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Wirtschaftswunder

»Martini zu jeder Gelegenheit«, lockt ein Schild im »Wirtschaftswunder«. Da kann ich nun wirklich nicht widerstehen und trete ein. Das »Wirtschaftswunder« befindet sich in der Yorckstraße neben dem Yorck-Kino. Jeder kennt es, nur ich habe mich noch nie hierher verirrt, obwohl ich nicht sooo weit weg wohne. Dreiundzwanzig Jahre gibt es das »Wirtschaftswunder« schon, das ist selbst für ein Wirtschaftswunder eine lange Zeit. Bratenfettdunst hängt schwer wie aufdringliches Egoïste in der Luft.

»Nirgends sonst auf der Welt könnten Restaurants, die so nach Fritten stinken, auch nur vierzehn Tage überleben«, merkte Harry Rowohlt mal über den Geruchssinn der Deutschen an, wobei das »Wirtschaftswunder« natürlich kein Restaurant ist, weshalb es eigentlich umso verwunderlicher ist, dass es nach altem Fett riecht. Aber vielleicht steht deshalb die Tür offen. Aus den Boxen hämmert harter Postpunk. Ein Refrain wird gerade gnadenlos zu Tode geritten. Es ist kalt und ungemütlich auf den Fünfzigerjahreeisdielenaluminiumstühlen.

Keine Ahnung, warum es mich hierher verschlagen hat. Okay, das Versprechen auf einen »Martini zu jeder Gelegenheit«, klar. Aber eigentlich war ich auf der Suche nach einem ruhigen, warmen und romantischen Café mit einem Pinguin als Ober, und das ist ja wohl das genaue Gegenteil von dem, was ich hier vorfinde. Bin ich ein Spielball mir unbekannter Gelüste, die geputscht und die Kommandozentrale meines Hirns übernommen haben? Aber vielleicht gibt es dieses Café, das ich suche, gar nicht, jedenfalls nicht in Kreuzberg, weil es in meiner Vorstellung immer so aussieht wie das Kaffeehaus Prückl in Wien.

Blaue Stunde. Ich bestelle einen Martini. Die Bedienung im gemusterten Kapuzenshirt guckt unsicher. Sie fragt mich, ob mir der Martini schmeckt. Ich komme mir vor wie ein Versuchskaninchen. Dann lese ich in Robert Menasses neuem Erzählband, weil ich nicht die ganze Zeit auf die großen Comic-Gemälde an der Wand starren will, die nach einem schlechten Seyfried aussehen, also so wie das letzte Wahlplakat von Ströbele.

Die Geschichte handelt vom Erfinder des Parfüms Egoïste. Ich trinke noch einen Martini. Die Stones klagen, dass sie keine Befriedigung kriegen können, und die Beatles raten, es gleich zu lassen. Bratenfettduft wabert weiter durch die Kälte.

Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen

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