Читать книгу Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen - Klaus Bittermann - Страница 23
ОглавлениеNotaufnahme
Manche sitzen in der Notaufnahme, um Kasse oder Privat zu raten und eine Ferndiagnose zu stellen. Wie z.B. der zu einem Mann umgebaute Schriftsteller Simon Borowiak. Eigenartiges Hobby, aber auch nicht eigenartiger als inmitten nackter Menschenmassen in der Sonne zu braten. Borowiak hat große Erfahrungen in der Elendsforschung gesammelt und ist ein Fachmann. Aber manchmal ist das selbst für einen Laien wie mich gar nicht schwer.
Kasse, wenn überhaupt, und gaga vermute ich, als ein Mann in leicht verwahrlostem Zustand und flatternden Hosenbeinen durchs Wartezimmer der Notaufnahme des Urban-Krankenhauses schlurft und mir als einzig Anwesendem mit finsterem Gesicht und wie eine aufgebrachte Furie zuzischt, wer alles ein »verfickter Arsch« sei, dabei kenne ich gar keinen von den verfickten Ärschen.
Und das liegt nicht an den 40 Grad Fieber, mit denen ich mich in die Notaufnahme geschleppt habe, wo ich im Gang abgestellt werde. »Keine Papiere?«, fragt ein Pfleger. Er meint nicht mich, sondern eine Samariterin, die einen Delirium Tremens angeliefert hat. »Kannste gleich wieder mitnehmen. Wir haben hier schon einen polnischen Alkoholkranken.« Dann gerate ich in sein Blickfeld. Er guckt kurz in mein schmales Krankendossier. Theatralisch ruft er aus: »Warum bringt ihr mir nicht mal so einen vorbildlichen Kranken?«
Ich bin viel zu sehr mit Schwitzen und Zähneklappern beschäftigt, als mich geschmeichelt zu fühlen. Immerhin werde ich in ein Behandlungszimmer abgeschoben, dort allerdings vergessen. »Wie heißen Sie? Ihr Name? Machen Sie die Augen auf? Hören Sie mich?«, höre ich eine Schwester laut auf den polnischen Alkoholkranken einteufeln. Keine Reaktion. Sie gibt auf. Ich sehe die Füße des polnischen Alkoholkranken. Sie zucken.
Schön wie das Zittern der Füße eines Alkoholikers, rauscht mir ein leicht abgewandeltes Zitat vom Comte de Lautréamont durch den Kopf. Dann lasse ich die Rollos runter.