Читать книгу Mich gelüstet's nach Idylle - Karen Eva Noetzel - Страница 9

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OTTO JULIUS BIERBAUM Pankrazius Graunzer

XXII.

Ein brief des Herrn Pan-

krazius Graunzer an seinen

Freund Peter Kahle. Handelt

von idyllischen Plänen.

Dießen am Ammersee, im Rosenmond.

Lieber Peter!

München ist eine herrliche Stadt, aber es wird zu viel Kunstsimpelei dort getrieben. Das Kunstschaffen ist ein köstlich Ding, aber das Kunstschwatzen ist ein greulicher Unfug. Schlimm ist es, wenn dieser Unfug von Künstlern begangen wird, schlimmer, wenn ihn die Philister treiben, am schlimmsten, wenn ihm Kunstgelehrte obliegen.

Denn, wie sagt doch schon der göttliche Sterne in Tristram Shandys drittem Teile? Dort steht im zwölften Kapitel also geschrieben: „Von allem Geschwätze, das in dieser geschwätzigen Welt geschwatzt wird, ist das Kennerkunstrichtergeschwätz das Unausstehlichste.“ Sei mir gepriesen, Mann aus Clonmel!

Ich hatte das Unglück, mit einem besonders degoutanten Exemplar dieser Spezies hier in Berührung zu kommen.

Apage monstrum! Der Kerl hat mir die Lust an München vergällt, ich nahm meinen Rucksack und schob ab.

Nach dem Ammersee.

Du! Der ist schön! Schöner als der Starnberger, fand ich. Der ist schon ein bißchen Bassin geworden, „umkränzt von Villen“. Ich danke für diesen Kranz.

Der Ammersee dagegen hat noch viel Natur. Item: es gefällt mir hier.

Ich habe mich in Dießen eingenistet. Vorerst im Kloster oben, das jetzt ein Gasthaus ist. Aber ich bin auf der Suche nach einem Bauernhaus, in dem ich wohnen könnte. Mich gelüstet’s nach Idylle. Ich möchte `mal bloß naturbeschaulich leben, ohne Wollen, ohne Ziel.

Ob’s geht?

Retournons a la nature, d.h. auf Deutsch: sehen wir uns `mal in uns selber um.

Wie ich hier lebe? Ganz schäferlich. Wandre hin, wandre her und weide meine Schafe.

Ich bin Herr von einer großen Herde,

Und die ganze Welt ist meine Weide,

Meine Schafe weiden selbst im Himmel.

Es ist doch kein Kritiker in der Nähe? Wie würde der witzig den Bleistift spitzen, wenn er läse, daß ich meine Gedanken und Gefühle Schafe nenne.

Man wird so angenehm müde bei dieser Beschäftigung, so ruhig, so abwartend, so haßlos. Das Vegetieren ist die gesundeste Beschäftigung.

Nerven? Was ist das für ein Wort?

Ärger? Wo hab ich doch dieses Substantivum `mal gehört?

Die größte Aktualität sind mir jetzt Rosen. Wunderbare gibt es davon hier.

Und dann das Bauernblumenzeug, das in den Gärten blüht. Welch eine Pracht!

„Bäurisch!“ würde das wandelnde Pergament sagen. Fahr’ ab, Greuel!

Du solltest einmal hier zu meinem Fenster hinausblicken können. Grün ringsum, aber in der Weite vorn der blaue See und drüber her der Himmel mit weißen Flaumwolken.

Auch die Menschen gefallen mir hier im ganzen. Es ist eine gute Mischung: Schwabbayern. Besonders gut gefällt mir die Sprache, dieses mit Schwäbischem durchsetzte Altbayrisch.

Beim Gingalawirt,

Beim Gingalawirt,

Da kehra d’Schwabe ei’

Und trinken `s Gläsle Branntewei’

Und schiewe s’ Gläsle ein’.

