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c) Das Verfahren der ex ante-Verfassungskontrolle

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Das Verfahren der ex ante-Verfassungskontrolle ist kaum geregelt. So gibt es keine speziellen Vorgaben, wie eine Frage an den Ausschuss herangetragen wird. Nicht alle Gesetzesvorschläge, die dem Parlament vorgelegt werden, unterzieht der Ausschuss oder auch nur das Sekretariat einer Überprüfung. Art. 32 bestimmt, dass Gesetzesvorschläge zuerst in einem Ausschuss beraten werden und dass es der Vollversammlung obliegt, nach einer vorbereitenden Besprechung und auf Vorschlag der Präsidialkonferenz, zu entscheiden, an welchen Ausschuss der Vorschlag weitergeleitet wird. Im gleichen Zusammenhang kann das Parlament auch entscheiden, dass dieser Ausschuss einen anderen Ausschuss hinzuziehen muss. Die normale Vorgangsweise bei der Einleitung einer Verfassungskontrolle ist folgende: Das Parlament entscheidet über den Vorschlag der Präsidialkonferenz, eine Stellungnahme des Grundgesetzausschusses hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzesvorschlags zu verlangen. Außerdem stammt die Initiative in den meisten Fällen von der Regierung. Falls Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines vorgeschlagenen Gesetzes bestehen, fügt die Regierung in den Gesetzesentwurf einen besonderen Abschnitt ein, in dem sie ihren Standpunkt darlegt; sie kann auch hinzufügen, dass sie es als wünschenswert ansieht, dass ein Bericht des Grundgesetzausschusses eingeholt werde. Selbst ohne diesen Zusatz führt allein die bloße Einfügung einer solchen Passage üblicherweise zur Beteiligung des Ausschusses.

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Innerhalb der Exekutive sind verfassungsrechtliche Überlegungen – oder sie sollten es zumindest sein – Teil des regulären Verfahrens für einen Gesetzesentwurf. Es besteht aber keine einheitliche Vorgangsweise für die Verfassungskontrolle durch die Verwaltung. Demzufolge wird das Justizministerium als wichtigste Quelle für Rechtsexpertise nicht in jede Gesetzesvorbereitung einbezogen. Es kann vorkommen, dass das Justizministerium anderen Ministerien verfassungsrechtliche Sachkunde während des Entwurfsstadiums zur Verfügung stellt; ob dies der Fall ist, hängt z.B. vom Zeitplan des Gesetzesprojekts und der Verfügbarkeit der benötigten Expertise im Justizministerium ab. Alle Fragen der offiziellen Agenda der Regierungstreffen, einschließlich der dem Parlament vorzulegenden Gesetzesentwürfe, sind prinzipiell durch den Justizkanzler geprüft, dessen spezielle Verantwortlichkeit für die Überwachung der Gesetzmäßigkeit der Regierungsakte auch die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzesentwürfe einschließt. In der Praxis hat der Justizkanzler auf Grund von Zeit- und Ressourcenmangel nur eingeschränkte Möglichkeiten einer umfassenden Verfassungskontrolle. Falls er oder sie verfassungsrechtliche Probleme feststellt, besteht die normale Vorgangsweise darin, dass die Regierung aufgefordert wird, in den Gesetzesentwurf einen Hinweis hinsichtlich der Notwendigkeit der Beteiligung des Grundgesetzausschusses aufzunehmen.

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Eine Verfassungskontrolle kann auch durch einen anderen Parlamentsausschuss eingeleitet werden, d.h. durch den Ausschuss, der für die Vorbereitung des Berichts über den Gesetzesentwurf verantwortlich ist. Gemäß Art. 38 der Geschäftsordnung des Parlaments können Ausschüsse gegenseitig Gutachten einholen. Zusätzlich verpflichtet Art. 38 Abs. 2 einen Ausschuss ausdrücklich, eine Stellungnahme des Grundgesetzausschusses zu verlangen, sofern bei einem Gesetzesentwurf oder einer anderen in Beratung befindlichen Angelegenheit Zweifel bezüglich der Verfassungsmäßigkeit oder bezüglich der Vereinbarkeit mit Menschenrechtsverträgen aufkommen. Drittens kann eine ex ante-Verfassungskontrolle ausgelöst werden, indem die Vollversammlung während der ersten oder zweiten Lesung des Gesetzesentwurfs entscheidet, den Entwurf dem Ausschuss vorzulegen.

