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Britannien und Irland
ОглавлениеBritannien hatte unter römischer Herrschaft eine Blüte erlebt. Seit dem 4. Jahrhundert aber bedrohten es Invasionen von allen Seiten, die sich 364 – 367 verstärkten. Der angelsächsische Kirchenhistoriker Beda bezeichnet 409 als Jahr des Untergangs der Römerherrschaft auf der Insel; das war die Folge des Abzugs römischer Truppen auf andere Kriegsschauplätze. Britannien war ein Hauptzielgebiet der Raubzüge der Sachsen (Sax = Schwert, also Schwertleute). Der antike Geograph Ptolemäus setzte die Sachsen in Westholstein und auf den Inseln der Elbemündung an. Gemeinsame Plünderungen mit den Salfranken an der Nordküste Galliens 286 machten sie dem antiken Geschichtsdenken erstmals bewußt. Rom schickte gegen sie den romanisierten Bataver-General Carausius und seine Flotte, die den Sachsen ihre Beute wieder entriß; 287 rief Carausius sich selbst zum Kaiser aus; er war der erste historisch bekannte König von England. Die Piratenschiffe der Sachsen, die wegen ihrer Seerfahrung und der Schnelligkeit ihrer Bewegungen gefürchtet waren, verheerten Galliens Küsten und fuhren auch landeinwärts die Flüsse hinauf; sie gründeten Niederlassungen wie zum Beispiel bei Bayeux in der Normandie. In Germanien bedrängten sie zur selben Zeit das Thüringerreich.
Sachsen von der Elbe, Angeln von Schleswig, Jüten von Jütland rief der Britenführer Wortigern gegen großangelegte Pikteneinfälle zur Hilfe. Nach einer unsicheren Überlieferung trieben Jüten in der Gefolgschaft der Brüder Hengist und Horsa 449 Pikten und Skoten gegen Lohn zurück. Die Kunde davon lockte weitere Heer- und Volkshaufen an. Erst nach einem Jahrhundert voller Kleinkriege zwischen Eingeborenen und Eindringlingen mit wechselndem Erfolg setzten sich 577 die Angeln in der Schlacht von Deorham endgültig durch. Dadurch bekam das Land später den Namen Angeln-Land (= England). Die unterworfenen Briten verschmolzen mit der germanischen Erobererschicht, eine unbeugsame Minderheit setzte den Kampf im Bergland von Wales fort oder suchte jenseits des Ärmelkanals neues Siedelland auf der Halbinsel, die daher den Namen Bretagne trägt. Mit dem Verfall von Handel, Gewerbe und ihren städtischen Zentren und dem Rückgang von Recht und Ordnung bildete sich auf den Britischen Inseln die römische Kultur zurück und verschwand das Christentum.
Die Sprache in Britannien wurde germanisch, seit 1066 (normannische Eroberung) kam ein kräftiges französisches Element hinzu; aber in Charakter und Physiognomie, Literatur und Kunst wirkten keltische Züge weiter. In der Sage von König Artus und seinen Rittern lebt die Erinnerung an die Schrecken jener Invasionszeiten fort.
In der Geschichte des frühen Mittelalters spielen die »Grüne Insel« und die Iren als kultureller Strahlungspunkt eine nicht unerhebliche Rolle. In der irischen Tradition wurde »die Insel der Nebel und Fruchtbarkeit« lange vor Christus von Griechen und Skythen besiedelt. Um 500 v. Chr. drangen von Gallien und Britannien her Kelten ein und brachten die Hallstattkultur (Eisen) mit.
Ihr gesellschaftliches und politisches Leben war von Clans (Stammesverwandtschaft) beherrscht; deshalb konnte sich auf diesem klassischen Boden der Clan-Kämpfe keine Großherrschaft bilden. Wie aller keltische, germanische, indogermanische Adel verstanden sich die ältesten Sippenhäuptlinge Cuchulainn, Conor, Conall als Göttersöhne, und das Volk glaubte an ihr göttliches Heil. Ihre Toten bestatteten die Kelten in Waffenrüstung und in aufrechter Haltung. Bei jedem Clan wurden dessen Verwandte und Ahnen, Könige, Schlachten und Heiligtümer aufgezeichnet. Die keltische Herrenschicht teilte ihre Clans auf die fünf Königreiche Ulster, Nord- und Süd-Leinster, Munster und Connaught auf. Königskrönung und Adelsversammlung fanden zu Tara in Meath statt, das die gemeinsame Hauptstätte war.
Die erste historische Persönlichkeit ist Tuathal, König von Leinster und Meath, aus der Zeit um 160 n. Chr. Um 358 unternahm König Niall Beutezüge nach Wales und Gallien, wo er an der Loire den Tod fand; auf ihn gehen die meisten späteren Könige zurück. Bereits 431 kam, wie Beda berichtet, der von Papst Cölestin I. als Missionsbischof entsandte Palladius nach Irland; Patrick, der spätere Landesheilige, war nicht der erste Christ, obwohl er dem Christentum zum Siege verhalf.
Um 389 als Sohn eines römischen Bürgers im westenglischen Dorfe Bonnaventa geboren, wurde Patrick mit sechzehn Jahren von skotischen Piraten nach der Grünen Insel entführt, wo er, dem asketischen Ideal der Spätantike folgend, in der Einsamkeit eine große religiöse Wandlung erlebte. Dann nahmen ihn Matrosen nach Gallien, vielleicht auch nach Italien mit; nach England zurückgekehrt, litt es ihn dort nicht lange. Er ging in das Kloster Lérins (vor Cannes) und wurde 432 in Auxerre zum Bischof geweiht. Was für Severin und seinesgleichen die ägyptische Wüste als Stätte der Einkehr bedeutete, war für die westliche Welt Lérins, wohin der Adel aus den zusammenbrechenden Provinzen Germaniens und Galliens flüchtete, wo römische Bildung und Kultur sich mit östlicher Regelweisheit zu einer neuen Auffassung des Christentums und klösterlicher Lebensform vor Benedikt von Nursia, dem Mönchsvater des Abendlandes, verband.
Leary, ein aufgeklärter Heide auf dem Königsthron von Tara, gestattete dem mit Reliquien Peters und Pauls nach Irland entsandten Patrick die Mission, ungeachtet des Widerstandes der Priesterkaste der Druiden, die um ihre Wahrsagekunst und ihr Zauberwerk bangten und kämpften. Die von ihnen gehütete Religion war ein animistischer Polytheismus. In ihrer Pflege stand eine reiche, mündlich überlieferte Literatur aus Sage und Dichtung. Die Druiden wirkten als Berater der Könige, als Richter, als Stilisten der Gesetze, als Priester für die öffentliche Ordnung und konnten dadurch einen bedeutenden politischen Einfluß am Königshof ausüben. Die Iren glaubten an Wiedergeburt und Paradies.
Das Leben des heiligen Patrick († 461), der im Alter »Bekenntnisse« schrieb, ist von vielen Sagen und Wundergeschichten umrankt. Er gründete viele Kirchen und Klöster für Männer und Frauen und schuf in ihnen Zentren des Christentums gegen das Heidentum, das sich zäh hielt. Nach 558 nahmen Irlands Könige, ihrer Kultur nach Heiden, das Christentum an.