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Kirchenlehrer und Mönche

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Der Kirche erwuchsen einige führende Geister, die christliches Denken und antiken Geist verbanden und eine Literatur schufen, die für das christliche Mittelalter kanonisch und klassisch wurde: Hieronymus, Ambrosius, Paulinus, Augustinus und verschiedene Dichter.

Hieronymus aus Strido bei Aquileja (* um 340), gilt als einer der größten Gelehrten und Schriftsteller der christlichen Kirche, als der letzte große Liebhaber der lateinischen Klassik und zugleich einflußreichster Befürworter eines asketischen Lebens. Er besuchte die hohen Schulen in Trier und Rom und ging wie viele führende Kirchen- und Geistesmänner der Zeit in ein Wüstenkloster im Nahen Orient (Chalcis bei Antiochien), wo er die heidnischen Klassiker studierte. Nach dieser asketischen Schulung wurde er Sekretär des Papstes Damasus in Rom und übersetzte in dessen Auftrag das Neue Testament in ein besseres Latein. Er war ein gründlicher und kritischer Beobachter der römischen Gesellschaft, aber auch des geistlichen Rom. Von dem lockeren Leben angewidert, verließ er die Hauptstadt und gründete 385 in Bethlehem ein Mönchs- und ein Nonnenkloster. Als Abt des ersteren schrieb er über fünfzig theologische Werke und vollendete seine Bibelübersetzung, die Vulgata, die größte literarische Leistung des 4. Jahrhunderts, auf der die Sprache der Theologie und der Literatur des ganzen Mittelalters aufbaute.

Neben ihm zeugt Ambrosius, der in Trier geborene Sohn des Präfekten von Gallien und dann selbst Provinzstatthalter Norditaliens mit dem Sitz in Mailand, für die große Anziehungskraft der Kirche auf Männer der »High-Society«. Innerhalb einer Woche wurde er getauft und zum Bischof geweiht; dieses Amt führte er mit der Kraft und Würde des geborenen Staatsmannes, der auch in die hohe Politik mächtig eingriff. Durch seine Predigten faszinierte er Augustinus vor seiner Bekehrung, er dichtete einige der frühesten und edelsten kirchlichen Hymnen.

Vielleicht am zukunftsträchtigsten für das neue Europa wurde der römische Einfluß in der Provinz Gallien; denn hier wurde die mittelalterliche Gesellschaft und Kultur geboren, hier erreichte sie auch ihren ersten großen Höhepunkt im 11. und 12. Jahrhundert. Grundlegend wurde die Tätigkeit großer Bischöfe im 4. und 5. Jahrhundert, des Hilarius von Poitiers, des Remigius von Reims, des Euphronius von Autun, des Martin von Tours.

Den Merowingerkönigen und ihrem Hofadel verdankt Martin seine Erhebung zum Reichsheiligen der Franken, dessen Patrozinium fast 4000 Kirchen und dessen Namen 425 Dörfer Frankreichs tragen. Um 316 in Pannonien (Ungarn) geboren, steckte ihn der Vater in eine Kaserne; nach fünf Jahren lebte er zuerst in Italien, dann nahe Poitiers als Mönch. Zum Bischof von Tours 371 bestellt, sah er die höchste Pflicht seines Amtes in karitativer Fürsorge für die Menschen. Persönliche Askese lebte er in seinem Eigenkloster Marmoutier vor. Vom Martinskloster in Poitiers (gegründet 362) gingen zahlreiche Neugründungen im Lande aus.

Johann Cassianus hatte die Mönchsideen aus dem Osten nach Marseille verpflanzt, wo er 415 ein Männer- und ein Frauenkloster begründete; hier schrieb er vor Benedikt von Nursia die erste westliche Mönchsregel nieder. Noch vor Cassianus Tode (435) lebten im Kulturland der Provence bereits 5000 Mönche. Diese fanden in dem nach 400 auf der Mittelmeerinsel Lérins vor Cannes errichteten Kloster ein überragendes geistiges Zentrum, dessen Bedeutung noch wuchs, als nach der Aufgabe Triers und der Nordprovinzen die römische Führungsschicht nach Südgallien strömte und in Lérins ein religiös-geistiges Asyl fand. So sammelten sich hier Geist und Kultur des antiken Provinzialismus wie in einem Brennspiegel und strahlten wieder auf das gallische Festland zurück.

Dadurch entstanden neue Formen der Religiosität und Geistigkeit, und diese wurden Grundelemente einer neuen Kultur; es erwachte in jenen Stätten der Besinnung der Wille zu einem neuen tätigen Leben in Gemeinschaft und geselliger Beschäftigung mit dem Geistesgut der Antike; auf diese Weise wurden die Menschen der Einsamkeit, dem Pessimismus entrissen und für eine optimistische Lebenshaltung gewonnen.

Diese Zentren asketisch-klösterlichen und geistigen Lebens haben Leben und Denken der kommenden Führungsschichten maßgebend vorbereitet. Hier wurde entschieden, daß an die Stelle des freien Laientums der Spätantike der hochgebildete, asketische Mönch als Vermittler von Geist und Bildung, als Lehrer und Vorbild für neue Menschen trat, die nicht mehr schöpferisch dachten, aber für Übernahme von Traditionen lernbegierig und bereit waren. Darum wurden vor allem die Klöster in der archaischen Zeit Europas die Brennpunkte des geistigen wie des religiösen Lebens.