Schwaben und Oberbayern stoßen hier hart aneinander, und es ist, obwohl sie eigentlich ineinandergeflossen sind, immer noch mancher Rest von früherer Gegnerschaft vorhanden, jetzt nur in Redensarten und leichten Spöttereien. Man könnte fast versucht sein, „Studien“ zu machen. Aber da sei Gott vor! Ich fang mir nur hier und da ein alt Liedel ein und freu’ mich d’rüber.

Was sagst Du zu diesem schwäbischen Schnapphahnlied:

I bin dei und dei,

Und du bischt mei und mei,

I geh ins Schtädtla nei

Und du in Tenna,

I schtiehl a Schtrimpfla mehr

Und du a Henna.

Ist das nicht wunderhübsch?

Solcher Lieder fliegen hier viele durch die Luft.

Weiß der Himmel, welcher Brandsohlenläufer sie einmal erfunden hat, aber wenn ich die Wahl hätte, wem ich den Kranz geben soll: ihm oder einem der reputierlichen Reimfriseure von heute, ich würde mich nicht lange besinnen.

Verliebt ist aber das Volk hier, - es ist zum Hinwerden! Ich würde Dir noch eine ganze Reihe von Liedern aufschreiben, wenn sie nicht ausschließlich von der Person eingegeben wären, die Fischart „Das federlinde Töchterlin“ nennt.

Hans und Grete,

Grete und Hans,

Ueberall derselbe Tanz.

Immerfort derselbe Kreis.

Von Adam her im Paradeis

Zielt alles auf denselben Strich, -

Das Ding ist unabänderlich.

Dein

Pankraz.

XXIII.

Einige Stücke aus Herrn

Pankrazius Graunzers

Gerschle-Pepi-Buch. Man

wird erfahren, was dies für

ein Buch ist.

25. Juni.

Gott verläßt keinen Junggesellen: ich habe mein Bauernhaus gefunden. Hier sitze ich auf meiner Altane zwischen hellen Weinblattwänden und blicke über Wiese und Busch weg zum See.

Gesegnet seist du, o Gerschle-Pepi, die du zwar nicht schön bist unter den Jungfrauen, aber du hast mir gegeben, was ich gesucht habe, und dafür preist dich meine Dankbarkeit. Dir zum Ruhme sei dies Buch genannt, in das ich meine einsamen Freuden eintragen will.

27. Juni.

Die Kleine ist wirklich allerliebst. Ich habe sie durch Zufall wiedergesehen. Im Kloster oben.

Es war da so eine Art Tonleiterkletterübung von einem Gesangverein. Und während die wackeren Mannen baßgründig und tenorverwegen zum Himmel riefen:

„Heil dir, o König, Heil!

Heil, Heil, Heil, Heil, Heil, Heil!“

(mehr ist mir von dem Text nicht geblieben), stand sie auf einmal schräg vor mir neben einem Fliederbusch.

Guter Himmel: wie reizend sah sie aus!

Ha, ja: Jugend!

Und irgendein Reim-Flügelbübchen mit rosaroten Hinterbäckchen ließ sich von der blühenden Akazie herab auf meine Schulter und skandierte mir ins Ohr:

Ein Mädel gedrechselt sein wie ein Figürchen

Auf Rokokotischen galanter Markisen...

Nun sag’ mir aber eins: wie kommt so was Feines hierher?

Eine Städterin ist sie nicht. Gestern sah ich sie ja, wie sie mit der Wäsche hantierte.

Aber schon da fiel es mir auf, wie ihre ganze Art im Gegensatze war zu ihrer Hantierung. Und wieder das Reimgottchen:

Prinzessin halb, halb Zofe,

Ein reizend Wunderchen...

Wenn ich sie nur einmal reden hören könnte. Das Schwäbeln muß ... aber ich will schon wieder „allerliebst“ schreiben.

Wenn ich jetzt nicht so gewiß wüßte, daß ich frei bin, würd’ ich denken, ich wäre verliebt.

