Читать книгу Ich bin Luis! - Karin Dornhöfer-Neumann - Страница 6

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2. Meine Familie

Ich lebe bei meinem Onkel Dennis. Bei ihm fängt fast jeder Satz an mit „Du musst …!“

„Du musst in der Schule bessere Leistungen bringen, damit du später in die Gymnasialklasse kommst! Schlimm genug, dass du es nicht auf das Goethe-Gymnasium geschafft hast, auf dem schon deine Mama und ich waren.“

„Du musst mehr an die frische Luft!“

„Du musst endlich reiten lernen! Deine Mama hatte in deinem Alter bereits ihre ersten Turniererfolge!“

Ich stehe dann immer da und ziehe das Genick ein. Gucke angestrengt auf den Boden und zähle die Fliesen oder studiere das Muster auf dem Teppich. Wenn es ganz schlimm kommt, denke ich an Onkel Richard. Rechne nach, welche Uhrzeit es bei ihm in Amerika hat und was er wohl gerade tut.

„Herrgott, Kind, hörst du mir überhaupt zu? Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!“

Gespräche mit ihm enden immer damit, dass Alexander ihm die Hand auf den Arm legt und sagt: „Lass gut sein, Dennis.“

Alexander ist okay und der schönste Mann, den ich je gesehen habe. Er trägt immer Klamotten von Armani und sieht mit seinen glänzenden, schwarzen Haaren aus wie ein Model aus einer Hochglanz-Modezeitschrift. Onkel Dennis hat ihn eines Tages mit zu uns nach Hause gebracht, zum Kaffee trinken. Mir war gleich klar, dass zwischen den beiden was läuft. Emmi, unsere Köchin, hatte mal gesagt, Onkel Dennis sei „vom anderen Ufer“, der würde sich nichts aus Frauen machen. Das hatte sich so angehört, als sei das eine schlimme Krankheit, die man einem Menschen rausprügeln müsste. Aber in der Schule haben wir gelernt, dass das voll in Ordnung ist und jeder so leben und lieben soll, wie er will und Männer auch Männer heiraten können.

Alexander war von Anfang an sehr nett zu mir, und ich checkte, dass er wirklich so ist. Nett, meine ich. Soll heißen: Ich hatte nichts dagegen, dass er immer öfter zu uns kam und schließlich bei uns einzog. Wir haben ja genug Zimmer. Von da an war Onkel Dennis besser gelaunt als vorher. Ich will nicht sagen, dass ich Alexander supertoll finde, aber es ist ruhiger bei uns, seitdem er da ist. Komisch ist nur, dass immer die Tür offenstehen muss, wenn er im gleichen Zimmer ist, und beim Autofahren hat er immer ein Fenster wenigstens einen Spalt geöffnet, auch im Winter, sonst sieht er so aus, als kriegt er die Krise.

Ich muss fast jeden Tag mit den beiden in den Reitstall fahren, in dem sie ihre Pferde stehen haben. Da ist auch die schwarze Stute von meiner Mama. Immer wenn ich an ihrer Box mit dem großen Paddock vorbeigehe, sieht es so aus, als ob sie mich anschaut und dann seufzt. Weil ich nicht meine Mama bin. Weil meine Mama nie mehr kommt. Dann wird alles um mich herum dunkel und kalt. Und reiten lernen will ich auch nicht. Nicht, weil es mir keinen Spaß machen würde, sondern weil Onkel Dennis es von mir verlangt.

Mein Papa ist auch nicht geritten. Er war Konzertpianist. Ich weiß, dass er sich da oben im Himmel wie verrückt freut, wenn er mich spielen sieht. Und Mama freut sich auch. Nur Onkel Dennis nicht. Der motzt nur rum.

Wenn wir im Reitstall sind, gucken mich die anderen Kinder im Vorbeigehen immer blöd an. Sie haben fast alle ein eigenes Pony und hetzen sich ab, um pünktlich zu ihrer Reitstunde zu kommen. Nur Prince Charles, der Schäferhund von Natalie, begrüßt mich jedes Mal, und es sieht aus, als ob er lacht. Natalie gehört der Reitstall, aber sie hat es auch immer eilig und nickt mir nur zu, wenn sie mich sieht.

