Читать книгу Ich bin Luis! - Karin Dornhöfer-Neumann - Страница 12

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8. Verfolgungsjagd durch die Stadt

Wohin jetzt?

Zu Noah, schreit alles in mir. Ich will gerade zu dem Wohnblock der Bärles losrennen … da sehe ich den Mann mit der Sonnenbrille auf mich zukommen.

Verdammt!

Ich flitze in die entgegengesetzte Richtung, zur Stadtmitte. Am Marktplatz vor den Restaurants und Cafés sitzen bestimmt noch eine Menge Leute. Tagsüber ist es hier jedenfalls immer proppenvoll.

Atemlos komme ich dort an. Was ist das? Alle Stühle sind leer nirgendwo brennen mehr Lichter … Gibt's doch jetzt nicht, oder?! Ich drehe mich kurz um und sehe den Mann immer näher kommen. Wenn ich jetzt irgendwo an einer Tür klingele, hat der Typ mich erreicht, bevor mir jemand zu Hilfe kommen kann.

Scheiße!

Ich blicke mich verzweifelt um. Da ist noch nicht mal eine Maus auf der Straße!

Rechts von mir geht es in das historische Gassenviertel. Tagsüber kommt man da so gut wie nicht durch wegen der vielen Besucher, die die hübsch restaurierten Fachwerkhäuser bestaunen. Aber auch hier ist es still und so was von menschenleer. Ich laufe in die Halbdunkelheit hinein.

Mit Noah war ich schon oft hier und kenne mich gut aus. Wenn ich jetzt rechts abbiege und gleich wieder links, komme ich zu dem Antiquitätenladen von der Familie aus dem Iran. Die sind sehr nett und lassen uns immer hinein, damit wir schauen können. Da drin sieht es aus wie in einem Film aus Tausend und einer Nacht. Aber auch hier ist alles verrammelt. Oh Gott!

Auf einmal durchzuckt mich ein Blitzgedanke, und mir wird ganz heiß:

Wie ist der Mann mit der Sonnenbrille eigentlich auf unser Grundstück und ins Haus gekommen?

Wusste er, dass ich allein im Haus bin?

Und warum war von Herrn Kemper nichts zu sehen und zu hören gewesen …?

Noah würde jetzt sagen: Das stinkt zum Himmel!

Ich laufe weiter, diesmal nach links und stoße fast gegen einen weißen Lieferwagen, der die Gasse blockiert. Beide hinteren Türen stehen offen. Ich kann die Aufschrift auf der Seite des Fahrzeugs erkennen: Nikolai Pawlowa – Ihr fairer Partner bei Entrümpelungen, Haushaltsauflösungen und Kleinumzügen. Ich erinnere mich sofort, diesen Wagen heute Nachmittag schon einmal gesehen zu haben.

Oh nein!

Das sind doch die zwei Verbrechertypen, vor denen Noah mich gewarnt hat!

Was jetzt…?

Da höre ich wieder die Schritte hinter mir. Mir bleibt keine Sekunde zum Überlegen. Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, dem Mann mit der Sonnenbrille zu entkommen.

Hinein in den Laderaum des Lieferwagens!

Ich klettere zitternd die Rampe hoch und verstecke mich hinter den Kisten, die hier drin ordentlich gestapelt sind. Keine Sekunde zu spät, denn jetzt höre ich das Schnaufen des Mannes. Ich kriege kaum Luft, so stark hämmert mein Herz, und mache mich so klein wie möglich. Der schmale Schein einer Taschenlampe lässt mich zusammenzucken. Für eine Sekunde ist der Laderaum hell erleuchtet. Der Typ hat gesehen, dass ich hier drin bin, ich …

„Hey! Was suchst du an unserm Wagen? Verpiss dich, du Spasti!“

Die Stimme von dem Glatzkopf! Au weia. Jetzt sitze ich in der Patsche.

