Читать книгу Hieroglyphen mit Geheimnis - Karl-Theodor Zauzich - Страница 5

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Man wird sich in einer späteren Zeit über die Leichtgläubigkeit wundern, mit der sich ernste Gelehrte von dem Trugbild der Sinaischrift als dem Urbild unserer Schrift haben gefangen nehmen lassen. (Hans Bauer, 1927)

VORWORT

Der Titel dieses Buches schließt an mein 1980 erschienenes Buch „Hieroglyphen ohne Geheimnis“ an (12. Auflage 2012), mit dem ich der weitverbreiteten Ansicht entgegentreten wollte, die ägyptische Schrift sei so schwierig, daß nur geniale Gelehrte sie lernen und lesen könnten. Schon damals hatte ich den Plan, ein Buch folgen zu lassen, in dem ich darstellen wollte, wie denn der Mythos von dem Geheimnis der Hieroglyphen überhaupt entstehen konnte und zu welchen abstrusen „Entzifferungen“ dieser geführt hat. Auch wollte ich an einigen Beispielen zeigen, wie die Ägypter selbst zur Mystifizierung ihrer Schrift beigetragen haben, und daß die Hieroglyphen natürlich immer noch einige Geheimnisse bergen, die bis heute nicht ganz entschleiert sind. Eines davon ist, wie aus ihnen unser Alphabet entstanden ist, und nur dieses wird hier behandelt.

Die Herkunft des Alphabets ist ein uraltes Problem der Menschheit, über das spätestens seit dem klassischen Altertum nachgedacht wird.1 Ganze Bibliotheken sind über das Thema geschrieben worden, ohne daß die Diskussion zu einer allgemein akzeptierten, unangreifbar bewiesenen Lösung gekommen ist. Meine eigene Beschäftigung mit dem Thema hat vor mehr als 40 Jahren begonnen. Einen ersten Aufsatz mit dem Titel „Vorläufige Mitteilung zur Herkunft der phönizischen Schrift“ habe ich 1973 publiziert;2 ihm folgten etliche andere Arbeiten, s. die Bibliographie in Kap. 13. Wenn ich hier endlich das lange geplante Buch vorlege, so geschieht es nicht in der Erwartung, ans Ende meines eigenen Suchens und Findens gekommen zu sein. An vielen Stellen drängen sich weitere Fragen geradezu auf. Angesichts meines Alters (Jahrgang 1939) und der Wichtigkeit des Themas erscheint es mir aber besser, ein fast fertiges Buch zu publizieren als ein ganz fertiges Manuskript mit ins Grab zu nehmen. In diesem Sinne bitte ich meine Leser um Nachsicht, wenn ich an einigen Stellen meine Untersuchung einfach abgebrochen habe. Andere werden hier hoffentlich weiterarbeiten.

Eine allgemeine Übereinstimmung besteht in der Wissenschaft derzeit nur darüber, daß unser „lateinisches“3 Alphabet über das griechische oder etruskische vom phönizischen Alphabet abgeleitet ist, aber immer noch ungelöst ist die Frage, wann, wo und wie dieses entwickelt worden ist. Die unterschiedlichsten Antworten sind dafür vorgeschlagen worden, von denen die meisten phantastisch und ganz und gar unglaubwürdig sind.4 So wollte man z.B. im Alphabet einen Hinweis auf die Mondphasen finden5 oder gar einen Nachweis für den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten im Alphabet entdecken. Das letzte ist ein so hübscher und kaum bekannter Unsinn, daß ich ihn hier zitieren möchte: Lucien Etienne, Une découverte dans l’alphabet. Revelation scientifique, Paul Geuthner Paris, 1932. In meiner Übersetzung: „Männer (Aleph) und Frauen (Beth) unter dem Joch (Gimel) zogen heraus (Daleth) aus Ägypten (He) nach dem Orient (Waw). Sie vereinigten sich (Zajin) bei der Tempel- (Ḥeth) Stadt (Ṭeth). Anfangs waren sie verzweifelt (Jod), aber anschließend erhoben sie sich (Kaph) voller Mut (Lamed). Und das Volk (Mem) lief (Nun) durch das Meer (Samekh) während des Vollmondes (Ajin). Die Legionen (Pe), die es verfolgten (Ṣade), ertranken (Qoph). Dann besangen alle (Reš) den Ruhm (Sin) Gottes (Taw).“6 Vgl. auch Tafel 4. Das ist natürlich die reine Phantasterei, aber sie enthält dennoch ein paar richtige Gedanken. Der eine ist, daß unsere Buchstaben von ägyptischen Hieroglyphen in ihrer hieratischen Schreibung abgeleitet sind. Außerdem ist die Herleitung des Buchstabens M von der Hieroglyphe des Wassers richtig, ebenso die des Buchstabens R von der Hieroglyphe des Mundes . Aber das hatten andere lange vor Etienne schon herausgefunden.

