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Das Burgunderreich

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Die Insel Bornholm in der Ostsee bewahrt in ihrem Namen noch die Erinnerung an die ostgermanischen Burgunder und ihre Urheimat. Im 1. Jahrhundert v. Chr. saßen sie in Norddeutschland; der Geograph der Antike, Ptolemäus, setzte sie in das Land zwischen Oder und Weichsel. In den ersten zwei Jahrhunderten nach Christus drängten sie von Brandenburg aus über die Lausitz bis Schlesien vor, wo sie von den Gepiden besiegt wurden. Im Gefolge von Wandalen und anderen Volksstämmen setzten sie sich im Maintal fest, wo sie mit den Alemannen in Streit kamen. Seit dem 4. Jahrhundert unterhielten sie gute Beziehungen zu den Römern und unterstützten diese gegen die Alemannen.

Der Teil der Burgunder, der im Norden seßhaft blieb, ging später in den Langobarden auf; niemals sind Großstämme ganz aus ihrer Heimat ausgezogen. Ein anderer Teil der Burgunder Schlesiens wanderte in das Schwarzmeergebiet und wurde dort von den Ostgoten vernichtet. Die Wandalen rissen um 406 die Burgunder nach Westen fort; letztere ließen sich am Mittelrhein um Mainz, Worms und Speyer nieder und zwangen die Römer, sie in ein Föderatenverhältnis aufzunehmen. Die Kaiser schlossen mit ihnen Hilfsverträge ab und wiesen ihnen das Gebiet am nördlichen Oberrhein als Siedelland zu.

Als die Burgunder 435 in Belgien einfielen, besiegte sie Aëtius und hetzte die Hunnen gegen sie. Bei dem Blutbad, das diese unter ihnen anrichteten, soll auch ihr König Gundahar, der Gunther der Nibelungensage, den Tod gefunden haben. Der römische Generalissimus Aëtius wies ihnen dann 443 in der Sapaudia (Savoyen) Siedelland an. In die leergewordenen Räume am linken Rheinufer drangen die Alemannen ein. Die Seßhaftmachung der Burgunder inmitten einer gallorömischen Bevölkerung vollzog sich ganz legal in den Formen des römischen Einquartierungssystems. Diese juristische Konfiskation des Besitzes beließ den Bebauern eines Landgutes zum Beispiel zwei Drittel und gab den Barbaren ein Drittel; dabei blieben Wälder und Weiden ungeteilt, Weingärten und Gärten wurden aber geteilt. Die Burgunder behandelten den gallorömischen Adel rücksichtsvoll und bedrückten auch das Volk nicht. Dadurch wurde eine stille Verschmelzung möglich.

Nach der Unterwerfung der Burgunder suchte die merowingische Königsgesetzgebung die Trennung nach dem Grundsatz der Personalität des Gesetzes noch aufrechtzuerhalten; sie verordnete das römische Recht für die römischen Eingeborenen, das germanische für die Burgunder; doch der Prozeß war schon im vollen Gange und ließ sich nicht mehr aufhalten. Als Aëtius 454 starb, schützten die Burgunder auch die Gallorömer gegen die Alemannen, trieben diese aus der Sequanaise in das Elsaß zurück und marschierten rhôneabwärts bis Durance, um die Goten aufzuhalten. Hilferufe der Einwohner der Lyonnaise führten sie 457 bis in die Gegend vom Amberieux und 461 oder 465 nach Lyon, immer ohne Blutvergießen und Plündern.

Das zweite Reich der Burgunder, die Burgundia, später Bourgogne, umfaßte ein Gebiet zwischen oberer Loire, Aare, Rhône und Rheinquellen. In einem Brief des Ostgoten Theoderich I. an den Burgunderkönig Gundobad, der zeitweise sogar die Provence mit dem Hafen Marseille besetzt hielt, erscheint 507 zuerst der Name Burgundia; er bezeichnete einen Nachfolgestaat des Römerreiches. Der Burgunderkönig war nur für die Burgunder König, für die Gallorömer war er nur Heermeister oder Patricius (ein römischer Amtstitel) und betrachtete sich dabei als Vertreter des Kaisers.

