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e) Ausnahmegesetze
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Bereits seit dem 19. Jahrhundert besteht ein wesentliches Element der finnischen Verfassung in der Möglichkeit eines „Ausnahmegesetzes“: Ein Gesetzesentwurf, der als verfassungswidrig angesehen wurde, kann trotzdem in einem qualifizierten Verfahren, das für Verfassungsänderungen nötig ist, verabschiedet werden. Vor Inkrafttreten der Verfassung im Jahr 2000 war diese Möglichkeit nicht ausdrücklich geregelt, sondern nur durch den Schlussartikel der „Regierungsform“ indirekt angedeutet, der bestimmte, dass Ausnahmen von der „Regierungsform“ nur durch das gleiche Verfahren verabschiedet werden könnten wie Verfassungsänderungen. Nun werden Ausnahmegesetze ausdrücklich in der Bestimmung über das „Verfahren zur Verabschiedung des Grundgesetzes“ genannt (Art. 73). Zusätzlich stellt Art. 95 Abs. 2 ein vereinfachtes Verfahren für Ausnahmegesetze zur Verfügung, die internationale Verpflichtungen inkorporieren. Solche Gesetze werden, ohne sie in der Schwebe zu lassen, durch eine Entscheidung, die von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen getragen werden muss, angenommen.
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Die Möglichkeit eines Ausnahmegesetzes ähnelt der kanadischen Notwithstanding-Klausel. Abschnitt 33 Abs. 1 der kanadischen Charta der Rechte und Freiheiten räumt der bundesstaatlichen und landesrechtlichen Legislative das Recht ein, festzulegen, dass ein Gesetz oder einige seiner Normen ungeachtet der grundlegenden Bestimmungen über Rechte und Freiheiten der Charta durchzuführen sind. Diese gesetzgeberische Aufhebung ist für eine Zeitspanne von maximal fünf Jahren gültig, kann aber wiederholt werden (Abschnitt 33 Abs. 3–4). Im Gegensatz dazu gibt es kein Zeitlimit für die Wirksamkeit der finnischen Ausnahmegesetze.
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In Kanada hat sich ein Einverständnis entwickelt, das vor allem die Bundesgesetzgebung davon abhält, die Notwithstanding-Klausel anzuwenden, und – nach Gardbaums Ansicht – „prevented Section 33 from tempering the countermajoritarian difficulty posed by an unlimited power of judicial review“.[32] In Finnland hat die Entwicklung hinsichtlich der Anwendung von Ausnahmegesetzen einen ähnlichen Wandel erfahren. In den Jahrzehnten vor den Verfassungsreformen von 1995 und 2000 kritisierten einige Verfassungsrechtler die Ausnahmegesetze, da sie den Grundrechtsschutz schwächten und die ex ante-Verfassungskontrolle in eine formelle Beurteilung des notwendigen Gesetzgebungsverfahrens verwandelten. Tatsächlich ist die Zahl der Ausnahmegesetze schon vor den Verfassungsreformen von 1995 und 2000 deutlich zurückgegangen.
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Die derzeitige Bestimmung des Art. 73 der Verfassung erlaubt nur „beschränkte“ Ausnahmen von der Verfassung. Gemäß den travaux préparatoires für die neue Verfassung deutet dies darauf hin, dass ein Ausnahmegesetz nicht auf grundlegende verfassungsrechtliche Entscheidungen, wie etwa das gesamte Grundrechtssystem oder die Stellung des Parlaments als oberstes Organ des Staates, Einfluss nehmen darf. Ausnahmegesetze sollten sehr selten angewendet werden; im Prinzip nur, wenn internationale Verpflichtungen inkorporiert werden. Widersprüche zur Verfassung sollten in der Regel durch Abänderung des Gesetzesvorschlags beseitigt werden. Falls sich ein Ausnahmegesetz jedoch als notwendig erweist, sollte die Ausnahme so streng und genau wie möglich umrissen werden. Die Möglichkeit einer zeitlichen Begrenzung sollte auch in Betracht gezogen werden.[33]
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Die Bedingung der beschränkten Ausnahmen ist in Art. 95 Abs. 2, der sich auf Gesetze bezieht, die internationale Verpflichtungen inkorporieren, nicht wiederholt worden. Allerdings werden Gesetze, die in einem vereinfachten Verfahren nach Art. 95 Abs. 2 angenommen werden, auch als Ausnahmegesetze betrachtet, da der Grundgesetzausschuss die Bedingung auch auf diese Gesetze ausgedehnt hat. Das eröffnet die Möglichkeit, EU-Verträge und deren Abänderungen im Lichte der grundlegenden Verfassungsprinzipien, etwa in Art und Weise des deutschen Bundesverfassungsgerichts in seinen Urteilen zu den Verträgen von Maastricht und Lissabon, zu beurteilen. In der Tat hat der Grundgesetzausschuss den Gesetzesentwurf bezüglich der Inkorporation des Verfassungsvertrags im Lichte der Bedingung der beschränkten Ausnahme beurteilt, allerdings in einer eher oberflächlichen Weise.[34]
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Seit den achtziger Jahren, d.h. schon vor der neuen Verfassung, haben Ausnahmegesetze ihre frühere Bedeutsamkeit weitestgehend eingebüßt. Nach dem Inkrafttreten der neuen Verfassung im Jahr 2000 wurden nur noch zwei Ausnahmegesetze, die nicht die Inkorporation von internationalen Verpflichtungen betrafen, verabschiedet.
§ 98 Verfassungsgerichtsbarkeit in Finnland › II. Das gegenwärtige System der Verfassungskontrolle › 3. Die Rolle des Präsidenten und des Obersten Gerichtshofes in der ex ante-Verfassungskontrolle