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Langobarden und Alemannen
ОглавлениеAls letzte Wandergermanen bedrohten die Langobarden den östlichen Nachfolger des Westreiches auf dem Boden Italiens. Der Sage nach war Skandinavien ihr Ausgangsland. Nur ganz wenige germanische Völker haben eine gleich vollständige Tradition über ihre eigene Geschichte wie sie. Der Langobarde Paul Warnefried (= Paulus Diaconus) hat sie im 1. Kapitel seiner »Langobardengeschichte« dargelegt. Sie schälten sich aus dem großen germanischen Kultverband der Ingwäonen heraus, der im 1. Jahrhundert an der Niederelbe saß; dadurch waren sie mit den Sachsen verwandt. Auf ihrer Südwanderung drangen sie in den böhmischen Raum ein, stießen am Anfang des 6. Jahrhunderts nach Pannonien vor, wo sie fast ein halbes Jahrhundert siedelten und als Föderaten im Dienste Ostroms dem Reichsfeldherren Narses einen stattlichen Heerhaufen zum Kampf gegen den Ostgotenkönig Totila 552 zuführten.
Ihr König Alboin schloß mit dem Reitervolk der Awaren, das 558 in die Donauebene einbrach, ein Bündnis gegen die Gepiden, das einer Unterwerfung gleichkam. Das war der Hauptanlaß zum Aufbruch nach Italien, das Alboin 568 mit Unterstützung von Sachsen und Donausueben großteils eroberte. Der oströmische Schachzug, den Langobarden die Franken auf den Pelz zu hetzen, mißlang. So verloren die Oströmer Ober- und Mittelitalien mit Ausnahme Ravennas (erst 751 langobardisch), der Lagune von Venedig und Rom.
In Rom aber saß der Papst als Erbe des Westreiches. Durch den Ausfall von Byzanz wurde der Bischof von Rom vollends autonom, mußte aber die Verteidigung gegen die langobardischen Eindringlinge selbst organisieren. Das führte seit Papst Gregor I. (590 – 604) zur Entstehung des Kirchenstaates (756). Der entscheidende Einfluß der Königin Theodolinde führte die teils heidnischen, teils arianischen Langobarden zum Katholizismus im 7. Jahrhundert. Gerade dieser Entschluß aber lieferte den nun rechtgläubigen Langobardenkönigen den Vorwand, zum Schutz des Papstes das Reich in Italien zu erneuern. Das fränkisch-päpstliche Bündnis in der Mitte des 8. Jahrhunderts hinderte sie daran und gab dem fränkischen Karolinger Karl dem Großen einen guten Grund, das Langobardenreich 774 zu zerstören und den König Desiderius abzusetzen.
Die Beseitigung der Langobardenherrschaft schuf Frieden in Italien und Voraussetzungen für eine Neubelebung christlicher Zivilisation. Die langobardische Herrenschicht, die sehr kriegerisch war und in steten Auseinandersetzungen mit dem Königtum lag, saß vor allem in den Städten Norditaliens. Sie trat seit 774 zurück, fränkische, alemannische und auch bayerische »Reichsaristokratie« wurde hierher berufen, überlagerte den Stammesadel und begründete selbst eine starke Herrschafts- und Machtposition. Der langobardische Adel aber führte lange und harte Kämpfe für die Unabhängigkeit der Städte, in denen er den Ton angab. Oberitalien nahm von diesem Volk den Namen »Lombardei« an.
Die fränkische Oberherrschaft begründete das »Reichsitalien« des Mittelalters. Die Ottonenkaiser (ab 936) zogen den langobardischen Adel wieder zu Reichsaufgaben heran, da die »Reichsaristokratie« zu mächtig geworden war. Im Werden der italienischen Nationalität und des italienischen Patriotismus wurde der Geist des langobardischen Feudaladels ein bestimmendes Element.
Die Geschichte der Alemannen und Burgunder gibt die Antwort auf die Frage, warum die Franken das »Reichsvolk« werden und in Nachfolge der Römer ein neues Großreich bilden sollten. Man nimmt an, daß die Alemannen von den Semnonen abstammen; letztere siedelten um Christi Geburt westlich der Elbe und gegen die Böhmischen Berge; unter dem römischen Kaiser Marc Aurel wurden sie 178 ein letztes Mal genannt. Teile von ihnen waren damals schon in Bewegung auf die Mainlande zu. Sie führten fortan den Namen »Alemannen«, was einen politisch-religiösen Bund verschiedener Rheinstämme andeutet.
Am Untermain stießen sie 213 auf die Grenzen des Römerreiches, dem ihre zahlreichen, beweglichen Gefolgschaftshaufen zu Pferd bald gefährlich wurden. Seitdem sie 250 den Limes durchbrachen und Raubzüge in das Land zwischen Rhein und Donau unternahmen, wo die Römer keltische Gallier angesiedelt hatten, dadurch die Befestigungslinie des Limes zum Einsturz brachten, hatte das Weltreich in diesem Grenzabschnitt keine Ruhe mehr. Auf der Suche nach fruchtbarem Siedelland im Süden oder Westen stießen die Alemannen 259/260 quer durch Helvetien und Gallien bis Italien und bis Ravenna vor. Kaiser Claudius II. fing sie 268 am Gardasee ab, jedoch unter Valentinian II. bedrohten sie 392 abermals Mailand. Für Italien waren die Alemannen eine Gefahr, aber Gallien bedrohten sie unmittelbar, da sie dort Siedelland suchten. Trotz des blutigen Sieges, den 357 Kaiser Julian vor Straßburg (Argentoratum) über sie errang, setzten sie sich 455 endgültig im Elsaß fest, verknechteten die dortigen Gallorömer und germanisierten sie. Von da stießen sie nordwärts bis Koblenz und Köln vor und beanspruchten die Sequanaise, ja sie siedelten in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts anscheinend auch auf dem Hochplateau von Langres.
