Читать книгу Ich bin Luis! - Karin Dornhöfer-Neumann - Страница 15

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11. Fahrt durch die Nacht

Ich sitze vorn zwischen Pawlowa und Lukas und starre durch die Windschutzscheibe, ohne etwas zu sehen. In meinem Kopf ist totale Leere. Wenigstens hat das Zittern in meinen Armen und Beinen aufgehört. Aus dem Radio kommt leise Country-Musik, aber der Ton ist kratzig. Anscheinend ist das Radio kaputt.

„Wo fahren wir denn jetzt hin?“, höre ich mich fragen.

„Zu meim Onkel Harald“, trompetet Lukas. „Der hat nen Bauernhof. Da verstecken wir uns.“

Ich krieche in mich zusammen. „Es tut mir so leid. Das wollte ich nicht. Ehrlich.“

Pawlowa brummt etwas Unfreundliches.

„Jetzt sitzen wir ganz schön in der Scheiße wegen dir, du Frosch.“

„Warum bist du vorhin abgehauen?“ knattert Pawlowa los.

„Ich dachte, dann wird für euch alles wieder gut.“

Er schnaubt und stößt ein wütendes Lachen aus. „Da wird erst mal gar nichts mehr gut. Die suchen überall nach uns. Wir müssen untertauchen und in zwei Wochen die Kartons nach Tschechien bringen, egal wie, sonst sind wir geliefert. Danach müssen wir sehen, wie es weitergeht. Ich frage mich nur, woher der Typ von vorhin so schnell wusste, wo er uns findet.“

„Den hat mein Onkel Dennis geschickt. Ganz bestimmt.“

„Hm.“ Er sieht mich von der Seite an. „Wenn das wahr ist, dann sitzt du wirklich in der Scheiße. Aber der muss sich jetzt erst mal eine neue Waffe besorgen. Oder er sucht die ganze Gegend ab, bis er die Stelle findet, wo Lukas sie hingeschmissen hat. Und das kann dauern.“

„Glaubt ihr mir jetzt, dass ich nicht zurück kann?“

„Ich glaub dir.“ Lukas legt seine Pranke auf meine Hand und drückt sie. „Ich glaub dir, kleiner Frosch. Aber der kriegt dich nich.“ Er sieht auf einmal viel netter aus.

„Ist er . tot?“

„Nee. Der schläft nur n bisschen. Und morgen hat er Koppweh.“

„Wie weit ist es denn bis zu deinem Onkel?“

„Ne Stunde oder so. Weiß nich.“

Ich schaue ihm ins Gesicht und erschrecke, als ich erkenne, dass es Blut ist, was ihm seitlich am Kopf herunterläuft. Er fasst mit der Hand hin und verschmiert sich dabei.

„Ups … Das muss passiert sein, als wir den Kerl gepackt ham.“

Nick knipst die Innenbeleuchtung an, und ich ziehe Lukas' kahlen Kopf zu mir herunter. „Da ist ein kleines Loch“, stelle ich fest. Zum Glück macht mir dieser Anblick nichts aus. Irgendwie schaffe ich es, den Verbandskasten unter dem Sitz hervorzuziehen.

„Weißt du denn, wie man so was macht?“, fragt Pawlowa.

„Ja, haben wir mal in der Schule geübt. Ist keine große Sache.“

Das ist nicht ganz die Wahrheit. Als Noah mal wieder eine Rauferei mit einem älteren Schüler hatte, hat Peter ihn verarztet, und ich habe zugeschaut, wie man das macht. Falls so was mal wieder passiert und wir beide allein sind. Man weiß ja nie.

Lukas hat einen ziemlich dicken Schädel, das sehe ich jetzt erst so richtig. Ich reinige die erbsengroße Wunde mit einem Stück Verbandwatte.

„Ist nicht so doll, wie ich dachte“, beruhige ich ihn. „Es hört schon auf zu bluten.“ Ich schneide ein großes Stück Pflaster ab und klebe es anschließend drauf. „So, fertig. Das machen wir später wieder ab, okay?“

Lukas befingert es vorsichtig und grinst schief. „Hab jetzt n Loch im Kopf, was?“

„Nicht so schlimm. Ist nur an der Oberfläche, kein richtiges Loch. Es kommt keine Gehirnflüssigkeit raus. Das heilt wieder. Bestimmt.“ Ich grinse.

Pawlowa schnaubt bei meinen Worten und schüttelt den Kopf. Lukas guckt richtig erschrocken. Sein Mund macht „Oooh“, aber dann checkt er, dass ich nur Spaß gemacht habe.

„Solche Witze solltest du mit Lukas besser nicht machen. Sonst macht er mal einen Witz mit dir, und das wird dir schlecht bekommen.“

„Entschuldige …“

Aber Lukas grinst nur schief. Gott sei Dank. „Und das war der Typ, der bei euch im Haus eingebrochen is?“

„Ja. Der gleiche, der mich und Noah die ganze Zeit beobachtet hat.“ Ich schneide für mich selbst vier große Stücke von dem Pflaster ab und klebe sie auf meine Knie und Ellbogen. Die wunden Stellen tun zwar noch genauso weh wie vorher, aber jetzt sind sie wenigstens zugedeckt.

