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HANS BRANDENBURG Herbst am Ammersee

Die Ufer des Ammersees sind Jugendland, und Herbsttage am Ammersee sind mir Tage der Lebensernte und der Erinnerung an Arbeit und Erholung. Dazu paßte es, daß zwei meiner Jugendbekannten heute dort einer Stätte der Arbeit, und zwar der Arbeit an der Jugend, und einer Stätte der Erholung vorstehen: Ernst Reisinger dem Landerziehungsheim Schondorf und Else Barbara Karst dem Erholungsheim „Bayern“ in Buch.

Von Stegen wandert man erst am Strand hin, dann auf waldigem Steilrande nach Buch. Mit der Ostseeküste ist die Landschaft hier verglichen worden: der durchblickreiche Buchensaum über der anbrandenden blauen Wellenfläche, die leichte, grünbewipfelte Höhe, aus der versteckte Sommersitze lugen. Vom Wörthsee und Pilsensee schwillt dies stillste Breitbrunner Ufer herüber, ein Naturpark im Wandel von Wiesen und Baumgruppen. Und in einer Lichtung thront jenes Erholungsheim, das der Verein der Bayerischen Verkehrsbeamtinnen sich baute, das aber auch andere Gäste beider Geschlechter während des ganzen Jahres aufnimmt, hell und heiter über dem See. Es hat einen Garten sich zu Füßen, der, hinter einer Girlande bunter Herbstblumen, ein großer Wiesenhang mit Laub[unleserlich] freistehender Eichen bis hinab zum Wasser ist zu seinem eigenen Stück Strand, über dessen Wipfelschleier es zum anderen Ufer nach Schondorf blickt.

Der Dampfer oder der Kahn trägt hinüber. Was ist aus dem Fischerdorf Unterschondorf geworden, seit ich es kenne! Zwar begründete schon Wilhelm Leibl seinen stillen Ruhm für die deutsche Kunst, den in unseren Tagen Hans Pfizner, viele Jahre hier lebend und schaffend, festsetzte, die Fischerei ist geblieben. Stahlharte Muskeln kämpfen im Sommer und Winter um den Fisch, das alte Gasthaus steht noch, und das romanische Kirchlein daneben mit seinem frühen gekrönten Kruzifixus im Innern, das älteste Gotteshaus ringsum baucht noch immer seine tuffsteingequaderte Apsis gegen den See. Aber Kaianlage und Strandpromenade haben den Schilfgürtel zurückgedrängt, Sporthäfen deuten auf den Wettstreit des erholungsbedürftigen Städters mit den handwerksmäßigen Besiegern von Wind und Wetter. Villen überwuchern das alte Ortsbild, der ehrwürdige Weidenbaum von Leibls berühmtem Jägergemälde, mit einer Gedenktafel versehen, ist von dem Plankenzaun eines modernen Strandbades beengt, und neben der zeitgemäß erneuerten Dorfstraße führt ein gelber Torbogen in den Bereich des Landerziehungsheims.

Lang ist es her, daß ich mit dem Dampfer zum erstenmal in Schondorf landete. Ich war nur gekommen, um befreundeten Verlobten schwermütige Jugenddichtung vorzulesen. Auf dem Badesteg und auf der Terrasse des Postgärtchens hinter Schilf und Weiden tummelte sich laut und übermütig die ganze Debschitzschule, die hier ihr Sommerstudio aufgeschlagen hatte, meine Freunde gehörten mit dazu, wir aber sonderten uns ab – ich erinnere mich nur dunkel, daß ich die Kathl noch sah, jene Kathl, die der Maler Leibl gerne gehabt hätte. Dann trieben wir zu dritt im einsamen Kahn, bis der Mondfluß, zuckend über den finsteren Abgrund gestoßen, uns und meine immer wiederholten Verse schaukelte. Später kam ich mit einer Wandergefährtin vom Peißenberg her über Wessobrunn an den See, wir verirrten uns im regennassen Wäldern, es war Herbst wie jetzt, die letzten Fliegenschwämme glommen modernd in bleich nebelnden Tannichthöhlen, aber als wir endlich in den See hinausruderten, waren uns noch die Inseln des Abendlichts verheißendes Morgenrot, und der Giftkranz der Herbstzeitlosen um den Strohhut der Geliebten schwankte lila leuchtend im tiefen Spiegelblau des Wassers als eine Krone des Frühlings.

