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Historischer Abriss

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Ob man ihn nun als ihren Vollender oder als ihren Bezwinger ansieht: In jedem Fall konnte Napoleon Bonaparte später zu Recht von sich behaupten, ein ›Sohn‹ der Französischen Revolution zu sein. Denn ohne diese Revolution ist seine Karriere als Militär wie auch sein Aufstieg an die Spitze der politischen Macht nicht denkbar. Als 1769 Geborener gehörte er zur jüngeren Alterskohorte einer um die Mitte des 18. Jahrhunderts geborenen Generation, die wie keine andere die Geschichte Frankreichs geprägt hat und deren Einfluss noch bis weit in das 19. Jahrhundert hineinreichte.

Diese Verbindung war nicht von Anfang an vorgezeichnet. Als Abkömmling der gerade erst Frankreich einverleibten Insel Korsika verfolgte der junge Offizier die Anfänge der Revolution ab 1789 vornehmlich unter dem Gesichtspunkt, wie er ihre Impulse für seine Heimat nutzbar machen konnte. Erst 1793 plädierte er rückhaltlos für Frankreich, in einem Moment, als nach der Hinrichtung des Königs Ludwig XVI. und der Kriegserklärung der meisten europäischen Monarchen an die junge Republik das Überleben des revolutionären Frankreich an einem seidenen Faden hing. Der tödliche Konflikt innerhalb der Volksvertretung zwischen Girondisten und Jakobinern war zugleich ein Konflikt zwischen der Hauptstadt und der Provinz, nämlich zwischen den hinter den Jakobinern stehenden Pariser Massen und einigen mächtigen Städten des Südens und Westens. Der Konvent, also die 1792 nach allgemeinem Männerwahlrecht gewählte Nationalversammlung der neuen Republik setzte eine provisorische Exekutive in Form des zwölfköpfigen Wohlfahrtsausschusses ein. Dieser mit außerordentlichen administrativen und jurisdiktionellen Befugnissen ausstatteten Notstandsregierung gelang es, das demografische Gewicht der loyal gebliebenen Landesteile und der übergroßen Hauptstadt in die Waagschale des Krieges zu werfen und so der ausländischen Invasion ebenso Herr zu werden wie der separatistischen Tendenzen in Lyon, Marseille und Bordeaux. Bevollmächtigte des Konvents, darunter Bonapartes späterer Protektor Barras, gingen dabei mit äußerster Brutalität vor und ließen Hunderte von Todesurteilen vollstrecken. Mit gleicher Härte verfuhren Sondergesandte des Wohlfahrtsausschusses gegen Armeeführer, die keine Erfolge vorzuweisen hatten. Der erste Gatte von Napoleons späterer Frau Joséphine de Beauharnais endete auf diese Weise 1794 auf dem Schafott.

Zum Symbol der militärischen Wende wurde im September 1793 die wichtige Hafenstadt Toulon, die sich der englischen Flotte ausgeliefert hatte. Indem der junge Artilleriehauptmann Bonaparte Toulon für den Konvent zurückeroberte, verhinderte er ein Zusammenwachsen von Bürgerkrieg und Invasion von außen. Von nun an gingen Revolution und Krieg Hand in Hand, was paradoxerweise zur Folge hatte, dass nach den großen militärischen Erfolgen des Jahres 1794, der Eroberung Belgiens und des linken Rheinufers der Druck auf die Notstandsregierung nachließ und die gemäßigte Mehrheit der Konventsabgeordneten sich der Quasi-Diktatur des Wohlfahrtsausschusses entledigte. Auf die Hinrichtung des Revolutionärs Maximilien Robespierre und seiner Clique, die den Ausschuss und den Konvent über ein Jahr lang unter ihrer Fuchtel gehalten hatten, folgte eine Säuberungswelle, der die meisten der vom Wohlfahrtsausschuss eingesetzten Funktionäre und Armeevertreter zum Opfer fielen. Als Protegé von Robespierres Bruder Augustin wäre die Karriere (und das Leben!) des Artilleriehauptmanns Bonaparte hier fast schon zu Ende gewesen, doch kam es ihm zugute, dass er der politischen Macht noch nicht so nahegekommen war, dass er zum engeren Kreis der Männer um Robespierre gezählt wurde.