Ich „darf“ dann helfen, die Stute von Alexander zu putzen und zuschauen, wenn er und Onkel Dennis reiten. Onkel Dennis springt mit seinem braunen Hengst, dass mir schon beim Zuschauen schlecht wird, und Alexander reitet Dressur. Das sieht eigentlich ganz hübsch aus. Ich weiß, was Schenkelweichen ist und wie man eine Volte reitet, kann einen einfachen Galoppwechsel von einem fliegenden unterscheiden und finde es schön, wenn ein Pferd piaffiert, also auf der Stelle trabt und es dann aussieht, als würde es tanzen. Alexander bringt mir das alles bei. In der Theorie.

Und wenn wir dann wieder nach Hause fahren, spricht Onkel Dennis von nichts anderem als von Oxern und Steilsprüngen und Wassergräben. Und Alexander versucht mir mit seiner warmen Stimme zu erklären, warum Gymnastizierung gut für das Pferd ist und dass Reiten ein gesunder Sport an der frischen Luft ist. Aber ich will trotzdem nicht reiten lernen.

Zweimal pro Woche kommt Madame Boulet abends zu uns. Sie ist Konzertpianistin und Französin und spricht ein ulkiges Deutsch. Aber das ist egal, denn sie übt mit mir Klavier spielen. Ich sei ihre talentierteste Schülern, sagt sie. Selbst die schwierigen Stücke von Bach und Chopin kann ich mittlerweile fast perfekt. Zwischendurch üben wir auch „populäre“ Stücke für Auftritte, zum Beispiel im Altersheim der Stadt. Die alten Leutchen hören am liebsten Udo Jürgens und Abba oder Italo-Pop aus den 1970er Jahren, da kriegen sie ganz feuchte Augen und klatschen hinterher wie blöd. So etwas muss man auch im „Repertoire“ haben, sagt Madame Boulet. Sie hat ihre langen Haare zu einem Knoten zusammengebunden und trägt immer ein elegantes Kostüm.

Onkel Dennis mag sie nicht, und sie mag Onkel Dennis nicht. Wenn die beiden zusammentreffen, wird es im Zimmer ein paar Grad kälter, auch wenn sie sich anlächeln.

Bevor meine Mama starb, hat sie in ihr Testament geschrieben, dass ich regelmäßig Klavierstunden bekommen soll, solange ich will. Dagegen kann auch Onkel Dennis nichts machen. Er ist ihr Bruder, und ihm gehört die eine Hälfte unseres Vermögens. Die andere Hälfte gehört mir, wenn ich 18 Jahre alt werde. Emmi, unsere Köchin, hat mal gesagt, mein Anteil ist mehr als zehn Millionen Euro wert. Das ist soviel Geld, dass mir komisch wird, wenn ich daran denke. Ich mag nicht daran denken. Ich will nur Klavier spielen.

Ja, und dann gibt es da zum Glück noch meinen Onkel Richard. Er ist der Bruder von meinem toten Papa. Er lebt in einer großen Stadt in den USA, sie heißt Cincinnati und liegt im Bundesstaat Ohio. Ich finde, er ist der liebste Mensch auf der ganzen Welt, und ich würde so sehr viel lieber bei ihm wohnen. Er hätte mich nach dem schlimmen Unfall meiner Eltern auch sofort mitgenommen, aber er durfte nicht. Weil Onkel Dennis das Sorgerecht für mich bekam. Das hatte etwas mit dem Testament meiner Mama zu tun, da kann man nichts machen.

Onkel Richard ist immer fröhlich und braun gebrannt und hat ganz viele Muskeln. Als er das letzte Mal bei uns zu Besuch war, hatte er zu mir gesagt, auch wenn er nicht bei mir sein könnte, so würde doch Emmi auf mich aufpassen.

Emmi war die Köchin von meinem Papa gewesen, und nachdem er meine Mama geheiratet hatte, war sie mit zu uns ins Haus gekommen. Und als ich dann zur Welt gekommen war, hatte sie mich sofort in ihr Herz geschlossen.

Aber als meine Eltern starben, hatte sie oft Streit mit Onkel Dennis, und dann hatte er ihr einfach gekündigt, und sie musste am gleichen Tag noch gehen. Das war letztes Jahr kurz vor Weihnachten gewesen. Seitdem habe ich sie nie wieder gesehen, Onkel Dennis hat es verboten.

Ohne Emmi ist es für mich noch trauriger geworden. Aber seitdem bekomme ich jeden Abend von Onkel Richard eine whattsapp, und ich schicke eine zurück. Er schreibt mir immer, ich soll den Kopf nicht hängen lassen, und er „arbeitet daran“, dass wir bald immer zusammen sind. Daran klammere ich mich ganz fest.

Ich bin Luis!

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