Seit Jahrzehnten wird eine Theorie in Büchern zur Schriftgeschichte und in allgemeinen Lexika, jetzt auch im Internet, so häufig vertreten, daß man sie geradezu als Standardtheorie bezeichnen kann. Danach sollen die phönizischen Schriftzeichen und somit auch die griechischen und unsere Buchstaben aus der sogenannten protosinaitischen Schrift abgeleitet sein. Diese Theorie ist aber aus vielen Gründen problematisch und nach meiner Überzeugung ganz und gar verkehrt.7 In diesem Buch wird dagegen eine mehr als 150 Jahre alte Theorie, nach der unser Alphabet über Zwischenstufen aus den ägyptischen Hieroglyphen in ihrer kursiven (hieratischen) Schreibung abgeleitet ist, wiederaufgenommen und mit neuen Argumenten bewiesen. Das bedeutet konkret, daß wir alle, die wir die „lateinische“ Schrift gebrauchen, eigentlich ägyptische Hieroglyphen in wenig veränderter Form schreiben, so daß tatsächlich das ganze Wissen der abendländischen Welt in morgenländischen Schriftzeichen fixiert ist. Unser A ist eigentlich ein , das auf die Hieroglyphe zurückgeht, unser B ein , das auf die Hieroglyphe zurückgeht, usw.

Das vorliegende Buch stellt diese Theorie Schritt für Schritt vor. Da das Thema von allgemeinem Interesse ist, habe ich mich um eine Darstellung bemüht, die auch Lesern ohne sprachwissenschaftliche Ausbildung verständlich ist. Fremdwörter sind nach Möglichkeit vermieden oder werden beim ersten Auftreten sowie am Buchende (Kapitel 12) erklärt. Ausführliche Literaturverweise (Kapitel 13) erlauben dem Leser, gezielt weitere Informationen zu suchen. In einer Einleitung (Kapitel 1) werden die Kenntnisse vermittelt, die für das Verständnis des Buches unentbehrlich sind. Die Fachkollegen wollen bitte die ersten Abschnitte der Einleitung überspringen. Literaturverweise und zusätzliche Informationen sind in Anmerkungen am Schluß notiert, um die abschreckende Wirkung zu vermeiden, die ein Text mit vielen Fußnoten auf manche Leser ausübt. Für das Verständnis der Argumentation sind die Endnoten weitgehend entbehrlich.

Ich danke den Zuhörern meiner Vorträge, die mir durch kritische Fragen geholfen haben, sowie einigen Kollegen, mit denen ich über Details diskutieren durfte. Ich danke auch einigen Lesern, die eine Rohfassung des Manuskripts durchgesehen und mich besonders hinsichtlich der Lesbarkeit beraten haben. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft bin ich für die Entlastung von meinen Lehrverpflichtungen im Sommersemester 1999 durch die Finanzierung einer Vertretung dankbar. Meinem Schüler, Kollegen und Freund Prof. Richard Jasnow (Johns Hopkins University Baltimore) danke ich dafür, daß er diese Vertretung freundlich und professionell wahrgenommen hat.

Hieroglyphen mit Geheimnis

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