Читать книгу Ich bin Luis! - Karin Dornhöfer-Neumann - Страница 16

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12. Mein neuer Freund

Nach einer längeren Fahrt auf der Autobahn und über dunkle, kurvige Landstraßen biegen wir schließlich in einen buckligen Feldweg ein, der bei einem Aussiedlerhof endet. Pawlowa stellt den Motor ab.

„Sind wir hier richtig, Lukas? Steig mal aus und schau dich um.“

Lukas reibt sich die Augen. Er war kurz vorher eingenickt. Normalerweise schlafe ich um diese Zeit längst, aber heute bin ich zu aufgedreht, um daran auch nur zu denken. Alles ist anders als sonst, aber Angst habe ich nicht. Trotz der Sache mit Lukas' Lehrer. Mir ist jetzt klar, dass man Lukas besser nicht nervt.

Ich hüpfe hinter ihm aus dem Wagen. Uff, hier ist es genauso dunkel wie vorhin bei den Gärten, richtig schwarz. Man kann kaum die eigenen Füße am Boden erkennen. Von nirgendwo her kommen Lichter, als wären wir am Ende der Welt.

„Ja, wir sin richtig. Das is der Hof von meim Onkel Harald. Der schläft wohl schon.“

Pawlowa ist ebenfalls ausgestiegen und leuchtet mit seiner Taschenlampe umher. Um uns herum stehen ein einstöckiges Wohnhaus und mehrere Nebengebäude. Der gepflasterte Boden unter unseren Füßen ist voller Löcher, man muss aufpassen, dass man nicht stolpert.

„Gehen wir mal zum Haus und klingeln“, beschließt Pawlowa und stapft voraus.

In diesem Moment höre ich etwas: Ein leises Klirren, das mir bekannt vorkommt, nicht allzu weit entfernt. Danach ein Grollen. Und dann ist der Hund auch schon da.

Lukas quiekt und rennt auf die Rückseite des Lieferwagens, wo er die beiden Klappen aufreisst und hineinspringt, Pawlowa macht auf dem Absatz kehrt und ist schneller wieder auf seinem Fahrersitz, als ich bis drei zählen kann. Von dort aus leuchtet er mit seiner Lampe durch die Windschutzscheibe.

Ich bleibe stehen und hebe den rechten Arm. „Ruhig, Großer! Wir sind es nur“, rufe ich mit meiner dunkelsten Stimme.

Ist der Hund eben noch auf uns zugerast, so bleibt er nun mit fragendem Blick direkt vor mir stehen. Seine Rute steht waagrecht, und die Ohren sind gespitzt, das ist ein gutes Zeichen.

„Mach Sitz, Großer!“, ordne ich an. „Ja, so ist es brav. Du bist ein feiner Kerl!“ Ich streichle ihm über den Kopf und lasse es zu, dass er mir mit der Zunge über die Hand fährt.

„W-was machst du n da …?“, stottert Lukas, und Pawlowa zischt: „Da hol mich doch der Teufel! Was geht denn jetzt ab?“

„Das ist ein altdeutscher Schäferhund“, erkläre ich. „So einen haben sie auch im Reitstall, wo unsere Pferde stehen. Der heißt Prince Charles. Man muss nur zeigen, wer der Boss ist, dann ist er ganz friedlich. Und der hier auch, sehr ihr? Wie heißt du denn, Großer? Du bist ja hübsch.“

„Dann ist das wohl Lady Di ….“ Pawlowa steigt vorsichtig wieder aus.

„Wer …?“, frage ich.

Aber Pawlowa macht nur eine ungeduldige Handbewegung.

„Ich wusste nich, dass Onkel Harald jetzt nen Hund hat. Der hätte ja wenigstens bellen können, bevor er angerauscht kommt.“

„Prince Charles läuft nachts auch immer frei herum“, fahre ich fort und tätschle den Hund ausgiebig, was ihm zu gefallen scheint. Er geht gar nicht mehr von mir weg. Das macht mich total froh. Prince Charles ist nicht so anhänglich.

„Das is n ganz schön großes Biest. Aber jetzt rufen wir mal Onkel Harald.“

Ich schnippe mit den Fingern, und zu meiner Freude läuft der Hund voraus zur Eingangstür des Wohnhauses.

„Na, ein großartiger Wachhund ist das ja nicht“, lästert Nick, „wenn der jeden Depp reinlässt …“

„Ihr beide habt euch vor Angst fast in die Hose gemacht, oder?“, verteidige ich den Hund.

„Quatsch! Wir wären schon mit ihm fertig geworden. Wo ist denn hier die Klingel?“

„Onkel Harald hat keine Klingel nich.“

„Und wie kommt man rein?“

Lukas blickt mich an. „Mach mal, dass die Töle bellt!“

Ich klatsche in die Hände und hüpfe ein paar Mal auf und ab, da fängt der Hund vor Freude an zu bellen und rennt um mich herum. Das ist hier draußen wirklich nicht zu überhören. Wenn Lukas' Onkel jetzt nicht wach wird, dann weiß ich es auch nicht.

Er wird nicht wach. Oder er ist nicht da.

„Ich glaub, Onkel Harald is nich da …“

„Na sauber. Was machen wir denn jetzt?“, schimpft Pawlowa.

„Wir suchen den Schlüssel“, antworte ich geduldig.