Und einen ganzen Arbeitssommer verbrachte ich an dem See. Auf der Hinfahrt im Zug nach Dießen, traf ich zwei Debschitzschülerinnen aus jener Schondorfer Schar, eine mit rotgoldenen, eine mit schwarzen Haaren. Bei der Ankunft drohte ein Gewitter. Ich fand einen Fischer, der sich verpflichtete, mich noch trocken an mein Ziel, nach St.Alban, zu rudern; er nahm den zusammengeknoteten Stoß meiner Bücher auf die Schulter und mein übriges Gepäck an die Hand, trug es ins Boot und stieß, mit mir und meiner Habe an Bord, in die bleiern drohende und unterm aufstreichenden Wettergroll aufbäumende Flut. Er schlug die Leiber der Wellen mit harten Rucken, schweigend und unbewegten Gesichts, das Wallfahrtskirchlein trat auf seinem Zipfel in die Uferbrandung, der Landungssteg führte gleich in den Wirtsgarten, und der erste Tropfen eines Wolkenbruches fiel, als ich hinter dem Manne und seiner Last das Haus erreicht hatte. Eine Stunde später schon nahten meine beiden Reisegefährtinnen auf beruhigter Wasserbahn zum Besuch. Die Pflöcke des Landungssteges tanzten im Abendviolett der Wellen, das moorige Land dahinter legte einen feuchtgrünen Streifen vor das schmelzende Blau der Berge, und in der nassen Farbenpracht kam das Boot der beiden, die eine schwarze Ebenholzkappe und einen Goldhelm zwischen Himmel und Wasser zu tragen schienen. Am nächsten Morgen zog die Fronleichnamsprozession von St.Georgen herab die grastbestreute, abfallende Dießener Dorfstraße. Künstler wohnten damals schon viele hier am Ufer bis nach Holzhausen und Utting. Ich machte einen Besuch im nahen Bierdorf und fand auf der späten Heimfahrt in meinem Kahn kaum meinen St. Albaner Landeplatz in dem verquollenen Dunkel von Nachtwolken und Nachtwogen. Von Riederau kamen die Segler, und wenn sie kenterten, dachten sie nur daran, Tabak und Streichhölzer trocken zu halten und saßen dann rauchend auf dem Schwert, bis der Dampfer sie aufnahm. Und dieser Dampfer brachte mir von Herrsching herüber oft genug Münchner Freunde.

Jetzt bin ich wieder in dem Herrschinger Winkel, in den sich der See mit seiner größten Breite hineinzieht. In den Hausgarten blühen die letzten hochstammigen Rosen und ballen sich die letzten Früchte, Dahlien und Astern. Der See aber lebt im böigen Herbstwetter einen ewigen Wechsel: ich sehe und höre ihn anrollen, aufklatschen, zerplätschern, er ist schwarzgrau und flattert von aufblitzenden Gischtsaumen wie von weißen Händen oder Flügeln, schräg liegen die Segel auf ihm und streichen vor dem sanftgedehnten Uferrahmen hin, den feuchter Goldstaub der erblindeten Sonne pudert. Dann verhängt ein perlgrauer Vorhang das Jenseits, und die Kimme schließt es wie ein bleierner Balken, der sich plötzlich wieder zu einem bleichen Strich auflichtet, wenn Lichtbahnen jenen Vorhang zerreißen und tanzende Funkensplitter in den Schoß der Wellen säen. Meinem Dampfer ziehen Möwen geisterhaft voraus, und geisterhaft verschwinden vor ihm die Haubentaucher. Wartaweil erscheint im Uferausschnitt wie ein Ritterschloß im Bilderbuch, bei Fischen versandet der See mit dem Delta der alten und neuen Ammer, die Insel des Erllaichs, diese Zuflucht des Schwedenkriegs, legt sich dort ins Schilf. Ich wandere von Dießen bei trüb sinkender Nacht noch bis St.Alban. Die Birken am Wege sind aus Bäumchen zu großen Bäumen geworden, das Gasthaus, in dem ich einkehren will, ist kein Gasthaus mehr; eben will der letzte Dampfer anlegen, doch niemand will aussteigen oder einsteigen, und die lautlosen, unwiederbringlichen Schatten brauchen zum Einsteigen keinen Steg, die mir aus leeren erleuchteten Fenstern nachwinken.

