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1.2 Wird die Medizin unbezahlbar?

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Es ist einsehbar, dass die Zunahme von naturwissenschaftlich-technischem Wissen und Können die Medizin teurer macht. Kosten werden durch neue Technologien gesteigert. Labor- und Vorsorgeuntersuchungen, bildgebende diagnostische Verfahren und medikamentöse Verschreibungen nehmen zu 8. Dadurch kann das Leben verlängert werden. Teurer werdende Medizin ist offenbar eine unausweichliche Folge des Fortschritts.

Es gibt aber noch andere Ursachen für hohe medizinische Kosten, von denen ich einige nenne: Labortests und bildgebende Verfahren werden zu oft angeordnet. Das Gespräch mit dem Patienten über seine Beschwerden und ihre Vorgeschichte, die Anamnese, und eine gründliche körperliche Untersuchung würden ergeben, dass viele Hightech-Untersuchungen wie Computertomogramme unnötig sind. Hier schlägt die wissenschaftliche Medizin in Irrationalität um, wird sehr teuer und schadet dem Patienten durch Strahlenbelastung. Wenn bei einer Frau oder einem Mann mit unkomplizierten Kreuzschmerzen und fehlenden Zeichen einer „roten Flagge“, also beispielsweise Lähmungserscheinungen, gleich ein Computertomogramm oder ein magnetisches Resonanztomogramm veranlasst wird, können Pseudobefunde, die nicht kausal für die Schmerzen verantwortlich sind, zu einer unnötigen Operation führen 9.

Zu vermeidende Kostensteigerungen gelten auch für die Kardiologie. Mit 6441 Herzkathetern pro Million Einwohner zur Darstellung von Herzkranzgefäßen, koronaren Angiografien, war bereits 1998 die Zahl dieser Interventionen in Deutschland die höchste in Europa. Solche Prozeduren sind nicht nur teuer, sie sind auch mit Komplikationen belastet. Eine sorgfältige Anamnese und körperliche Untersuchung würden zeigen, dass viele invasive Darstellungen der Herzkranzgefäße überflüssig sind 10. Nicht indizierte und somit entbehrliche Prozeduren nützen nicht dem Kranken, sondern der Amortisierung teurer Geräte.

Verteuert wird die Medizin auch durch den medizinisch-industriellen Komplex 11. Darunter versteht man die zunehmende Verflechtung von Gerätehersteller- und Pharmaindustrie mit der Medizin. Die Industrie bezahlt zahlreiche Fortbildungen für Ärzte, auf denen mehr oder weniger versteckt für ein medizinisches Produkt geworben wird. Eine kluge Arzneimitteltherapie wird nicht durch Werbung, sondern durch eine kritische Arzneimittellehre, die Pharmakologie 12, ermöglicht, die Wirksamkeit und Sicherheit der Medikamente objektiv beurteilt. Pharmavertreter, die Ärzte besuchen, sagen nicht, dass ihr neuestes Präparat nicht immer das beste ist. Je häufiger die ärztlichen Kontakte mit solchen Industrievertretern sind, umso mehr steigen die medizinischen Kosten 13.

Schließlich ist ein weiterer Grund der Kostenexplosion, dass immer mehr Ereignisse des täglichen Lebens, Sexualität, Schwangerschaft, scheues Verhalten, männlicher Haarverlust und Altern medizinisch betreut werden 14. Man nennt diesen Vorgang Medikalisierung des Alltags. Diese Medikalisierung bringt uns in eine zunehmende Abhängigkeit von der Medizin und ist mit einem hohen finanziellen Preis verbunden.

Verlorene Patienten?

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