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Nach-Thermidor

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Aber die Revolution war noch nicht zu Ende. Im Juli 1794 schwang das Pendel in die andere Richtung aus und riss Robespierre und alle mit sich, die sich in seinem Gefolge befanden. Angefangen hatte der Umsturz des Neunten Thermidor (27. Juli 1794) als Putsch einiger Ultrajakobiner, die nach Paris zurückgerufen worden waren und damit rechnen mussten, von Robespierre wegen ihrer übermäßigen Grausamkeit angeklagt zu werden. Ihnen gesellten sich einige Überlebende der Danton-Fraktion zu, die drei Monate zuvor ausgeschaltet worden war. Doch der Sturz des »Tyrannen« und seiner unmittelbaren Gefolgsleute zog weitere Anklagen nach sich. Bald befanden sich die Jakobiner insgesamt unter Generalverdacht. Angespornt von ehemaligen Girondisten machte sich der Konvent daran, seine eigenen Reihen zu säubern. Es reichte, mit dem Diktator in persönlicher Verbindung gestanden zu haben, um unter Anklage gestellt und hingerichtet zu werden.

Napoleon wurde in diesen Strudel hineingerissen, und es fehlte wenig, dass seine Karriere an diesem Punkt schon ihr Ende gefunden hätte. Er hatte das Vertrauen, ja die Hochachtung Augustin Robespierres erlangt, und fast hätte er dessen Angebot angenommen, mit ihm nach Paris zu gehen, wo ihm die Aussicht auf Nachfolge des notorisch überforderten Hanriot, des Befehlshabers der Pariser Nationalgarde, winkte. Aber ein glückliches Vorgefühl ließ ihn im Juni 1794 vor der Reise nach Paris zurückschrecken. Er fühlte sich als Mann der Armee und wollte es bleiben. Wie weit seine Ideen mit denen der Robespierre-Brüder damals übereinstimmten, ist ungewiss. Der Kaiser fand später überaus positive Worte für Robespierre. »Wäre er nicht unterlegen, so wäre er der außerordentlichste Mann, den es je gegeben hat«, sagte er über ihn.45 Gegenüber Las Cases sprach er vom »Sündenbock der Revolution«, auf den man alle Schuld abgeladen hätte, während der »Unbestechliche« dabei gewesen wäre, die Revolution in ihrem Lauf anzuhalten.46 Dabei muss man jedoch bedenken, dass er dieses Urteil in retrospektiver Perspektive als Gefangener auf Sankt Helena und mit dem Blick auf seine eigene Lebensleistung formulierte. Derjenige, der es geschafft hatte, die Revolution zu beenden, war in seinen Augen nicht Robespierre, sondern er, Napoleon.

Am 6. August 1794 wurde Napoleon auf Befehl des Wohlfahrtsausschusses seines Kommandos enthoben und verhaftet. Der Haftbefehl war von Saliceti ausgegangen, der damit seinen eigenen Kopf zu retten versuchte, denn der allmächtige Carnot, der zu Robespierre in einem gespannten Verhältnis gestanden hatte, hatte dem Kommissar gegenüber entsprechende Andeutungen gemacht. Möglich, dass derselbe Saliceti danach Skrupel bekam und sich beim Wohlfahrtsausschuss dafür stark machte, den Haftbefehl rückgängig zu machen. In seinem Schreiben vom 24. August 1794 heißt es:

»Wir sind überzeugt davon, dass uns die Talente dieses Militärs nützlich sein können, die, wie wir nicht verleugnen können, sehr notwendig werden in einer Armee, die er besser als irgend jemand kennt und wo Männer dieser Art überaus selten anzutreffen sind.«47