Burgunder und Franken verhinderten ein weiteres Eindringen der Alemannen nach Gallien; ihre Barbarei war bei Römern und Gallorömern legendär geworden. Fast will es scheinen, daß sie am entschiedensten römische Kultur und Christentum ablehnten. Die so tiefe Zersplitterung in Clans hinderte die alemannischen »Recken« an einer Reichsbildung. Bis zu fünfzehn Kleinkönige ohne größeres Ansehen gab es bei ihnen; das ließ eine geschlossene Macht unter einheitlichem Kommando nicht aufkommen.
Ohne zu einer politischen Einheit zu gelangen, unterwarf der Merowinger Chlodwig die Alemannen endgültig 496/497, während Theoderich für sie intervenierte.
Da sich die Alemannen in Gallien nicht niederlassen konnten, drängten sie seit 259/ 260 um so stärker nach Helvetien (Schweiz). Sie zerstörten Augusta Rauracorum (Augst bei Basel), plünderten und besetzten Aventicum (Avenches), die Hauptstadt des Landes, eine der schönsten römischen Städte des Westens, zweimal, zuletzt 354, wovon sie sich nicht mehr erholte. Erst zwischen 500 und 700 scheinen die Alemannen siedlungsmäßig die Westschweiz besetzt zu haben, nachdem sie um 470 die Nordschweiz fest in ihre Hand nahmen. Im 6. Jahrhundert saßen sie an den Seen von Zürich, Brienz und Thun, waren aber noch nicht in die Alpen und den Jura eingedrungen. Dem ersten Vorstoß folgte ein langsames Einsickern.
Vor diesen skrupellosen Eroberern flohen die gallorömischen Grundherren ebenso wie die kleinen Leute in die Berge der Hochalpen; sie verstärkten dort das römische Element, dessen Reste uns heute noch in der rätoromanischen Sprache begegnen. Vom rechten Rheinufer aus trugen die Alemannen die Siedlung in getrennten Gruppen vor und bildeten in der deutschen Schweiz deshalb verschiedene Dialekte aus. Im Tal Urseren verschwand das »Romunsche« (= rätoromanische Sprache) erst im 15. Jahrhundert, nachdem die Leute von Uri dieses kleine Gebiet der Abtei Disentis abgelöst hatten; das nämliche war in Chur, der Hauptstadt Rätiens, der Fall. Die Schweiz ist ein Musterbeispiel der Verschmelzung von Barbarentum und Romania, besonders das Land des Kantons Fribourg, das Hochplateau zwischen Alpen und Jura. Die Doppelortsnamen in diesem Gebiet – der Ort Cressier, benannt nach dem Gallorömer Criscius, heißt auch Grissach, die Bevölkerung spricht zum Teil französisch, der Ort ist aber von alemannischen Siedlungen umgeben – zeigen, daß die Alemannen hier die Vorbevölkerung nicht verdrängen konnten und sich neben sie setzen mußten.
Das langsame Vordringen der Alemannen in die Alpen trennte Rätien und Gallien, am Fuß der Alpen verlief die Grenze zwischen Alemannen und Romanen, die heutige Schweiz. Von Genf bis Chur sprach man damals eine lateinische Sprache in verschiedenen lokalen Mundarten; in der Mitte dieser Linie brach das Alemannische ein. Gallorömern und Burgundern verdankt die Westschweiz ihre französische Sprachkultur. Bis in das 7. Jahrhundert sperrten sich die Alemannen gegen eine Assimilation an die Romania. Die irischen Wanderprediger Columban, Gallus und ihre Gefährten, die auf einer Linie von Basel über Zürich nach Bregenz zu wirken begannen, förderten diesen Prozeß. Vor der Mitte des 8. Jahrhunderts konnte sich keine kirchliche Organisation in der heutigen Schweiz bilden, die ersten Bistümer waren Basel und Konstanz.
Der Rhein schied die Alemannen in die (später so genannten) Schwaben und in die Südalemannen oder Deutschschweizer bzw. Elsässer, die früher christianisiert wurden und sich über Frankreich, die Bourgogne, die Provence und Italien der lateinischen Zivilisation annäherten. Das Kloster St. Gallen war eine Hauptstätte solcher Begegnung. Als Land der Mischung wurde die Schweiz zu einem »Knoten des Westens«. Die Burgunder, unversöhnliche Feinde der Alemannen, haben ebenfalls einen Anteil an der Bildung der »europäischen Zentrallandschaft der Schweiz«, als Ferment der französischen Schweiz und des Berner Landes.