Die Burgunder nahmen im Gegensatz zu den Alemannen und nach dem Rat des Ostgotenkönigs sehr rasch von den Gallorömern Kunst und Wissenschaft an; sie beschäftigten Künstler, Goldschmiede, Baumeister von Kirchen, zählten nach dem römischen Jahr und gebrauchten den römischen Münztyp. In der Anlehnung an den Kaiser und die römische Kultur suchten die Burgunder Hilfe gegen die nahen und gefährlichen Franken; dabei hatten sie den Vorteil, daß der Kaiser fern in Konstantinopel residierte.

Der Übertritt vom Arianismus zum Katholizismus hat die Romanisierung der Burgunder und ihre Verschmelzung mit den Gallorömern möglich gemacht. Schon am Mittelrhein waren sie oberflächliche Christen geworden. In der Burgundia bestanden zunächst die arianische Staatskirche der Barbarenkönige und die alte »Reichskirche« ihrer gallorömischen Untertanen, die von den Franken gestützt wurde, nebeneinander. Unter dem Einfluß seiner katholischen Frau verständigte sich König Gundobad mit dem katholischen Episkopat und führte Religionsgespräche mit dem heiligmäßigen Bischof Avitus von Vienne. Erst sein Sohn Sigismund vollzog aber offiziell den Übertritt. Doch wurde schon 534 die Burgundia dem Frankenreich einverleibt.

Die Burgunder zeigten eine große Fähigkeit zur Anpassung an die Tradition des Reiches. Ihre militärische Kraft und ihre wendige Politik gegenüber Gallorömern und Byzanz, ihre Aufgeschlossenheit für lateinische Kultur, der Einfluß König Gundobads in Rom empfahlen sie als Träger und Repräsentanten. Aber ihr Reich hatte zu lange, schwer zu verteidigende Grenzen, und ihre fränkischen Nachbarn waren ihnen an Macht überlegen.

In Zeiten des Übergangs und des Zusammenstoßes verschiedener Kulturen haben psychologische Momente der Abneigung und der Überlegenheit bis in Äußerlichkeiten hinein oft eine entscheidende Rolle gespielt. Nicht der Ideenaustausch und die Anpassung wirken in erster Linie, es müssen sich die Menschen körperlich mischen, sich in Lebensformen und Alltäglichkeiten annähern, damit neue Völker und Gesellschaftskörper entstehen.

Vor allem König Gundobad, der Gesetzgeber, hat der »Burgundia« so viel Inhalt gegeben, daß sie nach der Eroberung durch die Franken 534 im Merowingerreich auch ein Volk, eine Nation blieb. Sie bildete fortan zusammen mit Neustrien, Austrasien und Aquitanien einen wesentlichen Teil des Frankenreiches und behielt ihren Namen auch in der offiziellen Amtssprache. Die Lex Gundobada (= Gesetz des Königs Gundobad) ist neben dem Westgotenrecht die vollständigste und humanste Rechtskodifikation unter allen Germanenrechten. Sie lebte lange fort im Volks- und Gewohnheitsrecht von Burgund. Neben der gallofränkischen Landschaft Neustriens, neben der gallogotischen Aquitaniens entstand die galloburgundische Landschaft. In der Folgezeit hat die Ausdehnung der Burgundia (= Bourgogne) oft gewechselt; sie wuchs nach Gallien hinein und war dann wieder auf Saône- und Rhônetal beschränkt. Sie war ein Schild vor der neuentstehenden Francia (Frankenreich, gallorömisch-fränkische Welt) gegen Osten vom Mittelmeer bis zum Jura.

Der fränkische Hausmeier Karl Martell trennte die Burgundia in vier Bezirke: Arles, Vienne, das alemannische und das burgundische Burgund. Nach seinem Willen sollte sie ein Sperrblock gegen die Araber und eine fränkische Festung sein. Daraus erwuchsen die verschiedenen Burgunds des Mittelalters: das Königreich, genannt Bourgogne oder Arles mit der Provence, die Dauphiné oder Savoyen, das herzogliche Burgund, das gräfliche Burgund oder die Franche Comté, später noch das helvetische oder zähringische, wo Berthold IV. von Zähringen Freiburg und Berthold V. Bern gründeten.

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