Aber nicht Jugenderinnerung ist der höchste Lebensgewinn, sondern der geweitete Blick über Zeiten und Zusammenhänge. Ich bin von Grafrath her an den See gekommen, der einzige Fahrgast auf dem Amperbootchen, das „mäandrisch wallend“, unter dem Auspuff mit dreigeschweiftem Riesenschwanz die Schilfsäume schlug, ohne Enten und Angler zu schrecken. Die Grabkapelle des heiligen Riesen Rasso, ein wie von ihm ausgeatmeter Raum, blickte mir inselhaft nach, alter Seegrund ist diese wilde, noch immer nicht besiedelte, noch nicht einmal zu Torfstrichen verfestigte Niederung. Doppelt so groß war der See, vom Peißenberg bis zu den Grafrather Erdmoränen, Weilheimer Moos und Ampermoos mit einschließend, die von Ammer und Amper entwässert wurden. Und wie mir am Stegener See-Ende das Gegenüber von Buch und Schondorf augenblickliche Gegenwart ist, so ist mir am anderen Ende das Gegenüber von Andechs und Dießen ewige Gegenwart großer menschengeschichtlicher Vergangenheit, diese Doppelwarte des mächtigen Geschlechts der Grafen von Dießen und Andechs, geschmückt von der Kunst des nahen Wessobrunn, welches das Herz meines geliebten Pfaffenwinkels war. Die Glorifikation der Seligen und Heiligen aus jenem Geschlechte überwölbt mit sonorem Klang den königlich hellen Raum der Dießener Stiftskirche, gemalt von der Hand Bergmillers, der auch die Decke der Rassokapelle bebilderte. Johann Michael Fischer hat den Raum geschaffen, dessen Säulen in ihrer Vereinigung mit den Fensterwänden wie mit geschwungenen Laternen das Licht einfangen, und Cuvilliés, Straub, Tiepolo geben sich auf Altären ein Stelldichein, aber mehr ergreift mich heute der Erntedank der herbstlichen Feldfrüchte, der auf zwei Sockeln vor dem Hochaltar kniet.

Ueber der Herrschinger Bucht und über dem wilden Riß des Kientals baut sich der heilige Berg Andechs auf. Mit goldenen Fahnen stürmt der Herbstwald die Nagelfluhburgen, immer hinan, bis zur Hochburg des Klosters, bis die Phalanx der gewaltigen Baumleiber haltmacht über dem Rande der Schlucht, bei den Aeckern, vor dem aufsteigenden Gebäudeblock, vor Dach, Dachreiter, Turm, der noch einen Spitzturm auf seine Zwiebel setzt. Die Plattform des Fronhofs, ein Platz mit Kastanien, Linden, Nußbäumen neben wappengekrönten Türen, stößt über dem steilen Wallfahreraufstieg in den Wald vor. Dort geht es in die Kirche und zu den Kapellen. Eine alte Eisentür mit großartiger Schloßmaschinerie, Reliquien und Reliquarien, Erinnerungen an Rasso und die Mutter der heiligen Elisabeth, die auf Andechs geboren wurden, ein Stück vom Brautkleid jener Heiligen – Kostbares gibt es hier übergenug. Und doch ist das Kostbarste das Kircheninnere selbst, das in seiner Endform auf die Zimmermanns zurückdeutet. Gotische Säulen sind zu barocken Altarpfeilern geworden, eine Empore umschlingt sie in halber Höhe mit wunderbar geschwellter Kurvatur an allen vier Wänden hin. Der Hochaltar steht auf dieser Empore, aber nach unten setzt er sich mit dem Altar der Muttergottes fort, die mir ihrer Gloriole ein einziges Strahlenwappen bildet. Die Orgel gegenüber steht ebenfalls auf der Empore, sie scheint das Dach zu tragen, aber sie läßt in der Mitte das Fenster frei. Wie durch Zauberei ist hier eine dreischiffige, mittelalterliche Halle in eine freie, elipsenförmige Rotation gebracht. Und steigen wir nun noch durchs alte Balkengehäuse in die Turmstube hinauf, so deutet uns die schwarze Gestalt eines frommen Bruders ringsum das ganze Land mit Seen, Orten, Bergen, die heimatliche Weite, in die ein Falke mit sehniger Schwinge hinausstößt.

Mich gelüstet's nach Idylle

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