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SCHLIMMER GEHT´S NIMMER: IMOLA 1994

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„Motorsport is dangerous!“ Auf jeder Akkreditierung, egal, ob von Fahrer, Teamchef, Mechaniker oder Journalisten, steht dieser Satz drauf. Nicht ohne Grund. Klar ist der Grand-Prix-Zirkus gefährlicher als ein Fußballstadion. Es passieren entsetzliche Unfälle. Dennoch möchte ich eines festhalten:

„Wer sich umbringen möchte, der ist in der Formel 1 am falschen Ort!“

Diese Sportart hat sich in puncto Sicherheit enorm entwickelt und verbessert. Natürlich kann und soll die Vergangenheit nicht ausgeblendet werden. Vieles ist geschehen und nicht mehr ungeschehen zu machen. Vor allem in der Anfangszeit bis in die 1980er-Jahre hinein haben pro Saison ein bis zwei Fahrer ihr Leben gelassen. Als ich in die Formel 1 kam, lag der letzte tödliche Unfall Gott sei Dank bereits eine Zeit lang zurück. 1982 starb der Italiener Riccardo Paletti beim Großen Preis von Kanada in Montreal. Du verdrängst das Risiko. Es ist dir gar nicht mehr bewusst.Vor der Saison 1994 möchte ich ein paar Dinge im Ablauf unserer Sendung verändern. Zum damaligen Zeitpunkt erfolgen nur das Rennen und der Kommentar dazu live. Der Rest wird vorab aufgezeichnet und eingespielt. Mein Bestreben gilt größerer Flexibilität. Ich will den Fans einfach mehr bieten und den „Schumi-Boom“ richtig nutzen. Die Idee: eine sogenannte Live-Kamera. Scheidet ein Fahrer aus, soll er so schnell wie möglich in der Boxengasse seinen Kommentar dazu abgeben.

Alles steht bereit. Die Frage der Umsetzung hängt nur noch vom richtigen Zeitpunkt ab. Der Große Preis von San Marino in Imola: Startschuss zur Europasaison. Ich darf die „Live-Cam“ erstmals „ausführen“. Perfektes Timing. Wir machen Stimmung. Wir präsentieren das „Rundum-gute-Laune-Programm“. Wir liefern italienische Lebensfreude. Doch leider ist nicht alles „tutto bene“.

Der Freitag beginnt mit einem schweren Unfall von Rubens Barrichello. Mit rund 200 km/h hebt sein Wagen beim Überfahren der Curbs ab. Er prallt gegen einen Reifenstapel und überschlägt sich mehrmals. Die Zunge des Brasilianers legt sich über seine Luftröhre. Rubens verliert das Bewusstsein und muss noch auf der Strecke medizinisch behandelt werden. Der Arm wird überdies in Gips gelegt. Die Nase ist gebrochen. Barrichello sieht übel aus. Ein Wunder, dass er nicht noch mehr abbekommen hat. Die Live-Kamera ist zum ersten Mal im Einsatz.

Beim Qualifikationstraining der nächste Crash. Es erwischt Roland Ratzenberger. Der österreichische Simtek-Pilot verliert bei beinahe 300 km/h seinen Frontflügel und kracht fast frontal in eine Betonmauer. Auch er benötigt sofortige Erste Hilfe an Ort und Stelle. Mit dem Hubschrauber wird er ins Krankenhaus geflogen. Von dort kommt bald die Schreckensnachricht, dass Ratzenberger seinen schweren Verletzungen erlegen ist.

Am Samstagabend stellt sich Ayrton Senna einem Interview. Das Gespräch fühlt sich eigenartig an. Sonst immer ein sehr bereitwilliger Dialogpartner, gibt er sich diesmal zurückhaltend und zugeknöpft – wohl den Umständen geschuldet. Er agiert sichtlich besorgt. Im Hintergrund stimmen seine Fans Senna-Sprechchöre an. Normalerweise reagiert er prompt darauf. Mit einem Lächeln oder Winken. In diesem Fall verliert er komplett die Fassung. Auf seinen Wunsch brechen wir das Interview gleich zweimal ab. Es dauert, bis wir alles im Kasten haben. Sein Verhalten bringt mich ins Grübeln. Viele Journalisten bildeten rund um mein Mikrofon einen Kreis und wurden Ohren- und Augenzeugen des Gesprächs. Im Nachhinein behaupten einige Kollegen, dass Senna eine Vorahnung plagte. Für mich ist das etwas zu spekulativ. Aber eines ist tatsächlich nicht zu übersehen: Senna wirkt unglaublich mitgenommen und betroffen.Vor dem Rennen am Sonntag äußern sowohl Senna als auch Gerhard Berger Sicherheitsbedenken. Die Kommissare nehmen die Aussagen zur Kenntnis. Ohne Konsequenzen. Ohne Umdenken. Ohne Maßnahmen. Schon beim Start kommt es zu einem heftigen Zusammenprall zwischen JJ Lehto und Pedro Lamy. Teile der Karosserie fliegen in die Menschenmenge und verletzen neun Zuseher. Die Unfallstelle wird geräumt. Als der fliegende Start nach der Safety-Car-Phase abgeschlossen ist, passiert der Senna-Unfall. Sofortiger Rennabbruch. Wie bei Ratzenberger einen Tag zuvor hebt der Hubschrauber erneut Richtung Bologna ins Spital ab. Die Live-Kamera ist mehr als up-to-date. Als einen der Ersten darf ich Niki Lauda befragen. Wenn sich einer mit Unfällen auskennt, dann er. Allen wird die ernste Lage sofort bewusst. Abermillionen Menschen vor den TV-Schirmen verfolgen die grauenvollen Bilder. Aber sie werden nicht allein gelassen und erhalten erste Informationen. Aus journalistischer Sicht fühlt es sich richtig an, wie wir mit dieser Situation umgegangen sind. Eine traurige Live-Kamera-Premiere …


© Jean-Loup Gautreau / AFP / picturedesk.com

Legende zu Lebzeiten: Ayrton Senna

Was die meisten für unmöglich halten, geschieht: Das Rennen wird fortgesetzt! Eine Tragödie: The show must go on. Zwei Stunden nach der Zielflagge verlässt uns Ayrton Senna für immer. Gerhard Bergers Worte klingen mir seither in den Ohren: „Als wäre die Sonne vom Himmel gefallen.“


© Jean-Loup Gautreau / AFP / picturedesk.com

Ayrton Sennas tödlicher Unfall

Zwei Menschen kommen binnen 24 Stunden ums Leben. Imola 1994, das fürchterlichste, grausamste, schrecklichste Wochenende der Formel-1-Historie. Ich habe so gut wie möglich versucht, meinen Job zu erledigen. Voll unter Strom. Mit Hochspannung. Elektrisiert. Je mehr Interviews ich führen musste, desto weniger fand ich Zeit, zu reflektieren. Am Abend sinke ich zusammen. Erschöpft. Erledigt. Ergriffen. Still in einer Ecke sitzend, lasse ich die Ereignisse Revue passieren. Drei bis vier Interviews waren an diesem Wochenende geplant. Geworden sind es zwischen 30 und 50. Ich habe aufgehört zu zählen. Ich weiß es nicht mehr. Ich habe es verdrängt …

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