Napoleon wird gespürt haben, wie nah er sich am Abgrund befunden hatte. Im Hauptquartier in Nizza begrüßte ihn sein alter Chef und bat ihn, einen Schlachtplan für die Italienarmee auszuarbeiten. Dieser Feldzugsplan war in seinen Grundzügen bereits derjenige, der im Frühjahr 1796 zur Ausführung gelangte. Doch vorerst legten die Thermidorianer – so nannten sich die nun tonangebenden Politiker aus ehemaligen Girondisten, Männern der Plaine und ›geläuterten‹ Jakobinern – die Angriffspläne auf Eis und konzentrierten sich auf den Wiederaufbau der Wirtschaft und die Beilegung des immer noch tobenden Aufstands in der Vendée. Tatsächlich standen im Frühjahr 1795 die Zeichen auf Deeskalation. Spanien, Neapel und Preußen schieden aus der Koalition gegen Frankreich aus. Der Konvent verabschiedete eine neue Verfassung, die die künftige Gewalt in die Hände einer aus zwei Kammern bestehenden Legislative und einer Exekutive aus fünf Direktoren legte, die sich in jährlichem Turnus abwechseln sollten. Zugleich sollten die berüchtigten Zwei-Drittel-Dekrete dafür sorgen, dass bei den Wahlen kein abrupter Austausch des Personals erfolgen konnte; nur ein Drittel der Konventsabgeordneten sollte neu gewählt werden, während zwei Drittel der abtretenden Mitglieder automatisch in die beiden künftigen Kammern, den Rat der Alten oder den Rat der Fünfhundert, übernommen wurden. Dagegen machte sich landesweiter Unmut breit. Besonders aus dem großen Lager der schweigenden Mehrheit, die ihre fortdauernde Sympathie für die Monarchie noch nicht offen auszudrücken wagte, aber insgeheim auf den Sturz der »Immerwährenden« wartete, schlug den abtretenden Abgeordneten mühsam unterdrückte Wut entgegen, während die dezimierten Jakobiner, nach einem letzten fehlgeschlagenen Aufstand ihrer verbliebenen Führungskader beraubt, in den Untergrund gegangen waren.

Napoleon, der inzwischen in Paris im Büro des Planungsstabes der Armee eine vorübergehende Verwendung gefunden hatte, scheint sich keiner Seite besonders nahe gefühlt zu haben. Er begrüßte die Verfassung von 1795 als endlich in Aussicht gestellte Rückkehr zu einer Normalität, in der nicht mehr die Massen das Sagen hatten, sondern erfahrene Politiker den Kurs bestimmten. Von der Durchschlagskraft der neuen Exekutive hielt er dagegen nicht viel. Er erkannte, dass diese Konstruktion der Staatsspitze, in der das Prinzip des Misstrauens und der gegenseitigen Kontrolle alles beherrschte, vielleicht in einem beruhigten Lande erfolgreich sein mochte; nicht aber in einer Nation wie Frankreich, wo die Fraktionskämpfe der zurückliegenden Jahre heftige Leidenschaften hervorgebracht hatten und die Rufe nach Rache und Wiedergutmachung keineswegs verstummt waren, sondern sich nach dem Ende der Terrorherrschaft eben wieder hervortrauten. Auch war die äußere Bedrohung durch das Ausscheiden sekundärer Mächte aus der alliierten Koalition noch nicht behoben, wie der Landungsversuch der Engländer auf der Halbinsel Quiberon bewies. Dabei handelte es sich um eine kühne Aktion, mit der die Briten den Rebellen in der Vendée zu Hilfe kommen wollten und die erst in letzter Minute von dem jungen General Hoche vereitelt wurde. Napoleon sprach sich in seinen Briefen an Joseph dafür aus, man möge abwarten und sich die Lage beruhigen lassen. Diese Einstellung stimmte zwar mit der Quintessenz der thermidorianischen Philosophie überein, verkannte jedoch völlig die Tiefe der durch die Revolution aufgeworfenen Gegensätze.48

Das Schicksal seines Bruders Joseph hat seine Zukunftspläne zeitweise in eine ganz andere Richtung gedrängt. Joseph hatte in Marseille die Kaufmannstochter Julie de Clary geheiratet und schickte sich an, in den Levantehandel einzusteigen, sobald ein Friedensschluss in Sicht war. Das brachte seinen Bruder, der sich für die Schwester Julies, Désirée, interessierte und sich sogar mit ihr verlobte, auf die Idee, dem Wohlfahrtsausschuss eine Mission zum Sultan in Konstantinopel vorzuschlagen. Damit sollten die unterbrochenen Beziehungen Frankreichs zur Pforte wiederbelebt und zugleich dem englischen Einfluss am Bosporus ein Riegel vorgeschoben werden. Ein entsprechendes Angebot aus Konstantinopel lag in Paris vor.

Napoleon Bonaparte

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