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3. Noahs Ausraster

Aber zurück zu Noah.

Der Rest des fünften Schuljahres ging dann total schnell vorbei und alles war viel lustiger als vorher. Soll heißen, bevor Noah kam. Er kriegte in der Schule einen extra Raum für sein Schlagzeug, damit er so oft darauf üben konnte, wie er wollte, ohne dass den anderen das Blut aus den Ohren lief. Peter erklärte mir, dass er sich damit abreagieren konnte. Ich verstand, was er meinte.

Jeden Tag nach der Schule gingen wir zuerst zu Noah nach Hause und dann nochmal zu mir. Onkel Dennis hatte ihn irgendwann akzeptiert, auch wenn klar war, dass Noah für ihn nur ein Assi war.

Im Großen und Ganzen hatte Noah seine Aggressionen im Griff. Bis auf ein Mal, und das war ganz schlimm gewesen:

Er hatte an seinem Geburtstag im April die ganze Klasse eingeladen, und ich wusste von Anfang an, dass da etwas schief laufen würde. In unserer Stadt lädt man nicht einfach Leute, die man kaum kennt, zu seinem Geburtstag ein. Wenn man neu ist, muss man warten, bis sie einen von sich aus ansprechen und mal nachmittags zum Kaffee trinken oder so einladen. Und das kann dauern …

Noahs Eltern hatten Tische und Bänke besorgt und hinter dem Wohnblock auf die Wiese gestellt und belegte Brötchen und Cola in rauen Mengen beigeschafft. Aber … Mein mieses Gefühl war richtig gewesen: Von allen eingeladenen Gästen kamen nur Peter und ich. Es war mir klar gewesen, dass die anderen sich lieber nackt ins Schwimmbad legen würden als zu der Geburtstagsfeier eines Assis zu gehen.

Noahs Eltern saßen da und guckten, als würden sie gleich losheulen, und seine Mutter bekam einen Asthma-Anfall. Sie hustete und röchelte, bis Noah mit ihrem Notfall-Spray angerannt kam. Peter und ich schauten uns nur an und fühlten uns so was von mies.

Na ja, wir taten dann so, als sei alles in Ordnung und machten Spiele auf dem Rasen und hörten lustige Musik aus dem Radio. Aber in Wirklichkeit war gar nichts in Ordnung und schon gar nicht lustig, und ich hatte einen solchen Ekel und eine Wut im Bauch wie noch niemals vorher. Die Bärles sind so supernette Leute, auch wenn sie von Hartz IV leben und nur eine kleine Wohnung haben.

Am nächsten Morgen passierte es dann. Noah schmiss in der Klasse alle Tische und Stühle um, schrie jeden einzelnen an, der nicht zu seiner Feier gekommen war und warf mit Schimpfwörtern um sich, bei denen mir schwindelig wurde. Der Direx rief dann den Sportlehrer und einen Lehrer der Oberstufe zu Hilfe. Die schafften es gerade so, Noah zu bändigen. Bei dem Anblick, wie sie ihm die Arme auf den Rücken drehten und er vor Zorn Tränen in den Augen hatte, platzte etwas in mir. Ich brüllte sie an, sie sollten meinem Freund nicht wehtun.

Auf einmal war es so still wie auf dem Friedhof. Alle gafften mich an wie einen fünfköpfigen T-Rex, und selbst Noah hielt einen Moment lang still. Die anderen aus meiner Klasse hatten sich in eine Ecke geflüchtet oder waren rausgerannt. Da packte ich den Arm vom Sportlehrer, rüttelte daran und versuchte Noah freizubekommen.

Dann erst kam Peter dazu. Er hatte an diesem Tag eine Reifenpanne an seinem Auto gehabt und war spät dran. Er kam mir sofort zu Hilfe, und Noah sah aus, als wüsste er selbst nicht genau, was passiert war. Peter erklärte dem Direx und seinen Kollegen, wie es zu dieser schlimmen Sache gekommen war. Er musste sehr viel erklären, bis die anderen Erwachsenen wieder eine normale Gesichtsfarbe hatten. Wir drei, Noah, Peter und ich, stellten anschließend die Tische und Stühle wieder an ihren Platz.

An diesem Tag bekam ich zum ersten Mal einen Eintrag ins Klassenbuch, weil ich einem Lehrer gegenüber respektlos geworden war, und Onkel Dennis wurde zum Direx bestellt. Mann, der war vielleicht stinkig, Onkel Dennis, meine ich. Sein Kopf war so rot, dass ich dachte, gleich platzt er. Aber ich stand die ganze Zeit neben Noah und Peter und fühlte mich so froh und stolz wie noch nie in meinem Leben. Ich wusste, ich wäre gestorben, wenn ich Noah nicht geholfen hätte.

Was Onkel Dennis mir hinterher zuhause alles an den Kopf warf, möchte ich nicht sagen, nur soviel, dass ich mich hätte da raushalten und mir lieber Freunde aus dem Reitstall suchen sollen. Er strich mir das Taschengeld für vier Wochen und glaubte echt, mich damit fertig machen zu können. Dabei war es doch sowieso alles mein Geld, das ich bekommen würde, wenn ich achtzehn wurde.

Als Noahs Mutter von der Sache erfuhr, drückte sie mich ganz fest und wollte mich gar nicht mehr loslassen. Sie sagte, sie hätte sich immer auch ein kleines Mädchen wie mich gewünscht, und ich könnte jederzeit zu ihr kommen, wenn mich irgendwo der Schuh drückt. Ich hätte vor Freude darüber fast geheult.

Also war Noahs Ausraster doch auch zu etwas gut gewesen, oder?! Und ich habe nach der Standpauke des Direx etwas Gruseliges gecheckt: Nämlich, dass die Leute es nicht so schlimm finden, wenn man zu einer Feier eingeladen wird und einfach nicht kommt. Aber dass es gar nicht geht, wenn man sich vor Wut darüber nicht beherrschen kann und Tische und Stühle umschmeißt. Oder andersrum gesagt: Wer fies ist, gewinnt.

Das sind die Regeln der Erwachsenen. Das muss man nicht kapieren. Das ist einfach nur furchtbar.

Es gab danach noch ein Riesen-Tamtam mit den Eltern der Klassenkameraden, die verlangten, dass so ein „aggressives Subjekt“ wie Noah nicht auf ihre Schule gehen dürfte. Aber da habe ich gesagt, wenn Noah gehen muss, dann gehe ich auch, dann laufen wir zusammen weg! Noah fand diese Idee echt abgefahren und überlegte schon, was er alles in seinen Rucksack packen würde und dass er dann nie mehr Mathe und Englisch pauken müsste.

Aber da sprach der Direx ein Machtwort. Niemand müsste seine Schule verlassen! Man würde wie gesittete Menschen miteinander umgehen und die Sache einfach vergessen. Punkt.

Und so kam es dann auch. Niemand sprach mehr von dieser Geschichte.

Aber keiner der Mitschüler wollte von diesem Tag an je wieder etwas mit Noah oder mir zu tun haben. Wir sind seitdem für die anderen einfach Luft.

Mit Noah als Freund war also alles viel, viel schöner geworden. Während der Schulstunden, in den Pausen, nachmittags in den AGs und auf dem Weg zur Schule und zurück war ich nun nicht mehr allein. Das war auch gut so, denn dann begann die Sache mit dem Mann, der uns verfolgte.

Ich bin Luis!

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