammenfassung

Оглавление

117

Dem finnischen Modell, basierend auf einer Kombination von abstrakter parlamentarischer ex ante-Kontrolle und gerichtlicher ex post-Kontrolle, ist es gelungen, zumindest einige Gefahren abzuwehren, vor denen die Kritiker der Verfassungskontrolle und der darauffolgenden Tendenz zu einem Jurisdiktionsstaat gewarnt haben. Eine eindeutige Betonung liegt auf der ex ante-Überwachung und die Gerichte scheinen die Rolle, welche ihnen nach dem ultima ratio-Einwand für eine gerichtliche Kontrolle zukommt, zu akzeptieren. Ein integraler Bestandteil des gegenwärtigen Gleichgewichts zwischen parlamentarischer und gerichtlicher Kontrolle besteht aus dem Erfordernis des „offensichtlichen Widerspruchs“, das durch Art. 106 der Verfassung aufgestellt wird. Es hat einen allgemeinen Ruf nach richterlicher Selbstbeschränkung ausgedrückt und die Auswirkung der deutschen Lehren von den Grundrechten als Rechtsprinzipien mit allgemeinem Anwendungsbereich, der Drittwirkung der Grundrechte und der Schutzpflicht des Staates eingeschränkt.

118

Ursprünglich ist das Kriterium des offensichtlichen Widerspruchs von der schwedischen Verfassung entliehen worden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt berät man sowohl in Schweden als auch in Finnland über eine Verfassungsreform und es haben sich Stimmen erhoben, die für die Abschaffung dieser Beschränkung der gerichtlichen ex post-Verfassungskontrolle eintreten; in Schweden wurde sogar ein Gesetzesvorschlag, der eine Bestimmung zu diesem Zweck enthält, dem Parlament vorgelegt.[72] Meiner Auffassung nach wäre die Abschaffung des Kriteriums des offensichtlichen Widerspruchs ein Fehler. Dieses Kriterium birgt wichtige Botschaften, die immer noch sachdienlich sind: einen allgemeinen Ruf nach richterlicher Selbstbeschränkung, der durch die Prinzipien der Demokratie und der Gewaltenteilung gerechtfertigt ist, den Vorrang der abstrakten ex ante-Kontrolle durch den Grundgesetzausschuss und die Rolle der Gesetzesauslegung bei der Lösung von Spannungen zwischen Gesetzgebung und der Verfassung. Die Tatsache, dass Gerichte sich selten auf ihre Macht nach Art. 106 der Verfassung berufen, ist an und für sich kein Problem; es könnte ganz einfach anzeigen, dass die Verfassungskontrolle ungefähr so funktioniert, wie sie es in einem demokratischen Rechtsstaat sollte. In Finnland waren Kritiker des Kriteriums des offensichtlichen Widerspruchs nicht in der Lage, irgendeinen Fall zu nennen, in dem dieses Kriterium eine notwendige gerichtliche ex post-Kontrolle verhindert hat.[73] Hätte es mehr gerichtliche Fälle der Verfassungskontrolle gegeben, hätte dies, auf der anderen Seite, ernsthafte Probleme im demokratischen Gesetzgebungsprozess und der ex ante-Kontrolle offenbart. Falls das Erfordernis des offensichtlichen Widerspruchs abgeschafft würde, könnte dies ebenfalls leicht als Botschaft verstanden werden: als eine Ermunterung der Gerichte, die Schwelle in der Verfassungskontrolle niedriger anzusetzen. Eine derartige Botschaft wäre kaum zu rechtfertigen.

119

Im Hinblick auf die ex ante-Kontrolle durch den Grundgesetzausschuss wurde dies, im Gegensatz zur abstrakten ex ante-Kontrolle durch viele Verfassungsgerichte oder Quasi-Gerichte wie den französischen Conseil constitutionnel, nicht in ein Instrument der Opposition umgewandelt. Im Regelfall kommt die Initiative, den Grundgesetzausschuss zu befragen, von der Regierung, und es kommt sehr selten vor, dass das Anregen einer Verfassungskontrolle politische Leidenschaften entfacht. Als Politiker sind die Mitglieder des Ausschusses im Prinzip für den politischen Druck der Partei empfänglich, was nicht gut zur quasi-gerichtlichen Natur der Körperschaft passt. Jedoch ist ein derartiger Druck selten, und die Abwesenheit von Parteidisziplin und der Ausschluss der vor dem Ausschuss anhängigen Sachen von Gruppentreffen zeigen das Verständnis für den besonderen Charakter der Angelegenheiten der Verfassungskontrolle. Dennoch gibt es Beispiele mangelnden Respekts der Repräsentanten der Exekutive gegenüber Positionen des Grundgesetzausschusses. Selbst Versuche der Beeinflussung laufender Beratungen im Ausschuss sind vorgekommen. Falls solche Phänomene häufiger werden, wäre dies für die Autorität des gegenwärtigen Systems der Verfassungskontrolle nachteilig und Forderungen nach einem Systemwechsel würden laut werden.

120

Jedoch sehe ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Grund für grundlegende Veränderungen im System der ex ante-Verfassungskontrolle, wie etwa eine extensivere Beteiligung der höchsten Gerichte oder gar der Errichtung eines Verfassungsgerichts. Allerdings finde ich die Macht des Präsidenten, den Obersten Gerichtshof oder den Obersten Verwaltungsgerichtshof auf verfassungsrechtlicher Grundlage anzurufen, nachdem ein Gesetzesentwurf durch das Parlament angenommen wurde, recht problematisch. Sie kann zu verfassungsrechtlichen Kontroversen und zu einer Schwächung der Autorität des Grundgesetzausschusses führen. Außerdem könnte dies, wie die Venedig-Kommission in ihrem Bericht über die finnische Verfassung bemerkte, Spannungen vom Blickwinkel der Gewaltenteilung her erzeugen.[74] Die Verfassungsreform, die am 1.3.2012 in Kraft trat, hat die Bestimmungen über die Verfassungskontrolle nicht verändert, anders – darauf sei abschließend hingewiesen – die schwedische Verfassungsreform: Sie hat zum 1.1.2011 die Erforderlichkeit eines offensichtlichen Konflikts abgeschafft.

§ 98 Verfassungsgerichtsbarkeit in Finnland › Bibliographie

Ius Publicum Europaeum

Подняться наверх