28. Juni.

Es regnet.

Wundervoll, dieses nasse Gespinst vom Himmel zur Erde. Man fühlt sich so sicher hiter dieser grauen Gardine.

Ganz leise rauscht sie, und in ihren Falten sind frische Gerüche. Es ist eine liebliche Musik zum Träumen.

29. Juni.

Sie hat eine Tante, und diese Tante ist dick. Sie hat einen Bruder, und das ist ein ungeschlachter Patron. Sie hat eine jüngere Schwester, und die ist passabel. Ihr Name aber ist sehr hübsch und lautet Brigitte.

Von wem ich das weiß? Von ihr weiß ich es.

Ich habe nämlich mit ihr gesprochen.

Mein Gott, ich bin ein älterer Herr...

Es kam aber so: Im Kloster war Schützenball, und ich sah nicht ein, warum ich nicht einem Schützenball in einem Kloster beiwohnen sollte. Es hat das unleugbar, etwas Merkwürdiges. In dem Saal, in dem er abgehalten wurde, haben die Väter Benediktiner ehemals ihr Coenaculum gehabt.

Es ist ein schöner, heller Raum mit großen hohen Fenstern, die auf den wundervollen Klostergarten hinausgehen. Ein italienisches Gemälde aus der Raffaelzeit, ganz angeschwärzt von Tabaksqualm, hängt dort. Es stellt die Fußwaschung dar, und Jesus Christus ist so pompös angezogen, daß man meinen möchte, sein irdischer Vater sei nicht ein Zimmermann gewesen zu Galiläa, sondern ein Zollpächter in Jerusalem. Die mächtigen Wirtstische, auf denen derbe Bauern- und Ackerbürgerfäuste emsig mit Maßkruglupf und anderen nicht eben heiligen Dingen beschäftigt sind, sind noch dieselben, von denen die Chorherren gespeist haben.

Also da ein Schützenball. Ein bißchen zu pseudohonoratiorenhaft, um wirklich lustig zu sein. Aber die kleine Braune, die hatte, was den anderen fehlte: Natur und Grazie.

Auch die Literatur des Ortes war vertreten: der Buchbindermeister und Redakteur des Lokalblattes, ein sehr schüchterner junger Mann, der beständig an seinem Halskragen rückte, als hege er die Sehnsucht, ihn mit der Schlipsseite auf den Nacken zu platzieren, und ein Rahmkäsegesicht hatte, - womit ich ihm nicht zu nahe treten will. Ich wüßte aber nicht, wie ich seinen Teint besser kennzeichnen sollte.

XXVII.

Herr Pankrazius Graunzer

Versucht, hinter sich selber herzu-

Gehen und die Aehren zu

lesen, die aus dem Breviario

Brigittae fallen, gibt es aber

Als unfruchtbar auf und er-

mannt sich statt dessen zu

einem wichtigen Entschlusse.

Ich glaube, wir befinden uns gegen Ende des Juli. Es ist eine himmlische Hitze, und die Sonennstrahlen quirlen die Luft, daß sie wies Wasser im Kloßtopfe wellt. Ich sitze gut auf meinem Balkon zwischen den Weinranken. Unten muht Gerschle-Pepis Kuh; ganz ferne, irgendwo, donnert’s, als wäre es des Kuhmuhs Echo; drüben auf Andechs blitzt ein Fenster in der Sonne.

Sitzt wohl ein kluger, alter Benediktiner dahinter und sinniert behaglich in die Landschaft hinab und denkt sich: Schabt mir die Glatze!

Gestern war ich drüben.

Was das schön war!

Erstens, weil’s überhaupt schön ist, und zweitens, weil ich mein Brevier mithatte.

Ich lese sonst nicht gerne draußen. Nur den Vogelweiden-Walther und das Brevier – die beiden können die Konkurrenz der Natur aushalten. Denn sie sind selbst Natur.

Mich gelüstet's nach Idylle

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