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2.2 Selbstbestimmung und Fürsorge

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Bei einer Befragung von 3058 Personen in Deutschland 7 sprach sich die Mehrheit für eine gemeinsame Entscheidungsfindung von Arzt und Patient aus. Ein Viertel der Befragten wollte allein der Fürsorge ihres Arztes vertrauen. Im paternalistischen Zeitalter der Medizin, das bis in die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts reichte, bestimmte der Arzt über Diagnostik und Therapie. Der Kranke hoffte auf seine Fürsorge und sein Wohlwollen. Ihm sollte nicht geschadet werden, er sollte auch psychisch nicht belastet werden, sodass ungünstige Diagnosen und Prognosen, z. B. bei einem fortgeschrittenen Karzinom, meistens verschwiegen wurden. Bis weit ins 20. Jahrhundert wurde die Selbstbestimmung (Autonomie) des Kranken wenig beachtet. Im Vordergrund stand die ärztliche Fürsorge, dem Kranken zu nützen und Schaden von ihm abzuwenden. Heute ist neben den beiden ethischen Prinzipien des Nutzens und der Schadensvermeidung das dritte Prinzip der Selbstbestimmung getreten. Deshalb muss der Arzt den Patienten genau informieren. Nichts darf ohne seine Zustimmung erfolgen („Informed Consent“).

Diese Autonomie erfordert, sich nach den Präferenzen, Werten und Perspektiven des Patienten in Bezug auf Krankheit, Diagnostik und Behandlung zu erkundigen. „Es gehört zur Menschenwürde dazu“, schreibt der Medizinethiker Hartmut Kreß 8, „dass jeder, der dazu in der Lage ist – also jeder urteilsfähige und erwachsene Mensch – über sein Tun und Lassen und über sein Schicksal selbst bestimmen darf.“ Es hängt mit der Aufklärung im Sinne von Immanuel Kant zusammen, dass in den letzten Jahrzehnten versucht wurde, den früheren Arzt-zentrierten Paternalismus durch ein anderes Konzept zu ersetzen, das den Graben zwischen dem wissensmächtigen Arzt und dem Kranken überbrückt. Je mehr diagnostische und therapeutische Möglichkeiten bestehen, umso mehr – sieht man einmal von Notfallbehandlungen ab – brauchen Patienten Gespräche über Optionen, damit gemeinsame Entscheidungen möglich sind.

Der Arzt ist allerdings nicht verpflichtet, sinnlose Wünsche zu erfüllen. Respekt vor der Selbstbestimmung bedeutet nicht, nutzlose Konsumentenansprüche zu befriedigen. Die Medizin ist kein Warenhaus. Es ist falsch, dem Kranken alle diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten aufzuzählen, um ihm dann bei der Entscheidung nicht zu helfen und allein zu lassen. Der Patient wird hier zum überforderten Kunden, gleichzeitig schwinden Fürsorge und Verantwortung des Arztes, der zum Anbieter und Techniker wird.

Patienten benötigen eine eingehende, objektive ärztliche Beratung, damit Nutzen, Risiken und Unsicherheit klinischer Optionen verstanden werden. Allerdings honoriert die deutsche Gebührenordnung vor allem technische Prozeduren, nicht zeitaufwendige Beratungen.

Ist der Patient durch eine schwere Krankheit, beispielsweise durch eine Alzheimer Demenz, nicht mehr in der Lage, sein Selbstbestimmungsrecht auszuüben, dann muss der Arzt sich an die Familie wenden, die für den entscheidungsunfähigen Patienten seine Wünsche formulieren soll. Weil wir durch Krankheit und Alter oft entscheidungsunfähig werden, ist eine Patientenverfügung sinnvoll, die mit ärztlicher Hilfe frühzeitig verfasst werden kann. Sie beschreibt die Wünsche eines Menschen für den Fall, dass er in Zukunft über medizinische Interventionen, die den Sterbeprozess künstlich verlängern, nicht mitbestimmen kann.

Die Amerikanerin Terri Schiavo 9 war seit 1990 in einem persistierenden vegetativen Status (Wachkoma) ohne Hoffnung auf Besserung. Weil keine Patientenverfügung vorlag, stritt sich die Familie erbittert, ob die Ernährungssonde entfernt werden dürfe, um die Krankheit nicht weitere Jahre am natürlichen Verlauf zu hindern. Erst 2005 wurde auf Beschluss eines Gerichts die Sonde entfernt. Die Patientin durfte sterben.

Nicht selten wird versucht, ärztliche Fürsorge, die Leben erhalten will, gegen die Selbstbestimmung auszuspielen. Autonomie-Skeptikern ist entgegen zu halten, dass jeder bewusstseinsklare Mensch das Recht hat, ärztliche Eingriffe abzulehnen. Ärztliche Fürsorge ist essenziell. Sie sollte die Achtung vor der Selbstbestimmung mitumfassen.

Verlorene Patienten?

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