Die Musik im Radio hört auf. Eine Männerstimme sagt: „Wir unterbrechen die Sendung für eine Sondermeldung der Polizei: Die Kripo in Bad Steinach bittet um Ihre Mithilfe. Gesucht werden die elfjährige Mila von Weitershausen und ihre mutmaßlichen Entführer Nikolai Pawlowa und Lukas Müller. Sie sind unterwegs in einem weißen Citroen Jumper mit dem amtlichen Kennzeichen BST NP 65. Auf beiden Seiten des Fahrzeugs befindet sich ein Werbeaufdruck für Pawlowa Entrümpelungen. Mila von Weitershausen ist zierlich, hat hellblonde, schulterlange, gelockte Haare, auffallend blaue Augen und trägt vermutlich hellblaue Bermuda-Shorts und ein weißes T-Shirt. Nikolai Pawlowa ist 55 Jahre alt, mittelgroß und kräftig, hat dunkle, gelockte Haare und einen Oberlippenbart. Lukas Müller ist 31 Jahre alt, wirkt aber deutlich jünger, circa 1,80 m groß, sehr kräftig, auffallend tätowiert und hat einen glatt rasierten, tätowierten Kopf mit Ohren-Tunneln. Die Männer gelten als gewaltbereit und sind unter Umständen bewaffnet. Falls Sie die drei gesuchten Personen gesehen haben oder ihren Aufenthaltsort kennen, rufen Sie bitte unter einer der nachfolgenden Nummern an …“

„Gewaltbereit …!“ Pawlowa schüttelt den Kopf. „So ein Quatsch. Die stellen uns ja hin, als seien wir Monster.“

„Sin wir nich, nee. Die spinnen!“

Ich behalte für mich, dass Noah auch so etwas Ähnliches über die beiden gesagt hat.

„Nur weil man sich wehrt, wenn man blöd angemacht wird, is man kein Gewaltmonster“, schimpft Lukas.

Pawlowa nickt. „Dein Onkel, vor dem du weggelaufen bist … Wie heißt der nochmal?“

„Dennis.“

„Lebst du mit dem allein?“

„Nein, Alexander wohnt bei uns. Und Herr Kemper, unser Angestellter.“

„Wer is nochmal Alexander?“, will Lukas wissen.

„Der Lebensgefährte von Onkel Dennis.“

„Pfff! Die sin schwul, sin die, was?“

„Ja. Aber das ist in Ordnung, hat Peter gesagt.“

„Wer isn jetzt Peter?“

„Unser Klassenlehrer.“

„Was weiß n der da drüber?“

„Er weiß viele Dinge und versteht alles und erklärt es uns dann. War dein Lehrer nicht so?“

„Nee. Der war n Schwachkopp.“

„Auf welcher Schule warst du denn?“

Lukas lacht scheppernd. „Aufm Drei-Treppen-Gymnasium. Bis zur achten Klasse. Dann ham die mich rausgeschmissen.“

„Was ist denn das für eine Schule?“

„Na, da, wo die hinkommen, die nix kapiern, verstehste?“

„Du meinst die Förderschule?“

„Sag ich doch, Drei-Treppen-Gymnasium.“

„Und als was arbeitest du jetzt?“

„Ich arbeite beim Nick. Der Nick is mein Kumpel, das is er. Der hilft mir immer.“

„Wenn ich groß bin, will ich Konzertpianistin werden“, kläre ich ihn auf.

„Was isn das, hä?“

„Klavierspielerin.“

„Is' das n Beruf?“

„Klar! Man studiert Klavierspiel, und dann kann man in einem Orchester spielen, Konzerte geben, und, und, und.“

„Und dafür kriegt man Geld?“

„Klar!“

„Kannst du Klavier spielen?“

„Klar!“

„Ich hör gern Klavier. Aber nur lustige Sachen, sonst muss ich immer weinen.“

„Manche Stücke sind traurig, das stimmt, aber sie sind trotzdem schön.“

„Ich mag keine traurigen Lieder.“

„Wenn mein Onkel Richard kommt und ich wieder zuhause bin, spiele ich dir lauter lustige Stücke vor, ja?“

„Au ja, das mag ich.“

„Aber bis dahin ist noch ein verdammt langer Weg“, brummt Pawlowa. „Jetzt müssen wir erst mal den Wagen von der Bildfläche verschwinden lassen. Hoffentlich erkennt uns unterwegs niemand.“

Eine Sache, die Lukas gesagt hat, habe ich nicht verstanden. „Du, Lukas. Warum wurdest damals du von deiner Schule geworfen?“

Er grinst breit. „Hab n Späßchen gemacht. Das fanden die aber nich so witzig.“

„Was denn für ein Späßchen …?“

„Hab unsern Lehrer, den Schwachkopp, mal am Schlafittchen gepackt und ihm meine Faust unter die Nase gehalten. Der hat vielleicht gequiekt! Wie n Schwein, wenns abgestochen wird. War so was von witzig.“ Ich schlucke. „Warum hast du das getan?“ „Der Sack hat genervt.“

Ich bin Luis!

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