Im Nachgang zur ›Gegenrevolution‹ vom 27. Juli 1794 (9. Thermidor) schlug das Pendel weit nach rechts aus, bis hin zu einer Entwicklung, die auf eine Rückkehr der gestürzten Königsfamilie der Bourbonen hinauslief, ähnlich wie es im England des 17. Jahrhunderts nach der Diktatur Cromwells der Fall gewesen war. Eine solche Aussicht konnte nicht im Interesse der führenden Politiker liegen, die fast alle im Januar 1793 für den Tod Ludwigs XVI. gestimmt hatten und im Falle einer Rückkehr der Königsfamilie mit ihrer eigenen Hinrichtung, hätten rechnen müssen. So besannen sich die ›Thermidorianer‹ (so nannten sich die tonangebenden Politiker, eine Mischung aus ehemaligen Handlangern des Terrors wie Barras und von Robespierre ausgebremsten Gemäßigten und Ex-Girondisten wie Reubell) darauf, was die ursprüngliche Aufgabe des Konvents war: Frankreich eine neue Verfassung zu geben. Die neue Republik sollte ein auf dem Zensuswahlrecht fußender Staat sein, mit einer aus zwei Kammern bestehenden Legislative und einer auf fünf Männer aufgeteilten Exekutive, dem sogenannten Direktorium. Die Arbeiter und Kleinhandwerker besaßen in dieser bürgerlichen Republik kein Wahlrecht, ebenso Tagelöhner und solche Bauern, die wenig oder kein eigenes Land besaßen.

Was viele Franzosen empörte, war jedoch nicht der soziale Rückschritt, den die Verfassung von 1795 bedeutete, sondern die Einschränkung, dass per Dekret zwei Drittel der vorhandenen Konventsabgeordneten automatisch den neuen Vertretungskörperschaften angehören sollten. Diese kaum verhüllte Diktatur der ›Immerwährenden‹ führte zum Erbitterungsaufstand des 5. Oktober 1795 (13. Vendémiaire), den die Thermidorianer erbarmungslos niederschlagen ließen, wobei sie sich des arbeitslos gewordenen Bonaparte bedienten.

Von nun an war dessen Aufstieg eng an den weiteren Fortgang der Revolution gekoppelt. Barras machte ihn zum Chef der Inlandsarmee, doch der Ehrgeiz des jungen Korsen ging weit darüber hinaus. Kaum dem drohenden sozialen Absturz entronnen und mit einer Dame aus der Lebewelt der Neureichen und Revolutionsüberlebenden liiert, hätte er es sich in der neuen Pariser Schickeria bequem machen können, wie es seine Brüder und Schwestern taten. Doch er strebte nach Höherem, lechzte nach militärischem Ruhm. Toulon und Vendémiaire genügten ihm nicht. Auf einem Nebenkriegsschauplatz, in Italien, gelang es ihm, das in ihm schlummernde militärische Genie zum ersten Mal erstrahlen zu lassen. Seine Erfolge waren so eklatant, dass sie nicht nur die der anderen Generäle in den Schatten stellten, sondern auch das Direktorium der Republik nötigten, die Ergebnisse seiner Eroberungszüge, die ihre Zielvorgaben weit hinter sich ließen, als vollendete Tatsachen zu akzeptieren, ja ihm letztlich die Entscheidung über Krieg und Frieden zu überlassen.

Von jetzt an gestaltete sich sein Verhältnis zur politischen Macht als mal offener, mal verdeckter Wettkampf. Was Bonaparte hinderte, 1797 bereits nach der Macht im Staat zu greifen, war weniger die Stärke der Regierung als die Konkurrenz seiner Altersgenossen. Denn nicht nur er, sondern eine Handvoll weiterer, wenig älterer Armeeführer waren im Schatten der Siege, die die französischen Armeen außer in Italien auch in Holland und Deutschland und bei einem letzten gescheiterten Invasionsversuch der Engländer auf der Halbinsel Quiberon errangen, zu Hoffnungsträgern aufgestiegen. Dies umso mehr, als die Politiker in diesem zweiten Jahrfünft der Revolution keine glückliche Figur machten. Dabei waren es keineswegs politische Nullen, die jetzt in Paris die Republik führten. Zwar waren keine enigmatischen Führerpersönlichkeiten mehr unter ihnen – die waren fast alle der Guillotine zum Opfer gefallen –, aber die Direktoren waren Routiniers der Revolution, auf Machterhalt geeichte Taktiker oder überlebende Idealisten von 1789.

Doch wurde ihnen nun die von ihnen selbst geschaffene Verfassung mehr und mehr zum Verhängnis. Die jährlichen Wahlen zur Erneuerung von jeweils einem Drittel der Vertretungskörperschaften beförderten Vertreter einer unzufriedenen und von der Revolution enttäuschten Wählerschaft in die Kammern, die sich mal als verkappte Monarchisten, dann wieder als Nostalgiker der Jakobinerherrschaft entpuppten. Die Direktoren wussten sich dieser Bedrohung nur dadurch zu erwehren, dass sie die Wahlen annullieren und die führenden Oppositionellen verhaften ließen; mit dem Ergebnis, dass sie so ihren ohnehin geringen Rückhalt in der Bevölkerung weiter verspielten und die Politikverdrossenheit im Land stieg.