„Und du meinst, der liegt hier einfach so rum, he?“

„Ja, Onkel Harald is n ordentlicher Mensch. Der legt seinen Schlüssel immer unter die Fußmatte, wenn er wegfährt.“

Nick gibt mir seufzend ein Zeichen, mich nach der Fußmatte zu bücken. Und genau da finde ich ihn.

„Bingo.“ Ich gebe ihn Pawlowa.

„Halleluja. Jedenfalls können wir ins Haus.“

„Ihr hättet vorher anrufen sollen, ob er da ist.“

„Ach ja, hätten wir das?“, poltert Pawlowa los und funkelt mich an.

„Entschuldigung“, beeile ich mich mit roter Birne zu sagen.

Die zwei Männer gehen ins Haus, schalten das Flurlicht an, und ich tappe hinter ihnen her. Puh! Hier drin riecht es wie nasse Socken. Der Hund bleibt abwartend draußen stehen und sieht mich an.

„Darf er auch rein?“, frage ich vorsichtshalber und blicke von Lukas zu Pawlowa.

„Mach, was du willst.“

Ich zucke unter Pawlowas Blick zusammen, rufe dann aber den Hund und schnippe mit den Fingern. Man muss ihn nicht zweimal bitten.

„Sieht so aus, als sei dein Onkel schon den ganzen Tag weg, oder?“, murmelt Pawlowa und kratzt sich am Kopf.

„Weiß nich.“

„Ich mache mal die Fenster auf, okay?“, schlage ich vorsichtig vor.

„Mach, was du willst. Lukas, meinst du, hier gibt es etwas Essbares?“

„Da vorn is die Küche, da is n großer Kühlschrank, und da drüben is die Speisekammer. Da is normalerweise immer was zu Schnuckeln da.“

Mein neuer Freund begleitet mich schwanzwedelnd von Fenster zu Fenster. Jetzt im Licht sehe ich erst, was für ein bildschöner Schäferhund das ist. Er trägt eine Kette um den Hals, die bei jeder Bewegung leise klirrt. Das war es, was ich vorhin gehört habe.

„Ich nenne dich Großer, okay?“

Der Hund lacht mich an. Ich kann gar nicht mehr aufhören, ihn zu knuddeln. „Gut, das wäre dann geklärt. Hast du auch Hunger? Wir schauen mal, ob im Kühlschrank auch was für dich da ist.“

Gemeinsam marschieren wir in die Küche. Die Möbel hier drin und im Rest des Erdgeschosses sehen so aus, als seien sie vom Sperrmüll, uralt und bunt zusammengewürfelt, aber es scheint sauber zu sein. Lukas und Nick haben den Kühlschrank geplündert und alles auf dem großen Küchentisch ausgebreitet. Ich nehme ein paar Scheiben Aufschnitt und halte sie dem Großen hin. In Nullkommanichts sind sie in seinem Maul verschwunden.

„He, lass für uns auch was übrig!“, brummelt Pawlowa. Er und Lukas haben sich auf die beiden Stühle gesetzt und kauen mit vollen Backen, ohne weiter Notiz von mir zu nehmen. Ich öffne nacheinander die Schranktüren und schaue hinein.

„Was suchstn du?“, will Lukas wissen.

„Hundefutter.“

„Weiß nich, ob Onkel Harald so was hat. Brauch man so was?“

„Klar!.“

Im letzten Schrank finde ich eine große Tüte Trockenfutter. Wenn überhaupt möglich, wedelt der Große jetzt noch doller und stürzt sich sofort auf die volle Schüssel.

„Hast du keinen Hunger nich?“

„Doch, ein bisschen.“

Lukas macht eine einladende Handbewegung zur Eckbank. „Dann beeil dich, sonst is nix mehr übrig.“

Ich schneide mir eine Scheibe von dem Brot ab und belege sie mit Käse. Erst in diesem Augenblick meldet sich mein Magen und stößt ein übles Knurren aus. Während ich esse, betrachte ich die beiden Männer unauffällig. Ich wusste gar nicht, dass man in so kurzer Zeit so viel in sich hineinstopfen kann. Am Ende bleibt kein Krümel mehr übrig.

Lukas rülpst zufrieden und reibt sich den Bauch. „Willste auch n Bierchen, Nick?“

„Ja, rück eins rüber.“

Pawlowa schaut mir zu, wie ich den Kopf von dem Großen streichle, der auf meinem Schoß liegt.

„Na, ihr beide habt euch gesucht und gefunden, was?“ Das hört sich jetzt ein bisschen freundlicher an.

„Ja.“ Mir fallen immer wieder die Augen zu.

„Du kannst auf der Couch im Wohnzimmer pennen.“ Lukas setzt die Flasche an den Mund und trinkt sie in einem Zug leer. Dann stößt er noch ein Rülpsen aus, dass beinahe die Scheiben klirren und lacht dabei.

„Okay. Gute Nacht, Lukas. Gute Nacht, Herr Pawlowa.“ Mit wackligen Beinen mache ich mich auf den Weg in das Wohnzimmer.

„He!“, ruft Pawlowa mich zurück und sieht mich streng an. „Ich heiße Nick, und so will ich auch genannt werden, klar?“

„Okay, Nick.“

Er brummt etwas, das ich nicht verstehe. Ist vielleicht auch gut so. Das letzte, woran ich mich erinnern kann, ist, dass ich mir zwei Sofakissen unter den Kopf klemme, die Schondecke über mich breite und dass der Große sich neben mir auf dem Boden ausstreckt. Dann bin ich weg.

Ich bin Luis!

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