Im nächsten Moment werden die beiden Türen mit KRAWUMM! zugeschlagen, und der Wagen schaukelt ordentlich, als vorne zwei Leute einsteigen.

„Lass uns hier verschwinden!“, poltert die rauchige Stimme von dem anderen Mann.

Und mit einem Geräusch, das sich wie trockener Husten anhört, springt der Motor des Wagens an. Ehe ich noch einmal nach Luft schnappen kann, zischen wir ab.

Einerseits bin ich so was von froh, dass der Mann mit der Sonnenbrille mich nicht erwischt hat. Aber was geschieht jetzt mit mir? Das ist alles viel zu schnell gegangen, das wollte ich doch gar nicht, ich wollte mich doch bloß verstecken …

Ich muss wieder raus hier, sobald wie möglich. Wenn der Wagen wieder anhält, springe ich raus und verstecke mich irgendwo anders, bis mir eine Idee kommt, was ich jetzt tun muss. In meinem Kopf purzelt alles durcheinander.

Urplötzlich bremst der Wagen voll ab. Die Kisten um mich herum kommen gefährlich ins Rutschen.

„Ja, spinnt denn der?!“ Die Stimme auf dem Fahrersitz flucht. „Geh aus dem Weg, Junge! Bist du lebensmüde? Ab mit dir nach Hause, du gehörst ins Bett!“

Ich höre ein undeutliches Rufen von draußen, aber da fahren wir schon wieder.

„Mannomann, der hatse nich mehr alle, was?“, blökt der Glatzkopf.

„Idiot!“

Das Holpern über das Kopfsteinpflaster hört bald auf, dann fahren wir auf einer glatten Straße. Wenn ich gedacht habe, die Fahrt würde nicht lange dauern, habe ich mich geirrt. Hier hinten sind keine Fenster, es ist stickig und stockfinster, und meine Knie und Arme brennen von den Aufschürfungen. Ich versuche aufzustehen, aber jedes Mal, wenn ich es fast geschafft habe, biegt der Wagen ab, und ich lande wieder auf dem harten Boden und werde fast eingequetscht.

Aber plötzlich weiß ich, was ich tun muss: Ich muss Onkel Richard anrufen! Der wird wissen, was jetzt das Richtige ist. Ich muss …

Oh nein!

Ich habe mein Handy in meinem Zimmer liegen lassen.

So ein verdammter Mist!

Es kommt mir vor, als würde der Wagen auf einmal ziemlich schnell fahren. Ein paar Mal werde ich fast zwischen den hin und her rutschenden Kisten eingeklemmt. Zum Glück sind sie nicht besonders schwer, sodass ich mir gleich wieder Platz machen kann. Die beiden Männer unterhalten sich, aber ich verstehe nichts mehr. Dann hören das Ruckeln und die Kurvenfahrten auf, so als hätten wir die Stadt verlassen und würden auf einer Landstraße weiterfahren. Mir wird ganz heiß. Wo fahren die bloß hin?

Auf jeden Fall habe ich jetzt Zeit, ein bisschen nachzudenken. Wie ist der Mann mit der Sonnenbrille auf unser Grundstück gekommen? Das geht doch nur mit einem Schlüssel und einer zwölfstelligen Zahlen-Buchstaben-Kombination …

Ich schnappe nach Luft, als mir ein ganz schlimmer Verdacht kommt:

Steckt etwa Onkel Dennis dahinter?

Sollte der Mann mit der Sonnenbrille mich entführen?

Sind Onkel Dennis und Alexander deshalb heute Abend so lange weg?

Was ist mit Herrn Kemper? Warum hat er nicht mitbekommen, dass jemand auf dem Anwesen ist?

Jetzt wird mir ganz kalt.

Irgendwann hört mein Zittern auf, und ich kann wieder klar denken. Jetzt weiß ich, woran ich bin. Onkel Dennis hat ja selbst gesagt, er will „das Problem Mila lösen“. So hat er das also gemeint.