Besonders verhängnisvoll war, dass die Exekutive auf fünf Männer aufgeteilt war, von denen jedes Jahr einer durch das Los ausschied und durch einen von den Kammern gewählten Nachfolger ersetzt wurde. Eine kohärente Politik war so kaum möglich, schwebte doch das Damoklesschwert der Abwahl über jedem von ihnen. Der Fähigste, Reubell, schied so 1799 in einem entscheidenden Moment aus, während nur Barras, der 1795 ins Direktorium gelangt war, die von der Verfassung gewährte volle Amtszeit von fünf Jahren erreichte.

Hinzu kam die ungeklärte Frage von Krieg und Frieden. Während ein Teil der Direktoren, ähnlich wie viele der Abgeordneten, einen baldigen Friedensschluss herbeiwünschten, der Frankreichs Grenzen immerhin bis an die Alpen, die Maas und die Schelde vorgetrieben hätte, also sich im Wesentlichen auf die französischsprachige Bevölkerung der Randgebiete beschränkte, sahen andere, zumal Angehörige der siegreichen Armeen, darin einen Verrat an der Revolution. Für sie kam nur die Rheingrenze in Frage, getreu der von den Girondisten ausgegebenen Parole der ›natürlichen Grenzen‹ Galliens und ungeachtet der Tatsache, dass die linksrheinische Bevölkerung deutschsprachig war und keineswegs einem Anschluss an Frankreich entgegenfieberte. Als zusätzliches Problem erwies sich, dass Bonaparte in Italien bereits einen Satellitenstaat in Form der Cisalpinischen Republik gegründet hatte, was zwar dem ursprünglichen Modell der Girondisten von 1792/1793 entsprach, aber dem vom Direktorium verfolgten Konzept widersprach. Es stand 1796/1797 noch nicht fest, ob ein solcher Friede von den noch im Krieg befindlichen Gegnern Großbritannien und Österreich zu haben war.

Die Spannung zwischen Friedensbefürwortern und Anhängern der Maximallösung verquickte sich mit der inneren Problematik der Republik. Die Protagonisten der ›kleinen Lösung‹ wie Lazare Carnot, immerhin der Organisator der Abwehrsiege von 1793/1794, standen, oft zu Unrecht, im Verdacht, an einer schleichenden Rückkehr zur Monarchie zu arbeiten. Von den Generälen stand ihnen Pichegru nahe, während andere, Jourdan, Hoche und Augereau, vehement für eine Fortsetzung des Krieges eintraten. Bonaparte hielt sich bedeckt, solange der Machtkampf nicht entschieden war. Der Konflikt eskalierte am 5. September 1797 (18. Fructidor) in einer kurzen Kraftprobe zwischen den beiden Lagern, bei der die Gruppe um Carnot unterlag und Hunderte seiner Anhänger in die Verbannung nach Guyana, die ›trockene Guillotine‹, geschickt wurden.

Währenddessen präsentierte der Sieger von Italien sein eigenes Konzept: Er zwang die Österreicher durch seinen Vormarsch auf Wien dazu, die Rheingrenze zu akzeptieren; ein Opfer, das ihnen umso leichter fiel, als er ihnen das von ihm okkupierte Venedig zum Ersatz dafür anbot. Einzig England blieb nun noch im Krieg, das nach einem Jahr mit Russland die sogenannte »Zweite Koalition« einging gegen Frankreich. Währenddessen kamen in Rastatt die vertriebenen linksrheinischen Fürsten zusammen, um unter den spöttischen Augen des Siegers Bonaparte um ihre Entschädigung aus dem verbliebenen Rumpf des geschrumpften Deutschen Reiches zu feilschen. Die nötige Ersatzmasse mussten, wie man wusste, die Bistümer und Abteien des Alten Reiches abgeben.