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Das Verfahren im Grundgesetzausschuss folgt den allgemeinen Bestimmungen für Parlamentsausschüsse (Art. 39 der Geschäftsordnung). Das Verfahren beginnt mit der Anhörung des Vertreters des jeweiligen Ministeriums, üblicherweise dem Beamten, der für den Entwurf der Gesetzesvorlage zuständig ist. Bei diesem Treffen werden auch zwei oder drei Experten angehört. Falls diese einstimmig den Gesetzesentwurf für verfassungsrechtlich unbedenklich halten, ist diese Phase abgeschlossen. Falls die Experten in ihrem Urteil voneinander abweichen, werden gewöhnlich weitere Experten eingeladen. Wesentlich für das nachfolgende Verfahren ist, dass die Experten aufgefordert werden, schriftliche Gutachten vorzulegen.[29] Das Verfahren ähnelt in keiner Weise einem Gerichtsverfahren. Demnach werden in der Regel keine Interessengruppen eingeladen, ihre Ansichten darzulegen, obwohl sie von Zeit zu Zeit ihre Ansichten dem Ausschuss auf eigene Initiative hin unterbreiten. Allerdings nimmt der Bericht des Ausschusses nie auf solche Ansichten Bezug.

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Nach Anhörung der Experten führt der Ausschuss eine vorbereitende Diskussion durch, nach welcher der Sekretär einen Berichtsentwurf erstellt. Nach einer allgemeinen Diskussion wird der Entwurf einer detaillierten Prüfung unterzogen. Abstimmungen sind möglich und abweichende Meinungen können dem Bericht beigefügt werden.

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Hinsichtlich des Zugangs der Öffentlichkeit zu den Sitzungen folgt der Grundgesetzausschuss den allgemeinen Bestimmungen, die für alle Parlamentsausschüsse gelten. Gemäß Art. 50 Abs. 2 der Verfassung tagen Ausschüsse nichtöffentlich, können aber entscheiden, eine öffentliche Anhörung durchzuführen. Der Grundgesetzausschuss hat dies sehr selten – während der letzten zehn Jahre niemals – getan. Im Gegensatz dazu sind die Sitzungsprotokolle und andere dazugehörige Unterlagen des Ausschusses, einschließlich der schriftlichen Gutachten der Experten, für die Öffentlichkeit zugänglich, es sei denn, ein Ausschuss entscheidet sich aus einem zwingenden Grund dagegen.

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Die Gutachten der Experten bilden die Grundlage für den Berichtsentwurf, der durch den Sekretär vorbereitet wird. Falls die Experten in ihrem Urteil einig sind oder falls sich zumindest eine klare Mehrheitsmeinung abzeichnet, ist kaum vorstellbar, dass der Ausschuss davon abweichen würde. Falls Uneinigkeit unter den Experten besteht, gewinnt die politische Einstellung der Mitglieder mehr Bedeutung und es kommt – eher selten – vor, dass die Abstimmung die Teilung in Regierung und Opposition widerspiegelt; die große Mehrheit der Berichte ist einstimmig, was natürlich zu deren Akzeptanz in der politischen und rechtlichen Elite sowie in der allgemeinen Öffentlichkeit beiträgt. In der Regel sind verfassungsrechtliche Fragen, die vor dem Ausschuss anhängig sind, von den Kontroversen, die durch die Parteipolitik bestimmt sind, ausgeschlossen: Parlamentarische Gruppen nehmen zu ihnen keine Stellung und die Mitglieder des Ausschusses sind nicht der Parteidisziplin unterworfen.

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