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Südostasien – Begriff und Abgrenzung

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„Does Southeast Asia really exist?“ – Mit dieser provokativen Frage leitet Hill (2002) seine Südostasien-Länderkunde ein, denn Südostasien (SOA) hat erst in den letzten Jahrzehnten bei den Völkern und Staaten dieses Raumes eine stärkere Identität als Einheit sowie in der Außenwahrnehmung das Profil einer eigenständigen Region gewonnen, und dies, obwohl es nach physio-, bevölkerungs- oder kulturgeographischen Kriterien von benachbarten Räumen kaum deutlich abzugrenzen ist.

Uhlig (1975) definiert in seiner Länderkunde SOA als eigenständigen Kulturerdteil, der seit Jahrhunderten durch die Kulturen und insbesondere die Religionen Indiens und Chinas geprägt wurde, sich aber von den großen Nachbarländern – in der Terminologie Uhligs von den Kulturerdteilen Indien und China – gleichwohl deutlich unterscheidet. Indische, chinesische und bodenständige Kulturelemente haben sich so in weiten Räumen zu einer „Hybrid“-Kultur vermischt.

SOA weist jedoch eine so große ethnische, religiöse und soziokulturelle Vielfalt auf, dass der Begriff Kulturerdteil für diese Erdregion nur mit Einschränkungen gültig sein kann. Zudem weisen die Teilräume dieses „Erdteils“ eine sehr unterschiedliche geschichtliche Entwicklung auf. Nur für eine sehr kurze Zeit, während der japanischen Besetzung im Zweiten Weltkrieg, unterstand SOA einer einzigen Macht. In den weit beachteten Länderkunden von Fisher (1964), Fryer (1970) und Villiers (1965) wird betont, dass der Name SOA erstmals im Zweiten Weltkrieg durch das militärische Allied Supreme Command for Southeast Asia geprägt wurde. Dieser Begriff wurde jedoch nach Uhlig (1975) für den hier zu behandelnden Raum bereits 1875 von O. Peschel und 1923 von R. Heine-Geldern in die Literatur eingeführt. In länderkundlichen Darstellungen der Erdregionen z.B. in den 1920er-Jahren (Gerbig 1927) wurde SOA jedoch noch nicht als Einheit behandelt, sondern in zwei eigenständige Räume gegliedert: in das festländische Hinterindien und den Malaiischen Archipel, der auch als Insulinde, Inselindien, Indischer Archipel oder schon im 19. Jh. als Indonesien bezeichnet wurde. Erst nach 1945 wurde der Begriff Indonesien auf den heutigen Staatsraum eingeengt (von griechisch: nesoi = Inseln).

Auch nach dem Zerfall der europäischen Kolonialreiche nach 1945 verstanden sich die Völker SOAs noch lange nicht einer Region oder einem „Kulturerdteil“ zugehörig. Wesentlich unter der Befürchtung der Expansion der Volksrepublik China und des Kommunismus in Vietnam entschlossen sich 1967 die marktwirtschaftlichen, dem „Westen“ verbundenen Länder Thailand, Malaysia, Singapur, Indonesien und die Philippinen zu einer zunächst noch losen wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit in der ASEAN. Diese sog. ASEAN-5 wurde Kern einer sich allmählich verstärkenden und nach dem Ende des Kalten Krieges auch räumlich ausweitenden Bildung einer – wenngleich bis heute noch schwachen – gemeinsamen Identität der Völker und Staaten SOAs.


Die vorliegende Länderkunde versteht unter SOA somit die zehn in der ASEAN zusammengeschlossenen Staaten mit fast 620 Mio. Menschen (Tab. 1) sowie das erst seit 1999 von Indonesien unabhängige Osttimor. Diese politisch-geographische Abgrenzung deckt sich aber nicht mit den natur-, bevölkerungs- oder kulturgeographischen Grenzen SOAs. Die Außengrenzen des hier als SOA definierten Raumes sind ausschließlich das Resultat oft willkürlicher kolonialer Grenzziehungen, die häufig kulturell und ethnolinguistisch homogene Räume und naturräumliche Einheiten zerschnitten. Große, in ASEAN-Staaten lebende Bevölkerungsgruppen siedeln so auch in benachbarten „Kulturerdteilen“. Die ethnischen Minoritäten des westlichen Myanmar z.B. ähneln sprachlich und kulturell der Bevölkerung in den östlichen Grenzräumen Indiens und Bangladeshs, die sich – wie u.a. die Naga oder Chins – deutlich von der Tiefland- und Mehrheitsbevölkerung ihres Landes unterscheiden. Eine ähnliche Affinität besteht zwischen den Ethnien des nördlichen Hinterindien und den jenseits der Grenze lebenden Minoritäten Südchinas, die sich wiederum vom Staatsvolk der Han-Chinesen stärker unterscheiden als von ihren „Verwandten“ in den nördlichen Grenzregionen des festländischen SOA. Nach ethnischen und kulturräumlichen Kriterien könnte zudem das gesamte östliche Indonesien und insbesondere die Westhälfte Neuguineas mit den indonesischen Provinzen Papua und Westpapua (bis 2003 Irian Jaya) dem melanesisch-pazifischen Raum zugeordnet werden.


Die Außengrenzen der ASEAN durchschneiden weithin auch naturräumliche Einheiten, wie z.B. ausgeprägt das Becken des Mekong, dessen Oberlauf in Südchina liegt (Tab. 2). Insbesondere in den Grenzräumen SOAs sind die Desintegrationskräfte besonders relevant und Konflikte mit den Nachbarländern eine Gefahr. Dies betrifft auch weithin die Seegrenzen nicht nur zwischen den ASEAN-Ländern, sondern auch SOAs insgesamt v.a. zu China und Australien (s. Kap. „Bergbau und Energiewirtschaft/ Meeresgrenzen und Erdöl- bzw. Erdgasvorkommen in Südostasien – Konflikte und Regelungen“, S. 171).

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