Die Askese des Mönches wurde zur Richtschnur für ein ideales christliches Leben; der Märtyrer und der Mönch wurden in den Heiligenviten der neuen Oberschichten als Modell vorgestellt. Die Übergangszeit des 5. und 6. Jahrhunderts hat vielen Ballast abgeworfen, aber auch vieles an Traditionen bewahrt, das zu einer Neugestaltung der Religion beitragen konnte.

Das Mönchtum war im Ostreich viel mehr eine erregende Kraft der verchristlichten Massen als im Westen. Die Macht der institutionalisierten Kirche über sie war sehr gering, schon darum, weil ihre Verbindungen mit der Welt zu eng geworden waren. Die Mönche wanderten von Stadt zu Stadt und predigten Askese, trieben Handel mit Reliquien und setzten Synoden unter Druck, hetzten schwache Gemüter auf, zerstörten heidnische Tempel und Bilder. Sie wirkten in einer nervösen Gesellschaft als Störenfriede und fielen der Kirche zur Last; diese mußte deshalb gegen ihre Exzesse einschreiten. Die Reichskirche reglementierte in zunehmendem Maße das individuelle religiöse Leben der Laien.

Der heidnische Kult erlosch zwar fast überall im Osten, aber es wucherten dafür die Häresien, und die Christen kamen sich zusehends in die Haare. Der Osten war im ganzen religiös erregter als der Westen; in jeder Werkstätte und auf den Straßen diskutierte man lebhaft die Streitfragen der christlichen Lehre. In der Reichshauptstadt Konstantinopel waren die Mönche bereits um 400 eine Macht und ein Schrecken zugleich. Die hohen kirchlichen Würdenträger waren im ganzen gebildeter und streitsüchtiger als die des Westens. Als Typus ragt der adelige Antiochier Johannes Chrysostomos heraus, der seine Gemeinde zu christlicher Unruhe und Bewegung aufrief, die Reichen zu Almosen aufforderte, Zügellosigkeit und Luxus des Klerus anprangerte und die Mönche von der Straße in die Klosterzellen wies. Seit diesem unbeugsamen und hochgebildeten Verfechter christlicher Moral diente die Ostkirche mit wenigen Unterbrechungen dem byzantinischen Kaiserstaat.

Der erregendste und in seiner Wirkung weitreichendste Geist der Westkirche war Augustinus aus dem nordafrikanischen Tagaste. Nach Studien in Karthago begab er sich auf eine Bildungsreise nach Rom und wurde Lehrer in Mailand, wo er die Predigten des Ambrosius hörte, Theologie zu studieren begann und zunächst vom manichäischen Dualismus ergriffen wurde. In Platon und Plotin vertiefte er sich so intensiv, daß er der große Vermittler der neuplatonischen Philosophie und ihrer Skepsis an die Nachwelt bis zu Abélard, dem Pariser Professor (Magister) im 12. Jahrhundert wurde. Das Studium der Bibel und der Paulusbriefe heilte ihn von der Skepsis und führte ihn zum Christentum (387).

Nach Afrika zurückgekehrt, begründete er in Tagaste eine religiöse Gemeinschaft und gab ihr Regeln, die in den Augustinerorden weiterlebten. Als Bischof von Hippo (396 – 430) bewahrte er sich sein feingestimmtes, erregbares Temperament, das mit kühner Phantasie und scharfem Verstand gepaart war. Jetzt schrieb er seine Werke, die Theologie und Geist des Mittelalters aufs stärkste beeindruckt haben. Er versuchte die kirchliche Lehre, die er als einzige Stütze der gesellschaftlichen Ordnung in einer verderbten Welt ansah, mit den Vernunftgesetzen in Einklang zu bringen. Ihn beschäftigte vor allem das Dilemma zwischen Willensfreiheit und göttlicher Vorherbestimmung. Aus eigenem Erleben entwickelte er den Glauben an die Heilung des bösen Urwillens der Menschen durch göttlichen Gnadenakt. Sein religiöses Weltbild war erlebt, erlitten, nicht erdacht. In 230 Abhandlungen hat dieser universale Geist fast jedes philosophische und theologische Problem durchdacht und in einer höchst persönlichen Sprache dargestellt.

Seine »Bekenntnisse« zählen zu den berühmtesten aller Selbstbiographien, und seine Geschichtsphilosophie des »Gottesstaates« ist ein Standardwerk der Weltliteratur geworden. Geschrieben unter dem Eindruck der Plünderung Roms durch Alarich (410), die eine Katastrophenstimmung hervorrief, suchte er darin die Grundlagen einer christlichen Theologie zu retten. Bei der Belagerung Hippos durch den Wandalenkönig Geiserich verstarb Augustinus, der in sich das mystische und das philosophische Wesen des Christentums vereinigte. Auf ihn beriefen sich Wiclif, Hus, Luther, Calvin und Thomasa Kempis.

In ihrer Auseinandersetzung mit der spätantiken Welt formte die Kirche die alten Kultformen christlich um, machte vielfache Konzessionen an die Gefühls- und Glaubenswelt des einfachen Volkes, prägte eine neue Sittlichkeit, veränderte Sexualität und Ehemoral, milderte die Sklaverei und übte Werke der Caritas an einer notleidenden Menschheit. Es wirkte als eine »romantische« Reaktion auf einen »klassischen« Vernunftglauben. Zusammen mit dem Germanentum und mit Hilfe des antiken Geisteserbes wurde die christliche Kirche zum Substrat einer neuen Kultur.

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