Das sage ich alles Onkel Richard! Dann wird er mich sofort holen.

Aber erst mal muss ich raus aus dem Wagen von diesen Verbrechern! Ich glaube, wir sind schon eine halbe Stunde oder so unterwegs. Hier drin riecht es komisch, nach Motoröl oder was weiß ich. Ich befühle die Oberseite des Kartons rechts von mir. Sie ist nicht zugeklebt, sondern nur zusammengeklappt. Ich öffne den Deckel und greife hinein. Ertaste den Inhalt. „Entrümpeln“ und „Haushaltsauflösungen“ steht draußen auf dem Wagen, keine Ahnung, was das genau bedeutet. In der Kiste sind lauter eckige, metallene Gegenstände. Und dann stoße ich mit dem Ellbogen an etwas, das an der Seitenwand des Wagens hängt. Ich befühle es. Eine Taschenlampe! Ich nehme sie aus dem Halter heraus und leuchte damit in den Karton.

„Alter Finne!“ murmele ich vor mich hin. Dann werfe ich auch einen Blick in die anderen Kartons. Und überall finde ich teuer aussehende elektronische Geräte, Autoradios, Smartphones, Tablets … Noah hatte Recht. Die Sachen hier sind garantiert alle geklaut, das checke sogar ich. Das lenkt mich jetzt ein bisschen ab, und ich fange an, mich zu beruhigen.

Der Wagen biegt plötzlich scharf nach rechts ab. Ich purzle auf den Boden und kann mich nur mühsam wieder aufrappeln, denn es geht nun über einen elend holprigen Weg. Irgendwie schaffe ich es trotzdem, die Kartons wieder zuzumachen und verstecke mich dahinter. Sobald jemand die Klappe aufmacht, will ich raus hier und ab in die Walachei. Ich werde rennen wie noch nie in meinem Leben.

Der Wagen hält ohne Vorwarnung, ein Ruck und Stopp, Motor aus, die Handbremse ratscht hoch. Fahrer- und Beifahrertür werden aufgerissen. Die zwei Männer quatschen, ich verstehe nur einzelne Brocken. Dann gehen die hinteren Türen auf, und ein Schwall kühler Nachtluft kommt herein.

„In die Hütte damit!“ Das ist die rauchige Stimme. „Wir stellen sie erst mal da ab, morgen sehen wir weiter.“

„Geht klar, Nick.“

Beide schnappen sich jeweils einen der vorderen Kartons und verschwinden damit, und ich würde am liebsten sofort hinausspringen. Aber ich habe ja keinen Schimmer, wo wir hier sind, und es ist dunkel.

Auf einmal bin ich gar nicht mehr so mutig. Hier draußen ist es so still, das ist mir unheimlich. Zum ersten Mal kommt mir der Gedanke, dass ich da einen ganz schlimmen Fehler gemacht habe und die zwei Männer mir etwas Furchtbares antun werden. Und niemand wird es mitkriegen, weil ja niemand weiß, wo ich bin. Meine Arme und Beine schlottern, und ich möchte mich gerne in ein Mauseloch verkriechen, aber hier ist keins. Jedenfalls keins, in das ich hineinpassen würde. Irgendwo höre ich eine Grille zirpen. Eigentlich wollte ich doch jetzt hinaushüpfen und wegrennen … Aber meine Beine scheinen aus Gummi zu sein. Und Onkel Richard ist so furchtbar weit weg. Schritte! Die Männer kommen zurück.

Wenn sie jetzt die nächsten zwei Kisten wegnehmen, sehen sie mich. Ich stehe steif wie ein Stecken da und wünsche mir unsichtbar zu sein. Mein Herz explodiert gleich, ganz bestimmt!

Und dann sieht mich der Mann, der Nikolai Pawlowa heißt.

Ich bin Luis!

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