Bonaparte traf Ende 1797 wieder in Paris ein, sehr zum Unbehagen des Direktoriums, das bestrebt war, ihn rasch wieder loszuwerden. Ein Unternehmen zur Invasion Englands erwies sich als schon in den Voraussetzungen aussichtslos. So kam man, angeregt vom neuen Außenminister Talleyrand, auf den Plan einer Expedition nach Ägypten, eine der – wie ein bekannter Historiker angemerkt hat – überflüssigsten Unternehmungen der revolutionären Epoche. Das stimmt allerdings nicht ganz. Vom militärischen Standpunkt aus gesehen war der Ägyptenfeldzug zwar ein gigantischer Fehlschlag, ähnlich wie fünf Jahre später die Haiti-Expedition. Doch enthielt er für Bonaparte zwei wichtige Lehren für seine weitere Laufbahn: Die Erkenntnis, dass England zur See unbesiegbar war (der britische Admiral Nelson zerstörte wenige Tage nach der Ankunft in Ägypten Bonapartes Flotte und schnitt der französischen Armee damit die Möglichkeit zur Rückkehr ab); und die Erfahrung der Unbeherrschbarkeit der Natur, die er auf dem Rückweg durch die Wüste nach dem fehlgeschlagenen Syrienfeldzug machte. Beide Lehren blieben aber für ihn folgenlos.

Schon 1797 war er der populärste Mann Frankreichs, zumal sein Rivale Hoche kurz zuvor gestorben war. Doch erst das Ausscheiden Reubells aus dem Direktorium und die sich bedrohlich zuspitzende militärische Situation im Sommer 1799, die eine neue alliierte Invasion fürchten ließ, schuf die Voraussetzung für einen erfolgversprechenden Griff nach der Macht. Auf Reubell folgte als Nachfolger im Fünfergremium Emmanuel Joseph Sieyès, der 1789 als Mann der ersten Stunde die Revolution entscheidend auf den Weg gebracht hatte. Von ihm erhofften sich viele eine Überwindung der sich als unbrauchbar erweisenden Verfassung. Sieyès suchte angesichts der äußeren Bedrohung nach einer Verstetigung der Exekutive, um der neojakobinischen Agitation, die nach einer neuen Terreur wie 1792/1793 rief, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Das römische Beispiel vor Augen, spekulierte er mit einem Verfassungsmodell, das zwei oder drei Konsuln vorsah. Dabei hielt er nach einem General Ausschau, der nach außen und auf dem Schlachtfeld genug Autorität besaß, ohne dass von ihm zu befürchten war, dass er die Alleinherrschaft anstrebte oder, wie Cromwells früherer Gefolgsmann Monk im England des Jahres 1660, die alte Monarchie zurückholen würde. Bonaparte kam genau im richtigen Moment aus Ägypten zurück, um in diese Leerstelle einzutreten. Wie er dann in den Wochen nach dem Staatsstreich des 9. November 1799 (18. Brumaire) seine Helfer ausmanövrierte und die Macht durch informelle Manöver an sich riss, ging allerdings weit über das hinaus, was Sieyès vorausgesehen und angestrebt hatte.

Die folgenden vier Jahre des Konsulats bilden, im historischen Rückblick gesehen, eine Übergangszeit zum Empire, mit dem Napoleon bis heute identifiziert wird. Aber das konnten die Zeitgenossen noch nicht wissen. Für sie war das Konsulat, das Bonaparte schrittweise in Richtung auf eine Alleinherrschaft ausbaute, der so lange herbeigesehnte Abschluss der Französischen Revolution, nach innen mit den großen Gesetzen wie dem Konkordat und dem Code civil, nach außen mit den Friedensschlüssen von Lunéville und Amiens. Manche Historiker, vor allem die republikanisch Gesinnten, abstrahieren gerne von der Fortsetzung seiner Herrschaft als Kaiser und betrachten die Konsulatsjahre bis heute als Vollendung der Französischen Revolution. Sie können sich dabei auf Napoleons späteres Wort berufen, er habe damit »Granitmassen« in den Boden Frankreichs versenkt, die mehr wögen als seine gewonnenen Schlachten. Tatsächlich hat die administrative Struktur, die damals in erstaunlich kurzer Zeit geschaffen wurde, lange – vielfach bis heute – gehalten.

Aber eine solche Geschichtserzählung lässt den Faktor Napoleon Bonaparte außer Acht. Er hat sich nie mit diesem Ende der Revolution abgefunden, weder mit einem Frankreich in den Grenzen Galliens noch mit einem halb republikanischen, halb monarchischen Zwitterstatus als Erster Konsul auf Lebenszeit. Was er wollte, war das, was alle Gründerväter der Geschichte wollten: Dauer. Und so ließ er sich 1804 zum Kaiser proklamieren und versuchte, aus seinem korsischen Familienclan eine neue europäische Dynastie zu formen, der er fünf Jahre später durch die Heirat mit der Tochter des Habsburgerkaisers die historische Weihe zu geben meinte. Tatsächlich wählte er so den Weg in seinen eigenen Untergang.

Napoleon Bonaparte

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