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In der Milchbar

Da will ich nur ein paar Spagetthi essen, fragt mich die Bedienung: »Geht’s Ihnen nicht gut?« Eigentlich schon, aber jetzt, wo mich die Frau fragt, geht’s mir auf jeden Fall schon mal ziemlich schlecht.

Irgendwie glaube ich mich rechtfertigen zu müssen: »Naja, vielleicht bin ich von gestern ein bisschen angeschlagen, aber mein Gott, sieht man mir das so an?«

»Manche sind eben so sensibel und gucken ihre Gäste an, die anderen interessiert das eben nicht, wie es den Gästen geht«, sagt sie.

Ich finde, Bedienungen müssen so sensibel auch wieder nicht sein, und deshalb flüchte ich in die »Milchbar«, denn hier ist man vor sensiblen Bedienungen sicher. Hier wüsste nicht mal jemand, wie man sensibel buchstabiert.

Die »Milchbar« in der Manteuffelstraße ist ein dunkler Punkschuppen, den man hinter dem harmlosen Namen nicht unbedingt vermuten würde, und in dem Herta ein unerbittliches Regiment führt, ein hartgesottener BVB-Fan, den man hinter diesem alles andere als harmlosen Namen nicht unbedingt vermuten würde. Sie könnte in einem Film von Sergio Leone mitspielen, mit Haaren auf den Zähnen, schwerst gepierct, wahrscheinlich mit BVB-Ringen, mit BVB-T-Shirt und wildem Blick, der einem den Angstschweiß auf die Stirn treibt, wenn man etwas anderes als Bier bestellen möchte, weshalb man sich lieber gut mit ihr stellt.

Hier gibt es die Spiele des BVB in voller Länge zu sehen. Und deshalb muss ich aus Gründen der Leidenschaft für den Ballspielverein Borussia dort hin, obwohl es eine blöde Gewohnheit ist, bei strahlendem Sonnenschein auf eine Leinwand zu starren, auf der die Kugel nur manchmal als weißer Punkt aufblitzt, wo man sie nicht vermutet hatte, und auch die Spieler irgendwie undeutlich durch die Gegend laufen.

Dumpfes »Sieg«-Gegröle und Fahnenschwenken ist verboten, und das kann Herta gar nicht hoch genug angerechnet werden. Sonst aber ist alles erlaubt. Jedenfalls fast. Die Einrichtung sollte man nicht auseinandernehmen, aber da müsste man sich viel Mühe geben, denn sie ist sehr stabil und festgeschraubt.

In der »Milchbar« herrscht eine verlässliche Redundanz. »Schiri, was pfeifst du!«, brüllt alle fünfzehn Sekunden eine Stimme mit türkischem Akzent. Das klingt wie ein Rap-Song, ist aber nur das Mantra einer Gruppe türkischer Jugendlicher, die offenbar Mitte der Neunziger, also in der großen Zeit des BVB, sozialisiert wurde und nicht richtig loslassen kann.

Direkt vor der Leinwand sitzt ein großer und kurzsichtiger Drei-Zentner-Mann und vertilgt bis zum Abpfiff immer genau sechs Weizen, ohne einen Ton von sich zu geben. Der Mann neben mir hat das Gegentor mal wieder schon vorher kommen sehen. Das tut er immer. Auch darauf ist hundertprozentig Verlass.

»Trink dein Bier und halt die Fresse«, tönt es von hinter dem Tresen nach vor dem Tresen. Da sitze ich, aber ich bin nicht gemeint, und wenn ich gemeint wäre, hier ist der richtige Ort für ein Desensibilisierungsprogramm.

Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen

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