Читать книгу Die Sau im Porzellanladen - Klaus Bartels - Страница 9
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Amnestie
Zwei Tage nach der Ermordung Julius Caesars an den Iden des März berief Marcus Antonius den Senat zu einer Krisensitzung ein. Dazu schreibt Plutarch in seiner Biographie Ciceros: „Als die Verschwörer um Brutus und Cassius ihr Werk vollbracht hatten und die Anhänger Caesars sich gegen die Caesarmörder zusammenschlossen, herrschte Furcht, die Stadt könne in neue Bürgerkriege versinken. Da rief Marcus Antonius, der in dem Jahr Konsul war, den Senat zusammen und sagte kurz etwas von Eintracht und Versöhnung. Nach ihm ergriff Cicero das Wort zu einer langen, der heiklen Situation entsprechenden Rede; er gewann den Senat dafür, nach dem bekannten Beispiel der Athener eine Amnestie für den Mord an Caesar zu beschließen und den Männern um Brutus und Cassius Provinz-Statthalterschaften zuzuweisen. Doch nichts davon gelangte zur Durchführung ...“
An dieser Stelle begegnet der griechische Begriff der amnestía, einer „Amnestie“, erstmals in seiner seither geläufigen politischen Bedeutung. Cicero bezieht sich dort auf die allgemeine Amnestie, mit der die wiederhergestellte athenische Demokratie nach der Vertreibung der Dreißig Tyrannen im Jahre 403 v. Chr. den weniger schwer Belasteten „Vergessen“ und Straffreiheit gewährte.
Amnestía: darin steckt ein negierendes a- und die Wurzel mne, „sich erinnern“, die wir von der „Mnemotechnik“, der „Gedächtnisschulung“, her kennen. Das Wort erscheint zuerst in Platons „Menexenos“, dort noch in der allgemeinen Bedeutung eines „Sich-nicht-Erinnerns“: Große, rühmenswerte Taten, heißt es da, dürften nicht der amnestía, der Vergessenheit, verfallen. Für eine politische Amnestie hat die griechische Sprache dann noch ein anderes, schwerer befrachtetes Wort geprägt, das die strafwürdigen Taten unverhüllt ansprach: amnesikakeín, „sich nicht erinnern an die kaká, an die Übel“. Wohl vor allem durch die vorher zitierte Plutarchstelle hat sich die einfache amnestía, die „Amnestie“, seither in unserem Euro-Wortschatz durchgesetzt.
Wahrscheinlich hatte bereits Cicero in jener Krisensitzung am 17. März 44 v. Chr. von einer amnestía gesprochen. Ein halbes Jahr später, am Anfang seiner 1. Philippischen Rede, erinnert er nochmals an den damals eingebrachten Antrag: „In jener Senatssitzung im Tempel der Tellus habe ich, soweit es an mir lag, das Fundament für den Frieden gelegt und das alte Beispiel der Athener erneuert; sogar das griechische Wort habe ich in Anspruch genommen, das die Athener zur Beilegung der Zerwürfnisse gebraucht hatten, und beantragt, jede Erinnerung an diese Zerwürfnisse in ewigem Vergessen zu begraben.“ Plutarch jedenfalls, anderthalb Jahrhunderte später, lässt Cicero eine amnestía fordern, und in der Folge wurde diese amnestía vornehmlich in diesem engeren Sinne einer politischen „Amnestie“ verstanden.
Cicero wusste sehr gut, dass es mit dem Sich-Erinnern und dem Vergessen im politischen Leben seine eigene Bewandtnis hat. Ein Jahr zuvor hatte er sich in seiner Schrift „Über das höchste Gut und das größte Übel“ unter diesem Stichwort auf Themistokles berufen, den die Athener erst als den Sieger in der historischen Seeschlacht von Salamis 480 v. Chr. gefeiert und dann aus seiner Vaterstadt verbannt und in Abwesenheit zum Tode verurteilt hatten: „Liegt es denn überhaupt in unserer Macht, woran wir uns erinnern und was wir vergessen? Simonides – oder wer sonst es war – versprach einmal dem Themistokles, ihn die Kunst der Mnemotechnik zu lehren. ‚Lieber lernte ich‘, erwiderte Themistokles, ‚eine Kunst des Vergessens. Denn ich erinnere mich auch an Vieles, an das ich mich gar nicht erinnern möchte, und kann Vieles nicht vergessen, das ich sehr gern vergessen möchte.‘“