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Anraunzerei

»Hey, es ist nicht statthaft, hier ein Eis zu essen«, blökt uns eine ältere Frau mit einer Aldi-Plas­tiktüte vor der Eisdiele an, vor der es vor Eisschleckern nur so wimmelt und vor der auch spät abends noch Leute Schlange stehen. Die Frau hat offensichtlich nicht mehr alle Schweine im Rennen. Aber dieses »Es ist nicht statthaft« gefällt mir. Es passt so gar nicht in das Gezeter, das ihr pausenlos aus dem Mund quillt. Es deutet vielmehr auf intensiven Kontakt mit Behörden hin und hat sich wahrscheinlich auf diese Weise in ihren aktiven Wortschatz geschlichen.

Niemand kümmert sich um sie oder reagiert auf sie. Jeder geht ihr aus dem Weg, und jeder ist ein potentielles Opfer ihrer Anraunzerei. Einen Mangel an Opfern gibt es nicht, denn wir befinden uns auf der Admiralbrücke, auf der wie an jedem warmen Sommerabend eine Art Powwow stattfindet, ein Gelage mit jungen Rucksacktouristen aus verschiedenen Ländern, die alle auf die gleiche tolle Idee gekommen sind und eine Gitarre mitgebracht haben. Gegenüber der Dänin, die leicht entrückt an den Saiten ihrer Harfe herumzupft, sehen sie aber mit ihrer Gitarre echt alt aus. Leere Bierflaschen klirren übers Pflaster. Und über allem liegt the wall of Schnattersound, ab und zu durchbrochen vom lauten Gelächter einer türkischen Männergruppe. Die meisten verstehen die keifende Frau mit den wirren Haaren gar nicht, wenn sie durch die auf dem Pflaster sitzenden Hippies hindurchschlurft und sie anfaucht, was alles »nicht statthaft« ist, und es ist so ziemlich alles »nicht statthaft«.

Ich glaube, sie ist eine ehemalige Anwohnerin, die die penetrante Lärmsoße nicht mehr ausgehalten hat und ein Opfer der nervlichen Belas­tung wurde. Nun schleicht sie jeden Abend herum und führt ihr letztes Gefecht gegen die feindliche Invasion aus dem Ausland, das sie aber schon lange verloren hat.

Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen

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